A Leitfaden zur Begabungsförderung in der Volksschule 32

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Transkript:

Kanton Appenzell A.Rh. Erziehungsdirektion Förderangebote an der Volksschule im Kanton Appenzell Ausserrhoden 3 Begabungsförderung A Leitfaden zur Begabungsförderung in der Volksschule 32 Ausgangslage 33 Rahmenbedingungen 35 Erkennen / Merkmale 36 Abklärung durch den Schulpsychologischen Dienst 37 Qualifikation 37 Förderverständnis und Massnahmen 38 Zehn Qualitätskriterien eines begabungsentwickelnden, offenen Unterrichts 40 Informationen / Zuständige Stellen 41 Unterrichtsmaterialien 41 Adressen 41 B Leitfaden zum Überspringen einer Klasse 42 Einleitung 43 Gesetzliche Grundlagen 43 Beizug der Fachstelle 44 Beizug des Schulpsychologischen Dienstes 44 Schnuppern 44 Antragstellung 44 Flankierende Massnahmen 45 Unterstützung und Beratung 45 Checkliste für das Überspringen einer Klasse 46 12 Punkte, die beim Überspringen einer Klasse zu beachten sind 47 Adressen 49 Erziehungsdirektionn A.Rh., Fachstelle Besondere Fördermassnahmen Esther Germann, Telefon 071 3536718, E-Mail esther.germann@ed.ar.ch, www.ar.ch / Förderangebote

A Leitfaden zur Begabungsförderung in den Schulen von Appenzell Ausserrhoden 32

Leitfaden zur Begabungsförderung in den Schulen von Appenzell Ausserrhoden Ausgangslage Der Auftrag zur Förderung der Lernenden mit besonderen Begabungen an sich ist nicht neu. Kinder und Jugendliche mit besonderen Begabungen werden denn auch seit den Anfängen der Volksschule in den Regelklassen gefördert. Meist gelingt dies auch ganz gut. Neu ist die explizite Erwähnung des Förderauftrags gegenüber Kindern und Jugendlichen mit besonderen Begabungen in den Bildungsgesetzen der Kantone. Damit verbunden ist meist die Forderung nach Konzepten und Angeboten für den Umgang mit dieser Schülergruppe. Auch das Gesetz über Schule und Bildung im Kanton Appenzell Ausserrhoden vom 24. September 2000 sowie die Verordnung zu den Fördernageboten in den Gemeinden erwähnen den Auftrag zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Begabungen. Dieser Leitfaden ersetzt das Merkblatt «Begabungsförderung in der Volksschule des Kantons Appenzell Ausserrhoden - Umgang mit Heterogenität» vom Januar 2000. Begabungs-, Begabten- und Hochbegabtenförderung was ist zu tun? Wie der Umgang mit unterschiedlichen Begabungen gestaltet wird, hat viel mit der Akzeptanz von Verschiedenheit zu tun, welche eigentlich zum Grundauftrag der Volkschule gehört. «Begabt», «besonders begabt», «hoch begabt»? Ein Stempel oder eine Kategorisierung dieser Art nützen den einzelnen Lernenden wenig. Viel wichtiger ist auch hier eine Haltung, welche die Vielfalt an Begabungen akzeptiert und den Unterricht im Klassenzimmer entsprechend ausrichtet. In unserer Schule sind hochbegabte Kinder und Jugendliche sowie Kinder mit einem besonderen Begabungspotential in einzelnen Bereichen ohne nennenswerte Probleme in den Klassen integriert. Dennoch ist der Umgang mit der Heterogenität in den Klassen eine der zentralen Herausforderungen im Schulalltag und wirft laufend Fragen nach Strategien der Bewältigung auf. Die Volksschule steht dabei vor der Aufgabe, für alle Lernenden einerseits einen allgemeinbildenden Auftrag zu erfüllen und andererseits jedes Kind möglichst individuell in seinen Befähigungen zu fördern. Dieser doppelte Auftrag der Schule wurde und wird oft zu Gunsten der individuellen Förderung interpretiert und mit Forderungen nach entsprechenden Angeboten untermauert. Dabei wird der erste Auftrag der Volksschule gerne in den Hintergrund gedrängt der Auftrag nach einer grundlegenden Bildung und der gesellschaftlichen Integration. Dass die Volksschule bei der Erfüllung des Grundauftrags nicht immer die optimalsten Bedingungen zur Förderung der einzelnen Schülerin, des einzelnen Schülers schaffen kann, scheint angesichts der hetero- 33

