K. Kröger, V. Gerber, A. Schwarzkopf für die Initiative Chronische Wunden e. V.

Ähnliche Dokumente
Evidenz in der Wundheilkunde ist

Wundarten und Heilung

ebm info.at ärzteinformationszentrum Goldimplantate (Berlockimplantate) zur Behandlung von Gelenksschmerzen

Evidenzbasierte Chirurgie. Evidenzbasierte Chirurgie - Wirksame Strategien zur Umsetzung in die Praxis

Wirksamkeit hydroaktiver Wundauflagen - Metaanalyse

KOMPRESSIONSSTRÜMPFE. Auf einen Blick. Bewegung erleben:

Neue Zielwerte in der Therapie der Hypertonie

EVIDENZ DER KOMPRESSIONS- THERAPIE IN DER NICHT-INVASIVEN THERAPIE DES ULCUS CRURIS

Schlaganfall: im Zweifelsfall für die Lyse-Therapie entscheiden

Richtlinien zum Einsatz von azellulären biologisch aktiven Materialien bei schwer heilenden Wunden

Wie heilt eine Wunde? 05 / Erste Hilfe

Prontosan Wundspray Prontosan acute Wundgel schnelle Hilfe bei akuten Wunden

Workshop Débridement

M. Gutknecht1, S. Walzer2,3, K. Heyer1, D. Dröschel2,4, R. Shannon5, F. Lindsay6, M. Augustin März 2015, Universität Bielefeld

Dekubitus Wundgelegen - Wundauflage?

Es gibt zwei verschiedene Heilungsmechanismen des Körpers: Reparatur und Regeneration.

Hämoglobin-Spray zur Wundheilung überzeugt die Fachwelt in Theorie und Praxis

Gute Überlebensqualität Trastuzumab beim metastasierten Magenkarzinom

Kombiniert die einfache Handhabung moderner Wundauflagen mit den bewährten Vorteilen 1 der Unterdruck-Wundtherapie.

SNAP THERAPIESYSTEM BEHANDLUNG CHRONISCHER WUNDEN MIT MECHANISCH BETRIEBENER UNTERDRUCK-WUNDTHERAPIE SMART NEGATIVE PRESSURE THERAPY

ÖÄK Zertifikat Ärztliche Wundbehandlung

Diabetisches Fußsyndrom UrgoStart und UrgoStart Tül beschleunigen die Wundheilung und verbessern die Lebensqualität

Faktenbox Kniegelenkspiegelung

ebm info.at ärzteinformationszentrum Nicht-resorbierbare orale Antibiotika-Prophylaxe bei elektiver Sigmaresektion

Brauchen wir eine Evidenz-basierte Telemedizin?

Chronische Wunden und Bakterien

Projekte: Erkrankungen der Haut und des Unterhautzellgewebes

EVIDENZ KOMPAKT. Screening auf das Vorliegen einer Carotisstenose bei asymptomatischen Erwachsenen

Das offene Bein.

Expertenstandard Wundversorgung

Lokalbehandlung von Ulcera

Polypharmazie. Gibt es Medikamente, die die Wundheilung fördern? Polypharmazie - Gibt es Medikamente, die die Wundheilung fördern?

Schlafapnoe. Dr. W. Strobel

Das offene Bein. Wundbehandlung. Seite 1. Hinsehen, Interpretieren, Denken. Ulcus cruris. Feuchte Wundbehandlung. 1963: Occlusion

Abschlussbericht D06-01H Version 1.0 PET und PET/CT bei Ösophaguskarzinom

Ulrike Wagner, Wundpflegeexpertin Geschäftsführerin W-KONZEPT - Wundzentrum Wetzlar

Verschiedene Wunden Lehrerinformation

ACP-Therapie. Bei leichter bis mittelschwerer Arthrose und bestimmten Sportverletzungen

100 neue Fragen. Susanne Danzer Anke Bültemann. zur Wundbehandlung. Aktuelles Wissen kennen Moderne Wundbehandlung Qualitativ hochwertig pflegen

Natürlich gut zur Haut. Hautpflege in der modernen Wundversorgung

NPWT Möglichkeiten und Grenzen in der stationären und ambulanten Versorgung ALBKLINIK MÜNSINGEN

3. DGP- Hochschultag Innovationspotential der Pflege Voraussetzungen, Konzepte, Erfahrungen, Ergebnisse

Medizinischer Kastanienhonig... schmeckt auch Wunden gut.

