HESSISCHER LANDTAG. Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE. für ein Hessisches Gesetz zum Wahlrecht für vollbetreute Menschen. 19.

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Transkript:

19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG Drucksache 19/5271 18. 09. 2017 Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE für ein Hessisches Gesetz zum Wahlrecht für vollbetreute Menschen A. Problem Das aktive und passive Wahlrecht stehen grundsätzlich jeder Bürgerin und jedem Bürger zu. Menschen, für die "zur Besorgung aller [ ] Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist", sog. Vollbetreute, sind vom aktiven und passiven Wahlrecht jedoch ausgeschlossen. Dies ist für Landtags- und Kommunalwahlen sowie Ausländerbeiratswahlen in 3 Nr. 1 Landtagswahlgesetz (LWG), 22 Abs. 3 Nr. 1 Hessische Landkreisordnung (HKO) und 31 Nr. 1 Hessische Gemeindeordnung (HGO) geregelt. Davon waren im Jahr 2013 7.090 Menschen in Hessen betroffen. Dies widerspricht jedoch Art. 25 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt). Der UN-Menschenrechtsausschuss betonte in seiner "Allgemeinen Bemerkung Nummer 25" vom 12.07.1996, dass Art. 25 UN-Zivilpakt ausdrücklich die Rechte aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger schützt. Die seit März 2009 auch für die Bundesrepublik Deutschland rechtsverbindliche UN- Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) entwickelt die Grundsätze des Art. 25 UN-Zivilpakt fort und konkretisiert diese. Art. 29 der UN-BRK verpflichtet die Vertragsstaaten, "Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen", zu garantieren. Art. 29 Buchst. a iii garantiert zudem "die freie Willensäußerung von Menschen mit Behinderungen als Wählerinnen und Wähler und erlaubt zu diesem Zweck im Bedarfsfall auf ihren Wunsch, dass sie sich bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer Wahl unterstützen lassen". Die Garantie des gleichberechtigten Wahlrechts in Art. 29 ist verknüpft mit dem in Art. 5 verpflichtenden Diskriminierungsverbot, durch "angemessene Vorkehrungen" zu gewährleisten, dass Benachteiligungen unterbleiben. Die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention im Deutschen Institut für Menschenrechte kritisierte bereits in einem Papier vom Oktober 2011 vorhandene, zahlreiche Barrieren beim Wahlverlauf und Probleme bei der Erlangung von Assistenzleistungen sowie die Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderungen. Sie legte darin einen Maßnahmenkatalog vor und empfahl, diesen umzusetzen und entsprechende Änderungen vorzunehmen. Auch die Aussagen des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in seinen Abschließenden Bemerkungen von 13.05.2015 sind sehr deutlich. Das Gremium ist besorgt über die Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderungen und über die Barrieren, die diese an der gleichberechtigten Ausübung des Wahlrechts hindern. Der UN-Ausschuss empfiehlt Deutschland, "alle Gesetze und sonstigen Vorschriften aufzuheben, durch die Menschen mit Behinderungen das Wahlrecht vorenthalten wird, Barrieren abzubauen und angemessene Unterstützung bereitzustellen". Im Juni 2016 wurde seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eine Wahlrechtsstudie vorgelegt. Demnach sind bundesweit knapp 85.000 Menschen mit Behinderungen vom Wahlrecht ausgeschlossen. Es ist längst überfällig, die diskriminierenden Wahlrechtsausschlüsse zu streichen. Das Wahlrecht ist ein Grundrecht und ein Menschenrecht. Diese Ausschlüsse entsprechen nicht dem Inklusions- und Teilhabegedanken der rechtsverbindlichen UN-BRK. Auch sind sie einer modernen Gesellschaft nicht würdig. B. Lösung Die genannten Ausschlusstatbestände gemäß 3 Nr. 1 Landtagswahlgesetz (LWG), 22 Abs. 3 Nr. 1 Hessische Landkreisordnung (HKO) und 31 Nr. 1 Hessische Gemeindeordnung (HGO) sind ersatzlos zu streichen. Eingegangen am 18. September 2017 Ausgegeben am 20. September 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags Postfach 3240 65022 Wiesbaden www.hessischer-landtag.de

2 Hessischer Landtag 19. Wahlperiode Drucksache 19/5271 C. Befristung D. Alternativen E. Finanzielle Auswirkungen F. Unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern G. Besondere Auswirkungen auf behinderte Menschen Durch die vorgeschlagenen Änderungen erhalten behinderte Menschen, die unter Vollbetreuung stehen, das aktive und passive Wahlrecht.

