Kapitel 3 Stetige Funktionen 3.1 Der Begriff der Stetigkeit 3.1.1 Grundbegriffe Unter einer reellwertigen Funktion f : D W ( f ) einer reellen Veränderlichen verstehen wir eine Zuordnung von Punkten x D eines Definitionsbereiches D R auf Punkte des Wertebereiches Wir schreiben auch kurz f : D R. W( f ) := { f (x) R : x D} R. Bemerkung 3.1. Entsprechend sind komplexwertige Funktionen f : D C einer komplexen Veränderlichen z D C zu verstehen. In diesem Kapitel werden wir hauptsächlich reellwertige Funktionen betrachten. Beispiel 3.1. Unter der Signumfunktion verstehen wir die Zuordnung 1, x (,0) signx := 0, x = 0. +1, x (0,+) Beispiel 3.2. Von besonderem Interesse wird die Dirichletsche Sprungfunktion sein 1, x Q f (x) := 0, x R \ Q. Sie spielt insbesondere in der Integrationstheorie eine wichtige Rolle. 107
108 3 Stetige Funktionen Beispiel 3.3. Komplexwertige Polynome f (z) := a n z n + a n 1 z n 1 +... + a 1 z + a 0 mit Koeffizienten a k C sind spezielle komplexwertige Funktionen. Der Fundamentalsatz der Algebra besagt, dass jedes solche Polygon mindestens eine komplexe Nullstelle z 0 C mit f (z 0 ) = 0 besitzt. Beschränkte und unbeschränkte Funktionen Existiert eine reelle Zahl C (0,+) mit der Eigenschaft f (x) C für alle x D, so heißt die Funktion f (x) beschränkt. Andernfalls sprechen wir von einer unbeschränkten Funktion. Beispiel 3.4. Die reellwertige Sinusfunktion, welche wir später genauer diskutieren, f (x) := sin x, x R, ist beschränkt, während die reellwertige Funktion unbeschränkt ist. f (x) = 1 x, x R \ {0}, 3.1.2 Stetige Funktionen Die ε-δ-definition Die folgende Definition der Stetigkeit einer Funktion ist für alle weiteren Betrachtungen fundamental. Definition 3.1. Die Funktion f : D R heißt im Punkt x 0 D stetig, falls es zu jedem ε > 0 ein δ(ε,x 0 ) > 0 gibt mit der Eigenschaft f (x) f (x 0 ) < ε für alle x D mit x x 0 < δ(ε,x 0 ). Ist die Funktion f (x) in allen Punkten x D stetig, so heißt sie stetig auf D. Diese Definition können Sie sofort und nahezu wörtlich auf komplexwertige Funktionen übertragen, wie auch auf mehrdimensionale Abbildungen, wie wir sie in der Vorlesung Analysis 2 betrachten werden.
3.1 Der Begriff der Stetigkeit 109 Beispiel 3.5. Die lineare Funktion f (x) = ax + b, x R, mit reellen Konstanten a R \ {0} und b R ist in jedem Punkt x 0 R stetig: Zu beliebig vorgelegtem ε > 0 setzen wir nämlich unabhängig vom betrachteten Punkt x 0 δ(ε) := ε a und berechnen für alle x R mit x x 0 δ(ε) f (x) f (x 0 ) = ax + b (ax 0 + b) = a (x x 0 ) = a x x 0 a δ(ε) = a ε a = ε. Gleichmäßige Stetigkeit I Dieses Beispiel führt uns unmittelbar auf die nächste Definition 3.2. Die Funktion f : D R heißt gleichmäßig stetig auf D, falls es zu jedem ε > 0 ein δ(ε) > 0 gibt mit der Eigenschaft f (x) f (y) < ε für alle x,y D mit x y < δ(ε). Beispiel 3.6. Man zeige als Übung: Die Funktion f (x) = x 2, x R, ist auf dem unbeschränkten Definitionsbereich D = R nicht gleichmäßig stetig. Die Funktion f (x) = 1 x, x (0,1], ist auf (0,1] = {x R : 0 < x 1} nicht gleichmäßig stetig. Zusammenhang zur Folgenstetigkeit Wir wollen die obige ε-δ-definition der Stetigkeit in Termen konvergierender Folgen im Definitionsbereich D R umschreiben (Folgenstetigkeit). Bemerkung 3.2. Achten Sie im Folgenden auf die Verwendung des Auswahlaxioms der Zermelo-Fraenkelschen Mengenlehre. Ohne Auswahlaxiom muss nachstehender Satz 3.1 mit Bedacht formuliert werden.