WITH SAFETAC TECHNOLOGY

Anhang zur Anlage 8 Arznei- und Verbandmittel Produktübersicht zur wirtschaftlichen Verbandmittelauswahl

Der klinisch nachgewiesene Nutzen des integrierten V.A.C. Therapy-Systems. Das integrierte V.A.C. Therapy System:

Wie ist die Datenlage zur Früherkennung des Prostatakarzinoms

Gesundheitsökonomische Aspekte der Wundbehandlung aus ärztlicher Sicht

EVIDENZ KOMPAKT. PSA-Test zur Früherkennung von Prostata-Krebs

PEG in der Geriatrie. Dr. S. K. Gölder III. Medizinische Klinik Klinikum Augsburg

Klassifikation Dekubitus nach EPUAP (European Pressure Ulcer Advisory Panel)

Kunsttherapie für Krebspatienten und deren Angehörigen

Antibakterielles Nahtmaterial kann Komplikationen kaum verringern

obsolete Verbandstoffe

STUDIEN PRO UND CONTRA

Wunden und ihre Heilung Teil 1

TZM-Essentials. Fortgeschrittenes Rektumkarzinom und Rezidiv M. E. Kreis

Neue Hochdosis-Kombination von Blopress

Für jede Situation die passende Lösung. Infizierte Wunden schmerzarm versorgen.

Wundarten und heilung Einteilung von Wunden Störfaktoren der Wundheilung

decutastar Wundversorgung in allen Wundphasen

ebm info.at ärzteinformationszentrum

Wundversorgung was ist verordnungs- und erstattungsfähig

Ulcus Cruris Venosum, Arteriosum, Mixtum Was zuerst behandeln? Gefäßzentrum Karlsruhe Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie M.

Biochirurgie (Wundmaden)

Univ.-Klinik für Dermatologie und Venerologie, Medizinische Universität, Graz

ebm info.at ärzteinformationszentrum Tranexamsäure bei Totalendoprothesen OP

Aufbau einer Wundsprechstunde für Praxis und Forschung

Vliwasorb Der effiziente Exsudatmanager für stark nässende Wunden

Der Typ 2 Diabetiker mit arterieller Hypertonie. 1. zu spät gehandelt. 2. zu spät behandelt. 3. zu ineffektiv therapiert.

Indikationen zur VAC Therapie bei gefäßchirurgischen Krankheitsbildern

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

Prof. Dr. Dr. Martin HärterH

Isolated patellofemoral osteoarthritis A systematic review of treatment options using the GRADE approach

Hormone replacement therapy and risk of venous thromboembolism in postmenopausal women: systematic review and meta-analysis

Palliative Chemotherapie First line 04.Februar 2006

Vliwaktiv Ag Effektiv gegen Bakterien und Gerüche!

Ernährung bei akuter Pankreatitis: Was gibt es Neues?

Silberhaltige Salbenkompresse fördert die Wundheilung und pfl egt die Wundumgebung Atrauman Ag unter Praxisbedingungen getestet

Adipositas, Diabetes und Schlaganfall Prof. Dr. Joachim Spranger

Frankfurter Spezialklinik für Beinleiden

DAS OFFENE BEIN ODER ULCUS CRURIS VENOSUM PATIENTENBROSCHÜRE WUNDZENTRUM RAVENSBURG

Schließt Exsudat ganz sicher ein. 3M Tegaderm Superabsorber. 3M Medica. Haut schützen Wundheilung unterstützen

NPWT. (negative pressure wound therapy) Roland de Roche PD Dr.med. Leiter Fachbereich Plastische Chirurgie

Rheologische Infusionstherapie beim Hörsturz

WUNDVERBAND HVB-EBM. Wundverband

Unkonventionelle Verfahren zur Behandlung chronischer Wunden. Gabriele Schlömer und Gabriele Meyer

Antiplaque, professionell.

