Medien- und Kommunikationsrecht FS 2014 Vorlesung 8 vom 14.4.2014 Kontakt: Franz.Zeller@unibas.ch 1
III. Gesetzesvorschriften gegen (öffentliche) Rassendiskriminierung 1. Menschenrechtliche Vorgaben a) Schutzpflichten des Staates UNO-Pakt II / UNO-Übereinkommen 1966 Skript, S. 96 f. b) Beachtung der freien Kommunikation Primär geschützte Rechtsgüter: - Sozialer Frieden & politische Stabilität - Menschenwürde (öffentl. Friede nur mittelbar) - Schutz vor angedrohter Gewalt ( true threats ) EGMR BGer USA 2
Skript, S. 97 ff. 2. Rassendiskriminierungsnorm (261 bis StGB) Aufruf zur Diskriminierung wegen a) Rasse b) Ethnie c) Religion Straffrei: Aufruf zur Diskriminierung aus anderen Gründen Auslegung bei Konflikt mit freier Kommunikation 3
Berücksichtigung der Kommunikationsfreiheit bei StGB 261 bis Formulierung und Auslegung des Tatbestandes 261 bis StGB Formulierung Art. 261 bis : - in einer gegen Menschenwürde verstossenden Weise - gröblich verharmlost Enge Auslegung durch Justiz: -> Hohe Hürde der Strafbarkeit in politischem Meinungsstreit Skript S. 98 Strafausschluss bei wahrheitsgetr. Berichterstattung (28 IV StGB) über Öffentliche Verhandlungen Amtl. Mitteilungen Wahrung berechtigter Interessen 3 Voraussetzungen: angemessen Tat wiegt offenkundig weniger schwer Subsidiarität (kein anderer Weg) 4
5
Verletzung von Art. 261 bis StGB (Rassendiskriminierung)? Skript S. 98 f. 6
Die Kosovaren seien «ein niederes Volk», schrieb Fidel Stöhlker (operativer Geschäftsführer einer PR-Agentur) 2011 in seinem Blog. 7
Skript S. 100f. 3. Besondere Pflichten von Radio & TV a) Art. 4 Abs. 1 RTVG: Sendungen dürfen weder zu Rassenhass beitragen noch diskriminieren b) Praxis der UBI zu diskriminierenden Äusserungen im Rundfunk 8
9
BGer 6B_715/2012 vom 6.2.2014: 10
Skript S. 101 Mit diesem Titelbild erschien am 5. April 2012 die Zeitschrift "Weltwoche". Darunter prangt die Schlagzeile: "Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz. Familienbetriebe des Verbrechens. 11
Presserat: «Weltwoche» trägt durch die pauschalisierende Schlagzeile «Die Roma kommen», in diskriminierender Weise dazu bei, Ängste zu schüren und stereotype Vorurteile gegenüber einer ethnischen Gruppe zu verstärken. 12
IV. Gesetzesvorschriften zum Schutz religiöser Gefühle 1. Menschenrechtliche Vorgaben a) Positive Schutzpflichten Skript S. 102 f. b) Beachtung der freien Kommunikation 13
Grundsätze der Strassburger Rechtsprechung EGMR: Staaten dürfen (bzw. müssen: positive Schutzpflichten?) grundlos verletzende + lästerliche Äusserungen untersagen. Grosser nationaler Spielraum. Blasphemieverbote in vielen europäischen Staaten sind grundsätzlich zulässig. Skript S. 103 f. Sanktionen müssen aber verhältnismässig sein. 14
Verhältnismässigkeit bei Massnahmen gegen religionskritische Publikationen Skript S. 103f. Anstachelung zu Hass oder Gewalt c. Andersgläubige Mutwillige Verletzung religiöser Gefühle durch unnötige Herabsetzung von Glaubensinhalten oder Propheten Ernsthafte (wenn auch provokative und schockierende) Diskussion religiöser Fragen v.a. im Zusammenhang mit politischer Kritik. z.b. Kritik an Haltung katholischer Kirche zur Judenfrage (Holocaust) (Scharfe) Kritik an religiösen Repräsentanten z.b. Kritik an konservativem Bischof 15