Leitfaden zur Begabungsförderung in den Schulen von Appenzell Ausserrhoden Ausgangslage genen Zusammensetzung der Klassen einleuchtend. Dennoch kann die Schule, kann die einzelne Lehrperson unter den gegebenen Rahmenbedingungen versuchen, den Bedürfnissen besonders begabter und hochbegabter Schülerinnen und Schüler angemessen Rechnung zu tragen. Die frühzeitige Einschulung oder die Möglichkeit, eine Klasse zu überspringen berücksichtigen beispielsweise das schnelle Lerntempo dieser Gruppe von Lernenden. Aber auch im Unterricht können anregende und herausfordernde Situationen geschaffen werden, ohne dass dafür besonderer Stoff didaktisch aufbereitet werden muss. Begabungs- und Begabtenförderung finden vorzugsweise innerhalb des regulären Unterrichts möglichst ohne separierende Massnahmen statt und Fördergruppen werden im Rahmen des ISF-Modells angeboten (u. U. mit entsprechender Aufstockung des Pensenpools). In einzelnen Fällen kommt es jedoch vor, dass die ergriffenen Massnahmen nicht genügen und eine Kontaktaufnahme mit dem Schulpsychologischen Dienst oder der kantonalen Fachstelle Besondere Fördermassnahmen angezeigt ist. In solchen Fällen ist eine Förderdiagnostik und eine darauf aufbauende Förderplanung notwendig. Der vorliegende Leitfaden liefert Ideen und Anregungen für Schulteams und Lehrpersonen, die in ihrer Schule, ihrem Unterricht begabungsentwickelnde und -fördernde Angebote schaffen oder bestehende weiterentwickeln wollen. Ebenso finden sich Anregungen für Gemeinden, die Massnahmen ergreifen wollen, die über diesen Rahmen hinausgehen. 34

Leitfaden zur Begabungsförderung in den Schulen von Appenzell Ausserrhoden Rahmenbedingungen Das Gesetz über Schule und Bildung vom 24. September 2000 und die dazugehörige Verordnung vom 26. März 2001, sowie die Verordnung zu den Förderangeboten in den Gemeinden vom 8. April 2003 regeln den Umgang mit besonderen Begabungen in der Volksschule wie folgt: Gesetz Art. 11 Abs. 1 a, b Verordnung Art. 9 Abs. 1 Verordnung zu den Förderangeboten Art. 2 Abs. 1 Für Begabungsfördernde Massnahmen können verschiedene Strategien eingeschlagen und entsprechende Massnahmen ergriffen werden. Integrativ ausgerichtete Massnahmen, die durch eine vermehrte Binnendifferenzierung des Unterrichts durch Anreicherung des Stoffes (Enrichment) angestrebt werden, können grösstenteils im bestehenden Rahmen durch die Lehrperson und den Schulischen Heilpädagogen (bei entsprechenden Pensen) abgedeckt werden. Weitere Massnahmen, welche organisatorische Veränderungen auf Schulhausebene zur Folge haben, wie z.b. spezifische Gruppenangebote zur Begabtenförderung, Fördertage oder -halbtage in klassenübergreifenden Lerngruppen, bedingen einen Mehraufwand an Organisation und Personal, der entsprechend eine Erweiterung des Pensenpools zur Folge hat. Vor der Einführung eines Förderangebots ist gut zu überlegen, ob und wie viel zusätzliche Ressourcen dazu notwendig sind und ob die Gemeinde bereit und in der Lage ist, die allfälligen Kostenfolgen zu tragen. Keinesfalls sollten die neuen Angebote die Streichung dringend notwendiger und ausgewiesener Massnahmen in einem anderen Bereich zur Folge haben. Begabungs-, Begabten- und Hochbegabtenförderung wird hauptsächlich auf der Ebene des Unterrichts und der lokalen Schuleinheit umgesetzt. Strukturelle Voraussetzungen wie sie aus dem ISF-Modell bekannt sind, unterstützen und erleichtern die Einführung begabungsfördernder Massnahmen in den Schulen. 35