110 3 Stetige Funktionen Sei also f : (a,b) R eine Funktion. Dann heißen f (a + ) := lim f (x) = lim f (x), x a x a, x>a f (b ) := lim f (x) = lim f (x) x b x b, x<b der rechtsseitige bzw. der linksseitige Limes von f (x) in a bzw. b. Dabei sind die Grenzwerte zu verstehen gemäß: Für alle Zahlenfolgen x n D mit x n a... Beispiel 3.7. Für die oben eingeführte Signumfunktion gelten (warum?) sign(0 ) = 1, sign(0 + ) = +1, sign(0) = 0. In der Literatur finden Sie nun oft die folgende Definition der Stetigkeit: Die Funktion f : D R heißt (folgen-)stetig im Punkt x 0 D, falls lim f (x) = f (x 0 ) x x 0 richtig ist. Dabei ist lim x x0 f (x) für jede Folge {x n } n=1,2,... D auszuwerten: lim f (x n ) = f (x 0 ). x n x 0 Satz 3.1. Die reellwertige Funktion f : D R ist im Punkt x 0 D genau dann stetig im Sinne von Definition 3.1, wenn sie folgenstetig ist. Beweis. Der Beweis erfolgt in zwei Schritten. 1. Die Funktion f : D R sei in x 0 D stetig im Sinne unserer Definition 3.1, d.h. zu beliebig vorgegebenem ε > 0 existiert ein δ(ε,x 0 ) > 0 mit f (x) f (x 0 ) < ε für alle x D mit x x 0 < δ(ε,x 0 ). Sei ferner {x n } n=1,2,... D eine gegen x 0 D konvergierende Folge: lim n x n = x 0. Dann existiert zu vorigem δ(ε,x 0 ) > 0 ein N N mit x n x 0 < δ(ε,x 0 ) für alle n N. Nach Voraussetzung ist dann aber auch f (x n ) f (x 0 ) < ε für alle n N. Da ε > 0 beliebig gewählt war, folgt lim n f (x n ) = f (x 0 ).
3.2 Der Raum der stetigen Funktionen 111 2. Die Funktion f : D R sei nun folgenstetig im Punkt x 0 D, d.h. für jede Folge {x n } n=1,2,... D mit x n x 0 für n gilt lim n f (x n) = f (x 0 ). Angenommen, f (x) ist nicht ε-δ-stetig in x 0 D. Dann existiert ein ε > 0, für welches es kein δ > 0 gibt mit (siehe Kapitel 1, Beispiel 1.4, Seite 9) f (x) f (x 0 ) < ε, falls x D mit x x 0 < δ. Zu jedem δ > 0 finden wir also wenigstens einen Punkt x D mit x x 0 < δ, aber auch f (x) f (x 0 ) ε. Wir wählen nun speziell δ = δ n := 1 n, n = 1,2,..., und wählen zu jedem dieser δ n > 0 ein x n D aus mit x n x 0 < δ n = 1 n, aber auch f (x n) f (x 0 ) ε, was x n x 0 für n bedeutet, aber eben auch f (x n ) f (x 0 ) für n, was der Voraussetzung f (x n ) f (x 0 ) für n widerspricht. Damit ist der Satz vollständig bewiesen. 3.2 Der Raum der stetigen Funktionen 3.2.1 Arithmetische Eigenschaften stetiger Funktionen Stetigkeit bleibt erhalten unter den elementaren arithmetischen Operationen Addition und Multiplikation stetiger Funktionen. Satz 3.2. Die reellwertigen Funktionen f : D R und g: D R seien im Punkt x 0 D stetig. Sei ferner λ R beliebig gewählt. Dann sind auch folgende Funktionen im Punkt x 0 D stetig: (i) (ii) (iii) ( f + g)(x) := f (x) + g(x) (λ f )(x) := λ f (x) ( f g)(x) := f (x) g(x) Gilt zusätzlich g(x 0 ) = 0, so ist auch die Funktion f (iv) (x) := f (x) g g(x) stetig in x 0 D.
