Strecken mit Potenzial:

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Transkript:

Langfassung des Manuskriptes Strecken mit Potenzial: Hessen untersucht stillgelegte Bahnstrecken auf Möglichkeiten zur Reaktivierung im Personenverkehr Dr.-Ing. Dietmar Bosserhoff Weizengewann 8 65462 Gustavsburg E-Mail: Ver_Bau(at)Dietmar-Bosserhoff.de Kurzfassung erschienen in: Zeitschrift DER NAHVERKEHR Jahrgang 35, Heft 6/2017 DVV Media Group / Alba-Fachmedien ÖPNV, Düsseldorf E-Mail: info(at)dvvmedia.com Zeitschrift DER NAHVERKEHR : Offizielles Organ des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen 50672 Köln

1 Dr.-Ing. Dietmar Bosserhoff Gustavsburg Strecken mit Potenzial: Hessen untersucht stillgelegte Bahnstrecken auf Möglichkeiten zur Reaktivierung im Personenverkehr Inhalt 1 Ausgangslage 2 2 Vorgehen 3 2.1 Vorauswahl von Strecken 3 2.2 Eignung für SPNV oder Freizeitverkehr 4 2.3 Prüfungswürdige Strecken 4 3 Bewertung der zur Prüfung ausgewählten Strecken 5 4 Ergebnis der Bewertung 6 5 Sachstand bei Umsetzung des Konzeptes 8 5.1 Einbindung der Zuständigen 8 5.2 Anpassung des Bewertungsverfahrens 9 5.3 Weiteres Vorgehen 9 6 Aktueller Stand bei im Konzept enthaltenen Strecken 9 Literaturverzeichnis 11 Kurzfassung Der Artikel beschreibt eine Untersuchung, bei der für alle stillgelegten Strecken in Hessen geprüft wurde, ob sie Potenzial für eine Reaktivierung für Personenverkehr aufweisen. 21 Strecken kamen für eine Reaktivierung in Frage. Die Beurteilung dieser Strecken erfolgte unter den Gesichtspunkten Verkehrspotenzial, Konkurrenzsituation zum Bus- oder Individualverkehr, Zustand der Strecke, Kosten für die Reaktivierung, Regionale Unterstützung, Ziele der Raumordnung und Landesplanung. 15 Strecken wurden der Kategorie Mögliche Eignung für SPNV und 3 Strecken der Kategorie Mögliche Eignung für Freizeitverkehr zugeordnet. Bei 3 Strecken wurde eine Vorprüfung auf Bedeutung für den SPNV empfohlen (Kategorie "Erhebliche Hindernisse für eine Reaktivierung). Das Land hat die Untersuchung an die in Hessen tätigen Verkehrsverbünde und die ÖPNV-Aufgabenträger versandt. Ziel war es, Ergänzungen und Aktualisierungen aus Sicht dieser Akteure einfließen zu lassen, Handlungsbedarf zu erkennen und das weitere Vorgehen festzulegen. Hierbei wurde angeregt, das Bewertungsverfahren für die Reaktivierung von Strecken, die nicht vom Bund gefördert werden, anzupassen. Abschließend beschreibt der Artikel den aktuellen Stand bei in der Untersuchung enthaltenen Strecken.

2 1 Ausgangslage In Hessen wurden seit Ende 1946 ca. 1.600 km Bahnstrecken stillgelegt. Eine Reaktivierung für den SPNV erfolgte bisher nur für 7 Strecken mit einer Länge von 73,5 km. Diese Strecken weisen zufriedenstellende Fahrgastzahlen auf. Als letztes wurde 2015 in Nordhessen die mit ca. 31 km längste Strecke Korbach Frankenberg mit Gesamtkosten von 22,9 Mio. reaktiviert (Abbildung 1). Gemäß Zählungen ein Jahr nach Inbetriebnahme ist die Zahl der Nutzer montags bis freitags mit im Mittel 440 Fahrgästen deutlich höher als der Prognosewert von 250 und beträgt an den Wochenenden 600-700 Fahrgäste. Gegenüber der früheren Buslinie hat sich die Nutzerzahl verdoppelt [1]. In Südhessen wurde zuletzt die nur 1,7 km lange Strecke Darmstadt-Eberstadt Pfungstadt 2011 reaktiviert (Abbildung 2). Abb. 1: Haltestelle Vöhl-Thalitter an der zuletzt in Nordhessen reaktivierten Strecke Korbach Frankenberg (Foto: Heinz Göttlich) Im Koalitionsvertrag Hessen 2014-2019 wurde vereinbart, dass Initiativen zur Reaktivierung von Bahnstrecken bei vorliegendem Bedarf unter Nutzen-Kosten-Aspekten unterstützt werden sollen [2]. Darauf hat Hessen Mobil Straßen- und Verkehrsmanagement (Hessen Mobil) im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (HMWEVL) im Herbst 2014 alle für den Personenverkehr stillgelegten Schienenstrecken in Hessen untersucht und Strecken identifiziert, die Potenzial auf Reaktivierung aufweisen [3]. Hessen Mobil ist u.a. zuständig für die Förderung von Maßnahmen im ÖPNV und Schienengüterverkehr in Hessen und war auch tätig bei bundesweiten Untersuchungen zur Reaktivierung von regionalen Bahnstrecken [4, 5]. Abb. 2: Haltestelle Pfungstadt an der zuletzt in Südhessen reaktivierten Strecke Darmstadt-Eberstadt Pfungstadt (Foto: Dietmar Bosserhoff) Ziel der Untersuchung [3] sollte es u.a. sein, die Thematik Reaktivierung von Eisenbahnstrecken für SPNV sachgerecht behandeln und ggf. als Grundlage für ein Reaktivierungskonzept dienen zu können.

