Departement Bildung und Kultur Hauptabteilung Volksschule und Sport Gerichtshausstr. 25 8750 Glarus Glarus, im September 2017 Kriterien für eine Sonderschulzuweisung 1. Einleitung In den letzten Jahren wurden teilweise Ansprüche auf Sonderschulmassnahmen (verstärkte Massnahmen) geltend gemacht, obwohl dies nicht gegeben war. Zur Klärung und zur Transparenz wird im vorliegenden Dokument aufgezeigt, welche Kriterien der Fachstelle Sonderpädagogik bei der Verfügung einer Sonderschulmassnahme zugrunde liegen. Der Begriff verstärkte Massnahme ist mit einer Sonderschulmassnahme gleichzusetzen, dafür ist der Kanton (als Nachfolger der IV) seit 2008 zuständig. Die Definition für eine verstärkte Massnahme lautet gemäss Artikel 5 des Sonderpädagogik-Konkordats: 1 Erweisen sich die vor der Einschulung oder die in der Regelschule getroffenen Massnahmen als ungenügend, ist aufgrund der Ermittlung des individuellen Bedarfs über die Anordnung verstärkter Massnahmen zu entscheiden. 2 Verstärkte Massnahmen zeichnen sich durch einzelne oder alle der folgenden Merkmale aus: a. lange Dauer, b. hohe Intensität, c. hoher Spezialisierungsgrad der Fachpersonen, sowie d. einschneidende Konsequenzen auf den Alltag, das soziale Umfeld oder den Lebenslauf des Kindes oder des Jugendlichen. 2. Grundsätzliches Die Schule kann keine Abklärungen im Bereich der Sonderschulung vornehmen. Vielmehr meldet die Schulleitung das Kind bei Verdacht auf einen allfälligen Anspruch auf verstärkte Massnahmen beim Schulpsychologischen Dienst (SPD) an. Der Anmeldung ist eine Kopie des letzten Standortgesprächs sowie der Förderplan und/oder der Therapieplan (Bereich Logopädie) beizulegen. Die Abklärung erfolgt anhand des standardisierten Abklärungsverfahrens (SAV) unter Einbezug aller Beteiligten. Sollte der SPD zum Schluss kommen, dass gemäss den Abklärungsresultaten ein Bedarf auf verstärkte Massnahmen (VM) besteht, dann hat er in jedem Fall einen Antrag an die Fachstelle Sonderpädagogik zu stellen, welche abschliessend über den Erhalt respektive Nicht-Erhalt der VM entscheidet. Die Fachstelle strebt mit allen Beteiligten einvernehmliche Entscheide über die Anordnung, Fortsetzung, Anpassung oder Beendigung der Massnahmen an (Volkschulverordnung Art. 12 und Art. 14). 1
Anspruch auf Sonderschulmassnahmen (verstärkte Massnahme) haben Lernende, deren Behinderung so einschneidend ist, dass im Rahmen des Grundangebots der Regelschule keine genügenden Entwicklungs- und Fördermöglichkeiten gegeben sind. Die Möglichkeiten der Regelklasse als erster Förderort sind ausgeschöpft und die Beratung, Unterstützung oder Therapie durch spezialisierte Fachpersonen aus dem Grundangebot reichen nicht aus. Verstärkte Massnahmen sind selten eingesetzte Massnahmen. Sie sind Kindern und Jugendlichen vorbehalten, deren Entwicklung und Bildung in schwerwiegender Weise beeinträchtigt ist. In der Schweiz betrifft dies einen Anteil von rund 3% eines Jahrgangs. Die Fachstelle Sonderpädagogik verfügt die Sonderschulmassnahme und auch ob die Kinder und Jugendlichen integriert in der Regelschule (integrative Sonderschulung) oder separiert in einer Sonderschule (separative Sonderschulung) gefördert werden. Die gesetzlichen Grundlagen sehen vor, dass die integrative Beschulung einer Separativen grundsätzlich vorzuziehen ist (Behindertengleichstellungsgesetz BehiG 2002 und Volkschulverordnung Art. 15). Folgende Kriterien gelten als wegleitend für eine integrative Lösung: Das Kind oder der/die Jugendliche kann mit den verstärkten Massnahmen angemessen und somit ausreichend gefördert werden. Die Fachpersonen verfügen über eine entsprechende Ausbildung (Schulische Heilpädagogik, Audiopädagogik, Low Vision etc.). Das familiäre Umfeld kann die notwendige Unterstützung für eine Integration gewährleisten (Teilnahme an schulischen Standortgesprächen, Zusammenarbeit mit der Schule etc.). 2