112 3 Stetige Funktionen Beweis. Übungsaufgabe. Satz 3.3. Alle rationalen Funktionen f (x) = a nx n + a n 1 x n 1 +... + a 1 x + a 0 b n x n + b n 1 x n 1 +... + b 1 x + b 0 mit a k,b k R, k = 0,1,2,...,n, sind stetig, insofern b 0 + b 1 x +... + b n x n = 0. Beweis. Übungsaufgabe. 3.2.2 Der Vektorraum der stetigen Funktionen Wir bezeichnen die Menge aller stetigen Funktionen f : D R mit dem Symbol C 0 (D) := { f : D R : f ist auf D stetig}. Voriger Satz 3.2 besagt nun: Die Menge C 0 (D) bildet mit den beiden Verknüpfungen ( f + g)(x) := f (x) + g(x), (λ f )(x) := λ f (x), x D, einen linearen Raum. 3.2.3 Komposition stetiger Abbildungen Wir ergänzen unsere Ausführungen durch den Satz 3.4. Die Funktion f : D E R sei stetig in x 0 D R, und die Funktion g: E R sei in y 0 := f (x 0 ) E stetig. Dann ist die Komposition im Punkt x 0 D stetig. h := g f vermöge h(x) = g f (x) = g( f (x)), x D, Beweis. Es sei {x n } n=1,2,... D eine beliebige Folge mit x n x 0 für n. Nach Voraussetzung ist f (x) in x 0 stetig, d.h. es gilt lim n f (x n) = f (x 0 ). Wir setzen y n := f (x n ) E. Da auch g(x) in y 0 = f (x 0 ) E stetig ist, folgt lim n h(x n) = lim n g( f (x n )) = lim n g(y n ) = g(y 0 ) = g( f (x 0 )) = h(x 0 ). Daher ist h(x) in x 0 D stetig.
3.2 Der Raum der stetigen Funktionen 113 Beispiel 3.8. Die Funktionen f (x) = sinx und g(x) = x 2 sind in allen Punkten x 0 R stetig, also ist auch die Komposition auf ganz R stetig. h(x) = g f (x) = g( f (x)) = sin 2 x 3.2.4 Stetigkeit der Umkehrfunktion Wir führen zunächst die folgende Bezeichnung ein: Eine beschränkte und abgeschlossene Menge K R bezeichnen wir auch als kompakt. Da wir später eine allgemeine Definition für kompakte Mengen bereitstellen, welche die angeschriebene Bezeichnung als Spezialfall umfassen wird, wollen wir an dieser Stelle auf einen exakten Kompaktheitsbegriff verzichten. Auf einer kompakten Menge K R betrachten wir nun eine injektive Funktion f : K R, die also erfüllt (siehe Kapitel 1, Abschnitt 1.1.4) f (x) = f ( x) für alle x, x K mit x = x. Dann können wir vermittels g(y) = x für alle y f (K) und x K mit y = f (x) ihre Umkehrfunktion g: f (K) K erklären. Diese Umkehrfunktion genügt g f (x) = g( f (x)) = x f g(y) = f (g(y)) = y für alle x K für alle y f (K). Satz 3.5. Auf der kompakten Menge K R sei die Funktion f : K R stetig und injektiv. Dann ist auch ihre Umkehrfunktion g: f (K) K stetig auf f (K). Beweis. Wir gehen nach Sauvigny [32], Beweis von Satz 6, Kapitel II, 1 vor: 1. Wähle zunächst einen Punkt y f (K) und eine Folge {y n } n=1,2,... f (K) mit lim n y n = y. Zu beweisen ist g(y n ) g(y ) für n. 2. Zu diesem Zweck setzen wir x n := g(y n ) für n = 1,2,... sowie x := g(y ). Wir nehmen an, dass die Folge {x n } n=1,2,... K nicht gegen x K konvergiert.
