Effizienzmessung im Marketing mit Data Envelopment Analysis Eine methodische Bestandsaufnahme

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Transkript:

ARBEITSPAPIER WORKING PAPER Nr. 34/2003 Klaus Backhaus Robert Wilken Effizienzmessung im Marketing mit Data Envelopment Analysis Eine methodische Bestandsaufnahme

Prof. Dr. Klaus Backhaus Institut für Anlagen und Systemtechnologien Am Stadtgraben 13-15 48143 Münster Tel.: 0251-83-22861 Fax: 0251-83-22903 e-mail: klaus.backhaus@uni-muenster.de Dipl.-Math. Robert Wilken Institut für Anlagen und Systemtechnologien Am Stadtgraben 13-15 48143 Münster Tel.: 0251-83-25007 Fax: 0251-83-22903 e-mail: robert.wilken@uni-muenster.de Unser Dank gilt der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Marketing und Unternehmensführung e.v. für die finanzielle Unterstützung. Herausgeber: Förderkreis für Industriegütermarketing e.v. an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster c/o Prof. Dr. Klaus Backhaus Am Stadtgraben 13-15, 48143 Münster Tel.: 0251-83-22861 Fax: 0251-83-22903 e-mail: klaus.backhaus@uni-muenster.de

Inhaltsverzeichnis 1 Data Envelopment Analysis (DEA): Ein brauchbarer Ansatz zur Messung von Effizienz im Marketing? 1 2 Das Konzept der DEA als Verfahren zur Effizienzmessung 4 2.1 Die grundsätzliche Idee einer DEA................... 4 2.2 Gegenüberstellung von DEA und Regressionsanalyse......... 7 2.3 Theoretische Fundierung der DEA.................... 9 3 Basismodelle und Varianten der DEA: Eine Bestandsaufnahme im Hinblick auf Marketing-bezogene Anwendungen 11 3.1 Basismodelle der DEA.......................... 11 3.1.1 Die Basismodelle CCR und BCC................ 12 3.1.2 Additives Modell......................... 18 3.1.3 Weitere Basismodelle....................... 20 3.2 Varianten der DEA mit exemplarischen Verweisen auf Marketing-bezogene Anwendungen............................... 23 3.2.1 Beschränkte Multiplikatoren................... 26 3.2.2 Nicht-beeinflussbare Variablen.................. 32 3.2.3 Kategorialdaten.......................... 33 3.2.4 Stochastische DEA-Modelle................... 34 4 Beurteilung der DEA und ihrer Ergebnisse 37 4.1 Chancen und Grenzen der DEA..................... 37 4.2 Sensitivitätsanalysen........................... 38 5 Ausblick 41 Literaturverzeichnis 42 i

Abbildungsverzeichnis 2.1 Die Idee eines DEA-Modells im Fall jeweils eines Inputs und Outputs 5 2.2 Prinzipielle Gegenüberstellung von einer DEA und der Regressionsanalyse als Verfahren zur Ermittlung einer Produktionsfunktion... 8 3.1 Exemplarischer Vergleich inputorientierter CCR- und BCC-Basismodelle 19 3.2 Grafische Darstellung des effizienten Randes in FDH-Modellen im Vergleich zum CCR- und BCC-Modell................... 22 3.3 Messungen der Input- und Outputvariablen im Beispiel der Mittelklassewagen................................... 27 3.4 Ergebnisse des outputorientierten BCC-Modells im Beispiel der Mittelklassewagen............................... 27 3.5 Grafische Darstellung des Cone-Ratio-Prinzips im Falle zweier Inputs 31 ii

Kapitel 1 Data Envelopment Analysis (DEA): Ein brauchbarer Ansatz zur Messung von Effizienz im Marketing? Erfolgs- und Effizienzbewertungen von Unternehmen und deren Tätigkeiten sind ökonomische Fragestellungen von grundsätzlich hoher Relevanz. Gerade in Zeiten knapper Mittel muss sich das Management eines Unternehmens in besonderem Maße für den Einsatz eines bestimmten Marketing-Budgets rechtfertigen. Dabei wird häufig lediglich die Effektivitätsseite des Einsatzes der Marketingmittel betrachtet: Wirken die Maßnahmen? Von gleicher Bedeutung ist aber die Effizienzfrage: Lohnen sich die Maßnahmen? Dazu ist es notwendig, die Produktivität des Mitteleinsatzes zu messen. Gelingt dies, so können im Rahmen eines kontinuierlichen und zielorientierten Benchmarking-Prozesses die eigenen Aktivitäten mit denjenigen bedeutender Konkurrenten verglichen werden, um auf diese Weise die relative Effizienz des eigenen Einsatzes im Vergleich zur Konkurrenz beurteilen zu können. Die Beantwortung dieser Frage ist nicht banal, wie ein einführendes Beispiel zeigen möge: Verschiedene Hersteller von Automobilmarken ergreifen auf der Inputseite Marketingmaßnahmen, um auf der Ausbringungs- oder Outputseite Umsatz, einen gewissen Bekanntheitsgrad, einen bestimmten Marktanteil und/oder eine geplante Wiederkaufrate zu erzielen. Mögliche Inputs sind beispielsweise im Rahmen der Kommunikationspolitik die Anzahl der in einem bestimmten Zeitraum geschalteten ganzseitigen Werbeanzeigen in Zeitungen und Fachzeitschriften. In der Distribution entstehen Kosten durch die bestehenden Verkaufsfilialen in Ballungsgebieten und ländlichen Regionen sowie durch die beschäftigten Mitarbeiter. Die Anzahl der in eine bestimmte Periode fallenden Sonderpreisaktionen könnte eine die Preispolitik betreffende Marketing- Maßnahme sein. Um eine vergleichende Effizienzanalyse der Maßnahmen verschiedener Automobilhersteller durchführen zu können, sind folgende Fragen zu klären: Wie können die verschiedenen Inputs und Outputs zu einer Leistungskennziffer einer Marke im Vergleich zu anderen Marken komprimiert zusammengefasst werden? 1

