Internationales Zivilverfahrensrecht und Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 Veranstaltung vom 1. Dezember 2011 Das Schiedsverfahren (inkl. Einstweiliger Rechtsschutz) Dr. Stephan Netzle Ernennung des Vorsitzenden Art. 8 Abs. 2 Swiss Rules: Ernennung des Vorsitzenden durch die Parteien innert 30 Tagen Schiedsrichter können sich nicht auf einen Vorsitzenden einigen Ernennung durch Schiedsinstitution Art. 8 Abs. 2 Swiss Rules Art. 8 Abs. 4 ICC Rules: Appointment by the Court unless the parties have agreed upon another appointment procedure Ernennung durch den juge d appui Art. 179 IPRG i.v.m. Art. 356 Ab. 2 ZGB Art. 362 Abs. 1 lit. c i.v.m. Art. 356 Abs. 2 ZGB Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 2 1
Fehlender Schiedsrichter Passivität der Beklagten: Ernennung des Schiedsrichters durch die Schiedsinstitution Art. 8.2 Swiss Rules («Handelskammern») Art. 8.4 der ICC Rules («the Court, upon proposal of a National Committee of the ICC») Ernennung des Schiedsrichters durch den juge d appui Art. 179 Abs. 2 IPRG i.v.m. Art. 356 Abs. 2 ZGB (auf Antrag einer Partei) Art. 362 i.v.m. Art. 356 Abs. 2 ZGB (auf Antrag einer Partei) Schiedsrichter stirbt oder tritt zurück Gleiches Verfahren wie bei der Bestellung des Schiedsgerichtes Falls nicht mehr möglich: Schiedsinstitution oder juge d appui Wiederholung von Prozesshandlungen? Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 3 Ablehnung eines Schiedsrichters Bezeichnung eines Schiedsrichters, der die Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht oder nicht mehr einhält Ablehnungsantrag durch eine Partei Falls der Schiedsrichter an seinem Mandat festhält: Entscheid durch die zuständige Stelle bei der Schiedsinstitution (z.b. Art. 10 Swiss Rules) Juge d appui (Art. 180 Abs. 3 IPRG und Art. 369 ZPO i.v.m. Art. 356 Abs. 2 ZPO) Zeitpunkt der Ablehnung «Unverzüglich» (vgl. Art. 180 Abs. 3 IPRG und Art. 368 ZPO) BGE 130 III 66 E.4.3 m.w.hinw. Verspätung -> Verwirkung Endgültiger Entscheid, kann aber im Rahmen der Anfechtung des Schiedsspruchs geltend gemacht werden (Art. 190 Abs. 2 lit. a IPRG) Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 4 2
Unabhängigkeit des Schiedsgerichts Art. 368 ZPO, aber keine ausdrückliche Regelung im IPRG. Betrifft v.a. Schiedsgerichte von Organisationen und Verbänden Verbandsgericht Schiedskommission Kriterien: Einflussnahme der Trägerorganisation auf Zusammensetzung des Schiedsgerichtes Finanzierung Weisungen Beispiel Tribunal Arbitral du Sport (TAS) BGE 119 II 271 = Pra. 1995, Nr. 227 ( Gundel ) BGE vom 31.10.1996 Nagel v. FEI (Recueil des sentences du TAS 1986-1998, 585) BGE 129 III 445 = Pra. 2003 Nr. 215 ( Latsutina ) Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 5 Übersicht über das Schiedsverfahren Vorsorgliche Massnahmen Schiedsvereinbarung Einleitung des Schiedsverfahrens Konstituierung Parteiverfahren Schriftenwechsel Hauptverhandlung Schiedsurteil Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 6 3
Verfahrensverlauf Einleitungsanzeige Einleitungsantwort Konstituierung Terms of Reference Zeitplan Klageschrift Klageantwort Replik Hauptverhandlung Zeugeneinvernahme Schlussvorträge Duplik Post-Hearing Brief Post-Hearing Brief Schiedsspruch Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 7 Festlegung der Einzelheiten des Verfahrens Terms of Reference Bestätigung der Zuständigkeit des Schiedsgerichtes Bestätigung der Schiedsrichter Zusammenfassung des Gegenstandes des Schiedsverfahrens Verfahrensrechtliche Vorschriften Anzahl der Rechtsschriften Soll eine mündliche Verhandlung stattfinden? Bestimmungen zum Beweisverfahren Festlegung der Kostenvorschüsse der Parteien Provisorischer Zeitplan für das Schiedsverfahren Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 8 4
Klageschrift und Klageantwort Klagesschrift Anträge Begründung Sämtliche Beweismittel Dokumente Zeugen bezeichnen, allenfalls witness statements beilegen Anträge auf Herausgabe von Unterlagen im Besitz der Gegenpartei oder Dritter Substantiierungspflicht Klageantwort Einrede der Unzuständigkeit Anträge ev. Widerklage Begründung Sämtliche Beweismittel Substantiierungspflicht Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 9 Befragung von Zeugen und Experten Die Parteien haben dafür zu sorgen, dass die von ihnen bezeichneten Zeugen und Experten an der mündlichen Verhandlung anwesend sind. Witness Statements Form der Befragung Befragung durch das Schiedsgericht, Ergänzungsfragen Cross Examination Witness Conference Vom Schiedsgericht ernannte Sachverständige Dispositionsmaxime vs. Untersuchungsmaxime Freie Beweiswürdigung durch das Schiedsgericht Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 10 5
Verrechnung Verrechnung Materiellrechtliche Tilgungseinrede (Art. 120 126 OR) Problem: Ist das Schiedsgericht zuständig, wenn der Rechtsgrund der Verrechnung nicht unter die Schiedsklausel fällt Staatl. Richter beurteilt die Verrechnungseinrede unabhängig von der (sachlichen oder örtlichen) Zuständigkeitsfrage. Keine Regelung im IPRG, aber Swiss Rules Art. 21.5: Schiedsgericht zur Beurteilung der Verrechnungseinrede unabhängig von der Schiedsklausel betr. Verrechnungsforderung zuständig. Vgl. auch Art. 377 Abs. 1 ZPO: Zulässigkeit der Verrechnungseinrede Zeitpunkt der Verrechnungseinrede: spätestens Klageantwort Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 11 Widerklage Widerklage Frage der Prozessökonomie Keine Regelung im IPRG, aber in Art. 377 ZPO («übereinstimmende Schiedsvereinbarung») Regelung in den meisten Schiedsordnungen (Swiss Rules Art. 19.3) Zeitpunkt: Einleitungsanzeige, ToR oder spätestens Klageantwort Voraussetzung: Klage und Widerklage fallen unter dieselbe Schiedsvereinbarung. Problem der klauselfremden Widerklagen Führt zu weiteren Schriftenwechseln. Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 12 6
Vorsorgliche Massnahmen Art. 183 IPRG, Art. 374 ZPO, Art. 26 Swiss Rules Zuständigkeit: Schiedsgericht oder staatlicher Richter Zeitpunkt: Klage muss eingeleitet sein Konstitution des Schiedsgerichts Institution kann eine besondere Stelle vorsehen Voraussetzungen ( glaubhaft zu machen ): Nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil Günstige Urteilsprognose in der Hautpsache Interessenabwägung Sicherheitsleistung Freiwillige Unterwerfung unter die Anordnungen des Schiedsgerichts Fehlende Vollzugsgewalt des Schiedsgerichtes Durchsetzung mit Hilfe des staatlichen Richters Kein Rechtsmittel. Neues Gesuch möglich. Lehrveranstaltung Int. Schiedsgerichtsbarkeit, HS 2011 13 7