Leitfaden zur Begabungsförderung in den Schulen von Appenzell Ausserrhoden Erkennen / Merkmale Das Erkennen und Fördern von Lernenden mit besonderen Begabungen liegt in erster Linie in der Verantwortung der Kindergärtnerinnen, der Lehrpersonen und Eltern. Sie können von Schulleitungen, lokalen Schulbehörden sowie von Fachpersonen (Schulpsychologischer Dienst) in dieser Aufgabe unterstützt werden. Begabungen sind nicht einfach Tatsachen. Zu ihrer Entfaltung braucht es den inneren Antrieb und persönliche Voraussetzungen, Anregungen von aussen und die Bestätigung aus der sozialen Umwelt. Ausserordentliche Leistungen sind nicht allein auf eine hohe Intelligenz zurückzuführen, wenngleich eine ausserordentliche Intelligenz eine wesentliche Voraussetzung für das Zustandekommen einer Hochbegabung ist. Traditionsgemäss sind sich die an der Schule Beteiligten eher gewohnt, die Defizite statt die Begabungen der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen zu erkennen. Der Blickwinkel der Beobachtungen muss deshalb deutlich in Richtung «Ressourcenorientierung» verändert werden. Die wichtigen Fragen heissen jetzt: «Welches sind die Fähigkeiten, Stärken und Interessen des Kindes?», «Welche Bedürfnisse hat das Kind?», oder auch: «Wird das Kind schulisch genug gefordert?» Begabungen sind jedoch nicht immer leicht zu erkennen. Kinder und Jugendliche mit besonderen Begabung glänzen nicht zwingend durch gute Leistungen. Manchmal können sie ihre Begabungen kaum entwickeln, weil ihnen das Umfeld dazu fehlt. Einige verstecken ihre Begabung, um nicht aufzufallen oder um schlechte Erfahrungen als Aussenseiter zu vermeiden. Knaben reagieren oft offensiv und mit Aggression, wenn sie ihre Talente verstecken. Mädchen hingegen ziehen sich eher zurück oder passen sich an, weshalb ihre Begabungen leicht übersehen werden. Im Übrigen gibt es auch Begabte mit Teilleistungsschwächen oder begabte Leistungsversagerinnen und -versager. Es ist wichtig, dass Lehrpersonen und Eltern ihre Beobachtungen austauschen. Bei Auffälligkeiten im positiven wie negativen Sinn kann zudem eine frühzeitige Abklärung beim Schulpsychologischen Dienst weiterhelfen. 36

Leitfaden zur Begabungsförderung in den Schulen von Appenzell Ausserrhoden Abklärung durch den Schulpsychologischen Dienst In manchen Fällen ist eine Abklärung durch den Schulpsychologischen Dienst hilfreich und sinnvoll. Schulpsychologinnen und Schulpsychologen sind wichtige Fachpersonen für Lernende, Eltern und Lehrpersonen bei der Diagnostik und der Lösungsfindung. Eltern und Lehrpersonen können sich mit ihren Fragen direkt an die regionalen Zentren für Schulpsychologie und Therapeutische Dienste (ZEPT) wenden. Siehe im Anhang unter Adressen Qualifikation Es ist sinnvoll, wenn zur Unterstützung auf Personen mit Zusatzqualifikationen in den Schulen zurückgegriffen werden kann. Diese verfügen über spezifisches Wissen aus dem Bereich der Begabungsförderung welches sie sich in gezielten Weiterbildungen angeeignet haben. Solche spezialisierte Lehrpersonen können ihren Teams beratend zur Seite stehen. Schulteams, welche Begabungsförderung zu einem Schulentwicklungsthema machen wollen, setzen sich in schulinternen Weiterbildungen mit der Thematik auseinander. Aber auch ein breites Angebot steht für die individuelle Weiterbildung zur Verfügung. Die Fachstelle Förderangebote kann zur Beratung und Begleitung bei der Einführung von begabungsfördernden Massnahmen beigezogen werden. 37