DEA: Ein brauchbarer Ansatz zur Messung von Effizienz im Marketing? Wie sind die einzelnen Faktoren im Verhältnis zueinander zu gewichten? Welchen Anteil hat beispielsweise die Anzahl der Verkaufsfilialen am Gesamtinput einer betrachteten Marke, d.h. wie ist der Beitrag dieses Inputs zu bewerten? Welcher Zusammenhang besteht zwischen den Input- und Outputfaktoren? Wie wirkt sich möglicherweise beispielsweise eine Verdoppelung der geschalteten Werbeanzeigen in Fachzeitschriften in einer bestimmten Zeitspanne auf den Umsatz oder auf den Bekanntheitsgrad der Marke aus? Ein Verfahren, das eine Lösung zur Beantwortung dieser Fragen anbietet, ist die Data Envelopment Analysis (DEA). Sie wurde ursprünglich von Charnes, Cooper und Rhodes (1978) entwickelt und stellt eine nicht-parametrische Methode der Effizienzanalyse als vergleichende Bestimmung der Leistungsfähigkeit wertschöpfender Einheiten dar. Als Produktion oder Leistung ist dabei die Herstellung von Outputfaktoren durch Einsatz von Inputfaktoren zu verstehen. Ziel einer DEA ist es, aus beobachteten Leistungen eine Produktionsfunktion zu konstruieren, die unter den betrachteten Input/Output-Beziehungen aller betrachteten Konkurrenten die effizienteste ist. Wir bezeichnen sie als Randproduktionsfunktion. Sie wird ermittelt, ohne den Typ dieser Funktion durch Parameter vorab festgelegt zu haben. Aufgrund dieser Tatsache erklärt sich die Bezeichnung nicht parametrisch. Im Folgenden bleibt zu klären, auf welche Weise die DEA den oben angesprochenen Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Effizienz der verschiedenen Automobilhersteller begegnet. Zunächst erscheint es dabei sinnvoll, die generelle Idee, die hinter einer DEA steckt, im Detail und an dem gewählten Marketing-Anwendungsfall zu erläutern. Bei genauerer Betrachtung des genannten Automobilbeispiels wird sich herausstellen, dass eine DEA in ihrer ursprünglichen Form 1 den hier vorliegenden Anforderungen nicht mehr gerecht wird. Vielmehr finden sich in dem Beispiel Besonderheiten, die eine Anwendung von Verfahrensvarianten der DEA erfordern. Aus diesem Grunde soll nach der Darstellung der verschiedenen Basismodelle insbesondere auf darauf aufbauende Weiterentwicklungen der DEA eingegangen werden, die sich für den Einsatz in einem Marketing-Kontext eignen. Diese Verfahrensvarianten der DEA berücksichtigen also Eigenheiten Marketing-typischer Effizienzmessungen. Zur Illustration der Anforderungen an die DEA, die durch Verwendung in einem Marketing-Kontext entstehen können, wird dabei das erwähnte Automobilbeispiel dienen. 1 Nach Charnes, Cooper und Rhodes (1978). 2

DEA: Ein brauchbarer Ansatz zur Messung von Effizienz im Marketing? Seit ihrer Einführung in die Diskussion ökonomischer Erfolgs- und Effizienzmessung ist aus den unterschiedlichsten Anwendungsfällen heraus eine Vielzahl von DEA- Verfahrensvarianten entwickelt worden. Bisher beschränkte sich der Einsatz der DEA zu großen Teilen jedoch auf den Produktionsbereich und den Non-Profit-Sektor. Anwendungen im Marketing-Bereich sind vergleichsweise selten. 2 Ein möglicher Grund hierfür besteht in der Tatsache, dass die DEA durch eine stark technologische Sicht geprägt ist. So ist schon der Begriff des Produktionsprozesses im Marketing-Kontext gewöhnungsbedürftig. Darüber hinaus besitzen die im Marketing relevanten Variablen im Allgemeinen nicht dieselben Eigenschaften wie diejenigen in Produktionsund Finanzprozessen. 3 Gerade im Hinblick auf die aktuelle Diskussion der Marketing-Effizienz in Forschung und Praxis steht eine umfassende und überblicksartige, anwendungsorientierte Einführung, zumal im deutschsprachigen Raum, in diesem Kontext noch weitestgehend aus. Ein Ziel dieses Arbeitspapieres ist es daher, aus der Betrachtung konkreter Beispielsituationen heraus ein Spektrum möglicher Anwendungsbereiche im Marketing abzustecken. Zu einer komplettierenden Beurteilung wird die DEA nach der Darstellung von Basismodellen und Varianten auf grundsätzlicher sowie beispielhaft detailbezogener Ebene beurteilt. Robustheitsuntersuchungen der gewonnenen Effizienzbewertungen sind insbesondere im Hinblick auf die oben erwähnten Anforderungen erforderlich und sollen bezogen auf unterschiedliche Ebenen diskutiert werden. Das Arbeitspapier schließt mit einem Ausblick, der die zuvor angesprochenen Aspekte der Forschung auf diesem methodischen Gebiet strukturiert und auf diese Weise für weitere Untersuchungen öffnet. 2 Vgl. dazu Luo und Donthu, S. 8: In the marketing literature, few scholars have applied DEA to determine and analyze efficiency. sowie Bauer, Staat und Hammerschmidt, S. 1: DEA ist ein bisher in der Marketingforschung wenig beachtetes Verfahren. Eine Übersicht bisheriger Anwendungen der DEA in Marketing-bezogenen Fragestellungen findet sich in Kapitel 3. 3 Vgl. dazu die Anmerkung von Chebat et al. (1994): The variables found in marketing processes do not generally exhibit the quantitative properties found in production and financial processes (Kotler, 1971). 3

