ARGUMENTIEREN GEGEN STAMMTISCHPAROLEN - PARTEI ERGREIFEN FÜR MENSCHENRECHTE von Carmen Blenke Zur Person Am 08. Juni 2011 haben wir Herrn Dr. Klaus-Peter Hufer eingeladen. Der hauptberuflich tätige Fachbereichsleiter für Geistes- und Sozialwissenschaften der Kreisvolkshochschule Viersen, der des Weiteren Lehraufträge an den Universitäten Essen und Bochum erfüllt sowie Verfasser zahlreicher Schriften bzgl. politischer Erwachsenenbildung ist, gestaltet einen interaktiven Vortrag zum Thema Stammtischparolen. Kim Becker moderierte die Veranstaltung. Einstieg - Anekdote Er beginnt seinen Vortrag mit einer Begebenheit, die ein Professor aus seinem Umfeld erlebt hat - ein Mann mit höchsten Kompetenzen in der Jugend- und politischen Bildung. Er sitzt in einer Straßenbahn und bemerkt zwei Frauen, die sich unterhalten: es fallen zu Hauf ausländerfeindliche Sprüche. Alle schweigen, so auch der Professor. Dieser hat das Gefühl, er MÜSSE einschreiten - dieser Druck steigt mit jeder verstreichenden Sekunde. Der versierte Mann, der viele theoretische Grundlagen kognitiv zur Verfügung hat, ist sprachlos. Erst als er im Begriff ist auszusteigen, fällt ihm eine Reaktion ein und er sagt zu den Damen: "Herzlichen Glückwunsch." Und fügt an, dass die beiden zwischen zwei Haltestellen so unglaublich viel Blödsinn erzählt hätten, dass sie dafür einen Preis gewonnen hätten. Der Referent unterbricht hier die Anekdote, um das Publikum zu fragen, wie es die Reaktion beurteilen würde: Die Reaktion wird als gut empfunden: besser irgendwie reagieren, als gelähmt zuzuhören und alles unkommentiert geschehen zu lassen. Aber es gibt auch Stimmen, die meinen es wäre ungünstig, die Frauen ins Lächerliche zu ziehen, da dies zu keinem wirklichen kognitiven Anstoß bei selbigen bewirken würde. Und es gibt andere Vorschläge: Andere Personen aus der Bahn hätten miteinbezogen werden sollen. Der Schluss der Begebenheit ist wie folgt: Die zuhörenden Personen in der Bahn spenden auf den
Spruch des Professors hin lautstarken Applaus. Herr Hufer will mit dieser Anekdote den Einstieg in das Thema erleichtern und verdeutlichen, dass selbst ein sehr versierter Mensch sich in derartigen Situationen, der Konfrontation mit Stammtischparolen, leicht überfordert und absolut hilflos fühlt. Und er sagt: Fast jede Reaktion oder Antwort ist besser als keine - vor allem für sich selbst, aber auch für andere, wie er an einem weiteren Beispiel verdeutlicht: In einem seiner Seminare berichtete eine Rollstuhlfahrerin von einer Situation auf einem kleinen Bahnhof. Zwei Männer drücken ihr im Vorbeigehen den Spruch: "Dich hat man in Auschwitz wohl vergessen!" Sie war tief getroffen, v.a. weil niemand eine Reaktion gezeigt hat - die Wartenden in ihrem Umkreis haben geschwiegen. Dies hat sie verletzender als die abwertende Parole selbst empfunden. Im Anschluss stellt der Referent aber auch die Frage: Wäre die Reaktion des Professors in der Bahn dieselbe gewesen, wenn es zwei Männer gewesen wären, die diese Unterhaltung geführt hätten? Damit will er andeuten, dass es wichtig ist, vorsichtig und überlegt zu handeln und sich nicht in gefährliche Situationen zu bringen, denn das bringt niemandem etwas. Stammtischparole - ein Signalbegriff Im nächsten Schritt geht es um die Begriffssezierung: Er präsentiert Stammtischparolen aus der Bildzeitung. Ein