Leitfaden zur Begabungsförderung in den Schulen von Appenzell Ausserrhoden Förderverständnis und Massnahmen Eine Fördermassnahme orientiert sich an den Bedürfnissen der Lernenden und den allenfalls daraus resultierenden pädagogischen Erfordernissen. Dies setzt eine sorgfältige Planung und Evaluation einer allfälligen Massnahme voraus. In einem ersten Schritt geht es jedoch darum abzuklären, inwieweit eine besondere Massnahme erforderlich ist. Dazu ist die Zusammenarbeit aller Beteiligten (Kind, Lehrperson, Erziehungsberechtigte, ev. Schulpsychologischer Dienst, ev. kantonale Fachstelle besondere Fördermassnahmen) notwendig. Differenzierte Beobachtungen belegen die besonderen Bedürfnisse des Kindes und werden nach Bedarf durch entsprechende psychologische Abklärungen und Tests ergänzt. Die Fachpersonen planen gemeinsam unter Einbezug der Erziehungsberechtigten die notwendige Massnahme. Die getroffene Massnahme wird nach einer vereinbarten Zeitdauer ausgewertet und angepasst. Wenn keine besonderen Erfordernisse auszumachen sind, werden auch keine besonderen Massnahmen eingeleitet. Die begabungsfördernden Massnahmen können auf allen Ebenen (Klasse, Schulhaus, Schulgemeinde) ansetzen. Dabei sind integrative Lösungen (innere Differenzierung) gegenüber separativen Lösungen (äussere Differenzierung) vorzuziehen. Die Lehrpersonen sind bei integrativen Lösungen allenfalls durch Beizug von spezialisierten Fachpersonen zu unterstützen. Die notwendigen Fördermassnahmen sind abhängig von strukturellen Rahmenbedingungen (wie Klassengrösse und Klassenzusammensetzung). Innere Differenzierung Es werden heute hauptsächlich drei Förderansätze diskutiert, die nachfolgend erklärt werden. Als unabdingbare Grundlage und Voraussetzung der drei Förderansätze gilt jedoch die Binnendifferenzierung. Sie steht im Zentrum aller Förderbemühungen, denn der erste Förderort ist und bleibt der Unterricht der Regelklasse. Ist dieses Grundprinzip erfüllt, können die folgenden Förderansätze erst sinnvoll eingesetzt werden und ihre Wirkung erzielen. 38

Leitfaden zur Begabungsförderung in den Schulen von Appenzell Ausserrhoden Förderverständnis und Massnahmen Enrichment (Anreicherung) Der Anreicherungsansatz geht davon aus, dass die besonders begabten und leistungsstarken Schülerinnen und Schüler in ihrer Jahrgangsklasse gefördert werden. Dies bedeutet, ihnen eine grössere Breite und Tiefe des Lernstoffangebots und eine breitere Persönlichkeits- und Entwicklungsförderung zu ermöglichen. Acceleration (Beschleunigung) Der Beschleunigungsansatz setzt die Lerngeschwindigkeit in den Mittelpunkt. Es ermöglicht dem Kind, das Lernpensum in kürzerer Zeit als üblich zu bewältigen wie etwa durch vorzeitige Einschulung, durch das Überspringen einer Klasse oder das schnellere Durcharbeiten des Schulstoffes. Siehe dazu: Leitfaden zum Überspringen einer Klasse S. 42 Grouping (Gruppenbilung) Das Grouping umfasst alle Massnahmen innerhalb oder ausserhalb des ordentlichen Klassenunterrichtes, bei denen Schülerinnen und Schüler in speziellen Gruppen zu besonderen Themenbereichen unterrichtet werden bzw. in denen sie selbstständig Projekte erarbeiten. Weitere Vorschläge zu begabungsfördernden Massnahmen auf verschiedenen Ebenen finden sich im Anhang: Massnahmen zur Begabungsförderung. 39

