Philosophieren mit Kindern weltweit

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Transkript:

SONDERDRUCK

Philosophieren mit Kindern weltweit 17 Thomas E. Jackson Primal Wonder Ursprüngliches Staunen 2 Nausikaa Schirilla Editorial 4 Britta Saal Philosophieren mit Kindern weltweit Einleitung 10 Anja Thielmann Philosophy for Children (P4C): Wie alles begann Einleitung 37 Taketo Tabata Einen sicheren Ort schaffen: Warum wir in Miyagi mit Kindern philosophieren 55 Ezgi Emel Philosophieren mit Kindern in einer Demokratie in der Krise 75 Amy Reed-Sandoval Interkulturelle Erkundung im P4C-Klassenzimmer Reflexionen über das Philosophieren mit Triqui-Kindern in Oaxaca de Juárez, Mexiko 89 Tanu Biswas Philosophieren mit Kindern über Grenzen hinweg Eine childistische Perspektive 103 Niels Weidtmann Interkulturelle Gerechtigkeit und die Praxis der Menschenrechte 117 Jan Christoph Heiser Von Aneignungsmaschinen und Selbstökonomisierungsinstanzen: Menschenbilder und Kompetenzgerede im Feld des interkulturellen Lernens Auch eine kritisch-»ganzheitliche«antwort auf polylog 36/2016 138 Rezensionen 170 Impressum

bücher Mădălina Diaconu Die Rückkehr der Sensibilität zu: Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung Berlin: Suhrkamp 2016, ISBN 978-3-518-58626-6, 816 S. Seite 162 Für Hartmut Rosa ist ein gutes Leben weder durch Ressourcenoptimierung noch allein durch Entschleunigung, sondern durch die Verbesserung des Weltverhältnisses erreichbar, wobei der Jenaer Soziologieprofessor vor allem die gesellschaftliche Dimension dieser Beziehung hervorhebt. Über zehn Jahre hat es gedauert, bis die Resonanztheorie die vorliegende Form angenommen hat, was auch ihren Umfang und den langatmigen Stil der Ausführungen, inklusive Wiederholungen, erklärt. Darin postuliert der Verfasser zwei Strategien der Weltaneignung in der Moderne: durch Weltbeherrschung und»weltanverwandlung«, deren Dichotomie letztlich in den Gegensatz von Entfremdung und Resonanz mündet. Im Großen und Ganzen herrscht in der Moderne die erste Variante, und die»ressourcenfixierung«gilt als natürliche, normale und rationale Weltbeziehung trotz der Ausarbeitung der Pathologie des Sozialen in der Kritischen Theorie. Dagegen argumentiert Rosa, dass ein anderes In-der-Welt-Sein wohl möglich ist, auch wenn sich dieses nur durch eine»simultane und konzertierte politische, ökonomische und kulturelle Revolution«und nicht bloß durch einen Bewusstseinswandel verwirklichen lässt (56). Die Alternative heißt Resonanz und impliziert die Verfolgung intrinsischer Interessen, die einen»vibrierenden Draht zwischen uns und der Welt«(24) legen. Der erste Teil des Bandes befasst sich mit kategorialen Voraussetzungen der Theorie anhand leiblicher Vollzüge, Emotionen, Werturteile und kognitiver Prozesse. Nach Rosa sind Menschen in erster Linie»Resonanzkörper«(269) und ihre Identität konstituiert sich aus den Beziehungen zu anderen. Genauer bezeichnet die Resonanz eine wechselseitige leibliche, affektive und kognitive Weltbeziehung, und diese»bidirektionale Schwingung«lässt sich als Af fekt (Affizierung) und E motion (die etymologisch»hinausbewegen«bedeutet) formalisieren (279). Im Grunde genommen, behauptet Rosa, habe er nicht einen physikalischen Begriff auf die Sozialpsychologie übertragen, sondern gerade umgekehrt, denn die Resonanz ist nicht materiell-substantiell, sondern relational zu begreifen; sie meint einen Modus des In-der-Welt-Seins, in dem beide Relata mit eigener Stimme sprechen. In einem Resonanzverhältnis stehen bedeutet, sich von etwas an sich Wertvollem angesprochen fühlen, das einen angeht, worauf man eigens antwortet und was zu einem entsprechenden Handeln bewegt. Die Unabhängigkeit der Wertquelle impliziert auch, dass der Resonanzerfahrung»ein unaufhebbares Moment der Unverfügbarkeit innewohnt«(295); solche Momente lassen sich nicht erzwingen. Die Abwesenheit von Resonanz wird als Verstummen der Welt oder Entfremdung er-