ÜBERZEUGEND EINFACH IN DER ANWENDUNG

Ulmer Entdeckung der eisenfressenden Makrophagen als Ursache von "offenen Beinen" erstaunt Fachwelt

Objektive Forschung der Pharmaindustrie ist nicht möglich

Professionelle Wunddokumentation. Ein Theorie-Praxis-Dialog

Transkript:

Evidenzbasierte Wundversorgung: Wir irren uns empor. K. Kröger, V. Gerber, A. Schwarzkopf für die Initiative Chronische Wunden e. V. Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. Knut Kröger Direktor an der Klinik für Gefäßmedizin HELIOS Klinikum Krefeld GmbH Lutherplatz 40-47805 Krefeld Tel.: +49 2151 32-1669 Fax: +49 2151 32-1906 Email: knut.kroeger@helios-kliniken.de 1

Chronische Wunden und Wundheilung. Wundheilung ist ein biologisches Phänomen, dass für uns selbstverständlich ist und über das wir normalerweise nicht nachdenken. Große Verletzungen wie die Amputation eines Beines oder die Eröffnung des Bauchraums während einer Operation verheilen innerhalb weniger Wochen ohne unser aktives Zutun. Umso erstaunlicher ist es, das es chronische Wunden gibt, die nicht heilen. Die Frage, die dann im Vordergrund steht ist, warum heilt die Wunde nicht. Die bekanntesten Ursachen sind eine Infektion, eine Blutzuckererkrankung, eine arterielle Durchblutungsstörung, eine chronisch venöse Insuffizienz oder eine immunsupressive Therapie z.b. mit Cortison. Wundheilung ist ein dynamischer Prozess Eine frische Operationswunde bei der die Wundränder sauber aneinander haften und die Haut intakt ist braucht eine saubere Wundauflage, die die Wunde vor Einwirkungen von außen schützt. Bei einer chronischen Wunde liegt das Gewebe offen und es tritt Wundflüssigkeit (Exsudat) aus der Wunde. Würde man diese Wunde mit einem trockenen Verband abdecken, können die freiliegenden Zellen nicht wachsen, sondern vertrocknen. Eine chronische Wunde braucht also Flüssigkeit, damit die Zellen überleben und wachsen können. Die Kunst der Wundbehandlung ist neben der Ausschaltung der wundheilungshemmenden Uraschen die Regulierung der Flüssigkeit. Es darf nicht zu viel und nicht zu wenig sein. Ein zu wenig an Flüssigkeit lässt die Zellen vertrocknen und ein zu viel an Flüssigkeit weicht das Gewebe auf. Das Flüssigkeitsmanagement muss den verschiedenen Phasen der Wundheilung angepasst sein. Dabei unterscheidet man drei Phasen der Wundheilung, die theoretisch nacheinander, praktisch aber häufig neben einander ablaufen. Reinigungsphase: Abgestorbenes Gewebe wird abgestoßen, Exsudat spült dies aus der Wunde und die Grenze zwischen totem Gewebe und noch frischem regenerationsfähigem Gewebe bildet sich heraus. Granulationsphase: Die Regeneration des Gewebes beginnt und der Defekt wird mit frischem Gewebe aufgefüllt. 2