Kapitel 2 Das Konzept der DEA als Verfahren zur Effizienzmessung 2.1 Die grundsätzliche Idee einer DEA Um die Effizienz von Marketing-Maßnahmen - allgemeiner von wertschöpfenden Einheiten (DMU für decision making unit) - zu beurteilen, kommt in vielen Anwendungsfällen eine Vielzahl von einfachen Kennziffern zum Einsatz, die jeweils den Quotienten aus einem Output und einem Input bilden. Ein Beispiel hierfür ist der Quotient aus Umsatz und Werbeausgaben. Oft sind jedoch simultan mehrere Variablen für die quantifizierende Beurteilung von Input-Output-Beziehungen von Interesse. Für diesen Fall ist die Betrachtung einfacher Kennziffern in geeigneter Weise zu erweitern. Ein Verfahren, das dies leisten kann und somit eine simultane Betrachtung mehrerer Variablen auf Input- und Outputseite zur Produktivitätsmessung erlaubt, ist die DEA. 1 Als Produktivität oder Leistung einer wertschöpfenden Einheit (eines Unternehmens, einer Abteilung usw.) im Allgemeinen soll das Verhältnis von Ausbringungsmenge (Output) zur Einsatzmenge (Input) verstanden werden. Betrachten wir aus Gründen der Anschaulichkeit zunächst den Fall einer einfachen Input-Output- Beziehung: Verschiedene Automobilhersteller versuchen, durch den Einsatz eines Werbebudgets einen bestimmten Umsatz im Zielmarkt zu generieren. Setzt man diese beiden Größen ins Verhältnis, so erhält man für jeden Anbieter eine Kennzahl, die den Umsatz pro eingesetzter Einheit an Werbemitteln angibt. Dabei gilt: Je höher diese Kennzahl, desto stärker die Leistung. Daraus ergibt sich auch bereits ein Hinweis für effiziente und ineffiziente Lösungen. Der Hersteller mit dem höchsten Wert dieser Kennzahl ist effizient, alle übrigen ineffizient, da es im Vergleich jeweils eine bessere Leistung gibt. Eine grafische Darstellung dieses Sachverhaltes findet sich in Abbildung 2.1: Man erhebt die relevanten Daten, also Werbeausgaben und Umsatz, bei jedem Unternehmen und trägt diese Datenpunkte in ein Koordinatensystem ein (den Input Werbeausgaben auf die Abszisse und den Output Umsatz auf die Ordinate). Das Unternehmen, 1 Vgl. Schefczyk (1996), S. 178: DEA [erweitert] eingeführte klassische kennziffernorientierte Erfolgsmeßverfahren. 4

Das Konzept der DEA als Verfahren zur Effizienzmessung Umsatz in 1000 Effizienter Rand 2000 A R B C D 1000 v B F E 1000 ' B Werbeausgaben in 1000 Abbildung 2.1: Die Idee eines DEA-Modells im Fall jeweils eines Inputs und Outputs 5

Das Konzept der DEA als Verfahren zur Effizienzmessung das am weitesten links oben liegt, hat die beste Leistung erbracht. In diesem Fall handelt es sich hierbei um Hersteller A. Durch diesen Punkt verläuft diejenige Ursprungsgerade mit der höchsten Steigung. Die Leistungen aller übrigen Unternehmen sind schlechter und befinden sich im schraffierten Feld rechts von der Geraden, die man als effizienten Rand bezeichnen kann. 2 Durch die Gerade wird also eine Fläche konstruiert, die eine Umhüllung (envelopment) der beobachteten Leistungen darstellt. Aus dieser Tatsache erklärt sich die Bezeichnung Data Envelopment Analysis. Setzt man voraus, dass alle Leistungen, die durch die schraffierte Fläche inklusive der Geraden durch den Punkt A beschrieben werden, auch prinzipiell möglich sind, so ist nur Unternehmung A effizient. Alle übrigen Automobilhersteller könnten ihre Leistung verbessern. Um Effizienz zu erreichen, sind jeweils zwei Möglichkeiten gegeben: Entweder muss derselbe Umsatz mit weniger Werbausgaben oder mit denselben Werbeausgaben ein höherer Umsatz erreicht werden. Diese zwei Richtungen sind durch die exemplarischen Pfeile für Unternehmen B gekennzeichnet. Soll die Effizienzuntersuchung aufdecken, wieviel Verbesserungspotenzial beim Output bei gleich bleibendem Input besteht, spricht man von Outputorientierung. Entsprechendes gilt für eine inputorientierte Analyse. Zur letztendlichen Quantifizierung der Ineffizienz und damit des Verbesserungspotenzials einer DMU aufgrund des Wissens über mögliche bessere Leistungen durch andere DMUs ist nun der Abstand zum effizienten Rand zu messen. Bei gewählter Outputorientierung müsste Automobilhersteller B mit dem aktuellen Werbebudget auskommen, um den doppelten Umsatz zu erzeugen. Das Streckenverhältnis B B B R B = 1 2 ist dann ein Maß für die relativen Ineffizienz von Unternehmen B. Dabei ist zu beachten, dass diese Quantifizierung relativ zur besten beobachteten Leistung (also der des Unternehmens A) geschieht. Die Effizienz ist also eine relative Größe. 3 Zusätzlich ist anzumerken, dass der Punkt R B, der als Sollposition für Unternehmen B interpretiert werden kann, keine beobachtete Leistung ist. Vielmehr ist R B durch Erstellung der Geraden mit der größten Steigung (des in diesem Fall effizienten Randes) konstruiert worden und stellt in diesem Fall eine so genannte virtuelle Referenzeinheit dar. Die Konstruktion eines effizienten Randes anhand realer Leistungsbeobachtungen und die Heranziehung u.u. virtueller Referenzeinheiten für daraufhin 2 Es handelt sich bei dieser Art von effizientem Rand um den im Rahmen des CCR-Basismodells ermittelten; vgl. dazu folgendes Kapitel. 3 Üblicherweise ist ein Effizienzmaß auf 1 normiert. Die Nicht-Negativität ergibt sich daraus, dass sämtliche Variablen als nicht-negativ vorauszusetzen sind. 6