3 Weiter kann sie eine Entscheidungshilfe für die Stellungnahme des Landes und Dritter zu anstehenden Freistellungsverfahren sein. 2 Vorgehen 2.1 Vorauswahl von Strecken Insgesamt wurden rund 80-90 Strecken ermittelt, auf denen der Eisenbahnverkehr eingestellt wurde. In einer Karte wurden alle in Hessen und im angrenzenden Bereich der Nachbarländer bestehenden und jemals vorhandenen Bahnstrecken dargestellt. Unterschieden wird nach Strecken mit und ohne Verkehr, regelmäßiger SPNV, nur Güterverkehr, Freizeit-/Museumsbahnverkehr, Draisinenverkehr, stillgelegt (planerische Trassensicherung, d.h. Trassensicherung im Regionalplan) und stillgelegt (abgebaut, Radweg, überbaut, ). Eine weitere Karte zeigt, welche ehemaligen Schienentrassen für Radwege verwendet werden. Ein Radweg stellt eine faktische Trassensicherung dar, weil die Trasse komplett erhalten bleibt und ggf. für eine Reaktivierung genutzt werden könnte (Abbildung 3). Zu einer derartigen Reaktivierung kam es in Deutschland bisher nur im Ausnahmefall: ein Beispiel ist eine Teilstrecke der Härtsfeldbahn bei Neresheim, bei der für die Reaktivierung des touristischen Zugverkehrs der Radweg parallel zur Bahn neu angelegt wurde [6]. Abb. 3: Radweg auf der ehemaligen Bahnstrecke Bad Berleburg Hatzfeld (Foto: Dietmar Bosserhoff) Bei der Einschätzung zur Bedeutung der untersuchten Strecken für eine etwaige Reaktivierung wurden Strecken nicht weiter betrachtet, wenn diese nach derzeitigen Rahmenbedingungen für eine Reaktivierung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in Frage kommen. Wesentliche Kriterien dabei waren der Zeitpunkt der Stilllegung, die frühere Funktion der Strecke, eine Überbauung oder sonstige hinderliche Nutzung, geringes Fahrgastpotenzial und unverhältnismäßig hohe Kosten für eine Reaktivierung. Zu dieser Gruppe gehören etwa 65 stillgelegte Strecken oder stillgelegte größere Streckenabschnitte, davon erfolgt bei 11 Strecken eine planerische Trassensicherung. Es bleiben nur 21 Strecken, die für eine Reaktivierung in Betracht kommen. Die Auswahl dieser Strecken für eine vertiefende Bewertung wurde getroffen anhand von Aussagen in Regionalplänen, Nahverkehrsplänen, Gutachten, Gremienbeschlüssen, Initiativen vor Ort, Potenzial im Personenverkehr, Potenzial für eine nachhaltige Erschließung von Tourismuszielen. Grundvoraussetzung war, dass die Bahntrasse abgesehen ggf. von punktuellen Ausnahmen noch vorhanden ist.