Leitfaden zur Begabungsförderung in den Schulen von Appenzell Ausserrhoden Zehn Qualitätskriterien eines begabungsentwickelnden offenen Unterrichts nach Klaus Urban Vermittlungsvielfalt Freiräume Umgangsformen Selbstständigkeit und Inhalt Lernberatung Öffnung zur Umwelt Sprachkultur Lehrer / Lehrerinnenrolle Akzeptanz des Unterrichts Lernumgebung Unterschiedliche Vermittlungsformen wie freie Arbeit, Projekte, Kreisgespräche, Gruppenarbeit Zum spielerischen, schöpferischen, entdeckenden Lernen; im inhaltlichen und zeitlichen Bereich Klare gemeinsam ausgehandelten Regeln, Toleranz und Akzeptanz des Andersseins, Konfliktbearbeitung Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten bezüglich Inhalts- und Zielgestaltung, aktive Steuerung von Lernprozessen der Kinder, Helfersystem Akzeptanz von Fehlern, abweichenden Wegen, Diagnosekompetenz für Leistungsversagen und besondere Begabungen, Beratung im bzw. neben dem Unterricht Direkte Begegnungen, Exkursionen, Tutoren für einzelne Kinder, ständige oder projektbezogene Kooperation mit ausserschulischen Lernorten Gesprächskultur Kooperation mit ausserschulischen Lernorten, Schriftkultur, freier Ausdruck, kreatives Schreiben Anspruchsvolle Fragen, vielfältige Gestaltung der Rolle, Bewusstsein über die eigene Rolle, Teamarbeit Verständnis des Unterrichts als gemeinsame Arbeit, Nutzung der Zeit, Akzeptanz und Mitarbeit durch Eltern Handlungsorientierte Materialien, Karteien, Forschungsorte, Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, offene Klassenlektüre 40

Leitfaden zur Begabungsförderung in den Schulen von Appenzell Ausserrhoden Informationen / Zuständige Stellen Im Zusammenhang mit besonderen Begabungen und dem Umgang damit stellen sich den Beteiligten oft Fragen, die einer Klärung bedürfen. Folgende Stellen können beigezogen werden: Schulpsychologischer Dienst Schulpsychologinnen und -psychologen sind wichtige Fachpersonen bei Fragen zur Begabungsabklärung und zur Lösungsfindung. Sie unterstützen Eltern, Lehrpersonen und Schulleitungen bei der Suche und Einleitung geeigneter Massnahmen. Eltern, Lehrpersonen und Schulleitungen können sich mit ihren Anliegen direkt an die regionalen Schulpsychologischen Dienste wenden. Fachstelle Besondere Fördermassnahmen Die Fachstelle Besondere Fördermassnahmen der Erziehungsdirektion ist ebenfalls Anlaufstelle für Eltern, Lehrpersonen und Schulleitungen. Sie unterstützt und berät im pädagogischen und im methodisch-didaktischen Bereich, bei der Planung und Umsetzung begabungsfördernder Massnahmen und beim Überspringen von Klassen. Unterrichtsmaterialien In der Fachstelle Besondere Fördermassnahmen liegt eine Auswahl von Büchern und Unterrichtsmaterialien zur Begabungsförderung auf. Die Materialien können auf der Erziehungsdirektion eingesehen oder für schulinterne Zwecke für eine bestimmte Zeit ausgeliehen werden. Eine dokumentierte Literaturliste dazu findet sich im Internet unter: www.ar.ch (Erziehungsdirektion / Bücherkiste / Begabungsförderung) Adressen Die Adressen des Schulpsychologischen Dienstes AR und der Kantonalen Fachstelle Besondere Fördermassnahmen sowie weitere Adressen zu Fragen bei besonderen Begabungen finden Sie im Anhang, Register 5, S. 64. 41

B Leitfaden zum Überspringen einer Klasse 42

Leitfaden zum Überspringen einer Klasse Einleitung Das Überspringen von Schulklassen stellt eine von vielen Möglichkeiten dar, Kinder mit besonderen Begabungen in der Volksschule zu fördern. Untersuchungen in der Schweiz wie auch im nahen Ausland belegen, dass das Überspringen einer Klasse für die meisten Schülerinnen und Schüler ein erfolgreicher Schritt war und von den Beteiligten (Schüler/Schülerinnen, Eltern und Lehrpersonen) als positiv bewertet wurde. Als wichtigste Vorteile wurden in Untersuchungen höhere Zufriedenheit und Motivation erwähnt. Rückblickend würden die meisten Beteiligten den gemachten Schritt nochmals wagen. Bisherige Erfahrungen mit Überspringen von Klassen belegen, dass das Springen als Massnahme um so erfolgreicher verlaufen wird, je besser es vorbereitet, pädagogisch begleitet, abgesichert und gemeinsam verantwortet wird. Der vorliegende Leitfaden richtet sich an Lehrpersonen, Schulleitungen sowie Behörden und soll bei der Umsetzung des Überspringens von Klassen als Hilfe beigezogen werden. Gesetzliche Grundlagen Verordnung zu den Förderangeboten In der Verordnung zu den Förderangeboten vom 25. März 2003 werden unter Kapitel V. die Massnahmen zur Begabungsförderung geregelt. Die Massnahmen zur Begabungsförderung sind für Lernende zu ergreifen, welche zu weitergehenden Leistungen fähig sind und bezwecken eine optimale Förderung der Begabungen und die Vermeidung einer Fehlentwicklung. Als Massnahme gilt unter anderen die Beschleunigung, welche ein rascheres Durchlaufen der Schulstufen durch Überspringen einer Klasse ermöglicht. Art. 12 Abs. 2 Massnahmen zur Förderung durch Anreicherung und Beschleunigung werden durch die Schulleitungen nach Absprache mit den zuständigen Lehrenden, den Schulischen Heilpädagoginnen oder Heilpädagogen und den Erziehungsberechtigten angeordnet. Der Schulpsychologische Dienst kann beratend beigezogen werden. 43