Epithelisierung: Die Wunde ist vollständig aufgefüllt und die Bedeckung des frischen Granulationsgewebes mit Epithel erfolgt vom Wundrand aus. Die Wundheilung ist ein natürlicher Prozess, der in dem Moment beginnt in dem die Verletzung entsteht. Mit der Verletzung werden aus dem verletzten Gewebe Mediatoren freigesetzt, die die Wundheilung initiieren. Sie locken die Blutzellen an, die für die Beseitigung der untergegangenen Zellen notwendig sind. Gleichzeitig regen sie das Zellwachstum und die Bildung von Blutgefäßen an, die benötigt werden, um Sauerstoff und Nährstoffe zur verletzten Stelle zu bringen. Werden diese automatisch ablaufenden Prozesse unterbrochen stoppt die Wundheilung. Da wir bis heute die einzelnen chemischen Abläufe, die zur Wundheilung notwendig sind, nicht synthetisch nachstellen können, können wir auch eine Wunde, die einmal aufgehört hat zuheilen, künstlich nicht wieder anregen den Heilungsprozess wieder aufzunehmen. Früher hat man sich dadurch geholfen, dass man z.b. mit einem Skalpell die Wundränder angeschnitten hat oder mit einem scharfen Löffel (einem chirurgischem Instrument) den Wundgrund aufgerissen hat. Durch diese Schädigung wurden dann erneut in der Wunde die Mediatoren freigesetzt, die die Wundheilung in Gang setzten. Diesen Weg wählt man heute nur noch in Einzelfällen. Im Vordergrund der modernen Wundtherapie stehen die Ausschaltung der wundheilungshemmenden Ursache und die sorgfältige Stimulation der meist noch vorhandenen Restaktivität der Wundheilung. Wundauflagen Allem Bemühen zum Trotz, die beste Wundauflage allein führt nicht zum Erfolg, wenn nicht gleichzeitig die Ursachen der Wundheilungshemmung ausgeschaltet werden. Außerdem ist es wichtig eine für den jeweiligen Zustand der Wunde geeignete Wundauflage zu wählen und diese abhängig vom Behandlungserfolg der Wunde anpassen. Es gibt keine Wundauflage, die in allen Phasen der Wundheilung gleich wirksam ist. Zugelassen werden Wundauflagen nach der Medizinprodukte-Verordnung. Diese legt den Anwendungsbereich fest, fordert eine biologische Sicherheitsprüfung und überprüft die Einhaltung der Allgemeinen Vorschriften zur Durchführung der Konformitätsbewertung. Damit garantiert die Medizinprodukte-Verordnung, dass das Produkt keinen biologischen Schaden anrichtet und in definierter Qualität auf den 3

Markt kommt. Ein Wirksamkeitsnachweis wird nicht gefordert. Dies ist auch der große Unterschied zu pharmakologischen Zulassungen, die große Studien mit einem Wirknachweis als Zulassungsvoraussetzung fordern. Mittlerweile hat die Wundheilkunde sich zu einem interessanten Markt entwickelt mit dem man Geld verdienen kann. Viele neue innovative Produkte mit höheren Preisen kommen auf den Markt und versuchen Anteile zu gewinnen und andere zu verdrängen. Hierbei werden Produkteigenschaften beworben, die von den Herstellern auf der Basis der Produktentwicklung als vorteilhaft herausgestellt werden. Der klinische Anwender muss daher heute bei der Vielzahl der Wundauflagen nicht nur den Zustand der Wunde berücksichtigen sondern auch die verschieden Produktvorteile abwägen und die anfallenden Kosten begründen. Dieser Bewertungsdruck führt nun zu der Idee, man könnte dem Markt der Wundauflagen mit den Kriterien moderner Evidenz begegnen. Dies kann nicht funktionieren, da die Grundlagen dazu fehlen. Nahezu alle bisherigen Versuche z.b. durch Cochrane- Reviews oder andere Meta-Analysen für eine Form der Wundbehandlung eine Evidenz zu belegen, scheitern daran, dass es keine oder fast keine auswertbaren Studien gibt. In Tab. 1 sind einige entsprechende Bewertungen wiedergegeben. Dort wo es eine gewissen Anzahl von Studien gibt, wie bei der Kompression oder den Hydrokolloiden sind gewisse Aussagen möglich. Bei den anderen Fragen nicht. Diese fehlende Evidenz wird je nach Bedarf von verschiedenen Akteuren im Gesundheitssystem unterschiedlich interpretiert. Anstatt wertfrei festzustellen, dass es keine Datenbasis für eine Evidenz gibt, wie es die Autoren der Reviews tun, wird von anderen die fehlende Datenlage dahingehen interpretiert, dass der Therapieansatz mit der entsprechenden Wundauflage nicht funktioniert und diese Wundauflagen folgerichtig nicht notwendig sind. Randomisierte kontrollierte Studien Grundlage einer jeden Evidenz sind randomisierte kontrollierte Studien (RKT). Obwohl der Ruf nach solchen Studie laut ist, muss man sich die Frage der Machbarkeit stellen. Hier sind sowohl Aspekte der Verblindung, der Standardisierung und auch der Endpunkte anzusprechen. 4