4 2.2 Eignung für SPNV oder Freizeitverkehr Bei der Einschätzung der Überprüfung auf SPNV wurde ein zweistufiger Weg gewählt: Bei einigen Strecken, die schon lange stillgelegt, abgebaut und z.t. ohne Trassensicherung und teilweise überbaut sind, wurde nur eine Vorprüfung auf Bedeutung für den SPNV empfohlen. Da hier besonders hohe Kosten anfallen, ist zu prüfen, ob z.b. eine Reaktivierung überhaupt noch möglich/sinnvoll ist, ob eine Trassensicherung vorzunehmen ist oder künftig entfallen kann (Kategorie "Erhebliche Hindernisse für eine Reaktivierung). Bei den übrigen Strecken, bei denen vorgeschlagen wird, das Reaktivierungspotenzial zu überprüfen, erfolgt eine Unterscheidung nach den Kategorien "mögliche Eignung für SPNV" und "mögliche Eignung für Freizeitverkehr". Hessen Mobil hat nicht nur Strecken mit Potenzial für regulären SPNV, sondern auch Strecken mit Potenzial überwiegend nur für Freizeitverkehr (touristischen Personenverkehr) berücksichtigt. Gründe dafür sind z.b., dass die Reaktivierung für Freizeitverkehr kostengünstiger möglich ist und dass Freizeitverkehr per Bahn für eine nachhaltige Erschließung touristischer Ziele immer größere Bedeutung erlangen wird. Weiter kann eine Reaktivierung für den Freizeitverkehr eine Vorstufe zu einer späteren Nutzung im SPNV sein. In jedem Fall wird so der Erhalt der Strecke gesichert. Der Anteil des Verkehrsaufkommens im Freizeitverkehr nimmt kontinuierlich zu. Bei der reaktivierten Strecke Korbach Frankenberg gaben 37% der Befragten als Hauptgründe für die Nutzung an, sich damit in der Freizeit zu bewegen. Über 18 % der Interviewten gaben an, als Urlauber unterwegs zu sein [1]. Zwischen Strecken mit "Mögliche Eignung für SPNV" und "Mögliche Eignung für Freizeitverkehr" bestehen grundlegende Unterschiede: Bei der Reaktivierung für Freizeitverkehr sind oft geringere Kosten möglich z.b. durch Eigenleistungen von Vereinen oder weil Fahrzeuge eingesetzt werden, die den die Strecke nutzenden Museumsbahnen oder Veranstaltern und nicht den Betreibern vor Ort gehören. Der Nutzen einer Reaktivierung vorwiegend für Freizeitverkehr ist durch das gängige Bewertungsverfahren ("Standardisierte Bewertung") kaum erfassbar. Dadurch ergibt sich in der Regel ein Nutzen-Kosten-Verhältnis kleiner als 1, weshalb die Reaktivierung nicht gefördert werden kann. Daher ist eine Abänderung des Bewertungs-verfahrens oder ein anderes Bewertungsverfahren, eine Finanzierung über andere Fördermöglichkeiten (z.b. EFRE), eine ressortübergreifende Mischfinanzierung (z.b. gemeinsam mit dem für Naturschutz zuständigen Ministerium) oder eine Mitfinanzierung über die von der Reaktivierung profitierenden Einrichtungen (z.b. Nationalpark Kellerwald, Naturpark Lahn-Dill-Bergland, Biosphärenreservat Rhön, Welterbe Herkules) erforderlich. Insbesondere bei Bahnstrecken außerhalb von Hessen nur mit Tourismusverkehr haben Anliegerkommunen und Kreise sowie die Privatwirtschaft (Gastronomie, Beherbergung) den hohen Nutzen erkannt, den sie durch einen Bahnbetrieb haben, und sich daher finanziell dafür engagiert [7]. Touristischer Bahnbetrieb stellt eine Form der Wirtschaftsförderung dar. In Hessen wurde daher der 2013 eröffnete Draisinenbetrieb auf der Strecke Mörlenbach Waldmichelbach im Odenwald vom Land gefördert [8]. Rheinland-Pfalz hat eine Richtlinie erlassen, mit der Ausflugsverkehr gefördert werden kann [9]. 2.3 Prüfungswürdige Strecken Für jede der 21 Strecken, die nach der Vorauswahl näher betrachtet wurden, sind folgende Angaben zusammengestellt: - Streckenführung, Streckenlänge mit/ohne Verkehr - Einwohnerzahl in Hauptorten längs der Stecke und ggf. nahen Oberzentren - Eigentümer der Strecke (z.b. Eisenbahninfrastrukturunternehmen, Kommune) - Status (Datum Stilllegung im SPNV/Güterverkehr, ggf. touristische Nutzung, Freistellung von Bahnbetriebszwecken) - Verlauf der Strecke mit früheren oder bei Reaktivierung zusätzlich sinnvollen Stationen