Leitfaden zum Überspringen einer Klasse Beizug der Fachstelle Vor der Einleitung eines Verfahrens zum Überspringen einer Klasse kann die Fachstelle Besondere Fördermassnahmen beigezogen werden. Sie beurteilt die Situation auf Grund der vorliegenden Informationen und Fakten und macht Vorschläge zum weiteren Vorgehen. Sie weist wenn nötig auf den Beizug des Schulpsychologischen Dienstes (SPD) hin. Beizug des Schulpsychologischen Dienstes Sind Unsicherheiten bezüglich der Schulleistungsprognose oder des Entwicklungspotentials vorhanden, kann eine Abklärung durch den Schulpsychologischen Dienst oft Klarheit verschaffen. Auch bei unterschiedlicher Einschätzung der Situation durch Lehrperson und Eltern empfiehlt sich der Einbezug des SPD. Schnuppern Wechsel und Übergänge sind kritische Phasen im Leben eines Kindes oder Jugendlichen. Eine Schnupperzeit von 2 6 Wochen in einer höheren Klasse sollte auf jeden Fall dem Überspringen vorangestellt werden. Das Schnuppern kann den Entscheid für oder gegen das Springen wesentlich erleichtern. Es bietet die Möglichkeit den Entscheid auf Erfahrungen abzustützen. Fallweise wird entschieden, auf welchen Zeitpunkt das Schnuppern festgelegt wird und ob der Wechsel bei einem allfälligen Klassenüberspringen direkt an die Schnupperphase anschliesst oder ob eine Bedenkpause dazwischen geschoben wird. Manchmal bieten sich bevorstehende Ferien als natürliche Zäsuren an. Antragstellung In der Regel wird der Antrag auf Überspringen von der Klassenlehrperson an die Schulleitung gestellt. Wird ein Antrag auf Überspringen direkt vom Schulpsychologischen Dienst gestellt, kann das Verfahren ohne Beizug der Fachstelle durchgeführt werden. Stellen Eltern direkt den Antrag auf Überspringen, sollte eine der beiden Stellen (Schulpsychologischer Dienst für diagnostische Verfahren; Fachstelle Sonderpädagogik für Fragen bzgl. des Verfahrens) hinzugezogen werden. 44

Leitfaden zum Überspringen einer Klasse Flankierende Massnahmen Im Einzelfall können in der ersten Zeit nach dem Überspringen flankierende Massnahmen erforderlich werden, beispielsweise dann, wenn einzelne Fächer bisher noch nicht unterrichtet wurden, die für den Besuch der neuen Klasse notwendig sind. Es ist ausserdem zu prüfen, ob zusätzlich anreichernde Massnahmen notwendig sind, damit die Schülerin/der Schüler nicht nach kurzer Zeit bereits wieder unterfordert ist. Unterstützung und Beratung Die Dienste der Fachstelle Besondere Förderangebote Volksschule oder des Schulpsychologischen Dienstes können von allen Lehrpersonen, Schulleitungen, Behörden sowie von den Eltern in Anspruch genommen werden. 45