& medien fahren. Anders als die Resonanz wurde die Entfremdung ausführlich in der Kritischen Theorie untersucht, sie geriet zu Ende der 1970er-Jahre durch einen inflationären Gebrauch bzw. eine begriffliche Unschärfe in Verruf und wurde erst in letzter Zeit wiederentdeckt. Rosa distanziert sich von essentialistischen Auffassungen der Entfremdung als Abweichung von einer vermeintlich wahren Natur des Menschen und grenzt seine Theorie von jenen ab, die der Entfremdung Begriffe wie Identität, Authentizität, Autonomie, Anerkennung oder Sinn gegenüberstellen. So greift der Begriff von Autonomie zu kurz, denn einerseits gibt das Subjekt gerne in Resonanzerfahrungen einigermaßen seine Autonomie ab und andererseits schließt die Autonomie nicht Entfremdung aus. Resonanz und Entfremdung sind jedenfalls dialektisch miteinander verbunden: Die Resonanzerfahrung ereignet sich momentan»vor dem Hintergrund eines fremd und stumm bleibenden Anderen«, und umgekehrt wären konkrete Resonanzerfahrungen nicht möglich ohne ein tiefes Resonanzvertrauen als Grunddisposition (325). Der zweite Teil untersucht konkrete Bereiche, d.h. so genannte»resonanzsphären und Resonanzachsen«. Zur Strukturierung dieser ambitionierten Theorie, die den Anspruch erhebt, durch die Resonanz den Schlüsselbegriff für praktisch alle menschlichen Erfahrungen zu liefern, dient die Aufstellung von drei Resonanzachsen: Die horizontale Achse betrifft die zwischenmenschlichen Beziehungen, die diagonale konkretisiert sich als Einstellung zu Dingen in der Poesie, Arbeit und Bildung, im Sport und Konsum, die vertikale Resonanzachse ist schließlich in der Religion, Natur, Kunst und Geschichte auffindbar. Am Rande seiner Ausführungen merkt der deutsche Soziologe an, dass in außereuropäischen Kulturräumen»ganz andere Resonanzräume und -achsen«feststellbar seien, ohne allerdings darauf einzugehen (296), außer dass ihre Praktiken beweisen, dass die Naturerfahrung über eine passive Kontemplation hinausgeht, zu der unsere Kultur so Rosa vereinfachend häufig neigt. Der dritte Teil beschreibt die Moderne strukturell durch dynamische Stabilisierung und Weltreichenvergrößerung, anders gesagt durch den Steigerungszwang als Voraussetzung für den Erhalt des Status quo und durch den Imperativ der Ressourcenmaximierung. Gegen manche Erwartungen, dass die Resonanztheorie die Moderne pauschal als eine»resonanzkatastrophe«verurteilt, argumentiert Rosa für die Ambivalenz der Moderne: Einerseits zeugt sie von der Furcht vor dem Verlust der Resonanzachsen und dem Verstummen der Welt, andererseits wird sie gleichzeitig von einer zunehmenden Resonanzsensibilität begleitet. Ausführliche Bezugnahmen auf Philosophen von Hegel bis Lukács und Habermas, auf soziologische Theorien und die moderne Literatur dienen zur Untermauerung seiner These. Diese Ambivalenz nimmt im ästhetischen Kapitalismus neue Formen an, indem das Resonanzverlangen zwar allseitig wächst, jedoch die Resonanz als vermeintlich verfügbare Ware angeboten wird, d.h. als Kapital im Konkurrenzkampf»Resonanz ist das (momenthafte) Aufscheinen, das Aufleuchten einer Verbindung zu einer Quelle starker Wertungen in einer überwiegend schweigenden und oft auch repulsiven Welt.«S. 317 Seite 163

