Die Verfassungsbeschwerde hätte Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

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Transkript:

Fall 5a Die Verfassungsbeschwerde hätte Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit Die Verfassungsbeschwerde müsste gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, 13 Nr. 8a, 90 ff BVerfGG zulässig sein. I. Ordnungsgemäße Beschwerde Mangels gegenteiliger Angaben im Sachverhalt kann davon ausgegangen werden, dass K einen ordnungsgemäßen Antrag nach 23 I, 92 BVerfGG gestellt hat. II. Beteiligtenfähigkeit Die K sind jedermann i.s.d. 90 I BVerfGG und somit beteiligtenfähig, da die K sich nach Art. 19 Abs. 3 GG als juristische Personen auch auf die geltend gemachten Grundrechte berufen können. 1 Sie werden im Verfahren durch ihre gesetzlichen Vertreter vertreten. III. Beschwerdebefugnis Weiterhin müssten die Beschwerdeführer nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein. 2 Das ist hinsichtlich K zu bejahen, da sie Adressat des ursprünglichen Bescheids und der auf der streitigen Verordnung basierenden Urteile ist IV. Beschwerdegegenstand Fraglich ist indes, ob ein tauglicher Beschwerdegegenstand vorliegt. Insofern ist zunächst klarzustellen, dass es sich bei der Verordnung selbst um keinen tauglichen Beschwerdegegenstand handelt, da es insofern bereits an einem Rechtsakt der Bundesrepublik Deutschland fehlt. 3 In Betracht kommt daher alleine eine Überprüfung des deutschen Ausführungsakts, hier des Verwaltungsakts des Zollamts München sowie der darauf bezogenen Gerichtsentscheidungen deutscher Gerichte. Damit ist die weiterführende Frage aufzuwerfen, ob und inwieweit das Bundesverfassungsgericht das Sekundärrecht der Union umsetzende deutsche Maßnahmen einer Prüfung unterwirft. 1. Überprüfbarkeit anhand des Primärrechts der Union Dabei ist zunächst klarzustellen, dass das Bundesverfassungsgericht keinerlei Kompetenz besitzt, den deutschen Umsetzungsakt anhand des europäischen Primärrechts zu überprüfen. 1 Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2012, Art. 2 GG Rn 11, 58, Art. 14 GG Rn 27. 2 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 28 Aufl. 2012, S. 309 ff. 3 St. Rspr., vgl. bspw. BVerfG, Beschluss v. 13.03.2007, 1 BvF 1/05, Rn 66 ( Emissionshandel ). Indlekofer/Schwichtenberg/Engel Seite 1 von 8