Leitfaden zum Überspringen einer Klasse Checkliste für das Überspringen einer Klasse Erste Vorbereitungen Vorabklärungen Die Lehrperson wird mit dem Thema «Überspringen einer Klasse» konfrontiert. weist die Eltern auf den Schulpsychologischen Dienst und die Fachstelle Besondere Fördermassnahmen hin. nimmt Kontakt mit dem Schulpsychologischen Dienst oder der Fachstelle Besondere Fördermassnahmen auf. bespricht mit den Eltern die Möglichkeit des Überspringens. Informiert die Schulleitung über ein mögliches Überspringen und ein allfällig geplantes Schnuppern in einer höheren Klasse. holt für das Schnuppern die Zustimmung der Eltern und der / des betroffenen Lernenden ein. Vorbereitung und Durchführung des Schnupperns in der aufnehmenden Klasse Zwischenphase Schulleitung Abgebende Lehrperson Schulischer Heilpädagoge / Heilpädagogin (SHP) Eltern Der/die Lernende Abgebende und aufnehmende Lehrperson und die SHP wird in das Verfahren einbezogen; nennt die mögliche aufnehmende Lehrperson und erteilt die Bewilligung für das Schnuppern in einer höheren Klasse und informiert die Lehrperson der auf nehmenden Klasse. führt das Gespräch mit der aufnehmenden Lehrperson. Sie klären ab, wer mit der Klassenüberspringerin, dem Klassenüberspringer allfällige schulische Lücken aufarbeitet. wird in das Verfahren einbezogen, kennt die Situation der Klassen und hat allenfalls schon mit dem Kind gearbeitet. Übernimmt unter Umständen einen Förderauftrag während einer begrenzten Begleitphase. sind in das Verfahren einbezogen und geben ihre Zustimmung. erhält eine Schnuppermöglichkeit in einer höheren Klasse (die ideale Dauer des Schnupperns beträgt 2 6 Wochen). Bespricht die Eindrücke und seine persönliche Einschätzung während der Schnupperzeit mit den Eltern und den Lehrpersonen. besprechen in etwa der Hälfte der Schnupperzeit die gemachten Erfahrungen mit den Eltern, allenfalls unter Beizug des Schulpsychologischen Dienstes. Abbruch oder definitive Entscheidung Umsetzung Eltern Abgebende Lehrperson oder Schulpsych. Dienst Schulbehörde / Schulleitung Der/die Lernende Aufnehmende Lehrperson entscheiden zusammen mit ihrem Kind aufgrund der gemachten Erfahrungen für oder gegen das Überspringen. stellt den Antrag für das Überspringen an die Schulleitung oder entscheidet für den Abbruch des Verfahrens. prüft den Antrag und entscheidet für oder gegen das Überspringen. überspringt bei einer Bewilligung eine Klasse. erstattet nach 10 Wochen Bericht an die Schulleitung mit Kopie an die beigezogene Fachstelle: Schulpsychologischer Dienst oder Fachstelle Besondere Fördermassnahmen. 46

Leitfaden zum Überspringen einer Klasse 12 Punkte, die beim Überspringen einer Klasse zu beachten sind Zusammenfassung aus Heinbokel, A. (1996). Überspringen von Klassen. Münster LIT Verlag. 1. Intellektuelle Voraussetzung 2. Fachleistungen 3. Emotionale und soziale Reife 4. Motivation 5. Körpergrösse 6. Druck 7. Einstellung Lehrperson Lernende, für die das Springen vorgeschlagen wird, sollten von ihren intellektuellen Voraussetzungen her im oberen Bereich der aufnehmenden Klasse liegen. Zeigen die Lernenden nur in einem Bereich unterdurchschnittliche Leistungen im Vergleich zur aufnehmenden Klasse, können die Defizite durch Unterstützung aufgefangen werden. Wenn jedoch die überdurchschnittlichen Fähigkeiten nur in einem Fach deutlich werden, dann ist eine fachbezogene oder ausserschulische Förderung vorzuziehen. Lehrpersonen sind manchmal pessimistisch in Bezug auf die «emotionale und soziale Reife» von Lernenden. Bei Hochbegabten verwechseln sie möglicherweise schlechtes Benehmen, das von der Unzufriedenheit mit Lern- und Sozialbedingungen stammt, mit Unreife oder Verhaltensstörungen. Die Beurteilung der emotional-sozialen Reife sollte in Zusammenarbeit mit den Eltern und einer psychologischen Fachstelle geschehen. Die Lernenden sollten keine ernsthaften emotionalen und sozialen Probleme haben. Ausserdem sollten sie Durchhaltevermögen und hohe Motivation zeigen. Falls Probleme jedoch durch vorhergehende langanhaltende Unterforderung bzw. durch den Mangel an entwicklungsgleichen Freunden und Freundinnen verursacht wurden, können sie durch Akzeleration (Beschleunigung) behoben werden. Die Körpergrösse sollte nur insofern in Betracht gezogen werden, als das Kind sehr an Mannschaftssport interessiert ist und sportliche Wettbewerbe eine Rolle spielen könnten. Es ist soweit als möglich sicherzustellen, dass der/die Lernende beim Überspringen nicht unter Druck gesetzt wird. Die Eltern sollten dem Springen positiv gegenüberstehen, aber der/die Lernende muss es selbst wollen, er/sie sollte die letzte Entscheidung treffen. Das gilt auch schon für die Primarschule. Die aufnehmenden Lehrpersonen sollten dem Springen positiv gegenüberstehen und bereit sein, den Schülerinnen bei der Eingewöhnung zu helfen. Sind sie ablehnend oder pessimistisch, sollte überlegt werden, ob sich das Überspringen zeitlich verschieben lässt, ob eine Parallelklasse gefunden werden kann, oder ob es gar möglich ist, die Schule zu wechseln. 47