- Eine Verblindung ist bei pharmakologischen Studien durch die Einnahme von gleichartigen Placebos recht einfach möglich. Eine Verblindung bezogen auf Wundauflagen setzt voraus, dass diese rein optisch nicht zu unterscheiden sind. Dies ist nur in seltenen Fällen wirklich gegeben. - Auch wenn allgemein von Wundheilung gesprochen wird, gibt es Wunden unterschiedlicher Genese. So können venöse Ulzerationen nicht mit arteriellen Wunden oder Druckgeschwüren verglichen werden. Die Art der Wunde und das Ausmaß der Grunderkrankung haben einen großen Einfluss auf die Heilungschance und müssen deshalb in RKT gleich verteilt sein. - Die Wundheilung ist ein dynamischer Prozess, der verschiede Phasen durchläuft. Hier ist genau festzulegen, in welchem Wundstadium eine Wunde eingeschlossen werden darf. - Das Alter eine Wunde hat eine entscheiden Bedeutung für den Heilungsverlauf. Je länger eine Wunde besteht, desto langsamer heilt sie. - Die Komorbidität ist eine Einflussgröße bzgl. der Wundheilung (Tab. 2). Auch wenn das Ulcus cruris venosum primär venöser Genese ist, heilt es bei Patienten mit einem Diabetes Mellitus oder einem rheumatischen Grundleiden schlechter und umgekehrt eine primär arterielle Wunde wird auch durch eine begleitende chronisch venöse Insuffizienz beeinflusst. - Als optimaler Endpunkt einer Studie zum Nutzen einer Wundauflage wird die Wundheilung angesehen. Ähnlich den pharmakologischen Studie in denen Endpunkte wie Mortalität oder Herzinfarkt als Endpunkte definiert werden, wäre die Wundheilung ein harter Endpunkt. Wundheilung braucht Zeit und nicht alle Wunden sind schließlich zur Abheilung zu bringen (Abb. 1). - Die Wundbehandlung ist nicht wie in pharmakologischen Studie durch einfache Einnahme der Studienmedikation durch den Patienten möglich. Die Betreuung durch einen Wundexperten mit einer standardisierten Versorgung ist erforderlich und macht eine enge regionale Anbindung notwendig. - Der effektive Mehrwert einer Wundauflage bezogen auf die anfallenden Kosten und den Nutzen muss definiert werden. Wann ist eine Wundauflage einer anderen überlegen? Wenn sie 10% der Wunden mehr zu Abheilung bringt, die Behandlung aber länger dauert? Wenn sie die gleiche Anzahl der Wunden zur Abheilung bringt, aber in einer kürzeren Zeit? Wenn sie die doppelte Anzahl der Wunden zur Abheilung bringt, aber das Vierfache kostet? 5

Alle aufgeführten Aspekte machen die Durchführung randomisierter Studien zu Wundauflagen nicht unmöglich, erfordern jedoch ein Umdenken, um die Voraussetzungen zu schaffen. Ähnlich wie in der Pharmakologie müssen große Fallzahlen rekrutiert werden, um über die Fallzahlen die Randomisierung der Komorbiditäten, Komedikation, sozialem Status und Wundeigenschaften sicher zu stellen. Fazit Die Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden stellt eine komplexe Aufgabe dar, die nicht mit einzelnen, einfachen medizinischen oder pflegerischen Maßnahmen zu lösen ist. Die Gründe für das Fortbestehen der Wunde sind selten monokausal. Meist liegen langwierige Krankheitsverläufe mit entsprechender Therapiefrustration sowohl auf Seiten der Behandler als auch auf Seiten der Patienten vor. Hier stehen neben der reinen Wundversorgung Beratung und Anleitung der Betroffenen, logistische Aufgaben, Fragen der Verantwortungsübernahme und der Kostenklärung im Vordergrund. Eine anerkannte Evidenzlage hinsichtlich des Nutzens einzelner Wundauflagen wäre für alle Beteiligten wünschenswert, ist aber im Moment nicht vorhanden. Da die Grundlagen fehlen, ändern daran auch gut gemeinte Ansätze zur Schaffung einer Leitlinie auf S3-Niveau nichts. In einer solchen Leitlinie dürfen nur studienbasierte Ergebnisse berücksichtigt werden. Erneut besteht hier die Gefahr, dass als Resümee der Leitlinie suggeriert wird, dass eine geeignete Wundauflage keinen messbaren Nutzen bringt. Das bessere Resümee wäre, eine evidenzbasierte Bewertung einzelner Wundauflagen ist aktuell nicht möglich. Wichtiger als der Disput um eine Pseudoevidenz ist die Ausbildung und Erfahrung der Wundexperten. Sie dürfen sich von postulierten Produkteigenschaften nicht blenden und vom Evidenzglauben nicht entmutigen lassen, sondern müssen in der Lage sein, den Nutzen einer Wundauflage für die einzelne Wunde zu erkennen. Es wäre falsch ihnen die Werkzeuge, die sie benötigen, um die Patienten adäquat zu versorgen, nicht zur Verfügung zu stellen. So schreiben auch die Autoren der 2006 publizierten Cochrane-Analyse zu Wundauflagen bei venösen Ulzerationen (Palfreyman et al. 2006) in ihrer Schlussfolgerung: Die Entscheidungen über die Wundauflagen sollte vor dem Hintergrund der lokalen Kostenstruktur und den 6

