GESPRÄCHSKREIS ARBEITSRECHT: UPDATE BETRIEBSÜBERGANG UND OUTSOURCING Unterrichtungsschreiben Neues zum notwendigen Inhalt und zur Verwirkung des Widerspruchsrechtes Dr. Jens Günther, 1. Juli 2014
Inhalt Form und Inhalt des Unterrichtungsschreibens 3 Verwirkung des Widerspruchsrechts 12 2
Form und Zeitpunkt der Unterrichtung Zeitpunkt Grundsätzlich vor dem Betriebsübergang Unterrichtungspflicht erlischt nicht mit Betriebsübergang, Widerspruchsfrist beginnt erst mit Unterrichtung zu laufen in Aussicht stellen zusätzlicher Information kann Einfluss auf Fristbeginn haben in der Praxis hilfreich ist z.b. mündliche Erläuterung des schriftlichen Textes in einer Betriebs(teil)versammlung Form 613a Abs. 5 BGB verlangt Textform ( 126b BGB), d.h. zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeignet Person des Erklärenden angegeben Abschluss der Erklärung erkennbar (z. B. durch Namensnennung des Erklärenden oder dessen eingescannte Unterschrift) Inhalt des Unterrichtungsschreibens 3
Inhalt des Unterrichtungsschreibens - Überblick BAG 13.7.2006 8 AZR 303/05 Verständliche, arbeitsplatzbezogene und zutreffende Information Standardschreiben nach BAG grds. zulässig, muss jedoch etwaige Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses erfassen Gesetzlich vorgeschriebener Inhalt Zeitpunkt oder geplanter Zeitpunkt des Übergangs Grund für den Übergang Rechtliche, wirtschaftliche und soziale Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer Die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen reine Wiederholung des Gesetzeswortlauts genügt nicht Inhalt des Unterrichtungsschreibens 4
Ordnungsgemäße Unterrichtung BAG 8 AZR 430/10 BAG v. 10. November 2011 8 AZR 430/10 dazu Lingemann, NZA 2012, 546 Sachverhalt Entscheidung des BAG: Genügt die Unterrichtung zunächst formal den gesetzlichen Anforderungen, insbesondere denen des 613a Abs. 5 BGB, und ist sie nicht offensichtlich fehlerhaft, so ist es Sache des Arbeitnehmers, der sich auf die Unzulänglichkeit der Unterrichtung beruft, einen behaupteten Mangel näher darzulegen. Offensichtlich unzureichend ist die Unterrichtung, wenn die Unterrichtung über die Person des Betriebserwerbers und/oder in Bezug auf einen in 613a Abs. 5 BGB genannten Umstand fehlt bzw. unverständlich oder auf den ersten Blick mangelhaft ist. Inhalt des Unterrichtungsschreibens 5
Ordnungsgemäße Unterrichtung BAG 8 AZR 430/10 (2) BAG v. 10. November 2011 8 AZR 430/10 Gründe: ein einheitliches Unterrichtungsschreiben für sämtliche Arbeitnehmer ausreichend Ausführungen zu Tarifwechsel entbehrlich, wenn ein solcher nicht absehbar ist Bei höchstrichterlich ungeklärten Rechtsfragen genügt Darstellung einer vertretbaren Rechtsansicht Unterrichtungsschreiben ist Wissens- nicht Willenserklärung Frage, ob der Unternehmenskaufvertrag Ansprüche der Arbeitnehmer begründet, darf offen bleiben Inhalt des Unterrichtungsschreibens 6
Unterrichtung über Erwerber und (fehlende) Sozialplanpflicht BAG v. 14. November 2013 8 AZR 824/12 Sachverhalt Entscheidung des BAG: Die Unterrichtung über die juristische Person des Betriebserwerbers in einem Informationsschreiben ist unvollständig, wenn eine juristische Person mit den genannten Angaben im Handelsregister im Zeitpunkt des Unterrichtungsschreibens noch nicht eingetragen ist. Ist der neu gegründete Betriebserwerber nach 112a Abs. 2 S. 1 BetrVG nicht sozialplanpflichtig, ist darauf hinzuweisen. Inhalt des Unterrichtungsschreibens 7
Unterrichtung über Erwerber und (fehlende) Soziaplanpflicht (2) BAG v. 14. November 2013 8 AZR 824/12 Unterrichtung über den Erwerber : a Services S GmbH im Zeitpunkt der Unterrichtung noch nicht existent, Angabe eines Geschäftsführers F insofern unzutreffend Gesellschaft mit dieser Firma zum Zeitpunkt der Unterrichtung nicht im Handelsregister eingetragen Arbeitnehmer hätten sich durch Einblick in das Handelsregister keine Klarheit über Betriebserwerberin verschaffen können Hinweis im Unterrichtungsschreiben auf eine so nicht firmierende GmbH, fehlende Angabe zum Firmensitz, Schweigen zum zuständigen Handelsregister, fehlende Angabe einer Handelsregisternummer Identität der Betriebserwerberin blieb unklar Inhalt des Unterrichtungsschreibens 8
Unterrichtung über Erwerber und (fehlende) Sozialplanpflicht (3) BAG v. 14. November 2013 8 AZR 824/12 (fehlende) Sozialplanpflicht : Unmittelbare wirtschaftliche Folge des Betriebsübergangs Information über Sozialplanpflichtigkeit ist wichtig für Entscheidung über Ausübung des Widerspruchsrechts, unabhängig davon, ob eine sozialplanpflichtige Maßnahme geplant oder absehbar ist BAG v. 13.7.2006: Unterrichtung über Sozialplanansprüche bei Widerspruch notwendig; allerdings nur, wenn Sozialplanansprüche in Betracht kommen Literatur: Über Fortfall der Sozialplanpflicht nach 112a Abs. 2 BetrVG muss nur dann unterrichtet werden, wenn sozialplanpflichtige Maßnahmen geplant sind Unerwartete Verschärfung der Anforderungen Inhalt des Unterrichtungsschreibens 9