5 - Einschätzung des Streckenzustands: gut/mittel/schlecht (z.b. Gleise genutzt/vorhanden/ betriebsbereit, Gleise abgebaut, Trassensicherung, Trasse überbaut, Trasse/Bahnkörper nicht mehr vorhanden) - Initiativen vor Ort (z.b. Kommunen, Kreis, Politik, Verbände, Vereine) - Aussagen im Regionalplan, Nahverkehrsplan oder Verkehrsentwicklungsplan - Vorliegende Gutachten oder Konzepte mit Ergebnissen (z.b. Nutzen-Kosten-Verhältnis, Empfehlung zum weiteren Vorgehen) - Erforderliche Maßnahmen bei Streckenreaktivierung für regelmäßigen Personenverkehr - Kostenschätzung mit Preisstand: Werte aus Gutachten/Konzepten oder Einschätzung gering/hoch, wenn keine Angaben verfügbar - Besonderheiten (z.b. Denkmalschutz, Tourismusbedeutung) - Einschätzung von Hessen Mobil zur Überprüfung auf Reaktivierung - Kartenausschnitt mit Strecke, Lage zur Besiedlung und Entfernungsangabe (Abbildung 4). Die Einschätzung der Kostenangaben war wenn keine Gutachten vorliegen nur vorläufig, weil Hessen Mobil nicht über eine ausreichende Streckenkenntnis verfügt. Die Kostenschätzungen aus Konzepten von Vereinen für Museumsbahn- oder Freizeitverkehr sind niedriger als üblich, wenn Eigenleistungen (z.b. Freischnitt) erfolgen. Noch vorhandener Güterverkehr auf einer Strecke wirkt sich ebenfalls kostensenkend auf eine Reaktivierung von Personenverkehr aus. Falls Kostenangaben fehlen, wären grobe Kostenschätzungen möglich über - die Streckenlänge und Kosten aus in Hessen vor kurzem erfolgten Reaktivierungen, - den bundesweiten Kostenkennwertekatalog Ril 808.0201A02 der DB AG oder - den (niedrigeren) Kostensätzen von NE-Bahnen. Dieser Weg wurde hier nicht verfolgt, weil die so erhaltenen Kostenschätzungen den Streckenzustand und die Trassierung (Anteil Brücken, Tunnel) der konkreten Strecke nicht ausreichend berücksichtigen. Angaben zu Betriebskosten bzw. Betriebskostenunterdeckung sind nicht aufgenommen, da sie in der Regel nicht vorliegen und nicht einzuschätzen sind. Abb. 4: Beispiel für einen Kartenausschnitt [11] 3 Bewertung der zur Prüfung ausgewählten Strecken Die Beurteilung der Strecken erfolgte unter den Gesichtspunkten Verkehrspotenzial, Konkurrenzsituation zum Bus- oder Individualverkehr, Zustand der Strecke, Kosten für die Reaktivierung, Regionale Unterstützung, Ziele der Raumordnung und Landesplanung. Konkret wurden die Kriterien gemäß Abbildung 5 zugrunde gelegt: sie lehnen an die Auswahlkriterien in Stufe 2 der Bewertung stillgelegter Strecken in Niedersachsen [10] an, wurden jedoch erweitert (z.b. neue Kriterien Lückenschluss und Zustand der Strecke). Auf dieser Basis erfolgte eine Einschätzung des Reaktivierungspotenzials in Anlehnung an eine Nutzwertanalyse.

6 Abb. 5: Kriterien zur Bewertung der ausgewählten Strecken Darüber hinaus wären weitere Kriterien sinnvoll (z.b. Umfang der Einsparung von Busverkehr bei einer Reaktivierung von SPNV, Umfang des Betriebskostendefizits). Da hierzu kaum Informationen vorlagen, konnten diese nicht berücksichtigt werden. 4 Ergebnis der Bewertung Abbildung 6 enthält die Einschätzung von Hessen Mobil zur Bedeutung der stillgelegten Strecken bzw. Strecken ohne regulären SPNV. Die etwa 65 Strecken, die für eine Überprüfung nicht in Frage kommen, werden der Kategorie "keine Betrachtung" (rote Strecken) zugeordnet. Die zur Überprüfung empfohlenen 21 Strecken sind blau (Kategorie Eignung für SPNV ) oder braun (Kategorie Eignung für Freizeitverkehr ) gekennzeichnet. Weiter sind das aktuelle Streckennetz in Hessen und die bisher reaktivierten Schienenstrecken (grüne Strecken) dargestellt.