Art. 261 StGB Skript S. 105f. Geschütztes Rechtsgut Glaubensfreiheit, genauer: die Achtung vor dem Mitmenschen und seiner Überzeugung in religiösen Dingen. Geschützt ist damit gleichzeitig auch der religiöse Friede. Objektive Tatbestandsmerkmale Beschimpfen oder Verspotten der Überzeugung anderer in Glaubenssachen öffentlich in gemeiner Weise 16
Der Maler Kurt Fahrner präsentierte im April 1959 auf dem Barfüsserplatz in Basel das Gemälde «Bild einer gekreuzigten Frau unserer Zeit». Skript S. 104 BGE 86 IV 19 vom 26.2.1960 An Stelle des Leibes Christi hängt eine nackte Frauengestalt am Kreuz, als ob sie zum Geschlechtsakt bereit wäre. Eine solche ans Unzüchtige grenzende Darstellung, mit Christis Erlösungstod in Parallele gesetzt, stellt eine grobe Entwürdigung des Christuskreuzes als Symbol christlicher Glaubenssätze dar. 17
Berücksichtigung der Kommunikationsfreiheit bei StGB 261 Formulierung und Auslegung des Tatbestandes 261 StGB Formulierung Art. 261 : - in gemeiner Weise - beschimpft oder verspottet Enge Auslegung durch Justiz: -> Hohe Hürde der Strafbarkeit in heutiger pluralist. Gesellschaft Strafausschluss bei wahrheitsgetr. Berichterstattung (28 IV StGB) über Skript S. 104f. Öffentliche Verhandlungen Amtl. Mitteilungen Wahrung berechtigter Interessen 3 Voraussetzungen: angemessen Tat wiegt offenkundig weniger schwer Subsidiarität (kein anderer Weg) 18
BGer 13.6.1986 zum Film Das Gespenst : Tatbestandsmerkmal in gemeiner Weise : Provokation oder Spott zulässig Geschmacklosigkeit genügt nicht für Strafbarkeit Strafbar ist nur eine auf Hohn und Schmähung ausgerichtete Äusserung Grenze: Vorsätzliche Gefährdung des öffentlichen Friedens, Missachtung der notwendigen Toleranz & Beeinträchtigung anderer in ihren Grundrechten Entscheid Bundesgericht (3:2): 19
Skript S. 106 ff. V. Achtung der Menschenwürde als Rechtspflicht 1. Strafbarkeit der Verletzung der Menschenwürde? 2. Besondere Pflichten im Bereich von Radio & Fernsehen 20
Skript S. 116 ff. VIII. Verbreitung vertraulicher Nachrichten 1. Menschenrechtliche Vorgaben 2. Veröffentlichung amtl. geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) 21
Art. 293 Abs. 1 StGB: Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen Skript S. 117 1 Wer, ohne dazu berechtigt zu sein, aus Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen einer Behörde, die durch Gesetz oder durch Beschluss der Behörde im Rahmen ihrer Befugnis als geheim erklärt worden sind, etwas an die Öffentlichkeit bringt, wird mit Busse bestraft. Formeller Geheimnisbegriff: Erklärung genügt. (Mit Ausnahme für schikanöse Erklärungen Geheimniskrämerei) 22
Berücksichtigung der Kommunikationsfreiheit bei StGB 293 Formulierung und Auslegung des Tatbestandes 293 StGB Formulierung Art. 261 : Abs. 3: - Richter kann von Strafe absehen, wenn Geheimnis von geringer Bedeutung ist Auslegung durch (kantonale) Justiz: Interessenabwägung (materieller Geheimnisbegriff) Strafausschluss bei wahrheitsgetr. Berichterstattung (28 IV StGB) über Skript S. 119 Öffentliche Verhandlungen Amtl. Mitteilungen Wahrung berechtigter Interessen 3 Voraussetzungen: angemessen Tat wiegt offenkundig weniger schwer Subsidiarität (kein anderer Weg) 23