3. Geistige Behinderung Voraussetzung für den Erhalt von verstärkten Massnahmen ist eine Intelligenzminderung nach ICD-10. Dies bedeutet reduzierte kognitiv-adaptive Fähigkeiten mit umfassenden Problemen im Lernen, der Wissensanwendung und im Umgang mit allgemeinen Aufgaben und Anforderungen. IQ 70 (gemäss ICD-10 F7x) oder nicht testbar IQ 70-75 in Ausnahmefällen und nur in Anbetracht der Gesamtsituation Aktivitäten Allgemeines Lernen, Mathematisches Lernen, Spracherwerb und Begriffsbildung, Lesen und Schreiben sowie Kommunikation aus dem Schulischen Standortgespräch. Schulische Heilpädagogik: gestützt auf SPD-Bericht 4 8 Wochenlektionen Fallführung durch die SHP: Koordination der Zusammenarbeit aller Beteiligten, Organisation und Durchführung der Schulischen Standortgespräche (SSG), Förderplan erstellen, Beratung und Unterstützung der Lehrpersonen Schülerinnen und Schüler werden im Heilpädagogischen Zentrum Glarnerland in Oberurnen beschult. 3
4. Sprachbehinderung Voraussetzung für den Erhalt von verstärkten Massnahmen ist eine schwere, komplexe Sprachentwicklungsstörung nach ICD 10 der gesprochenen und geschriebenen Sprache. Der Kanton Glarus bezieht sich bei der Einstufung auf den Einstufungsraster von Auffälligkeiten der Sprachentwicklung der Stufe C des Kantons Aargaus (www.schulenaargau.ch). Die Sprachstörung ist die primäre Behinderung. Die Sprachstörung ist schwer und komplex und betrifft mehrere der linguistischen Ebenen (pragmatisch-sozial-kommunikative Ebene, phonetische-phonologische Ebene, syntaktisch-morphologische Ebene, semantisch-lexikalische Ebene, Sprachverständnis). Es handelt sich um Störungen, bei denen die normalen Muster des Spracherwerbs von frühen Entwicklungsstadien an beeinträchtigt sind. Die Störungen können nicht direkt neurologischen Störungen oder Veränderungen des Sprechablaufs, sensorischen Beeinträchtigungen, Intelligenzminderungen oder Umweltfaktoren zugeordnet werden. Es muss davon ausgegangen werden, dass ein Kind bzw. ein Jugendlicher in seiner Kommunikationsfähigkeit derart schwer beeinträchtigt ist, dass es in seiner Bildungsfähigkeit gefährdet ist und sein Potential nicht in entsprechende schulische Leistungen umsetzen kann. Das Kind bzw. der Jugendliche ist in der Interaktion z.b. in der Familie und mit Gleichaltrigen stark beeinträchtigt. Trotz therapeutischer Unterstützung (ambulante logopädische Therapie) zeigt das Kind / der Jugendliche nur ungenügende Fortschritte im Spracherwerb. Das kognitive Potential erlaubt grundsätzlich eine Orientierung am Lehrplan, womit in der Regel normalbegabte Kinder mit IQ im Normbereich ab 85 gemeint sind. Aktivitäten Spracherwerb und Begriffsbildung, Lesen und Schreiben sowie Kommunikation aus dem Schulischen Standortgespräch. Folgende Massnahmen sind für den ersten Zyklus vorgesehen: Kindergarten: 2 Wochenlektionen Logopädie Primarstufe: 2 Wochenlektionen Logopädie und zusätzlich 2-4 Wochenlektionen Schulische Heilpädagogik SHP), da umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens oder der Sprache oft sekundäre Folgen nach sich ziehen, wie Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben, Störungen im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen, im emotionalen und Verhaltensbereich. 4