114 3 Stetige Funktionen Es existiert also eine Teilfolge {x nk } k=1,2,... {x n } n=1,2,..., die nicht gegen x K konvergiert, nach dem Weierstraßschen Häufungsstellensatz wegen ihrer Beschränktheit aber auch eine konvergente Teilfolge {x nkl } l=1,2,... {x nk } k=1,2,... besitzt mit lim x n kl = x K, wobei x = x. l 3. Da f (x) stetig ist, ermitteln wir aus der Konvergenz von {y n } n=1,2,... f (x ) = lim l f (x nkl ) = lim l y nkl = lim n y n = y = f (x ). Nun ist f (x) aber nach Voraussetzung injektiv, was x = x nach sich zieht und obige Annahme zu einem Widerspruch führt. Damit ist der Satz bewiesen. Beispiel 3.9. Für eine natürliche Zahl k 2 ist die k-te Potenzfunktion f (x) := x k, x [0,a] = {z R : 0 z a}, streng monoton wachsend und stetig, besitzt also nach vorigem Satz in Zusammenhang mit den in Kürze folgenden Abschnitt 3.3.3 eine stetige Umkehrfunktion g(y) := k y, y [0,), die k-te Wurzelfunktion, die ebenfalls streng monoton wächst. 3.3 Sätze über stetige Funktionen 3.3.1 Der Fundamentalsatz von Weierstraß Wir wollen nun vier grundlegende Aussagen über reellwertige, stetige Funktionen auf kompakten Mengen K R kennenlernen, nämlich den Fundamentalsatz von Weierstraß über die Beschränktheit stetiger Funktionen auf kompakten Mengen, den Zwischenwertsatz von Bolzano und Weierstraß, nach welchem eine stetige Funktion auf einer kompakten Menge jeden Zwischenwert annimmt, den Satz über die monotone Umkehrfunktion sowie einen Nachweis gleichmäßiger Stetigkeit stetiger Funktionen auf kompakten Intervallen.
3.3 Sätze über stetige Funktionen 115 Wir beginnen mit dem Satz 3.6. Auf der kompakten Menge K R sei die stetige Funktion f : K R gegeben. Dann ist f (x) auf dieser Menge beschränkt, und es existieren zwei Punkte x min K und x max K mit f (x min ) f (x) f (x max ) für alle x K. Wir können diesen Satz auch so formulieren: Jede auf einem Kompaktum K R stetige Funktion f : K R ist beschränkt und nimmt in K R ihr Maximum und Minimum an. Beweis. Wir gehen nach Sauvigny [32], Kapitel II, Beweis von Satz 8, 1 vor und beweisen nur die Existenz des Punktes x min K. Durch Übergang zu ( f ) folgt dann die Existenz von x max K. 1. Setze also zunächst µ := inf f (x) R mit R = R { } {+} x K Nach Satz 1.26 aus Kapitel 1 existiert dann eine Folge {x n } n=1,2,... K mit lim f (x n) = µ. n Da aber K R nach Voraussetzung beschränkt ist, müssen auch die Folgenelemente x 1,x 2,... {x n } n=1,2,... K beschränkt sein. 2. Nach dem Weierstraßschen Häufungsstellensatz existiert daher eine in K R konvergente Teilfolge (K ist abgeschlossen!) {x nk } k=1,2,... {x n } n=1,2,... K mit lim k x nk = ξ K. Jetzt investieren wir noch die Stetigkeit von f (x) und ermitteln f (ξ ) = lim k f (x nk ) = µ = inf x K f (x). Damit ist der Satz bewiesen. Beispiel 3.10. Dieser Satz ist auf offenen, halboffenen oder auf unbeschränkten Gebieten falsch, wie die drei Beispiele f (x) = x 2 auf ( 1,1), g(x) = 1 x auf (0, 1], h(x) = x auf R zeigen.