Das Konzept der DEA als Verfahren zur Effizienzmessung als ineffizient klassifizierter DMUs sind prinzipielle Charakteristika einer DEA. 2.2 Gegenüberstellung von DEA und Regressionsanalyse Um eine vergleichende Analyse der Leistungsfähigkeit von Aktivitäten wertschöpfender Einheiten durchführen zu können, ist die Schätzung einer Produktionsfunktion vonnöten. Nun gibt es verschiedene Vorgehensweisen zur Ermittlung einer solchen Produktionsfunktion. Im Folgenden wird ein Vergleich der DEA mit der Regressionsanalyse diskutiert. 4 Auf diese Weise werden exemplarisch unterschiedliche Analyseziele aufgedeckt, aus denen entsprechend unterschiedliche Anwendungsgebiete resultieren. 5 Die Regressionsanalyse ermittelt in dem hier beschriebenen Kontext eine Durchschnittsproduktion, und zwar durch Schätzung der unbekannten Parameter eines als prinzipiell bekannt angenommenen Einflusses unabhängiger Variablen auf die abhängige Größe. Dieser prinzipielle Einfluss ist beispielsweise linear in den unabhängigen Variablen auf die abhängige, so dass dann ein lineares Regressionsmodell verwendet würde. Da die Regressionsanalyse parametrisch vorgeht, ist sie für eine statistische Güteprüfung geeignet. Im Gegensatz dazu ist für die DEA keine a priori-spezifikation eines Input- Output-Verhältnisses erforderlich. Der effiziente Produktionsrand wird daher auf nichtparametrische Weise ermittelt. Als Nachteil hierbei ergibt sich die Tatsache, dass eine statistische Überprüfung der Ergebnisse entfällt. Abbildung 2.2 stellt im Falle jeweils 4 Vgl. dazu auch bspw. Bauer, Staat und Hammerschmidt (2000) oder Golany et al. (1990a). 5 Zu einer Systematisierung der Verfahren zur Schätzung von Produktionsfunktionen vgl. Schefczyk und Gerpott (1994), S. 939: Im Schrifttum vorgeschlagene Verfahren lassen sich anhand von drei Hauptkriterien systematisieren: (1) deterministischer versus stochastischer Charakter der Produktionsfunktion; (2) Schätzung der Produktionsfunktion durch parametrische Analyse, die eine explizite A-Priori-Spezifikation des zwischen Faktoreinsatz und Faktorerträgen bestehenden funktionalen Zusammenhangs voraussetzt, oder durch induktiv und implizit angelegte nicht-parametrische Analyse; (3) Schätzung der Funktion mit Hilfe mathematischer Programmierungsmodelle versus statistischer Verfahren. Die Anwendung deterministischer Modelle, die nicht mit Hilfe statistischer Verfahren sondern mit mathematischen Programmierungsansätzen arbeiten, führt zu best practice -Produktionsfunktionen [...]. Der Rückgriff auf stochastische oder deterministische statistische Modelle ist hingegen mit der Schätzung von average -Produktionsfunktionen verbunden. Die DEA ist als deterministisches, nicht-parametrisches Verfahren zu klassifizieren. 7

Das Konzept der DEA als Verfahren zur Effizienzmessung Output Randproduktionsfunktion Regressionslinie Input Abbildung 2.2: Prinzipielle Gegenüberstellung von einer DEA und der Regressionsanalyse als Verfahren zur Ermittlung einer Produktionsfunktion eines Inputs und Outputs die von der Regressionanalyse und der DEA ermittelten Produktionsfunktionen dar. Zur Illustration der methodischen Unterschiede zwischen Regressionsanalyse einerseits und DEA andererseits diene folgendes Beispiel: Verschiedene Fluggesellschaften aus dem Low-Cost-Segment setzen eine Reihe von Instrumenten des Marketing-Mixes ein, um den durchschnittlich erzielten Sitzladefaktor in einem bestimmten Zeitraum zu erhöhen. Als mögliche Instrumente werden Print-, Plakat- und TV-Werbung, die Anzahl der als Sonderangebote angebotenen Sitze, das durchschnittliche Alter der Flotte und der Anteil der in Metropolen führenden Strecken angesehen. Um in einem ersten Schritt herauszufinden, welche dieser Instrumente überhaupt und bezogen auf den gesamten Low-Cost-Markt einen entscheidenden Einfluss auf die (abhängige) Zielvariable durchschnittlicher Sitzladefaktor ausüben, ist ein regressionsanalytisches Modell zweckmäßig. So ist es beispielsweise denkbar, dass über alle betrachteten Airlines das Alter der Flotte keinen signifikanten Einfluss auf den Sitzladefaktor besitzt. Nach der Bestimmung relevanter Inputs mittels einer Regres- 8