7 Abb. 6: Strecken in Hessen mit Eignung für Schienenpersonenverkehr (nach [11])

8 Der Kategorie Mögliche Eignung für SPNV werden 15 Strecken zugeordnet, die hinsichtlich der Eignung in drei Stufen eingeteilt werden. Für belastbare Aussagen sind vertiefte Potenzialanalysen erforderlich: - Zur Stufe 1 ("höheres Potenzial") gehören die Strecken: Darmstadt Ost Großzimmern, Wiesbaden Bad Schwalbach Landesgrenze ( Limburg), Wölfersheim Hungen, Lollar Londorf, Stadtbahn Wiesbaden. - Zur Stufe 2 ("mittleres Potenzial") gehörten die Strecken: Hanau Erlensee, Brandoberndorf Albshausen, Dillenburg Ewersbach, Neu-Isenburg Bahnhof Neu-Isenburg Zentrum, Baunatal Schauenburg. - Zur Stufe 3 ("geringes Potenzial") gehören die Strecken: Griesheim Wolfskehlen, Grävenwiesbach Weilburg, Mörlenbach Waldmichelbach, Großzimmern Dieburg, Wächtersbach Bad Orb. Der Kategorie Mögliche Eignung für Freizeitverkehr werden 3 Strecken zugeordnet: - Zur Stufe 1 ("höheres Potenzial") gehört die Strecke Kassel Herkules; eine Reaktivierung wäre als Straßenbahn sinnvoll. - Zur Stufe 2 ("mittleres Potenzial") gehört die Strecke Jossa Wildflecken. Diese Strecke verläuft nur auf den ersten Kilometern in Hessen und der Hauptteil in Bayern. Eine Reaktivierung ist daher abhängig von der Entscheidungsfindung in Bayern. - Zur Stufe 3 ("geringes Potenzial") gehört die Strecke Wega Hemfurt-Edersee. Zur Kategorie Strecken mit erheblichen Hindernissen für eine Reaktivierung zählen die Strecken Hungen Laubach (größtenteils inzwischen Radweg), Malsfeld Homberg/Efze (erhebliche Kosten) und Herborn Niederwalgern (in Teilabschnitten überbaut). 5 Sachstand bei Umsetzung des Konzeptes 5.1 Einbindung der Zuständigen Das HMWEVL hat die Untersuchung [3] nach einer Kürzung mit Wegfall der Rangfolge gemäß Nutzwertanalyse für die untersuchten 21 Strecken im Sommer 2016 an die drei in Hessen tätigen Verkehrsverbünde und die ÖPNV-Aufgabenträger (Landkreise, Städte) versandt [11]. Sie wurden eingeladen zu einem Auftaktgespräch im September 2016. Ziel war es, einen Dialogprozess in Gang zu setzen, ein Meinungsbild zum Konzept, Handlungsbedarf aus Sicht der Aufgabenträger zu erkennen und das weitere Vorgehen festzulegen. In diesem Gespräch wurde für die Strecken im Konzept [11] empfohlen, durch die örtliche Bauleitplanung die Option auf eine Reaktivierung zu erhalten und die Besiedlung auf diese Strecken auszurichten, damit sie bei einer Reaktivierung wirtschaftlich betrieben werden können. Bei einigen nicht von Bahnbetriebszwecken freigestellten Strecken wurden von der DB AG oder Kommunen ohne Rechtsgrundlage Ausbauten (Bahnübergänge, Brücken) vorgenommen. Das Land informierte, dass laut Eisenbahnbundesamt bei einer Reaktivierung der bisherige Betreiber oder die Kommune die Strecke instand setzen muss. [12]. Zur weiteren Diskussion der Ergebnisse des Konzeptes, Unterstützung der Verkehrsverbünde und ÖPNV-Aufgabenträger in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und zur Begleitung derzeit bereits stattfindender Bemühungen vor Ort für Streckenreaktivierungen wurden zusätzliche Fachgespräche vereinbart. Das Konzept wird aufgrund der Anregungen der Aufgabenträger ergänzt und aktualisiert. Hierbei soll auf Wunsch des NVV in Kassel die Strecke Wilhelmshöhe Bettenhausen neu aufgenommen werden.

9 5.2 Anpassung des Bewertungsverfahrens Im Auftaktgespräch wurde deutlich, dass die Aufgabenträger einen hohen Informations- und Koordinierungsbedarf in Bezug auf Fragen der Nutzen-Kosten-Untersuchungen (NKU) und der Förderung von Reaktivierungen durch das Land haben. Für Vorhaben mit Kosten unter 25 Mio. werden in Hessen die haushaltsrechtlich erforderlichen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen derzeit nach vereinfachten Kriterien in Anlehnung an die "Standardisierte Bewertung" durchgeführt. Hierbei ist für eine Förderung ein Nutzen-Kosten-Verhältnis größer als 1 erforderlich. Dies ist für regionale Bahnstrecken oft nur schwierig zu erreichen, wenn nicht über