116 3 Stetige Funktionen 3.3.2 Der Zwischenwertsatz von Bolzano und Weierstraß Unser nächstes Resultat über stetige Funktionen auf kompakten Mengen lautet Satz 3.7. Auf der kompakten Menge K = [a,b] = {x R : a x b} R, wobei < a < b < +, sei die stetige Funktion f : K R gegeben mit der Eigenschaft f (a) < f (b). Dann existiert zu jedem η ( f (a), f (b)) ein ξ (a,b) mit f (ξ ) = η. Beweis. Wir gehen nach Sauvigny [32], Beweis von Satz 9, Kapitel II, 1 vor: 1. Sei also ein Punkt η ( f (a), f (b)) vorgelegt. Die Menge D := {x [a,b] : f (x) < η} ist wegen a D nicht leer. 2. Wir setzen Dann gelten a ξ < b sowie ξ := supx. x D x ξ für alle x D. Nach Satz 1.26 aus Kapitel 1 existiert eine Folge {x n } n=1,2,... D mit lim x n = ξ, n und aus der Stetigkeit von f (x) und der Definition von D schließen wir f (ξ ) = lim n f (x n ) η. 3. Wäre nun aber f (ξ ) < η richtig, so existiert auf Grund der Stetigkeit von f (x) eine hinreichend kleine Zahl ε > 0 mit der Eigenschaft f (x) < η für alle x (ξ,ξ + ε) im Widerspruch zur Wahl von ξ als Supremum von D K. Also gilt f (ξ ) = η. Das beweist die Behauptung des Satzes. Beispiel 3.11. Überlegen Sie sich als Anwendung des Zwischenwertsatzes, dass jedes reellwertige Polynom p(x) = x n + a n 1 x n 1 +... + a 1 x + a 0, x R, mit Koeffizienten a k R für k = 0,1,2,...,n 1 und ungeradem Grad n R mindestens eine Nullstelle ξ R mit f (ξ ) = 0 besitzt.
3.3 Sätze über stetige Funktionen 117 Bemerkung 3.3. Das Beispiel der Funktion f (x) = x 2 2, x Q [1,2], zeigt, dass der Zwischenwertsatz nicht auf Q statt R formuliert werden kann, da es kein ξ Q gibt mit f (ξ ) = 0 bzw. ξ 2 = 2. 3.3.3 Satz über die monotone Umkehrfunktion Der Zwischenwertsatz impliziert nun unser drittes Resultat: Satz 3.8. Auf dem kompakten Intervall K = [a,b] R sei die stetige Funktion f : K R streng monoton wachsend, d.h. sie erfülle f (x) < f ( x) für alle x, x K mit x < x. Dann hat für y [ f (a), f (b)] die Gleichung f (x) = y die eindeutig bestimmte Lösung x [a, b]. Beweis. Übungsaufgabe. Die Lösung x [a,b] ist natürlich über die Umkehrfunktion g(y) gegeben: x = g(y). 3.3.4 Gleichmäßige Stetigkeit II Wir kommen viertens auf den in Definition 3.2 eingeführten Begriff der gleichmäßigen Stetigkeit zurück: Die Funktion f : D R heißt auf D R gleichmäßig stetig, wenn es zu jedem ε > 0 ein δ(ε) > 0 gibt mit f (x) f ( x) < ε für alle x, x D mit x x < δ(ε). Satz 3.9. Jede auf einem kompakten Intervall K = [a,b] stetige Funktion f : K R ist auf K R gleichmäßig stetig. Beweis. Wir gehen nach Forster [7], Beweis von Satz 4, 11 vor. 1. Wir nehmen an, die Funktion f (x) sei nicht gleichmäßig stetig. Dann existiert ein ε > 0, so dass zu jedem natürlichen n 1 Punkte x n K und x n K existieren mit x n x n 1 n und f (x n ) f ( x n ) ε. ( )
118 3 Stetige Funktionen 2. Die Folge {x n } n=1,2,... K ist beschränkt, so dass nach dem Weierstraßschen Häufungsstellensatz eine konvergente Teilfolge {x nk } k=1,2,... {x n } n=1,2,... existiert mit der Eigenschaft lim k x n k = x K. 3. Wegen der ersten Ungleichung aus ( ) gilt lim k x nk x nk < 1 n k, also auch lim k x nk = x. Nun investieren wir die Stetigkeit von f (x) und ermitteln f (xnk ) f ( x nk ) = lim f (x nk ) lim f ( x nk ) = f (x ) f (x ) = 0 k k im Widerspruch zur zweiten Ungleichung in ( ), nach der gilt f (x nk ) f ( x nk ) ε für alle k = 1,2,... Damit ist der Satz bewiesen. Beispiel 3.12. Nach Beispiel 3.6 ist die Funktion f (x) = x 2 nicht gleichmäßig stetig auf dem unbeschränkten Definitionsbereich D = R, aber gleichmäßig stetig auf jedem kompakten Intervall [a, b] R. 3.4 Funktionenfolgen Wir wollen uns nun Funktionenfolgen f k : D R, k = 1,2,..., zuwenden und einige ihrer Konvergenzeigenschaften studieren. 3.4.1 Punktweise und gleichmäßige Konvergenz Zu diesem Zweck führen wir die zwei grundlegenden Begriffe der punktweisen Konvergenz und der gleichmäßigen Konvergenz ein, welche Sie durch die gesamte weitere Analysis begleiten werden.