Das Konzept der DEA als Verfahren zur Effizienzmessung sionsanalyse kann dann gefragt werden, wie effizient es den einzelnen Unternehmen denn tatsächlich gelingt, einen bestimmten Sitzladefaktor zu erreichen, d.h. wie jede einzelne Fluggesellschaft bezüglich des Einsatzes diverser Instrumente im Vergleich zu allen übrigen zu beurteilen ist. Hierzu ist die DEA geeignet, deren Effizienzmaße auf der Ermittlung von best practice-leistungen beruhen. 2.3 Theoretische Fundierung der DEA Die Beiträge von Dyckhoff und Allen (1999) sowie in besonderer Ausführlichkeit von Kleine (2002) erläutern entscheidungs- und produktionstheoretische Grundlagen der DEA. Die Entscheidungstheorie stellt aufgrund folgender Überlegungen einen sinnvollen theoretischen Bezugsrahmen für die DEA dar. 6 Ziel einer DEA ist es, verschiedene Produktionen oder Leistungen bezüglich ihrer Güte bzw. Vorziehungswürdigkeit miteinander zu vergleichen, um effiziente von ineffizienten Alternativen zu unterscheiden. Um die Güte einer Alternative (in dem hier vorliegenden Kontext: der Leistung einer DMU) zu bewerten, verwendet man ganz allgemein (u.u. mehrere und/oder konfliktäre) Zielfunktionen (z.b. Kostenminimierung, Umsatzmaximierung), anhand derer man dann entscheiden kann, ob eine Leistung besser ist als eine andere. Dazu verwendet man den Begriff der Dominanz. Eine der betrachteten Alternativen dominiert dann eine andere, wenn sie bezüglich der Zielfunktionen mindestens so gut eingestuft wird wie die andere, bei mindestens einer jedoch (echt) besser. Bezüglich eines solchen multikriteriellen Entscheidungsmodells nennt man eine Alternative effizient, wenn es für sie keine dominierende Alternative gibt. Darüber hinaus bildet die Produktionstheorie ein theoretisches Fundament. Prinzipiell hat eine Effizienzbeurteilung unter Berücksichtigung aller auf dem zugrunde liegenden Prozess (das zugrunde liegende Herstellungsverfahren von Outputs durch Einsatz von Inputfaktoren) beruhenden Produktionsmöglichkeitenmenge zu geschehen. Im Allgemeinen sind diese jedoch unbekannt, so dass plausible Annahmen über deren wesentliche Eigenschaften getroffen werden müssen. 7 Das bedeutet dann unter 6 Vgl. dazu bspw. Dyckhoff und Allen, S. 419: [...] geht es um die Beurteilung der Güte oder Vorziehungswürdigkeit von (Produktionen als) Handlungsalternativen, die von gewissen Entscheidungsträgern [...] ergriffen werden können. Schon das dem üblichen Effizienzbegriff zugrunde liegende Dominanzprinzip beschreibt eine solche Präferenzrelation. Mit derartigen Sachverhalten beschäftigt sich grundsätzlich die Entscheidungstheorie. Insofern kann die Problematik der Effizienzanalyse auch in den allgemeinen Rahmen der Entscheidungstheorie gestellt werden. 7 Vgl. Dyckhoff und Allen (1999), S. 415. 9

Das Konzept der DEA als Verfahren zur Effizienzmessung anderem, dass man unter Effizienz stets eine relative Größe zu verstehen hat, die sich nicht auf die (absolute) Technik bezieht. Grundsätzliche Annahmen der DEA lassen sich folgendermaßen beschreiben: Sämtliche Input- und Outputmengen sind nicht-negativ. Alle in die Analyse einbezogenen DMUs sind durch dieselben Variablen beschreibbar. Sämtliche DMUs arbeiten mit einem ähnlichen Herstellungsverfahren, d.h. die Aktivitäten sämtlicher DMUs sind Realisationen ein und desselben (i.a. unbekannten) Herstellungsverfahrens. Zur Produktionsmöglichkeitenmenge gehören insbesondere Konvexkombinationen der Aktivitäten aller DMUs. Das bedeutet beispielsweise, dass mit den beobachteten Outputs zweier DMUs ebenfalls die Erstellung eines Outputs möglich ist, der sich aus beliebigen Anteilen der zwei beobachteten zusammensetzt. Je höher c.p. Outputmengen bzw. je niedriger c.p. Inputmengen, desto größer die Effizienz. Es gilt also das Dominanzprinzip im Koopmansschen Sinn. Weiterführende Betrachtungen zu produktionstheoretischen Hintergründen der DEA finden sich bspw. in Charnes et al. (1985), Dyckhoff und Allen (1999) 8 sowie Kleine (2002). 8 Vgl. Dyckhoff und Allen (1999), S. 419: Mit den Eigenschaften und den daraus resultierenden Konsequenzen für die Produktion beschäftigt sich die Produktionstheorie, so dass sie diesbezüglich eine Grundlage für die Formulierung eines theoretischen Bezugsrahmens bilden kann. In Frage kommen Ansätze auf der Basis von Produktionsmöglichkeitenmengen wie die Aktivitätsanalyse (nach Koopmans 1951) oder der Theorie der Produktionskorrespondenzen (nach Shephard 1953 und 1970) und ihrer jeweiligen Weiterentwicklungen. 10

Kapitel 3 Basismodelle und Varianten der DEA: Eine Bestandsaufnahme im Hinblick auf Marketingbezogene Anwendungen 3.1 Basismodelle der DEA DEA-Basismodelle sind in einer groben Übersicht zu unterteilen in (i) solche, die ein radiales Maß verwenden, um Ineffizienz zu quantifizieren und dabei zum einen entweder der Annahme konstanter bzw. variabler Skalenerträge zugrunde liegen und zum anderen jeweils input- oder outputorientiert formuliert werden können (dabei decken radiale Effizienzmaße proportionales Verbesserungspotenzial auf), (ii) solche, die die beiden möglichen Orientierungen (Input- und Outputorientierung) simultan in einem Modell und dabei die L 1 - bzw. city block-metrik der Abstandsmessung ineffizienter DMUs zum effizienten Rand verwenden und schließlich (iii) solche, denen eine abschnittsweise log-lineare Cobb-Douglas-Produktionsfunktion zugrunde liegt. Unter (i) fallen die CCR- (nach Charnes, Cooper und Rhodes) und BCC-Modelle (nach Banker, Charnes und Cooper), unter (ii) so genannte Additive und unter (iii) Multiplikative Modelle. 1 Darüber hinaus gibt es einen Ansatz unter der Bezeichnung Free Disposal Hull (FDH), der von der restriktiven Bedingung der Konvexität der Produktionsmöglichkeitenmenge abrückt und in der Technik der Linearen Programmierung eine wesentliche Modifikation benötigt. Außerdem ist das ausgewiesene radiale Maß der Ineffizienz anders zu interpretieren, so dass man schließlich auch nicht mehr die Gültigkeit des Dominanzprinzips im Koopmansschen Sinn voraussetzen kann. 1 Vgl. hierzu auch Cooper et al. (2002), S. 54: The main forms of DEA models [...] and their extensions include the CCR and the BCC models [...] the additive models and the multiplicative models. 11