Präferenzen der Praktiker vor Ort bzw. des Patienten erfolgen. Alles andere wäre im Moment ein Irrglaube. So bleibt die Erkenntnis, dass in der Wundbehandlung patientenindividuell und manchmal empirisch vorgegangen werden muss. 7

Literatur 1. Aziz Z, Cullum NA, Flemming K.Electromagnetic therapy for treating venous leg ulcers. Cochrane Database Syst Rev. 2011;3:CD002933. 2. Barwell JR, Davies CE, Deacon J, Harvey K, Minor J, Sassano A, Taylor M, Usher J, Wakely C, Earnshaw JJ, Heather BP, Mitchell DC, Whyman MR, Poskitt KR. Comparison of surgery and compression with compression alone in chronic venous ulceration (ESCHAR study): randomised controlled trial. Lancet. 2004 ;363(9424):1854-9. 3. Briggs M, Nelson EA. Topical agents or dressings for pain in venous leg ulcers. Cochrane Database Syst Rev. 2010;(4):CD001177. 4. Fassiadis N, Kapetanakis E, Law N. Etiology of leg ulcers, healing and recurrence rates in octo- and nonagenarians. Int Angiol. 2002;21:193-5 5. Heyneman A, Beele H, Vanderwee K, Defloor T. A systematic review of the use of hydrocolloids in the treatment of pressure ulcers. J Clin Nurs. 2008;17:1164-73. 6. Jull AB, Rodgers A, Walker N. Honey as a topical treatment for wounds. Cochrane Database Syst Rev. 2008;(4):CD005083. 7. Nelson EA, Mani R, Thomas K, Vowden K. Intermittent pneumatic compression for treating venous leg ulcers. Cochrane Database Syst Rev. 2011;2:CD001899. 8. O'Meara S, Cullum NA, Nelson EA. Compression for venous leg ulcers. Cochrane Database Syst Rev. 2009;(1):CD000265. 9. O'Meara S, Tierney J, Cullum N, Bland JM, Franks PJ, Mole T, Scriven M. Four layer bandage compared with short stretch bandage for venous leg ulcers: systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials with data from individual patients. BMJ. 2009;338:b1344. 10. Palfreyman SJ, Nelson EA, Lochiel R, Michaels JA. Dressings for healing venous leg ulcers. Cochrane Database Syst Rev. 2006;3:CD001103. 11. Smith F, Dryburgh N, Donaldson J, Mitchell M. Debridement for surgical wounds. Cochrane Database Syst Rev. 2011;5:CD006214. 12. Storm-Versloot MN, Vos CG, Ubbink DT, Vermeulen H. Topical silver for preventing wound infection. Cochrane Database Syst Rev. 2010;(3):CD006478. 8