die rein monetär bewertbaren Kriterien zusätzliche Kriterien einfließen, z.b. Nutzen einer Strecke für den Tourismus oder für Bahntransporte. Die Aufgabenträger regten an, das Bewertungsverfahren für die Reaktivierung von Strecken, die nicht vom Bund gefördert werden, anzupassen und zusätzliche nutzwert-analytische Kriterien zu berücksichtigen wie Beitrag zum Klimaschutz, Verringerung der Lärm- und Feinstaubbelastung sowie Entwicklung des ländlichen Raumes. Hessen hat sich beim Bund für die Berücksichtigung zusätzlicher Kriterien eingesetzt dies wurde jedoch abgelehnt. Hessen beabsichtigt unter Einbindung der Aufgabenträger für zukünftige Anwendungen bei der Landesförderung ein neues Bewertungsschema durch Einbeziehung weiterer Kriterien zu erarbeiten. In einem weiteren Fachgespräch im November 2016 hat das Beratungsunternehmen Intraplan hierfür Möglichkeiten dargestellt. Auch wenn in der Neufassung der Standardisierten Bewertung der nutzwertanalytische Indikator und verbale Ergänzungen nicht mehr als Option vorgesehen sind, können nutzwertanalytische Kriterien für die Bewertung kleiner und mittelgroßer Vorhaben geeignet sein. Darüber hinaus sind weitere Möglichkeiten zu prüfen wie Schwellenwerte für die Zahl der prognostizierten Nutzer. 5.3 Weiteres Vorgehen Das HMWEVL wird Anforderungen an ein geeignetes Bewertungsverfahren formulieren und interministeriell abstimmen. Es wird ein Facharbeitskreis eingerichtet mit auch den lokalen Nahverkehrsorganisationen und ggf. zusätzlich Vertretern der kommunalen Spitzenverbände als Teilnehmern. 6 Aktueller Stand bei im Konzept enthaltenen Strecken Für die Strecke Lollar Londorf liegt eine NKU gemäß dem bisher angewandten standardisierten Verfahren vor. Sie ergab kein ausreichendes Nutzen-Kosten-Verhältnis. Es soll geprüft werden, ob bei Einfließen weiterer Kriterien eine Reaktivierung möglich wird. Für die Strecke Wölfersheim Hungen ist eine NKU im Gang. Die Anliegergemeinden haben 2011 die Strecke erworben, um eine Freistellung abzuwenden und die Option auf Reaktivierung zu wahren. Gemäß Zwischenergebnis der NKU weist eine Reaktivierung ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis auf. Vorteil hier ist, dass durch den Lückenschluss ein hoher Nutzenbeitrag zu erwarten ist. Der RMV wird daher eine Vorplanung zur Reaktivierung in Auftrag geben [13]. Für die Strecke der Aartalbahn in Hessen liegt eine Potenzialuntersuchung für touristischen Verkehr vor. Vorrangiges Ziel des Kreises war eine kostengünstige Sanierung, um 2018 von Wiesbaden Tourismusverkehr zur Landesgartenschau in Bad Schwalbach 2018 zu ermöglichen. Der Kreis hat Mittel für den Erwerb der Strecke auf seinem Gebiet bereitgestellt. Allerdings ist dieser Verkehr durch die nachfolgend beschriebene Stadtbahn-Planung in Wiesbaden gefährdet, weil der Kreis keine verlorenen Investitionen tätigen möchte. Der Kreistag hat im Mai 2017 gegen die Reaktivierung der Aartalbahn gestimmt und will die Pläne, bis zur Landesgartenschau einen touristischen Verkehr auf der Strecke zu ermöglichen, nicht weiter verfolgen. Stattdessen wird nun die Realisierung der City-Bahn bis nach Bad Schwalbach befürwortet [14].

10 Abb. 7: Stillgelegte Strecke der Aartalbahn am Bahnhof Eiserne Hand (Foto: Dietmar Bosserhoff) Unabhängig von einem eventuellen Tourismusverkehr auf der Aartalbahn plant die Stadt Wiesbaden in Abstimmung mit dem Kreis eine meterspurige Stadtbahn mit Einbeziehung der Aartalbahn und Anschluss an das Mainzer Straßenbahnnetz [15]. Das Netz in Mainz wurde Ende 2016 mit einer 9 km langen Strecke stark erweitert (Abbildung 8). Auf der neuen Strecke fahren aktuell werktäglich über 17.000 Fahrgäste. Damit wurde nur wenige Wochen nach Inbetriebnahme die erst für Ende 2018 prognostizierte Fahrgastzahl übertroffen [16]. Abb. 8: Neue Straßenbahnstrecke in Mainz ab 11.12.2016 (Fotos: Dietmar Bosserhoff) Das Vorhaben in Wiesbaden weicht erheblich von der früheren Planung einer normalspurigen Stadtbahn auf kürzerer Strecke