Mit den zusätzlichen Lektionen SHP sollen der Schulanfang und allfällige Schwierigkeiten beim Erstlese- und Schreibprozess eng begleitet werden. Dies erfordert eine verbindliche Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Fachpersonen. In der Regel werden die Schülerinnen und Schüler nach maximal zwei Jahren wieder im Rahmen des Grundangebots gefördert. Fallführung durch die Logopädin / den Logopäden: Koordination der Zusammenarbeit aller Beteiligten, Organisation und Durchführung der SSG, Förderplan erstellen, Beratung und Unterstützung der Lehrpersonen Sprachheilschülerinnen und -schüler werden in der Regel an der Sprachheilschule Uznach beschult. Das Angebot der Sprachheilschule Uznach umfasst den Kindergarten bis zur dritten Klasse. Nach der dritten Primarklasse treten die meisten Schülerinnen und Schüler in die Regelschule über. Bei Bedarf erhalten sie nach dem Übertritt Logopädietherapie und / oder Schulische Heilpädagogik aus dem Grundangebot. In begründeten Ausnahmefällen können Schülerinnen und Schüler ab der vierten Klasse die Sprachheilschule in St. Gallen besuchen. Ziel ist jedoch eine möglichst rasche Rückgliederung in das öffentliche Schulsystem. 5
5. Schwere Verhaltensauffälligkeit Voraussetzung für den Erhalt von verstärkten Massnahmen ist eine schwere Verhaltensauffälligkeit oder eine emotionale Auffälligkeit, welche durch eine Fachstelle ausgewiesen ist. Der primäre besondere Bildungsbedarf ergibt sich aus der schweren Verhaltensauffälligkeit, respektive der emotionalen Auffälligkeit. Die Schülerin / der Schüler und allenfalls auch die Klasse sind durch die schwere Verhaltensauffälligkeit im schulischen Fortkommen erheblich beeinträchtigt. Schwerwiegendes, von der Norm abweichendes Verhalten in allen zentralen schulischen Situationen und Settings, das die schulische, emotionale und / oder psychosoziale Entwicklung des betreffenden Kindes / Jugendlichen gefährdet. Länger andauerndes störendes Verhalten, das den regulären Unterricht massiv stört. Die Schulleitung ist mit dem Fall vertraut und hat Stellung genommen. SHP und SSA wurden einbezogen und eine Stellungnahme liegt vor. Beratung, Unterstützung oder Therapie aus dem Grundangebot haben während mindestens sechs Monaten stattgefunden. Die Massnahmen wurden ausgewertet und führten zu keiner wesentlichen Verbesserung respektive verliefen ohne Erfolg. Ein Klassen-, Schulhaus- oder Gemeindewechsel, die Versetzung in eine andere Klasse respektive weitere disziplinarische Massnahmen wurden bereits umgesetzt oder geprüft und aus triftigen Gründen verworfen. Die Verhaltensauffälligkeit ist keine Folge einer schwierigen Klassensituation oder einer mangelnden Klassenführung. Das Auftreten des störenden Verhaltens steht nicht im Zusammenhang mit ungenügender schulischer Förderung und Unterstützung. Aktivitäten Allgemeines Lernen, Umgang mit Anforderungen sowie Umgang mit Menschen aus dem Schulischen Standortgespräch. Schulische Heilpädagogik: gestützt auf SPD-Bericht 2 6 Wochenlektionen Schulische Heilpädagogik im Rahmen eines Coachings des Lernenden: 2 Wochenlektionen Fallführung bei beiden möglichen Massnahmen durch die SHP: Koordination der Zusammenarbeit aller Beteiligten, Organisation und Durchführung der SSG, Förderplan erstellen, Beratung und Unterstützung der Lehrpersonen Schülerinnen und Schüler werden an der Schule an der Linth beschult. Eine Reintegration wird regelmässig geprüft. 6