Basismodelle der DEA In Abschnitt 2.1 wurde bereits die prinzipielle Idee einer DEA dargestellt. Diese Idee soll nun noch einmal aufgegriffen werden, nun aber in dem Bestreben, zur Darstellung des hinter einer DEA steckenden Konzeptes mathematische Modellformulierungen zu verwenden. 3.1.1 Die Basismodelle CCR und BCC Grob gesprochen sind die hier genannten Basismodelle vom Typ CCR bzw. vom Typ BCC solche, die ein radiales Effizienzmaß verwenden und jeweils für Input- und Outputorientierung formuliert werden können. Zunächst wird das ursprüngliche, von Charnes, Cooper und Rhodes (1978) entwickelte DEA-Modell hergeleitet. Dabei wird noch einmal deutlich, welcher grundsätzlichen Idee eine DEA unterliegt. Eine DEA ist in der Lage, gleichzeitig sämtliche relevanten Outputs und Inputs in die Effizienzanalyse einzubeziehen. Dazu werden die Outputvariablen y 1,..., y s über so genannter Multiplikatoren u 1,..., u s vergleichbar gemacht und zum Gesamtoutput aufsummiert. Analog verfährt man auf der Inputseite, in dem die Input-Variablen x 1,..., x m mit den jeweiligen Multiplikatoren v 1,..., v m gewichtet und entsprechend zum Gesamtinput aufsummiert werden. Unter der Produktivität oder auch dem Leistungsindex einer DMU ist der Quotient aus Gesamtoutput und Gesamtinput zu verstehen. Zur eigentlichen Effizienzanalyse werden nun die Werte der Multiplikatoren dabei nicht von vornherein festgelegt, sondern als Zielgröße in einem zunächst nicht-linearen Programm, genauer in einem Quotientenprogramm, dargestellt. Um nun die Effizienz einer bestimmten DMU (im Folgenden als DMU 0 bezeichnet) im Vergleich zu den anderen betrachteten zu quantifizieren, werden die Werte der (DMU 0-spezifischen) Multiplikatoren derart bestimmt, dass der Leistungsindex maximal wird, aus Normierungsgründen jedoch höchstens 1. Die Bestimmung der optimalen Werte der Multiplikatoren geschieht daher unter Beachtung der Nebenbedingungen, dass der Leistungsindex sämtlicher anderer DMUs mit denselben Multiplikatoren kleiner oder gleich 1 ist. In mathematischer Formulierung bedeutet dies insgesamt: 12

Basismodelle der DEA Modell 3.1 (CCR-Quotientenprogramm) (QP 0 ) max u,v unter θ = u 1y 1o + u 2 y 2o +... + u s y so v 1 x 1o + v 2 x 2o +... + v m x mo u 1 y 1j + u 2 y 2j +... + u s y sj 1 (j = 1,..., n) v 1 x 1j + v 2 x 2j +... + v m x mj v 1, v 2,..., v m 0 u 1, u 2,..., u s 0 Zur Ermittlung der Effizienz sämtlicher n DMUs sind also entsprechend n Quotientenprogramme getrennt voneinander aufzustellen und zu lösen. Um diese Lösung jeweils zu bestimmen, wird das Quotientenprogramm in ein Lineares Programm überführt. Die Idee hierzu ist folgende: Der Quotient des Modells 3.1 in der Zielfunktion wird mit dem Kehrwert des Gesamtinputs erweitert. Der Nenner des Leistungsindex ist somit gleich 1. In der Zielfunktion erhält man neue Multiplikatoren für die Outputvariablen; die neuen Gewichtungsfaktoren für die Inputs sind nun in einer zusätzlichen Nebenbedingung erfasst. 2 Man gelangt so zu folgendem, nun linearen, Programm: Modell 3.2 (Transformiertes, Lineares Programm) (LP 0 ) max µ θ = µ 1 y 1o +... + µ s y so unter ν 1 x 1o +... + ν m x mo = 1 µ 1 y 1j +... + µ s y sj ν 1 x 1j +... + ν m x mj (j = 1,..., n) ν 1, ν 2,..., ν m 0 µ 1, µ 2,..., µ s 0. Dabei sind die Gewichte aus denen unter Modell 3.1 genannten durch die äquivalente Umformulierung vom Quotientenprogramm in das vorliegende Lineare Programm entstanden durch die Transformationen µ k = u k m i=1 v ix io, ν k = 1 m i=1 v ix io. Fasst man die Gewichte µ 1,..., µ s, ν 1,..., ν m zu jeweils einem Vektor und die Werte der Inputvariablen x iρ (i = 1,..., s als Index für die verschiedenen Inputs, ρ = 1,..., n 2 Zur Rechtfertigung dieser Vorgehensweise sei auf Cooper, Seiford und Tone (2002) verwiesen, S. 24, Theorem 2.1. 13