nur im Stadtgebiet ab. Die hierfür vorliegende NKU mit einem für die Förderung ausreichenden Nutzen-Kosten-Verhältnis muss daher überarbeitet werden. Anders als bei früheren Stadtbahnprojekten trägt nun eine breite Mehrheit im Stadtrat das Vorhaben mit. Auch das Land unterstützt es: das HMWEVL hat angekündigt, bis zu ca. 465.000 (15 Prozent) der Vorplanungskosten zu übernehmen. Der Bund hat bei positivem Ergebnis der NKU eine Förderung in Aussicht gestellt [17]. Die Ausschreibung für die Vorplanung der Strecke Bad Schwalbach Wiesbaden Mainz wurde Ende 2016 veröffentlicht [18]. Bei einer Stadtbahn bis nach Bad Schwalbach wäre der touristische Eisenbahnbetrieb bis Wiesbaden auf einer dreischienigen Strecke möglich. Die Reaktivierung der Bahnstrecke Darmstadt Groß-Zimmern wurde sowohl als Verlängerung der meterspurigen Darmstädter Straßenbahn ins Umland als auch als normalspurige Eisenbahn mit Einbindung in das Stadtzentrum Darmstadt ( Zwickauer Modell ) geprüft. Bei beiden Varianten ergab die NKU kein positives Ergebnis [19]. Die Straßenbahnlösung weist höhere Kosten, aber auch höheren Nutzen auf. Gemäß [20] besteht der Eindruck, dass das Berechnungsverfahren der Standardisierten Bewertung den eindeutig positiven verkehrlichen, regionalplanerischen und volkswirtschaftlichen

11 Auswirkungen einer neuen Straßenbahnlinie auf dieser Strecke nicht gerecht werden kann, weshalb gegenüber den Fördermittelgebern eine Weiterentwicklung des Instrumentariums angeregt wird. Nun soll (zunächst?) ein leistungsfähiges Sammelbussystem eingerichtet werden [21]. Die Stadt Neu-Isenburg möchte die im Konzept enthaltene Strecke der Regionaltangente West (RTW) um 1,3 km vom Stadtzentrum aus nach Osten in ein Gewerbegebiet und ein geplantes Wohngebiet verlängern. Die RTW-Planungsgesellschaft hat die Verlängerung in die Planungen aufgenommen [22]. Die Strecke Hanau Erlensee dürfte zumindest für Güterverkehr reaktiviert werden, weil sich laut dem zuständigen Kreis in Erlensee eine Gleisbaufirma ansiedeln wird. Zusätzlich ist ein SPNV auf der Strecke in Prüfung. Gemäß Mitteilung der Stadt Kassel [23] bietet eine Reaktivierung der Herkulesbahn große Potenziale. Aktuell werde die Reaktivierung geprüft. Mit dem Land finden Gespräche zu möglichen Förderungen statt. Eine konkrete Projektierung gibt es derzeit nicht. Bei der Kassel-Naumburger Bahn haben die Baunataler Stadtverordneten am 17.5.2017 einstimmig beschlossen, die Reaktivierung des Abschnitts Kassel-Wilhelmshöhe Baunatal-Großenritte und einen regulären SPNV in den Verkehrsentwicklungsplan der Stadt aufzunehmen [24]. Dieser Streckenabschnitt wird bisher nur für Schienengüterverkehr zum VW-Werk und für Museumsbahnverkehr genutzt. Bezüglich einer Reaktivierung für den SPNV auch im Abschnitt Baunatal-Großenritte und dem Schauenburger Ortsteil Hoof kam die Stadt Baunatal 2013 zu dem Ergebnis, dass dies wirtschaftlich nicht darstellbar sei. Daher ist man derzeit nicht allzu optimistisch hinsichtlich einer Reaktivierung; die Stadt Schauenburg begrüßt grundsätzlich jede Verbesserung der Verkehrsanbindung Richtung Kassel [25]. Die Gemeinden im Umfeld der Strecke Dillenburg Ewersbach lehnen eine Reaktivierung ab. Diese hätte für sie Kosten zur Wiederherstellung ohne Rechtsgrundlage entfernter Streckenteile zur Folge; darüber hinaus wird befürchtet, dass ohne Nutzung von Teilen der Bahnstrecke die gewünschte Ortsumgehung der Bundesstraße nicht möglich wäre. Ein Verein engagiert sich für den Streckenerhalt (z.b. Freischnitt, Suche nach Bahntransporten) [26]. Bei der Strecke Mörlenbach Waldmichelbach haben sich die Aufgabenträger gegen eine Reaktivierung für SPNV ausgesprochen. u.a. weil eine Zweckbindung für die Förderung des Draisinenverkehrs bis 2028 besteht. Der Kreistag hat am 12.09.2016 einen Antrag abgelehnt, nach Ablauf des Draisinen-Projektes auf der Strecke SPNV einzurichten [27]. Bei der Strecke Jossa Wildflecken kommt eine Reaktivierung nicht mehr in Frage, weil der Abschnitt in Bayern 