Zwar handelt es sich aus Sicht der deutschen Verfassung bei den europäischen Verträgen grundsätzlich um völkerrechtliche Verträge i.s.d. Art. 59 Abs. 2 GG, das seinerseits bundesgesetzlichen Charakter aufweist. Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts in der Verfassungsbeschwerde ist indes alleine Art. 1 bis 19 GG. Darüber hinaus ist dies auch aus unionsrechtlicher Perspektive nicht geboten, da eine Auslegung des Primärrechts dem EuGH obliegt. Bereits aus diesem Grund scheidet eine Überprüfung der Verordnung anhand der Grundfreiheiten und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot aus. Hinweis: Mithin kann sich das Individuum zwar vor deutschen Gerichten unter Berufung auf die Grundfreiheiten gegen deutsche Rechtsakte verteidigen. Der Einzelne kann vor nationalen Gerichten indes nicht die Grundfreiheiten gegen eine Umsetzung sekundärrechtlicher Regelungen, d.h. einer Verordnung, Richtlinie oder eines Beschlusses ins Feld führen. In Anbetracht des Auslegungs- und Verwerfungsmonopols des EuGHs insoweit, ist nur eine Vorlage nach Art. 267 AEUV denkbar, damit der EuGH das Sekundärrecht gegen die Grundfreiheiten prüft. Auch das Bundesverfassungsgericht kann den Grundfreiheiten gegenüber dem Sekundärrecht nicht zum Durchbruch verhelfen. 2. Überprüfbarkeit bei zwingenden Vorgaben in Verordnungen Steht damit fest, dass die Verordnungsumsetzung seitens des Bundesverfassungsgerichts nicht anhand der primärrechtlichen Grundfreiheiten überprüft wird, ist als nächstes der Frage nachzugehen, ob eine Überprüfung der Umsetzung der Verordnung anhand deutscher Grundrechte stattfinden kann. Hierbei ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis des nationalen Rechts zum Unionsrecht zu beachten. Den Vorrang des Unionsrechts hat das BVerfG bereits 1967 angedeutet 4 und ausdrücklich im Jahr 1971 anerkannt 5. Generell folgt aus dem Anwendungsvorrang, dass die ordentlichen Gerichte und Fachgerichte unmittelbar dem Unionsrecht den Vorrang einzuräumen haben. Allerdings sieht das BVerfG, entgegen der Rechtsprechung des EuGH (siehe oben), den Anwendungsvorrang im Hinblick auf grundlegende Strukturprinzipien des Grundgesetzes und der Grundrechte differenzierter: Hinweis: Der Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts beruht laut BVerfG auf einer ungeschriebenen Norm des primären Unionsrechts. Durch das Zustimmungsgesetz zu den Unionsverträgen und Art. 23 I GG sei dieser ungeschriebenen Norm in zulässiger Weise der innerstaatliche Rechtsanwendungsbefehl erteilt worden. 6 Dieser Rechtsanwendungsbefehl bewirkt erst konstitutiv den Anwendungsvorrang des Unionsrechts. 7 Durch das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon stimmte die Bundesrepublik auch der 4 Nach BVerfGE 22, 293, 295 ( EWG-Verordnung ) (= Hummer/Vedder/Lorenzmeier, Europarecht in Fällen, 5. Aufl. 2012, S. 52), seien die Rechtsakte der Union nicht der deutschen öffentlichen Gewalt zuzuschreiben, sondern seien vielmehr von den EU-Organen ausgeübte neue öffentliche Gewalt, die gegenüber der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten selbstständig und unabhängig ist. 5 In BVerfGE 31, 145, 174 ( Milchpulver ) führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass seit dem In-Kraft-Treten des Gemeinsamen Marktes die deutschen Gerichte auch solche Rechtsvorschriften anwenden [müssen], die zwar einer eigenständigen außerstaatlichen Hoheitsgewalt zuzurechnen sind, aber dennoch aufgrund ihrer Auslegung durch den EuGH im innerstaatlichen Raum unmittelbare Wirkung entfalten und entgegenstehendes nationales Recht überlagern und verdrängen. 6 BVerfGE 75, 223, 244 ( Kloppenburg ) (= Hummer/Vedder/Lorenzmeier (Fn 4), S. 339). 7 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, S. 86. Indlekofer/Schwichtenberg/Engel Seite 2 von 8

Erklärung Nr. 17 zum Vorrang des Unionsrechts zu. Hiermit verpflichtet sich die Bundesrepublik nun durch eine einseitige völkerrechtlich verbindliche Erklärung, dem Unionsrecht Vorrang vor nationalem Recht zu gewähren. a) Solange-I Rechtsprechung des BVerfG In seiner Solange-I Rechtsprechung hielt das BVerfG zunächst eine verfassungsrechtliche Überprüfung von sekundärem Unionsrecht für erforderlich, da das Unionsrecht damals keinen ausreichenden Schutz für die Grundprinzipien des Grundgesetzes und der Grundrechte gewährte: Solange der Integrationsprozess der Gemeinschaft nicht soweit fortgeschritten ist, dass das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten enthält, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat ist, ist nach Einholung der in Art. 177 [ex-art. 234 EGV, jetzt: Art. 267 AEUV] des Vertrages geforderten Entscheidung des EuGH die Vorlage eines Gerichts der Bundesrepublik Deutschland an das BVerfG zulässig und geboten, wenn das Gericht die für sie entscheidungserhebliche Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in der vom Europäischen Gerichtshof gegebenen Auslegung für unanwendbar hält, weil und soweit sie mit einem der Grundrechte des Grundgesetzes kollidiert. 8 Die Rechtsprechung des BVerfG erntete in der Literatur Kritik, da der EuGH nach dieser Ansicht schon damals durch seine in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze hinreichenden Grundrechtsschutz gewährte. 9 b) Solange-II Rechtsprechung des BVerfG Nachdem der EuGH seine Grundrechts-Rechtsprechung verfeinerte und ausbaute, insbesondere indem er auf den Grundrechtskatalog der EMRK zurückgriff, deutete das BVerfG an, seine Rechtsprechung zum Vorrang des Unionsrechts im Bezug auf das Grundgesetz abzuändern. Dies geschah durch die Umkehrung der Solange-I Formel in die Solange-II Rechtsprechung des BVerfG: Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften, einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom GG als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleichzuachten ist, [ ] wird das BVerfG seine Gerichtsbarkeit und Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht [ ] nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen. 10 Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist somit eine Überprüfung von Sekundärrechtsakten der Union anhand deutschen Verfassungsrechts unzulässig, sofern durch den EuGH weiterhin ein wirksamer Grundrechtsschutz gewährleistet wird. 8 BVerfGE 37, 271 ( Solange I ) (= Hummer/Vedder/Lorenzmeier (Fn 4), S. 54). 9 H. P. Ipsen, BVerfG versus EuGH re Grundrechte. Zum Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1974, EuR 1975, S. 1, 5. 10 BVerfGE 73, 339 ( Solange II ) (= Hummer/Vedder/Lorenzmeier (Fn 4), S. 54). Indlekofer/Schwichtenberg/Engel Seite 3 von 8