Skript S. 118f. Fall Stoll: Publikation von Auszügen aus vertraulichem Papier Botschafter Jagmetti (1997) 24
Fall Stoll: Hauptpunkte in gerichtlicher Beurteilung Skript S. 118 - Bundesgericht 2000: Formeller Geheimnisbegriff; grundsätzlich keine Güterabwägung. (Falls doch Abwägung, dann in casu zuungunsten Journalist) - EGMR Kammer IV 2006: Umfassende Abwägung. In casu wiegt Meinungsfreiheit schwerer (4:3 Stimmen) - EGMR Grosse Kammer 2007: Umfassende Abwägung. In casu wiegt Meinungsfreiheit weniger schwer (12:5 Stimmen) 25
Skript S. 118 Gewicht Eingriffsinteresse Diplomatische Berichte sind schutzwürdig, wenn auch nicht um jeden Preis Hier hohes Schadenspotenzial: Heikle Verhandlungen, nötiges Klima der Diskretion getrübt => Schädigung schweizerischer Interessen Gewicht freier Kommunikatikon Wesentliches Interesse der Öffentlichkeit an Debatte über nachrichtenlose Vermögen Text trägt zu Debatte bei, auch wenn er primär Person Jagmetti und Stilfragen thematisiert Verkürzte Darstellung und unnötige Skandalisierung mindern aber Informationswert 26
Skript S. 120 Fallbeispiel 4C (Äusserungen einer Bundesrätin) 27
Fall 4 C: Sachverhalt NZZ am Sonntag 5.4.2009 «Schelte für den Bundesanwalt» Veröffentlichung von Textpassagen der Sitzungsprotokolle einer Subkommission der GPK Bundesrätin Widmer-Schlumpf Bundesanwalt Beyeler 28
StGB 293: Durch Gesetz als vertraulich erklärt => Art. 47 Abs. 1 Parlamentsgesetz: Vertraulichkeit 1 Die Beratungen der Kommissionen sind vertraulich; insbesondere wird nicht bekannt gegeben, wie die einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer Stellung genommen oder abgestimmt haben. Zweck: freie, unbefangene Äusserung 29
Abwägung im Fallbeispiel 4C Skript S. 120 Gewicht Eingriffsinteresse Vertraulichkeit Kommissionsberatungen Hat Text konkretes Schadenspotenzial? Gewicht freier Kommunikatikon Interesse der Öffentlichkeit an Debatte über Konflikt Bundesrätin- Bundesanwalt Trägt Text zu dieser Debatte bei? 30
La confidentialité des séances est un gag. Tout le monde sait qu une réunion de 30 personnes normales ne peut techniquement pas être confidentielle. S il s agit, en plus, de 30 politiciens, c est déjà une réunion semi-publique. 30 politiciens qui ont envie de parler. Et derrière la porte: 30 journalistes qui veulent faire parler. Une confidentialité «pour rire», donc. Fathi Derder, Nationalrat FDP/VD 31
Strafrechtlicher Schutz amtlicher Geheimnisse Skript S. 117ff. Skript S. 121f. Veröffentlichung amtl. geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) - Fall Stoll - Fall NZZaS Verletzung Amtsgeheimnis & militärische Geheimnisse (Art. 320 & 329 StGB) + Anstiftung dazu (Art. 24 StGB) - Fall Dammann 32
Skript S. 122f. Fall Dammann (Blick): Angestellte der Staatsanwaltschaft durch Journalist angestiftet? Blick -Journalist Dammann bittet im September 1997 eine Angestellte der Staatsanwaltschaft Zürich um Angaben zu Vorstrafen der Tatverdächtigen eines Postraubes (Dammann erhält Angaben zugefaxt, publiziert sie aber nicht) BGE 127 IV 122, S. 128: «Das Ersuchen um Auskunft, d.h. die Frage, ist objektiv Anstiftung zur Tat. Durch die Frage wird der Wunsch, die Bitte nach einer Antwort geäussert, zu einer Antwort aufgefordert und damit der Tatentschluss des Adressaten hervorgerufen.» 33