Unterrichtung über Alemo-Herron? EuGH, Urteil v. 18. Juli 2013 C-426/11 (Mark Alemo-Herron./. Parkwood Leisure Ltd.) Sachverhalt Entscheidung des EuGH Auswirkungen auf BAG-Rechtsprechung? Wiederbelebung der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede? Geltung nur bei Betriebsübergang vom öffentlichen auf den privaten Sektor? Inhalt des Unterrichtungsschreibens 10
Unterrichtung über Alemo-Herron"? (2) EuGH, Urteil v. 18. Juli 2013 C-426/11 (Mark Alemo-Herron./. Parkwood Leisure Ltd.) Auswirkungen auf Inhalt des Unterrichtungsschreibens? Hinweis auf statische/dynamische Fortwirkung gem. 613 a Abs. 5 Nr. 3 BGB erforderlich Sicherheitshalber Hinweis auf offene Rechtslage Information über beabsichtigte Handhabung beim Erwerber nach Betriebsübergang Inhalt des Unterrichtungsschreibens 11
Verwirkung des Widerspruchsrechts Grundsatz: Unvollständige oder fehlerhafte Unterrichtung setzt Widerspruchsfrist nicht in Gang Rettungsanker Verwirkung? Verwirkung = unzulässige Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens Voraussetzungen: Zeitmoment und Umstandsmoment Wechselwirkung: Je stärker das Vertrauen oder die Umstände, desto schneller kann ein Anspruch verwirken Verwirkung des Widerspruchsrechts 12
Verwirkung des Widerspruchsrechts Umstandsmoment verneint: Weiterarbeit beim Erwerber (BAG 14.12.2006 8 AZR 763/05) Entgegennahme von Gehaltserhöhungen (BAG 23.07.2009 8 AZR 541/08) Änderung von Jahreszielen (BAG 23.07. 2009 8 AZR 558/08) und Erteilung einer Handlungsvollmacht (LAG München 06.05.2009 11 Sa 499/08) Änderung einer Funktionsstufe, Ernennung zum Datenschutzbeauftragten, Vereinbarung über die Dienstwagennutzung bzw. Behandlung diesbezüglicher Schäden (LAG München 06.05.2009 11 Sa 499/08) Bewerbung auf interne Stellenausschreibung (BAG 23.07.2009 8 AZR 539/08) Versetzung während der Tätigkeit für den neuen Betriebsinhaber (BAG 23.07.2009 8 AZR 538/08) Erhebung Kündigungsschutzklage bei Erwerber (BAG v. 02.04. 2009 8 AZR 178/07) Verwirkung des Widerspruchsrechts 13
Verwirkung des Widerspruchsrechts Verwirkung bejaht: 15 Monate und Aufhebungsvertrag (BAG 27.11. 2008 8 AZR 174/07) 14 Monate und Beendigungsvergleich im Kündigungsschutzprozess (BAG 12.11.2009 8 AZR 370/07) 34 Monate und viermonatige widerspruchslose Weiterarbeit nach Stilllegungsentscheidung des Erwerbers ( prekäre Situation ) (BAG 22.06.2011 8 AZR 752/09) Mehrere Jahre im Betriebsübergang begründete Prozessführung ohne Erklärung des Widerspruchs (BAG 15.03.2012 8 AZR 700/10) Verwirkung des Widerspruchsrechts 14
Verwirkung des Widerspruchsrechts BAG v. 17. Oktober 2013 8 AZR 974/12 Sachverhalt Vergleichsinhalt (Auszug) 1. (...) besteht Einigkeit, dass kein Betriebsübergang (...) vorliegt (...) 2. (...) Beklagte zahlt an den Kläger (...) EUR 45.000. Etwaige (...) Steuern und Sozialversicherungsbeiträge sind vom Kläger zu tragen. 3. (...) Dem Kläger bleibt die Geltendmachung des Widerspruchsrechts gegenüber der Firma A-GmbH vorbehalten. Entscheidung: Disposition über Arbeitsverhältnis liegt vor, wenn der AN mit dem Betriebserwerber einen Vergleich vereinbart, dass kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei und der Betriebserwerber gleichwohl zur Zahlung einer Geldsumme verpflichtet wird Verwirkung des Widerspruchsrechtes 15
Verwirkung des Widerspruchsrechts BAG v. 17. Oktober 2013 8 AZR 974/12 Gründe (1) Umstandsmoment: Mit Prozess gegen Erwerber Klage auf Grundlage des Betriebsübergangs und Kündigungsschutzantrag erklärt Arbeitnehmer, dass er tatsächlich und rechtlich zutreffend den Erwerber als neuen Arbeitgeber versteht Beendigung dieses Rechtsstreits durch Vergleich Disposition über das allein mit dem Erwerber bestehende Arbeitsverhältnis Vereinbarte Zahlung zur Abwendung des Prozessrisikos, auch wenn gerade nicht als Abfindung bezeichnet Vorbehalt des Widerspruchs für Verwirklichung des Zeit- und Umstandsmoments bedeutungslos Verwirkung des Widerspruchsrechts 16
Verwirkung des Widerspruchsrechts BAG v. 17. Oktober 2013 8 AZR 974/12 Gründe (2) Zeitmoment: Frist von knapp sechs Monaten zwischen Belehrung und Widerspruchserklärung oder knapp fünf Monaten seit Ende der hypothetischen Widerspruchsfrist kann für Erfüllung des Zeitmoments ausreichend sein Verwirkung des Widerspruchsrechts 17
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