3.4 Funktionenfolgen 119 Definition 3.3. Die Funktionenfolge { f k } k=1,2,... heißt punktweise konvergent gegen die Funktion f : D R, wenn zu jedem x D und zu jedem ε > 0 ein N(x,ε) N existiert mit der Eigenschaft f k (x) f (x) < ε für alle k N(x,ε). Punktweise Konvergenz können wir auch so formulieren: lim f k(x) = f (x) für alle x D. k Die Konvergenzrate kann allerdings für verschiedene x D verschieden ausfallen. Beispiel 3.13. Die Folge { f k } k=1,2,... der stetigen Funktionen f k (x) := x k, x [0,1], konvergiert auf D = [0, 1] punktweise gegen die nicht stetige Funktion 0, 0 x < 1 f (x) =. 1, x = 1 Definition 3.4. Die Funktionenfolge { f k } k=1,2,... heißt gleichmäßig konvergent gegen die Funktion f : D R, wenn zu jedem ε > 0 ein N(ε) N existiert mit der Eigenschaft f k (x) f (x) < ε für alle x D und alle k N(ε). Gleichmäßige Konvergenz können wir auch so formulieren: lim sup k x D f k (x) f (x) = 0. Beachten Sie, wie unterschiedlich in diesen beiden Definitionen die Abhängigkeit von der Variablen x D eingeht. Beispiel 3.14. Die Folge { f k } k=1,2,... der stetigen Funktionen f k (x) := x k, x [0,1], konvergiert auf D = [0, 1] zwar punktweise gegen die nicht stetige Funktion 0, 0 x < 1 f (x) =, 1, x = 1 aber nicht gleichmäßig. Für alle k = 1, 2,... gilt nämlich x n 0 = x n für x [0,1) sup f k (x) f (x) = sup = 1. x D x D 1 1 = 0 für x = 1
120 3 Stetige Funktionen Wir können auch so argumentieren: Nach dem Mittelwertsatz für stetige Funktionen existiert für jedes k = 1,2,... ein Zwischenwert ξ k (0,1) mit f k (ξ k ) f (ξ k ) = ξ k k = 1 2. Es kann also keine gleichmäßige Konvergenz vorliegen. 3.4.2 Das Cauchysche Konvergenzkriterium Das vorige Beispiel macht deutlich, dass Stetigkeit für die Grenzfunktion unter nicht gleichmäßiger Konvergenz nicht notwendig erhalten bleibt. Unser nächstes Ziel ist es daher, ein Kriterium aufzustellen, vermittels welchem wir über die Stetigkeit der Grenzfunktion entscheiden können. Dazu beginnen wir mit dem folgenden Cauchykriterium. Satz 3.10. Die Funktionenfolge { f k } k=1,2,... konvergiert gleichmäßig auf D R genau dann gegen eine Funktion f : D R, wenn es zu jedem ε > 0 ein N(ε) N gibt mit der Eigenschaft f k (x) f l (x) < ε für alle x D und alle k,l N(ε). Beweis. F. Sauvignys Vorlesungsmanuskript zur Analysis 1 aus dem WS 1994/95, Seite 94, folgend, gehen wirin zwei Schritten vor: 1. Die Funktionenfolge { f k } k=1,2,... konvergiere gleichmäßig auf D R gegen die Funktion f (x). Dann existiert zu vorgelegtem ε > 0 ein N(ε) R mit f k (x) f (x) < ε für alle k N(ε) und für alle x D. Damit ermitteln wir mit der Dreiecksungleichung f k (x) f l (x) = f k (x) f (x) + f (x) f l (x) f k (x) f (x) + f (x) f l (x) < 2ε für alle x D und alle k,l N(ε). 2. Zu vorgelegtem ε > 0 existiere nun ein N(ε) N mit f k (x) f l (x) < ε für alle x D und alle k,l N(ε), ( ) d.h. für fixiertes x D ist die Zahlenfolge { f k (x)} k=1,2,... eine Cauchyfolge. Auf Grund der Vollständigkeit der Menge R der reellen Zahlen existiert also für jedes x D ein Grenzelement f x := lim k f (x).