Hessischer Landtag 19. Wahlperiode Drucksache 19/5271 3 D e r L a n d t a g w o l l e d a s f o l g e n d e G e s e t z b e s c h l i e ß e n : Hessisches Gesetz zum Wahlrecht für vollbetreute Menschen Vom Artikel 1 Änderung der Hessischen Gemeindeordnung Die Hessische Gemeindeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. März 2005 (GVBl. I S. 142), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. September 2016 (GVBl. S. 167), wird 31 wird a) Nr. 1 wird aufgehoben. Artikel 2 Änderung der Hessischen Landkreisordnung Die Hessische Landkreisordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. März 2005 (GVBl. I S. 183), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2015 (GVBl. S. 618), wird 22 wird a) Abs. 3 Nr. 1 wird aufgehoben Artikel 3 Änderung des Hessischen Kommunalwahlgesetzes Das Hessische Kommunalwahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. März 2005 (GVBl. I S. 197), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2015 (GVBl. S. 618), wird In 18 Abs. 2 Satz 2 wird das Wort "körperliche" gestrichen. Artikel 4 Änderung des Landtagswahlgesetzes Das Landtagswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 2006 (GVBl. I S. 110, 439), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. September 2015 (GVBl. S. 346), wird wie folgt geändert: 1. 3 wird a) Nr. 1 wird aufgehoben. 2. In 31 Abs. 2 Satz 2 wird das Wort "körperliche" gestrichen. 3. In 50 Abs. 1 wird nach dem Wort "erfordern" hinter dem Komma folgender Absatz eingefügt: "die Unterstützung von Wählerinnen und Wählern mit einer Beeinträchtigung bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer Wahl," Artikel 5 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