Leitfaden zum Überspringen einer Klasse 12 Punkte, die beim Überspringen einer Klasse zu beachten sind 8. Zeitpunkt 9. Information 10. Schnuppern 11. Erwartungen 12. Entscheidung Der beste Zeitpunkt für das Springen sowohl im Laufe der Schulzeit wie auch im Laufe des Schuljahres ist dann, wenn die Unterforderung so deutlich wird, dass das Springen als sinnvolle Alternative erscheint. Eine grundsätzliche Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt ist demotivierend und fördert nicht das Sozialverhalten, sondern in erster Linie die Schulmüdigkeit. Die abgebende Lehrperson informiert die aufnehmende Lehrperson über besondere pädagogische Erfordernisse oder Schwächen sowie über den allgemeinen Leistungsstand. Auch die Mitschülerinnen der aufnehmenden Klasse sollten vorher von der Klassenlehrperson auf angemessene Weise informiert werden, damit die Springer und Springerinnen als «Neue» akzeptiert werden. Wechsel und Übergänge sind kritische Phasen im Leben der Lernenden. Jedes Springen sollte probeweise stattfinden. Eine Schnupperzeit von zwei bis sechs Wochen sollte ausreichend sein. Lernende sollten wissen, dass sie jederzeit in die alte Klasse zurück dürfen. Während der Schnupperzeit können bei Bedarf die Dienste der Fachstelle besondere Fördermassnahmen oder des Schulpsychologischen Dienstes angefordert werden. Es ist darauf zu achten, dass mit dem Springen nicht zu viele Erwartungen verbunden werden. Die Lernenden sollten nicht das Gefühl bekommen, dass sie versagt haben, wenn es nicht gut geht. Andererseits sind einige Kinder und Jugendliche in ihrer intellektuellen Entwicklung so weit, dass sie auch nach dem Springen wieder unterfordert sind. Für sie können Angebote oder wiederholte Akzeleration notwendig werden. Die Entscheidung über das Springen hat auf Fakten und nicht auf Mythen zu beruhen. Die Forschungsliteratur zeigt auf, dass Akzeleration zur Verbesserung der Motivation und dadurch der Leistung beitragen kann. Es wurden keine generellen negativen Effekte in Bezug auf die soziale und emotionale Entwicklung gefunden. Falls es Eingewöhnungsprobleme gibt, sind sie in der Regel gering und kurzfristig. Wird dagegen das Springen gegen den Wunsch der Schülerinnen abgelehnt, kann das zu einer schlechten Arbeitshaltung, Apathie, mangelnder Motivation und Fehlanpassungen führen. 48

Leitfaden zum Überspringen einer Klasse Adressen Die Adressen des Schulpsychologischen Dienstes AR und der Kantonale Fachstelle Besondere Fördermassnahmen sowie weitere Adressen zu Fragen bei besonderen Begabungen finden Sie im Anhang, Register 5, S. 64. 49