Titel auf S.1 lautet: "Wir haben zu viele junge kriminelle Ausländer". Zwei Parolen werden hier deutlich: 1. Wir haben zu viele Ausländer 2. Ausländer = kriminell. Oder auch: "Zu viele Arbeitslose drücken sich vor der Arbeit". Parole: Arbeitslose sind faul. Daraufhin fordert er das Publikum auf, Attribute derartiger Parolen zu sammeln. Hier ein Ausschnitt: verkürzt, universalisierend, pauschalisierend, andere abwertend/sich selbst aufwertend, ungerecht, ausgrenzend, floskelhaft, emotional, pseudoerklärend, angstschürend,... Die Meta-Parole, die sich jedoch hinter all den Stammtischparolen verbirgt ist folgende: WIR sind gut, die ANDEREN sind schlecht. Nach der Sammlung zeigt der Referent dem Publikum die Attribute aus anderen Seminaren und Workshops aus unterschiedlichen Ländern (er nennt Österreich, Spanien, England), Altersgruppen, Berufsgruppen, etc.: sie haben eine große Schnittmenge. Daran wird deutlich, dass der Begriff der Stammtischparole eindeutig von Menschen und Gruppen definiert und beschrieben wird. Stammtischparole ist offensichtlich ein Signalbegriff. Diesen Signalbegriff gibt es nicht nur in Deutschland. Er führt das Pendant auf Holländisch "Schnapsgerede" sowie die südamerikanische Entsprechung "Kantinengerede" an. Ähnliche Begriffe mit gleicher Signalwirkung gibt es weltweit, ebenso wie es derartige Situationen, in denen man mit diesen konfrontiert wird. Außerdem erläutert er, dass der Begriff Stammtischparole nicht auf die Situation des Stammtisches und der Kneipe beschränkt ist, sondern längst in der breiten Mitte der Gesellschaft anzusiedeln ist. Zur Verdeutlichung führt er Fakten an:. Unter anderem, dass Forschungen zur Folge jeder dritte Bundesbürger rechtspopulistische Ansichten hat. Die Medien schüren diese Ansichten, da sie mit
Parolen arbeiten - und zwar nicht nur die bekannten Parolenblätter wie Bild oder Express, sondern auch seriösere Zeitungen. Herr Hufer erklärt weiterhin die tiefenpsychologische Verankerung von Parolen: Sie haben ihren Ursprung in Vorurteilen. Ein Vorurteil beschreibt er als Urteil vor dem Urteil. Ohne Begründung wird schlecht von anderen gedacht und diese Vorurteile benutzt, um das eigene Weltbild zu bestätigen. Im weiteren Verlauf der Veranstaltung lässt er Parolen im Publikum sammeln. Nach dem Zusammentragen verweist er darauf, dass in Deutschland und Österreich immer eine bestimmte genannt und als geläufigste und sehr gewichtige Parole bewertet wird: "Ausländer nehmen uns die Arbeit weg". Dies weist darauf hin, dass es zwei sehr zentrale Themen in diesen Ländern gibt: Arbeit und Ausländer. Viele, die parolieren, projizieren ihre eigenen Ängste, beispielsweise bzgl. Arbeit, auf ein Projektionsobjekt, den Ausländer. So können Ängste und die Projektion auf eine Gruppe länderspezifisch einen Hinweis auf relevante Themen geben. Rollenspiele und Erkenntnisse daraus Als nächstes erläutert der Referent, dass er in Seminaren mit Rollenspielen arbeitet. Es werden Situationen nachgestellt, in denen Parolen auf den Menschen, der diese ablehnt, treffen. Dabei stellt ein Teil der Spieler, die Gruppe der Stammtischparolenvertreter dar und der andere Teil der Gruppe, diejenigen, die sich dagegen wehren möchten. Er präsentiert dem Publikum daraufhin ein erlebtes (transkribiertes) Beispiel. An diesem exemplarischen Ausschnitt wird deutlich, dass