4 Hessischer Landtag 19. Wahlperiode Drucksache 19/5271 Begründung A. Allgemein Einschränkungen des Wahlrechts sind verfassungs- und völkerrechtlich nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Diskriminierende Beschränkungen des allgemeinen Wahlrechts sind stets ausgeschlossen. Eine Reihe internationaler Gremien (das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, das Ministerkomitee des Europarates etc.) hat sich in jüngerer Vergangenheit dafür ausgesprochen, einen Ausschluss vom Wahlrecht, der aufgrund von Annahmen über kognitive Fähigkeiten von Wählerinnen und Wählern bzw. deren Mangel vorgenommen wird, als unzulässige Diskriminierung einzustufen. Klar gegen jeden Ausschluss vom Wahlrecht aufgrund einer Behinderung hat sich das Ministerkomitee des Europarates in seiner am 16.11.2011 angenommenen Empfehlung zur Partizipation von Menschen mit Behinderungen am politischen und öffentlichen Leben (CM/Rec(2011)14) ausgesprochen: "3. ( ) Alle Menschen mit Behinderungen, gleich ob sie körperlich, sinnes- oder geistig beeinträchtigt, psychisch oder chronisch krank sind, haben gleichberechtigt mit anderen Bürgern das Recht zu wählen, und dieses Recht sollte ihnen durch kein Gesetz, das ihre Geschäftsfähigkeit beschränkt, und durch keine richterliche oder sonstige Entscheidung, die auf ihrer Behinderung, kognitiven Funktionsfähigkeit oder angenommenen Fähigkeiten basiert, entzogen werden. Alle Menschen mit Behinderungen sind auch berechtigt, gleichberechtigt mit anderen für öffentliche Ämter zu kandidieren, und dieses Recht sollte ihnen durch kein Gesetz, das ihre Geschäftsfähigkeit beschränkt, und durch keine richterliche oder sonstige Entscheidung, die auf ihrer Behinderung, kognitiven Funktionsfähigkeit oder angenommenen Fähigkeiten basiert, und auf keine sonstige Weise entzogen werden." (Nicht amtliche Übersetzung: Deutsches Institut für Menschenrechte, aktuell 05/2012.) Art. 29 der BRK sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen politische Rechte, insbesondere das Wahlrecht, gleichberechtigt genießen. Die Konvention unterscheidet hierbei nicht zwischen Personen, die die Fähigkeit zur Wahl besitzen, und solchen, die sie nicht besitzen. Sie fordert vielmehr eine inklusive, partizipative und nicht diskriminierende Ausgestaltung des Rechts auf politische Teilhabe und stellt die Befähigung und Unterstützung derjenigen in den Vordergrund, die ihrer bedürfen. Ein Ausschluss vom Wahlrecht ist von der BRK überhaupt nicht vorgesehen und nach ihr auch nicht zulässig. Dies hat der UN-Fachausschuss für Rechte von Menschen mit Behinderungen, der nach der BRK für die Überwachung der Konvention zuständig ist, in seinen Stellungnahmen bereits mehrfach klargestellt. In Deutschland haben bereits zwei Bundesländer - Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein - die Wahlrechtsausschlüsse aus ihren Landeswahlgesetzen gestrichen. In Hessen sind allerdings im Widerspruch zu den Vorgaben der BRK weiterhin all jene Menschen pauschal vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer oder eine Betreuerin bestellt ist. Gegen eine Aufhebung der Beschränkungen des Wahlrechts für Menschen mit Behinderungen können keine durchgreifenden Bedenken geltend gemacht werden. Insbesondere das immer wieder angeführte Argument einer Missbrauchsgefahr hält einer näheren Überprüfung nicht stand. Art. 29 BRK sieht vor, dass die Unterzeichnerstaaten Menschen mit Behinderungen im Bedarfsfall erlauben, dass sie sich auf Wunsch bei der Stimmrechtsabgabe durch eine Person ihrer Wahl unterstützen lassen. Um die Einzelheiten der erforderlichen Unterstützung bei der Ausübung des Wahlrechts zu regeln, zu denen auch Vorkehrungen gegen möglichen Missbrauch gehören können, wird eine Verordnungsermächtigung im Landtagswahlgesetz vorgesehen. B. Einzelbegründung Zu Art. 1 vom Wahlrecht bei der Wahl der Gemeindevertretung, des Bürgermeisters und der Wahl des Ausländerbeirates auf. Zu Art. 2 vom Wahlrecht bei der Wahl des Kreistags und der Landratswahl auf. Zu Art. 3 Die Änderung im Kommunalwahlgesetz erweitert die Regelung zur Unterstützung bei der Stimmabgabe auf alle Menschen mit Behinderung. Damit wird Art. 29 Buchst. a iii BRK entsprochen, der vorsieht, dass die Vertragsstaaten "die freie Willensäußerung von Menschen mit Behinderungen als Wähler und Wählerinnen [garantieren] und [ ] zu diesem Zweck im Be-

Hessischer Landtag 19. Wahlperiode Drucksache 19/5271 5 darfsfall auf Wunsch [erlauben], dass sie sich bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer Wahl unterstützen lassen". Zu Art. 4 Zu Nr. 1 vom Wahlrecht bei der Landtagswahl auf. Zu Nr.2 Die Änderung im Landtagswahlgesetz erweitert die Regelung zur Unterstützung bei der Stimmabgabe auf alle Menschen mit Behinderung auch für die Landtagswahl. Zu Nr.3 Die Änderung schafft eine spezielle Ermächtigungsgrundlage für den Verordnungsgeber zur Umsetzung der von Art. 29 Buchst. a iii BRK vorgesehenen Unterstützung bei der Stimmabgabe von Menschen mit Behinderungen. Der Verordnungsgeber kann hierdurch die Einzelheiten der Unterstützung bei der Stimmabgabe regeln und dabei insbesondere auch besondere Vorkehrungen zur Verhinderung eines möglichen Missbrauchs treffen. Wiesbaden, 18. September 2017 Die Fraktionsvorsitzende: Wissler