Autor Thema Grundlage Vergleich Schlussfolgerung Aziz Z et al. 3 Studien / EMT vs. Schein-EMT 2011 94 Patienten Nelson et al. 2011 Smith et al. 2011 Storm-Versloot MN et al. 2010 Briggs M et al. 2010 O Meara et al. 2009 O Meara et al. 2009 Electromagnetische Therapie (EMT) bei venösen Ulcera Intermittierende pneumatische Kompression (IPK) bei venösen Ulcera Medikamentöses Debridement chirurgischer Wunden Silberhaltige Wundauflagen Schmerzreduzierende Wundauflagen 4 Lagenverband bei venösen Ulcera Kompression bei venösen Ulzera 7 Studien / 367 Patienten 5 Studien / 159 Patienten 26 Studien / 2066 Patienten. Jull et al. 2008 Honig 19 trials (n=2554) 4 Studien IPK + Kompression versus Kompression allein Sstreptokinase/Streptodornase Dextranomer Kügelchen Silber vs. nicht-siberhaltige Wundauflagen Es gibt keine qualitativ hochwertige Evidenz, dass elektromagnetische Therapie die Rate der Heilung des Ulcus cruris erhöht, und weitere Forschung ist notwendig IPC kann die Heilung im Vergleich zu keiner Kompression erhöhen, aber es ist nicht klar, ob die Heilung steigt, wenn die Behandlung mit Bandagen aufgenommen, oder wenn sie anstelle von Kompressionsverbänden eingesetzt werden Es mangelt an großen, hochwertigen veröffentlichte RCTs zur Bewertung des Debridement per se. Es gibt keine ausreichenden Beweise, um festzustellen, ob silberhaltige Wundauflagen oder topische Mitteln die Wundheilung fördern oder verhindern Wundinfektion. 2 / 159 Ibuprofen, EMLA Es gibt keine Beweise, dass Ibuprofen - Wundauflagen am ersten Abend der Anwendung zur Schmerzlinderung führen. 5 / 797 4 Lagenverband vs. Kurzzugbinden 39 Studien Kompression vs keine Kompression Honig vs kein Honig Venösen Ulzera bei Patienten mit vier Lagenverband behandelt heilen im Durchschnitt schneller als mit dem Kurzzugbinde. Kompression erhöht im Vergleich zu keiner Kompression die Ulkusheilung. Mehrkomponenten- Systeme sind effektiver als Einkomponenten- Systeme. Honig scheint die Heilung bei leichten bis oberflächlich und Verbrennungen zweiten Grades im Vergleich zu manchen herkömmlichen 9

Heynemann et al. 2008 Palfreyman et al. 2006 Hydokolloide bei Druckgeschwüren Wundauflagen bei venösen Ulzera Wundauflagen zu verbessern. Honig zusätzlich zur verbessert die Ulkusheilung nicht. Es gibt keine ausreichenden Beweise für die klinische Bedeutung in anderen Bereichen führen. 29 Studien Hydrokolloide vs. andere Dieses Review zeigt, dass Hydrokolloide der Gaze in der Behandlung von Druckgeschwüren vorzuziehen sind. Weitere Forschung ist notwendig, 42 42 RKT: 23 x Hydrokolloide, 6 x Schäume, 4 x Alginate, 6 Hydrogele um diese Ergebnisse zu bestätigen Die Art der Wundauflagen unter Kompression scheint die Ulkusheilung nicht zu beeinflussen. Für die Mehrheit der Wundauflagen mit Ausnahme der Hydokolloide gab es keine ausreichenden Daten, damit wir klare Schlussfolgerungen. Das Ergebnis der Meta-Analyse zeigt keinen signifikanten Unterschied in Heilungsraten zwischen Hydrokolloidverbänden und einfache, schwach haftenden Wundauflagen zusätzlich zur Kompression verwendet. Tab. 1: Ergebnis einiger aktueller Reviews, die sich mit dem Versuch der Evidenzschaffung in der Wundbehandlung auseinander gesetzt haben. 10

- Z.n.Thrombose - Rheumatoide Arthritis - Diabetes mellitus - Herzinsuffizienz - Osteoarthritis des Sprunggelenks - pavk - Lymphödem - Infektion Tab. 2. Ätiologie von Ulcera bei 80- und 90jährigen Patienten. Von 101 Patienten mit 119 Ulzera (71 Frauen, 30 Männer) waren nut 64 Ulcera rein venöser Ursache (Fassiadis et al., 2002) 11

Abb. 1: Kaplan-Meier Analyse der Heilungsrate bei venösen Ulzerationen unter Kompression im Vergleich zu Kompression plus Varizenoperation in einer randomisierten prospektiven Studie. Auch nach 12 Monaten sind etwa 25% der Ulzera nicht abgeheilt (Barwell et al., 2004) 12