es sehr einfach ist, Parolen zu klopfen: sie sind kurz und einfach. Im Gegensatz dazu benötigen Gegenpositionen oft Erklärungen, also Zeit und "Raum", um erläutert zu werden. Es muss zugehört werden - dies ist ein schwieriges Moment, da es nicht gewünscht ist: Eine wirkliche Diskussion ist von den Vertretern der Stammtischparolen nicht gewollt. Zudem sind die Parolen etwas emotional Aufgeladenes, die Gegenargumente aber auf die Sache bezogen - es wird also auf unterschiedlichen Ebenen "diskutiert". Das macht es besonders schwierig, den Blickwinkel der Parolenäußerer zu ändern. Ein weiteres verblüffendes Phänomen ist folgendes: in den Rollenspielen liegen 70% der Redeanteile bei den Parolenvertretern, nur 30% bei den Gegenargumentierern! Herr Hufer erklärt dies damit, dass diejenigen, welche die Stammtischparolen äußern, von Thema zu Thema springen und sich auf kein Argument einlassen bzw. dem ausweichen. Die Parolen sind zu oberflächlich, um
einer Argumentation standzuhalten, so dass auf ein Argument ein weiterer Spruch folgt, der eine weitere Komponente oder ein weiteres Thema anspricht. Der/die Gegenargumentierer/in wird also mit einen neuen Thema konfrontiert und sieht sich gezwungen, das erste Argument zu verlassen und sich auf ein weiteres Thema einzulassen. Gegenstrategien Es stellt sich die Frage, ob Argumentationen überhaupt gegen Stammtischparolen mit all ihren Eigenschaften funktionieren? Im Publikum sammelt der Referent Gegenstrategien: Da diejenigen, die Parolen äußern, von Thema zu Thema springen, muss versucht werden, sie zum Zuhören zu bewegen. Ziel ist es bei einem (!) Thema zu bleiben. Ein "Springen" soll verhindert werden und so die Parolenäußerer gezwungen werden, Argumente anzuhören und selber finden zu müssen (da die Parolen an sich kein Argument darstellen). Es sollte versucht werden, Pauschalisierungen aufzuheben. Bsp.: Wen meinst Du eigentlich mit "die Ausländer" - den brasilianischen Fußballspieler, die polnische Altenpflegerin oder den japanischen Manager? Gezieltes Nachfragen bringt diejenigen, die mit Stammtischparolen "arbeiten" oft schon von ihrem sicheren Terrain ab. Bsp.: Wie würde unser gesellschaftliches Leben aussehen, wenn "die Ausländer" alle nicht mehr da wären? Wo würdest du deine Pizza herbekommen? Ironie kann ein wichtiges Element sein - so werden die Sprücheklopfer mit ihren eigenen Waffen stumm gemacht. Bsp.: Auf die Parole "Ausländer nehmen uns die Arbeit weg", kann folgende Antwort kommen: "Ich wusste gar nicht, dass du früher eine Dönerbude hattest/putzen gegangen bist". Das Publikum ist hier zunächst kritisch: Zwar "hilft" so ein Gegenspruch zunächst einmal, um den Gegenredner zu verblüffen, aber nicht, ihn zu "bekehren". Der Dozierende gibt an dieser Stelle einen Erfahrungswert weiter: Diejenigen, die derartige Stammtischparolen äußern sind in der Regel nicht zu "bekehren". Wichtig sind diejenigen Menschen, die stumm daneben sitzen und noch unentschieden sind. Sie müssen beeinflusst und zum nachdenken angeregt werden. Aber Herr Hufer gibt auch zu, dass auch die Ironie und insgesamt das Gegenargumentieren seine Grenzen kennt, ganz besonders dort wo das Faschistische beginnt. Denn an dieser Stelle gibt es keine Argumente mehr. Beispielsweise wenn jemand sagt "Auschwitz ist eine Lüge". Hier wäre es wichtig STOPP zu sagen und Stellung zu nehmen, aber eine wirkliche Diskussionsgrundlage kann das nicht sein. (Anmerkung aus dem Publikum: diese Aussage sowie jegliche Leugnung des Holocaust ist ein strafbarer Tatbestand und derjenige, der diese Aussage tätigt kann angezeigt werden). Fakten kennen verleiht ein sicheres Auftreten, das der "Gegner" spürt - dies verunsichert sie/ihn, wenn die/derjenige keine Gegenargumente liefern kann. Insgesamt, fasst Herr Hufer zusammen, gibt es keine pauschal schlaue oder gute Antwort wie auf