3.4 Funktionenfolgen 121 Die Menge aller dieser Grenzelemente, zusammengefasst über den Definitionsbereich D R, bildet eine Funktion f (x). Es verbleibt also zu zeigen, dass die Funktionenfolge { f k } k=1,2,... gleichmäßig gegen diese neue Funktion f (x) konvergiert. Dazu betrachten wir in ( ) den Grenzübergang l bei fixiertem Index k und erhalten für jedes ε > 0 ein N(ε) N mit f k (x) f (x) < ε für alle x D und alle k N(ε). Also konvergiert { f k } k=1,2,... gleichmäßig gegen f (x). Das beweist den Satz. Zusätzlich zu den Voraussetzungen dieses Satzes wollen wir nun annehmen, dass die Funktionen f k (x) stetig sind und gelangen zu dem fundamentalen Satz 3.11. Die Folge { f k } k=1,2,... C 0 (D) stetiger Funktionen f k : D R konvergiere gleichmäßig auf D gegen die Grenzfunktion f : D R. Dann ist auch f (x) stetig auf D. Beweis. Wir gehen nach F. Sauvignys Vorlesungsmanuskript zur Analysis 1 aus dem WS 1994/95, Seite 95, vor. Zu ε > 0 existiert wegen der gleichmäßigen Konvergenz ein N = N(ε) N mit f k (x) f (x) < ε für alle x D und alle k N(ε). Da das Folgenelement f N (x) selbst eine stetige Funktion ist, existiert zu diesem ε > 0 ein δ(x 0,ε,N) > 0 mit (x 0 D wird beliebig gewählt) f N (x) f N (x 0 ) < ε für alle x,x 0 D mit x x 0 < δ(x 0,ε,N). Jetzt ermitteln wir mit der Dreiecksungleichung f (x) f (x 0 ) = f (x) f N (x) + f N (x) f N (x 0 ) + f N (x 0 ) f (x 0 ) f (x) f N (x) + f N (x) f N (x 0 ) + f N (x 0 ) f (x 0 ) < 3ε für alle x,x 0 D mit x x 0 < δ(x 0,ε,N). Also ist f (x) in x 0 D stetig, und da x 0 D beliebig gewählt ist, folgt die Stetigkeit von f (x) auf D R. Beispiel 3.15. Nach dem Beispiel 3.14 konvergiert die Folge f k (x) = x k auf [0,1] nicht gleichmäßig gegen eine nicht stetige Grenzfunktion; die Aussage des vorigen Satzes ist in diesem Sinne scharf. Die Funktionenfolge {g k } k=1,2,... C 0 ([0,1]) mit g k (x) := x k, x [0,1], hingegen konvergiert gleichmäßig gegen die stetige Grenzfunktion g(x) 0.
122 3 Stetige Funktionen 3.4.3 Der Weierstraßsche Majorantentest Von Funktionenfolgen { f k },1,2,... gehen wir nun zu Funktionenreihen über. F(x) := f k (x) = f 0 (x) + f 1 (x) + f 2 (x) +... + f n (x) +... Definition 3.5. Die zu einer vorgelegten Funktionenfolge { f k },1,2,... mit Funktionen f k : D R für alle k = 0,1,2,... zugehörige Funktionenreihe gleichmäßig konvergent, wenn die Folge der Partialsummen {S n } n=0,1,2,... vermöge S n (x) := auf D R gleichmäßig konvergiert. f k (x), x D, k=1 f k (x) heißt Das folgende Resultat beinhaltet den sogenannten Weierstraßschen Majorantentest, oft auch einfach nur M-Test. Satz 3.12. Die Funktionen f k : D R der Folge { f k },1,2,... genügen f k (x) M k, k = 0,1,2,..., mit reellen Zahlen M k [0,), für welche M k < erfüllt ist. Dann konvergiert die Funktionenreihe f k (x) auf D R gleichmäßig. Beweis. (F. Sauvignys Vorlesungsmanuskript zur Analysis 1, WS1994/95, Seite 96) Auf Grund der Konvergenz der Reihe M 0 + M 1 + M 2 +... existiert zu vorgelegtem ε > 0 ein N(ε) N, so dass (siehe Kapitel 2) q M k < ε k=p+1 für alle q > p N(ε) richtig ist. Daher ermitteln wir mit der Dreiecksungleichung q q S q (x) S p (x) = f k (x) f k (x) k=p+1 k=p+1 q k=p+1 M k < ε für alle q > p N(ε) und für alle x D. Also konvergiert die Folge {S n } n=0,1,2,... gleichmäßig auf D R.