c) Maastricht-Rechtsprechung des BVerfG In seiner Maastricht-Entscheidung bekräftigte das BVerfG seine Solange-II Rechtsprechung und konkretisierte das sog. Kooperationsverhältnis zum EuGH, nachdem der EuGH den Grundrechtsschutz im Einzelfall gewährleistet und das BVerfG seine Überprüfung auf eine generelle Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsstandards beschränkt ( Wächterfunktion des BVerfG ). 11 Somit stellt sich die Überprüfbarkeit von sekundären Unionsrechtsakten durch das BVerfG als eine Reservekompetenz dar. Hinweis: In seiner Maastricht-Rechtsprechung klärte das BVerfG auch, dass es sich bei Unionsrechtsakten um Akte deutscher Staatsgewalt handelt, da es Aufgabe des BVerfG ist, den Grundrechtsschutz in Deutschland nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zu gewährleisten. Somit scheitert eine Verfassungsbeschwerde oder Normenkontrolle nicht von vornherein. Allerdings stellte das BVerfG in seiner Bananenmarktordnung-Entscheidung 12 fest, dass bei einer entsprechenden Anwendung des Art. 100 I GG zur Überprüfung von sekundärem Unionsrechts besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen von Nöten sind (gilt im gleichen Maß für Verfassungsbeschwerden). Dabei muss dargelegt werden, dass der jeweils unabdingbar gebotene Grundrechtschutz generell nicht gewährleistet ist (Gegenüberstellung des Grundrechtschutzes des EuGH und des GG nach der Solange-II Rechtssprechung). d) Zwischenergebnis Nach der Solange-II Rechtsprechung des BVerfG steht im Falle der unmittelbar geltenden und verbindlichen Verordnung für die Mitgliedstaaten eine Überprüfung des Umsetzungsgesetzes der Anwendungsvorrang des Unionsrechts so lange entgegen, so lange auf Unionsebene ein genereller gleichwertiger Grundrechtsschutz besteht. Der EuGH hat diesen im Rahmen seiner Rechtsprechung entwickelt. Grundsätzlich würde somit das BVerfG von einer Überprüfung des Umsetzungsgesetzes absehen. Der Beschwerdeführer müsste geltend machen, dass eine generelle Gewährleistung eines dem GG vergleichbaren Grundrechtsschutzes durch die Unionsgerichtsbarkeit nicht mehr gegeben ist (theoretische Reservekompetenz des BVerfG). Seit der rechtlichen Anerkennung der Europäischen Grundrechtecharta in Art. 6 Abs, 1 UA 1 EUV und mit Blick auf den bevorstehenden Beitritt der EU zur EMRK besteht ein gleichwertiger Grundrechtschutz auf EU-Ebene, so dass eine mögliche Inanspruchnahme der Reservekompetenz des BVerfG in Zukunft unwahrscheinlich ist. Aufgrund des beschriebenen Kooperationsverhältnisses zwischen BVerfG und EuGH ist der EuGH für die Überprüfung der Verordnung zuständig, während das Bundesverfassungsgericht seine Kontrolle zurücknimmt. 3. Zwischenergebnis Vorliegend handelt es sich um eine unmittelbar geltende und allgemein verbindliche Verordnung. Somit ist eine Überprüfung des Ausführungsrechtsakts durch das BVerfG nicht möglich. 11 BVerfGE 89, 155 ( Maastricht ) (= Hummer/Vedder/Lorenzmeier (Fn 4), S. 55). 12 BVerfG, 102, 147 ( Bananenmarkt ). Indlekofer/Schwichtenberg/Engel Seite 4 von 8