Stammtischparolen reagiert werden kann. Verschiedene Strategien, wie oben beschrieben, können aber dabei helfen, die eigene Hilflosigkeit zu überwinden und Gegenflagge zu zeigen. Irgendetwas tun, egal was, befreit. Nichts machen geht immer, geschieht ganz leicht, auch ungewollt, weil die Hilflosigkeit in derartigen Situationen Menschen lähmt. Somit ist IRGENDETWAS sagen oder machen eine Befreiung für den Einzelnen (es bleibt kein schales Gefühl zurück) und Vorbild für andere. Außerdem signalisieren Menschen, die sich äußern, egal auf welche Weise, dass sie das Feld nicht den Parolenschwingern überlassen. Kognitive Resonanz Abschließend geht der Referent auf kognitive Dissonanz ein, eine Theorie von Leon Festinger (1919-1989). Grundlegend wird davon ausgegangen, dass Menschen das Bedürfnis haben, Dinge leicht und schnell aufzunehmen, die ihrer inneren Haltung entsprechen. Informationen, die dem widersprechen werden weniger gut aufgenommen und gespeichert. Die Konsequenz daraus ist, dass sich Vorurteile verfestigen. Kognitive Dissonanz nun, ein Begriff/eine Theorie aus der (Sozial-)Psychologie, beschreibt einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass ein Mensch mehrere Kognitionen hat also beispielsweise Gedanken, Einstellungen oder Wahrnehmungen die nicht miteinander vereinbar sind. Es ist also eine Art von "Störgefühl". Kognitive Dissonanzen, welche Menschen ins Nachdenken bringen und Anstoß sein können für Veränderungen, können beim Thema Vorurteile/Stammtischparolen durch zweierlei ausgelöst werden, so der Referent: Zum Einen wenn derjenige, welcher dem Stammtischparolierer Gegenargumente liefert, ein interessanter Mensch ist oder zum zweiten, wenn der/die Stammtischparolierer/in der Gruppe mit den Gegenargumenten angehören möchte (egal aus welchen Gründen diese Gruppe attraktiv ist). Beide Situationen lösen Spannungen und ein "Störgefühl" aus. Hier wird ganz deutlich, dass die Persönlichkeit des Menschen und einer Gruppe maßgeblich beeinflussen kann. Eine entschiedene Persönlichkeit wirkt interessant und kann kognitive Dissonanzen auslösen, die Veränderungen jeglicher Art nach sich ziehen. Forschungen zur Folge ist der Austritt von Jugendlichen aus faschistischen Szenen häufig das Ergebnis einer Begegnung mit einem interessanten Menschen: Der Mensch wird akzeptiert, auch wenn die Position des/derjenigen zunächst abgelehnt wird. Insofern kann der Mensch eingreifen und verändern! Insgesamt ein gelungener, sehr interaktiver Vortrag mit vielen Denkanstößen und Ideen. Bücher von Klaus-Peter Hufer: "Argumente am Stammtisch. Erfolgreich gegen Parolen, Palaver und Populismus", Wochenschauverlag, 2001, 8. Auflage. "Argumentationstraining gegen Stammtischparolen. Materialien und Anleitungen für Bildungsarbeit und Selbstlernen", Wochenschau-Verlag, 2006, 5. Auflage. Fotos: Silja Fischer