3.4 Funktionenfolgen 123 Bemerkung 3.4. Im Lehrbuch Sauvigny [32] werden diese und die vorhergehenden sowie die folgenden Aussagen sogar für Abbildungen f : D R n C bewiesen. Beispiel 3.16. Wir betrachten die sich aus der komplexen Exponentialreihe ergebende reelle Exponentialreihe die sich als Funktionenreihe e x = x k k!, x [0,1], f k (x) im obigen Sinne mit Funktionen f k (x) := xk k!, x [0,1], darstellen lässt. Für jedes k = 0,1,2,... gilt die gleichmäßige Abschätzung Das Quotientenkriterium liefert f k (x) x k k! 1 k! =: M k für alle x [0,1]. f k (x) M k = 1 k! <, so dass nach dem vorigen Satz 3.12 die Folge {S n } n=0,1,2,... der Partialsummen S n (x) = n x k k!, x [0,1], auf [0,1] gleichmäßig konvergiert gegen die Grenzfunktion S(x) := e x. Da aber außerdem jedes S n (x) stetig ist, liefert Satz 3.11 die Stetigkeit der reellen Expontialfunktion. Mit vorangegangener Bemerkung 3.4 dürfen wir sogar auf die Stetigkeit der komplexen Exponentialreihe expz: C C schließen. Beispiel 3.17. Im Jahre 1872 gab K. Weierstraß folgende Funktion an W(x) := a k cos(b k πx), x R, mit einer reellen Konstanten a (0, 1) und einer natürlichen Zahl b N, so dass ab > 1 + 3π 2. Mit den von uns vorgestellten Mitteln können Sie die Stetigkeit dieser sogenannten Weierstraßschen Funktion sofort verifizieren.
124 3 Stetige Funktionen Weierstraß zeigte aber noch mehr: Die Funktion W(x) ist in keinem Punkt x R differenzierbar. Folgende historische Bemerkungen sollen dieses Beispiel abrunden und unser drittes Kapitel abschließen: Das erste Beispiel einer überall stetigen, aber nirgends differenzierbaren Funktion stammt vom Prager Priester und Mathematiker B. Bolzano aus dem Jahre 1831. Bolzanos Aufzeichnungen blieben aber der Öffentlichkeit verborgen und wurden erst durch Zufall etwa einhundert Jahre später wiedergefunden. Im Jahre 1890 präsentierte D. Hilbert ein Beispiel einer auf dem abgeschlossenen Einheitsintervall [0, 1] definierten, überall stetigen, aber nirgends differenzierbaren Kurve, die das Einheitsquadrat [0, 1] [0, 1] vollständig ausfüllt: die heute sogenannte Hilbertkurve. Frühere ähnliche Entdeckungen von G. Cantor und G. Peano entfachten bereits damals eine lebhafte Debatte über den Dimensionsbegriff. Angeregt von Weierstraß analytischen Untersuchungen gelang es 1904 dem schwedischen Mathematiker H. von Koch, eine überall stetige, aber nirgends differenzierbare Funktion auf rein geometrische Art und Weise zu konstruieren, die sogenannte Kochsche Schneeflocke. G.F. Hardy zeigte 1916, dass die Bedingung ab > 1 + 3π 2 im Weierstraßschen Beispiel ersetzt werden kann durch die schwächere Bedingung ab 1. Mit den Mitteln des nachfolgenden Kapitels Differenzierbare Funktionen unserer Vorlesung wird es Ihnen möglich sein, die Differenzierbarkeit der Weierstraßschen Funktion W(x) im Fall ab < 1 auf ganz R nachzuweisen.