2016 von Bahnbetriebszwecken freigestellt wurde. Die Strecke war im Konzept aus 2014 [3] aufgenommen, weil damals Aussicht auf Erhalt bestand. Das EBA hat aber die von bayerischen Anliegerkommunen beantragte Freistellung genehmigt, obwohl Hessen Bedenken wegen der touristischen Bedeutung der Strecke und des Interesses eines EVU an der Nutzung der Gesamtstrecke geäußert hatte. Die Strecke ist inzwischen größtenteils abgebaut und wird ein Radweg [28]. Literatur (Quellen in Kursivdruck sind im Internet verfügbar): [1]: NVV-Pressemeldung vom 2.9.2016: Reaktivierte Strecke Korbach-Frankenberg kommt bei Fahrgästen gut an - Bilanz nach einem Jahr fällt positiv aus [2]: CDU und Bündnis 90/Die Grünen: Koalitionsvertrag für die Wahlperiode 2014-2019, Wiesbaden 2013 [3]: Dietmar Bosserhoff, Wolfgang Schwanzer: Reaktivierung für den Personenverkehr stillgelegter Eisenbahnstrecken Ermittlung prüfungswürdiger Strecken. Hessen Mobil, Wiesbaden 2014 [4]: Dietmar Bosserhoff: Maßnahmen für attraktiveren SPNV Umsetzung und Wirkungen. In: Zeitschrift Der Nahverkehr, Heft 12/2003, Alba-Verlag Düsseldorf

12 [5]: Dietmar Bosserhoff: Untersuchungen zum regionalen Schienenverkehr: Inhalte und Ergebnisse. In: Zeitschrift Der Nahverkehr, Heft 1-2/2005, Alba-Verlag Düsseldorf [6]: http://www.hmb-ev.de: Neuigkeiten zum Weiterbau der Härtsfeld-Museumsbahn [7]: Waiblinger Kreiszeitung vom 25.2.2016: Laufenmühle-Viadukt unter der Lupe [8]: HMWEVL-Pressemeldung vom 8.08.2013: Eröffnung der vom Wirtschaftsministerium mit 3,2 Mio. Euro geförderten Solardraisine Überwaldbahn [9]: Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur: Förderung der Investitionen für die Reaktivierung oder Ertüchtigung von NE-Bahnen außerhalb des Rheinland-Pfalz-Taktes, Mainz 8.3.2016 [10]: Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr: Reaktivierung von Bahnstrecken, Hannover, Informationen im Internet [11]: Dietmar Bosserhoff et al.: Bestandsaufnahme für den Personenverkehr stillgelegter Eisenbahnstrecken Ermittlung prüfungswürdiger Strecken. Hessen Mobil, Wiesbaden 2016 [12]: Eisenbahnbundesamt Bonn: Auskunft vom 17.8.2016 an Hessen Mobil zur Frage, ob bei Bahnstrecken ohne Rechtsgrundlage entfernte Streckenteile wiederherzustellen sind. [13]: Bus und Bahn: Reaktivierung der Horlofftalbahn rückt näher. 3.2.2017 [14]: Wiesbadener Kurier vom 23.5.2017: Kreistag stimmt gegen die Reaktivierung der Aartalbahn - und hofft auf die City-Bahn. [15]: ESWE Verkehr: Vorhaben Citybahn Bad Schwalbach Wiesbaden Mainz: Zusammenfassung der Ergebnisse aus der Machbarkeitsuntersuchung, Wiesbaden Nov. 2016 [16]: Mainzer Verkehrsgesellschaft: Pressemeldung vom 7.02.17: Mehr Fahrgäste auf der Mainzelbahn als erwartet [17]: HMWEVL-Pressemeldung vom 23.2.2017: Citybahn Wiesbaden: "Besserer Verkehr, weniger Schadstoffe" [18]: TED vom 24.12.2016: ESWE Wiesbaden: Ausschreibung Citybahn Wiesbaden [19]: Darmstadt-Dieburger Nahverkehrsorganisation: Untersuchung der Kombi-Lösung zur Neugestaltung des ÖPNV im Korridor Darmstadt Roßdorf Groß-Zimmern, Frankfurt/Darmstadt 2016 [20]: Darmstadt-Dieburger Nahverkehrsorganisation/Stadt Darmstadt: Weitergehende Betrachtung zur Straßenbahnerschließung des Korridors Darmstadt Roßdorf Groß-Zimmern (Dieburg), Darmstadt 2014 [21]: Darmstadt: Pressemeldung vom 6.12.2016: Bessere Verbindungen zwischen Darmstadt und dem Landkreis Darmstadt-Dieburg Gutachten für Ostkorridor liegen vor. [22]: Offenbach Post vom 8.4.2017: Grünes Licht für Verlängerung der Regionaltangente West [23]: HNA vom 1.2.2017: Rückenwind für Herkulesbahn Untersuchung bewertet Wiederbelebung positiv [24]: HNA vom 17.5.2017: Baunatal will die Reaktivierung der Kassel-Naumburger Trasse [25]: HNA vom 3.2.2017: Gute Chancen für Regiotram im Bauna-Tal [26]: Erwacht die Dietzhölztalbahn aus dem Dornröschenschlaf? In: Bahn-Report Heft 4/2015 [27]: Kreistag Bergstraße: Niederschrift und Unterlagen zur Sitzung vom 12.9.2016 [28]: Mainpost vom 5.11.2016: Sinntalbahn Die Schienen sind fort.