Basismodelle der DEA als Index für die DMUs) sowie der Outputvariablen y jτ zu Datenmatrizen X bzw. Y zusammen, so lässt sich das vorangegangene LP folgendermaßen schreiben: Modell 3.3 (CCR-I, Vektorschreibweise) (LP 0 ) max µ µy 0 unter νx 0 = 1, νx + µy 0, ν, µ 0. In einem folgenden Schritt betrachtet man das hierzu duale Programm Modell 3.4 (CCR-I, Duales Programm) (DLP 0 ) min θ unter θx 0 Xλ 0, Y λ y 0, λ 0. Die hier formulierte Optimierungsaufgabe lässt sich folgendermaßen interpretieren: 3 Gesucht ist der für die betrachtete DMU 0 kleinstmögliche Faktor θ, für den (1.) keine Gewichtung λ 1 y j1 +... + λ n y jn von Outputs für irgendeinen Outputfaktor j den Gesamtoutput der DMU 0 unterschreitet und (2.) keine Gewichtung λ 1 x i1 +... + λ n x in von Inputs für irgendeinen Inputfaktor i das θ-fache des Gesamtinputs von DMU 0 überschreitet. Dabei ist λ = (λ 1,..., λ n ) T als ein Vektor reeller Variablen und θ als eine reellwertige Variable vorausgesetzt. Ist die optimale Lösung θ des obigen Linearen Programms echt kleiner als 1, so bedeutet dies, dass es eine lineare Kombination anderer DMUs gibt, die mindestens gleichviel Output erzeugt, jedoch dazu nur einen um θ proportional reduzierten Input benötigt. (Xλ, Y λ) überbietet dann also die durch (θx 0, y 0 ) beschriebene Aktivität. Auf dieser Basis können so genannte slacks (Schlupfvariablen) definiert werden: s := θx 0 Xλ, s + := Y λ y 0, 3 Vgl. dazu Schefczyk (1996), S. 170f. 14

Basismodelle der DEA wobei s, s + 0 und (θ, λ) eine Lösung von (DLP 0 ) seien. Die Bedeutung dieser Schlupfvariablen ist folgende: Es kann vorkommen, dass bei einer ineffizienten DMU über den proportionalen Faktor θ hinaus Verbesserungen bezüglich einiger Variablen erreicht werden müssen, um effizient zu werden. Um solche (zusätzlichen) Outputdefizite und Inputverschwendungen zu identifizieren, kann ein 2-Phasen-LP aufgesetzt werden, das diese Idee umsetzt: Modell 3.5 (2-Phasen-LP, Variablenslacks) (I) Sei θ Lösung von (DLP 0 ). (II) Löse max ω = es + es + unter s = θ x 0 Xλ, s + = Y λ y 0, λ 0, s 0, s + 0, wobei e einen Vektor aus lauter Einsen bezeichnet. Unter Bezugnahme auf dieses Modell lässt sich nun definieren, wann eine DMU als effizient einzustufen ist: Definition 3.6 (CCR-Effizienz) DMU 0 ist CCR-effizient genau dann, wenn für die optimale Lösung (θ, λ, s, s + ) des Linearen Programms 3.5 gelten: θ = 1 und s, s + = 0. Ist also die Bedingung aus Definition 3.6 für eine DMU erfüllt, so gibt es bezüglich deren Leistung im Vergleich zu den übrigen DMUs nicht nur kein poportionales Verbesserungspotenzial, sondern auch nicht bezüglich irgendeiner einzelnen Variable. Bisher ging es darum, für DMUs auf der Inputseite Einsparungspotenzial aufzudecken unter der Voraussetzung, mindestens jeweils denselben Output zu erzielen. Im Gegensatz dazu ist es natürlich auch möglich, ein entsprechendes outputorientiertes Modell vorzulegen, das für eine DMU den Faktor ermittelt, um den sämtliche Outputs bei konstantem Input vergrößert werden müssten, um Effizienz zu erreichen: Modell 3.7 (CCR-O, Duales Programm) (DLP O 0 ) max η unter x 0 Xµ 0, ηy 0 Y µ 0, µ 0. 15

Basismodelle der DEA Dabei ist zu beachten: Ist θ Lösung von (DLP 0 ), η von (DLP O 0 ), so gilt η = 1/θ. Für die optimalen Gewichte (Multiplikatoren) µ von (DLP 0 ) bzw. λ von (DLP O 0 ) gilt µ = λ /θ. Das zu Modell 3.7 duale Programm schreibt sich als Modell 3.8 (CCR-O) (LP O 0 ) min px 0 unter qy 0 = 1, px + qy 0, p, q 0. Die bisher genannten Modelle setzten konstante Skalenerträge voraus. Diese restriktive Annahme war einer der Hauptkritikpunkte dieser ersten DEA-Basismodelle, denn in vielen Anwendungssituationen erwiesen sich konstante Skalenertäge als unangemessen. Aus diesem Grund wurde von Banker, Charnes und Cooper ein Modell formuliert, das variable Skalenertäge berücksichtigt. Zunächst wird das inputorientierte Modell genannt, das man als envelopment form bezeichnet; der Zusatz im Vergleich zu Modell 3.4 ist gekennzeichnet: Modell 3.9 (BCC-I) (BCC 0 ) min θ B unter θ B x 0 Xλ 0, Y λ y 0, eλ = 1 (ZUSATZ), λ 0. Auch hierzu sei das duale Programm (Bezeichnung: multiplier form) genannt: 16