Hinweis: Primäres Unionsrecht kann nicht unmittelbar an den Verfassungsprinzipien und den Grundrechten des Grundgesetzes überprüft werden. Allerdings kann über den Umweg der Zustimmungsgesetze zu den Gründungs- und Änderungsverträgen mittelbar das primäre Unionsrecht überprüft werden (Bsp.: siehe Urteil des BVerfG zum Lissabonvertrag 13 Prüfungsmaßstab ist Art. 23 GG). Hier stellt sich das Problem der präventiven Normenkontrolle, da das Zustimmungsgesetz meist vor Ausfertigung angegriffen wird. Diese präventive Normenkontrolle ist ausnahmsweise zulässig, da die Bundesrepublik nach Ausfertigung des Gesetzes gegenüber den Vertragsparteien gebunden wäre und diese Bindung auch nicht durch ein Urteil des BVerfG aufgehoben werden kann. 14 V. Ergebnis Das BVerfG wird die Verfassungsbeschwerde als unzulässig abweisen. Hinweis: Damit können nationale Grundrechte ebenfalls nicht vor nationalen Gerichten gegen sekundäres Unionsrecht in Stellung gebracht werden. Das gilt vor dem Bundesverfassungsgericht und erst recht vor unterinstanzlichen nationalen Gerichten, die nach Art. 100 GG eine Vorlage zum BVerfG anstreben müssten, welche dann ihrerseits erneut unzulässig wäre. Es ist bei zwingenden Vorgaben des Unionsrechts mithin stets der Umweg über das Vorabentscheidungsverfahren zu gehen, aufgrund dessen eine Überprüfung anhand der Unionsgrundrechte erlangt werden kann (Fall 12). 13 BVerfG, 123, 267 ( Lissabon ) (= Hummer/Vedder/Lorenzmeier (Fn 4), S. 67). 14 BVerfG, 123, 267 ( Lissabon ) (= Hummer/Vedder/Lorenzmeier (Fn 4), S. 67). Indlekofer/Schwichtenberg/Engel Seite 5 von 8

Fall 5b Fraglich ist, ob die Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung der Abschiebung zulässig ist. I. Ordnungsgemäße Beschwerde Mangels gegenteiliger Angaben im Sachverhalt kann davon ausgegangen werden, dass I einen ordnungsgemäßen Antrag nach 23 I, 92 BVerfGG gestellt hat. II. Beteiligtenfähigkeit I ist jedermann i.s.d. 90 I BVerfGG und somit beteiligtenfähig. III. Beschwerdebefugnis Weiterhin müssten die Beschwerdeführer nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein. 15 Das ist hinsichtlich I zu bejahen, da er Adressat des ursprünglichen Bescheids und der auf der streitigen Verordnung basierenden Urteile ist. IV. Beschwerdegegenstand Fraglich ist indes, ob ein tauglicher Beschwerdegegenstand vorliegt. Insofern ist zunächst klarzustellen, dass es sich bei der Verordnung selbst um keinen tauglichen Beschwerdegegenstand handelt, da es insofern bereits an einem Rechtsakt der Bundesrepublik Deutschland fehlt. 16 In Betracht kommt daher alleine eine Überprüfung des deutschen Ausführungsakts, hier des Verwaltungsakts der Münchener Ausländerbehörde sowie der darauf bezogenen Gerichtsentscheidungen deutscher Gerichte. Damit ist die weiterführende Frage aufzuwerfen, ob und inwieweit das Bundesverfassungsgericht das Sekundärrecht der Union umsetzende deutsche Maßnahmen einer Prüfung unterwirft. 1. Keine Überprüfbarkeit zwingender Vorgaben in Verordnungen Es ist als nächstes der Frage nachzugehen, ob eine Überprüfung der Umsetzung der Verordnung anhand deutscher Grundrechte stattfinden kann. Das ist in Anbetracht der oben dargestellten Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts in der Solange II-Rechtsprechung grundsätzlich zu verneinen, da es in dieser Entscheidung festgestellt hat, dass sekundäres Unionsrecht, genauer dessen Umsetzung nicht anhand deutscher Grundrechte durch das Bundesverfassungsgericht überprüft wird. Das Bundesverfassungsgericht begründete seine Prüfungsrücknahme indes damit, dass ein adäquater Schutz auf Unionsebene besteht und durch den EuGH sichergestellt wird. Das impliziert, dass die Grenzen der Rücknahme der Prüfung 15 Pieroth/Schlink (Fn 2), S. 309 ff. 16 St. Rspr., vgl. bspw. BVerfG, Beschluss v. 13.03.2007, 1 BvF 1/05, Rn 66 (Emissionshandel). Indlekofer/Schwichtenberg/Engel Seite 6 von 8