6. Sinnesbehinderung Hören Abklärungsstelle für Kinder und Jugendliche ist das Zentrum für Gehör und Sprache in Zürich. Es liegt eine medizinische Diagnose durch einen spezialisierten Arzt vor. Medizinisch diagnostizierte Hörbeeinträchtigung (> 40dB) Beeinträchtigung der Sprachentwicklung und Kommunikation Gefährdung der sozial-emotionalen Entwicklung und / oder Identitätsfindung Aktivitäten Spracherwerb und Begriffsbildung sowie Kommunikation aus dem Schulischen Standortgespräch. Audiopädagogische Beratung: 20 Arbeitsstunden pro Schuljahr Audiopädagogische Therapie: 2 4 Wochenlektionen Der Kanton Glarus hat eine Leistungsvereinbarung mit dem Zentrum für Gehör und Sprache abgeschlossen. Fallführung durch die Audiopädagogin/ den Audiopädagogen: Schulische Standortgespräche sowie die Zusammenarbeit aller Beteiligten koordinieren, Förderplanung erstellen, Hörberatung, Coaching der Lehrpersonen und der Eltern. Schülerinnen und Schüler werden im Zentrum für Gehör und Sprache in Zürich, im Landenhof (Zentrum und Schweizerische Schule für Schwerhörige) in Unterentfelden oder in der Sek3 (Oberstufe für Gehörlose und Schwerhörige) in Zürich beschult. 7
7. Sinnesbehinderung Sehen Abklärungsstelle für Kinder und Jugendliche ist obvita (Ostschweizerischer Blindenfürsorgeverein, St. Gallen). Es muss eine medizinische Diagnose durch einen spezialisierten Arzt vorliegen. medizinisch diagnostizierte visuelle Beeinträchtigung korrigierte Sehschärfe (Visus) von weniger 0,3 bei beidäugigem Sehen schwere visuelle Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung schwere Augenbewegungsstörung andere schwere visuelle Funktionsstörungen Beratung und Unterstützung: 20 100 Stunden pro Jahr Der Kanton Glarus hat eine Leistungsvereinbarung mit obvita (Ostschweizereischer Blindenfürsorgeverein, St. Gallen) abgeschlossen. Fallführung durch die Sehberatung: Schulische Standortgespräche sowie die Zusammenarbeit aller Beteiligten koordinieren, Förderplanung erstellen, Sehberatung, Coaching der Lehrpersonen und der Eltern Schülerinnen und Schüler werden in der Regel im Sonnenberg (Heilpädagogisches Schul- und Beratungszentrum) in Baar beschult. 8
8. Körperbehinderung Die Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen (ICD-10 F82) ist durch einen Facharzt, eine Fachärztin bzw. eine Fachstelle Kinderspital diagnostiziert. Aktivitäten Bewegung und Mobilität sowie Für sich selber sorgen aus dem Schulischen Standortgespräch. Der Unterstützungsbedarf Assistenz divergiert je nach Schweregrad und Vorliegen von Mehrfachbehinderung stark von 100 % (z. B. Lernende mit sehr schweren Cerebralen Behinderungen) bis Assistenzbedarf 5 % (z. B. lediglich für Schwimmunterricht, Klassenlager). Der Unterstützungsbedarf Schulische Heilpädagogik ist abhängig von der Art der Zusatzbehinderungen (z. B. Geistige Behinderung, starke Wahrnehmungsbeeinträchtigung). Eine Fallführung ist notwendig und muss individuell abgesprochen werden: Schulisches Standortgespräch, Kooperation, Koordination aller Beteiligten, Förderplanung erstellen, Schnittstellen Systeme, Beratung und Unterstützung der Lehrpersonen In einzelnen Situationen kann eine separative Form notwendig werden. Dies je nach Verlauf der Beeinträchtigung. 9