bücher»resonanzerfahrungen sind nur dort möglich, wo wir in Übereinstimmung mit unseren starken Wertungen handeln, wo unsere kognitiven und evaluativen Landkarten mit unserem Handeln oder Sein konvergieren.«s. 291 Seite 164 instrumentalisiert wird. Auch werden Wettbewerb und Resonanz unterschiedlichen Bereichen zugeordnet, wodurch»resonanzoasen«entstehen, in die Menschen in ihrer Freizeit flüchten. Diese ausführliche Gegenwartsdiagnose wird im letzten Teil,»Eine kritische Theorie der Weltbeziehung«betitelt, fortgesetzt und durch ein konzises Aufzeigen gesellschaftlicher Lösungen ergänzt. Die grundsätzliche Prädisposition für Resonanz wird von kulturellen und sozialstrukturellen Faktoren beeinflusst, sodass sich die Resonanz plakativ als»katholisch, weiblich, jung und obendrein ländlich«(659) bezeichnen lässt. Die Existenz weiterer soziokultureller Formationen, die andere Resonanzformen hervorbringen, wird nicht ausgeschlossen und es wird angeregt, historische und kulturvergleichende Analysen durchzuführen, um die vorliegende»soziologie der (westlich-modernen) Weltbeziehung«global zu ergänzen (654; im selben Sinne vgl. 752f.). Hinzu kommen institutionelle Faktoren, die zur Dominanz des Reichweitenvergrößerungsmodells in der Moderne und zur Verdinglichung der Resonanz in der Spätmoderne geführt haben. Die Logik der dynamischen Stabilisierung ist nicht auf alle Gebiete (z.b. Religion) anwendbar, und die Beschleunigung hat negative Folgen für das individuelle Leben durch die Erzwingung von Flexibilität und Kreativität. Die Etablierung von Resonanzachsen ist vielmehr zeitintensiv und insofern mit einem Konkurrenzdenken inkompatibel, als sie ein grundsätzliches Weltvertrauen voraussetzt. Die Antithese Reichweitenvergrößerung Resonanz, die im Übrigen stark an die romantische Dichotomie Zivilisation Kultur erinnert, ist jedoch nicht statisch und rigide: Zivilisatorische und wissenschaftliche Fortschritte erweitern im Grunde genommen nicht nur den Horizont des Erreichbaren bzw. die»lesbarkeit der Welt«(Blumenberg), sondern zugleich auch das Reich des Unerreichbaren. Ebenso wird der Resonanzverlust in der Gegenwart vielfach aufgedeckt: Die Institutionen der Moderne, der Umgang mit der Umwelt, das Vertrauen in die Demokratie und nicht zuletzt das Selbstverhältnis spätmoderner Subjekte sind alle in die Krise geraten, und daraus ergeben sich ebenso viele Widersprüche zwischen Werten und praktischen Handlungskontexten. Zwar wird häufig von der Erschöpfung von Sozialutopien gesprochen, doch Rosa zeigt sich letztlich optimistisch, wenn er Anzeichen für das Comeback der Resonanz kurz anführt, auch wenn er»keine eigene politische Agenda verfolgt«(760). Besonders hilfreich für die ungeduldigen Leser sind die letzten 25 Seiten der Abhandlung; hier beantwortet der Verfasser Fragen und bemüht sich um die Aufklärung von Missverständnissen, die offenbar anlässlich seiner Vorträge zur Resonanz aufgekommen sind. Nochmals betont Rosa, dass seine Theorie zwar in der Tradition der Frankfurter Schule steht, jedoch dieser durch seine Systematik und eine optimistische Einstellung überlegen sei. Auch proklamiert er (eher kleinlaut) ein»grundrecht auf Resonanzverweigerung«(742), weil sich die Entfremdung auf zahlreichen Ge-

& medien bieten (z.b. Medizin) als eine produktive Kulturtechnik bewährt hat. Des Weiteren könne seine Theorie keine faschistoiden Bewegungen unterstützen, weil sich die Resonanz von Verschmelzung und Massenhysterie unterscheidet. Nicht gerade überzeugend ist auch die Behauptung, es gebe überhaupt keine negative Resonanz; kollektive Gewaltakte ließen sich in seinen Begriffen eher auf»überwältigung und Rührung«(758) zurückführen. Die Resonanz bildet folglich ausschließlich einen positiven Begriff für die Beziehung des Individuums zur Welt. Skepsis verursacht auch der Anspruch des Verfassers, mit der Resonanz»ein Metakriterium des gelingenden Lebens zu etablieren«(749), das alle anderen Theorien von Blumenbergs Lesbarkeit der Welt bis zu Axel Honneths Theorie der Anerkennung integriert und»einen normativen Monismus«rund um die Resonanz vertritt (756). Es darf folglich nicht verwundern, wenn sich Rosa mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, eine»heilslehre«(750) vorgelegt zu haben, sosehr er sich um dessen Entkräftung bemüht. Ein solcher Eindruck ist aufgrund der Dichotomien, die das Buch durchziehen und in denen Resonanz ausschließlich als ein positiver, deskriptiver und normativer Begriff dargestellt wird, letztlich schwer abzuschütteln. Für Rosa setzt die Resonanztheorie vielmehr die emanzipatorischen Ansprüche der Aufklärung und der Kritischen Theorie fort, auch wenn sie die Autonomie in ihre Grenzen weist. Zwar ist die Resonanztheorie kapitalismuskritisch, aber die Ausarbeitung des Verhältnisses der Resonanz zur Macht steht noch aus, gibt der Verfasser zu. Wie sein Zentralbegriff darauf abzielt,»den Machtlosen Selbstwirksamkeit zurückzugeben«(757), bleibt letztlich trotz aller guten Absichten unklar, und sporadische Konkretisierungen, wie die Befürwortung des bedingungslosen Grundeinkommens, sprechen zwar für die Einschränkung des Wettbewerbsmodells, aber noch nicht für die Resonanz als solche. Philosophisch betrachtet bleibt Rosas Resonanztheorie nichtsdestoweniger ein wertvoller und ambitionierter Versuch, eine gesellschaftskritische Alternative zu skizzieren, trotz der schematischen Grunddichotomie und des übermäßigen Umfangs des Bandes.»Nicht das Erobern und Kontrollieren von Welt, sondern ihr Vernehmbarmachen gilt es in den Fokus des Handelns zu rücken, und der Modus politischen Handelns sollte nicht von Motiven des Durchsetzens gegen andere und gegen die Welt, sondern von der Vision und Intention des kollektiven Gestaltens des Gemeinwesens bestimmt sein.«s. 732 Seite 165