eines deutschen Umsetzungsakts anhand der deutschen Verfassung indes gerade dort enden, wo auch die Überprüfung durch den EuGH endet und ein adäquater Grundrechtsschutz mithin nicht mehr vorhanden ist. Zugleich muss berücksichtigt werden, dass das Bundesverfassungsgericht den Vorrang des Unionsrechts in seine Argumentation mit einbezieht, so dass weiterhin eine Grenze dort liegen muss, wo der unionsrechtliche Vorrang endet. Das führt zu dem Ergebnis, dass die Rücknahme der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht lediglich hinsichtlich zwingender Vorgaben des Unionsrechts greift und damit nur einschlägig ist, wenn und soweit das nationale Handeln unionsrechtlich determiniert ist. Mit anderen Worten greift die Solange II- Rechtsprechung nur bei zwingenden Vorgaben des Unionsrechts. 2. Überprüfbarkeit eines Handlungsspielraums anhand der Verfassung a) Allgemeines Anders verhält es sich hingegen, wenn und soweit die unionsrechtliche Rechtsgrundlage den Mitgliedstaaten einen Handlungsspielraum einräumt. Die Ausübung des Handlungsspielraums ist nämlich nicht unionsrechtlich determiniert und verbleibt damit in der Hand des deutschen Hoheitsträgers, der diesen Handlungsspielraum ausüben kann, ohne gegen das Unionsrecht zu verstoßen und ohne dass dieser durch den EuGH überprüft werden kann. In der Konsequenz erfordert es eine Gewährung lückenlosen Rechtsschutzes aber insofern, dass dieser Handlungsspielraum durch das Bundesverfassungsgericht überprüfbar bleibt. Das hat dieses erstmals in seiner Entscheidung zum Europäischen Haftbefehl anerkannt 17 und seit dem auch für andere Rechtsakte, wie etwa die Ausgestaltung des Umsetzungsspielraums einer Richtlinie bejaht. 18 So obliegt es dem nationalen Gesetzgeber oder der Exekutive, ihren Handlungsspielraum grundrechtsschonend auszuüben. 19 b) Subsumtion Zu untersuchen ist daher, ob die Verordnung vorliegend einen Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten vorsieht. Dabei ist zu beachten, dass Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, ein Verfahren an sich zu ziehen und zu einer Ausnahme des Grundsatzes einer Abschiebung in den Erststaat zu machen. Insofern handelt es sich um nichts anderes als die Einräumung eines Ermessensspielraums für die Mitgliedstaaten, frei darüber zu entscheiden, ob sie nicht selbst den Asylantrag prüfen und von einer Abschiebung absehen. Zu einer Reduzierung dieses Ermessens auf Null dahingehend, von einer Abschiebung abzusehen kann es insbesondere dann kommen, wenn eine menschenunwürdige und menschenrechtswidrige Situation am Zielort besteht. 20 17 BVerfG, Urteil v. 18.07.2005, 2 BvR 2236/04 (Darkanzali) (= Hummer/Vedder/Lorenzmeier (Fn 4), S. 99. 18 BVerfG, Beschluss v. 13.03.2007, 1 BvF 1/05 (Emissionshandel), vgl. hierzu Cornils, ZJS 2008, S. 69 ff.. 19 BVerfG, Urteil v. 18.07.2005, 2 BvR 2236/04, Rn 80 (Darkanzali) (= Hummer/Vedder/Lorenzmeier (Fn 4), S. 99. 20 Dahingehend BVerfG, Beschluss v. 08.09.2009, 2 BvQ 56/09. Indlekofer/Schwichtenberg/Engel Seite 7 von 8

3. Ergebnis Eine Verfassungsbeschwerde wäre trotz der existierenden unionsrechtlichen Vorgaben zulässig, da nicht diese, sondern der Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten zur Überprüfung steht. Hinweis: Merken Sie sich daher Folgendes: Nur wenn der deutsche Rechtsakt auf zwingenden Vorgaben des sekundären Unionsrechts (zwingender Teil einer Verordnung, Ziele der Richtlinie, Beschluss) beruht, greift das Solange-Dogma und eine Überprüfung anhand der deutschen Grundrechte ist nicht möglich. Besteht allerdings eine irgendwie geartete Freiheit für den Mitgliedstaat (Ermessen in einer Verordnung, nicht verpflichtender Teil einer Richtlinie), so ist die Ausübung dieses und nur dieses Handlungsspielraums anhand deutscher Grundrechte möglich. Indlekofer/Schwichtenberg/Engel Seite 8 von 8