Basismodelle der DEA Modell 3.10 (BCC-I, Duales Programm) (DBCC 0 ) max z = uy 0 u 0 unter vx 0 = 1, vx + uy u 0 e 0, v, u 0, u 0 vorzeichenbeliebig. Dabei bedeutet vorzeichenbeliebig entweder positiv oder negativ oder Null. Die Interpretationen des CCR-Ergebnisse übertragen sich auf die hier vorgestellten BCC-Modelle. Ähnlich wie bei konstanten Skalenerträgen lässt sich nun die BCC- Effizienz definieren: Definition 3.11 (BCC-Effizienz) DMU 0 ist BCC-effizient genau dann, wenn für die optimale Lösung (θb, λ, s, s + ) des Linearen Programms 3.9 gelten: θb = 1 und s, s + = 0. Um die in Abschnitt 2.1 formulierte DEA-Idee und deren Umsetzung im Quotientenprogramm auch für BCC-Modelle ersichtlich zu machen, wird für den Fall variabler Skalenerträge dieses Quotientenprogramm noch einmal explizit genannt: Modell 3.12 (DBCC-Quotientenprogramm) max unter uy 0 u 0 vx 0 uy j u 0 1 (j = 1,..., n), vx j v, u 0, u 0 beliebig. Auf die ausführliche Darstellung der outputorientierten Modelle soll hier verzichtet werden; an dieser Stelle sei auf Cooper, Seiford und Tone (2002), S. 90f., verwiesen. Um den Zusammenhang der Ergebnisse bei Anwendung des CCR- bzw. BCC- Modells abschließend grafisch zu veranschaulichen, soll noch einmal das einfache Beispiel mit einem Input (Werbeausgaben) und einem Output (Umsatz) aus Abschnitt 2.1 betrachtet werden. Hier wird zusätzlich deutlich, dass die Verfahren zu unterschiedlichen Effizienzarten Auskunft geben, jede CCR-effiziente DMU auch BCCeffizient sein muss, jedoch die Effizienz-Klassifikation i.a. auseinanderfällt. Von technischer Ineffizienz spricht man allgemein dann, wenn die Leistung einer DMU nicht auf der Randproduktionsfunktion liegt. Unterstellt man wie im BCC-Modell nichtkonstante Skalenerträge, so beinhaltet diese technische Ineffizienz möglicherweise 17

Basismodelle der DEA auch so genannte Skalenineffizienz. Diese liegt vor, wenn eine DMU nach Abbau der technischen Ineffizienz ihre Effizienz durch Veränderung des Produktionsvolumens verbessern kann. 4 An Abbildung 3.1 ist folgendes abzuleiten: (i) DMU A ist sowohl CCR- als auch BCC-effizient. (ii) DMU B ist sowohl CCR- als auch BCC-ineffizient. Da der CCR- Referenzpunkt R 2 und der BCC-Referenzpunkt R 1 auseinanderfallen, besteht für DMU B sowohl technische als auch Skalenineffizienz. Das Ausmaß für die Skalenineffizienz von DMU B berechnet sich dabei als Streckenverhältnis R 1R 2 R 3, während sich die B technische Effizienz als Streckenverhältnis R 2R 3 R 3 bestimmt. B (iii) DMU C ist BCC-effizient, jedoch CCR-ineffizient. Also liegt hier reine Skalenineffizienz vor. 5 (iv) DMU D ist sowohl CCR- als auch BCC-ineffizient. DMU A ist Referenzpunkt. Aufgrund der unter (i) genannten Eigenschaften von DMU A ist DMU D rein technisch ineffizient. Insgesamt lässt sich festhalten, dass CCR-Modelle unabhängig vom Skalenniveau eine Art Gesamtineffizienz ausgeben, während BCC-Verfahren Ineffizienz unter DMUspezifisch gegebenem Niveau quantifizieren. 3.1.2 Additives Modell CCR- und BCC-Modelle benötigen jeweils die Wahl einer speziellen Orientierung. Bei Inputorientierung wird nach dem Faktor gesucht, um den eine DMU sämtliche Inputfaktoren reduzieren muss, um im Vergleich zu den übrigen DMUs auf den effizienten Rand projiziert zu werden. Nun gibt es Situationen, in denen man versuchen möchte, simultan Inputverschwendungen und Outputdefizite zu vermeiden. Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn sowohl auf Inputseite als auch auf Outputseite Variablen bestehen, die vom Management direkt kontrolliert werden können. Ein Modell, das diese Idee umsetzt, ist das so genannte Additive Modell. 4 Cantner und Hanusch (1998), S. 230. 5 Zur Erkennung von Skalenineffizienzen an der optimalen Lösung des eingesetzten BCC-Modells vgl. bspw. Cantner und Hanusch (1998), S. 234ff. 18

Basismodelle der DEA Umsatz in 1000 BCC-effizienter Rand 2000 CCR-effizienter Rand C A D 1000 R 3 R 2 R 1 v B F E 1000 Werbeausgaben in 1000 Abbildung 3.1: Exemplarischer Vergleich inputorientierter CCR- und BCC- Basismodelle 19

Basismodelle der DEA Modell 3.13 (ADD-Basismodell) (ADD 0 ) max z = es + es + unter Xλ + s = x 0, Y λ s + = y 0, eλ = 1, λ 0, s, s + 0. Das hierzu duale Modell, das gleich kurz interpretiert wird, hat folgende Gestalt: Modell 3.14 (ADD, Duales Programm) (DADD 0 ) min w = vx 0 uy 0 + u 0 unter vx uy + u 0 e 0, v, u e, u 0 beliebig. Der Parameter u 0 gibt Auskunft über den Skalenertrag auf dem entsprechenden Teilstück des effizienten Randes: Gilt u 0 < 0, so sind diese zunehmend, u 0 > 0, so abnehmend und entsprechend konstant, falls u 0 = 0. Man beachte, dass hier implizit dieselbe Produktionsmöglichkeitenmenge P wie im BCC-Modell angenommen wird. Das additive Modell betrachtet jedoch Inputverschwendungen und Outputdefizite simultan. Es ermittelt für eine zu beurteilende DMU denjenigen Punkt auf der Randproduktionsfunktion, der innerhalb des Dominanzbereichs von der Performance der Einheit 0 am weitesten entfernt ist. Zur Abstandsmessung wird also hier die L 1 -Metrik verwendet. 3.1.3 Weitere Basismodelle Multiplikative Modelle In Abschnitt 2.2 wurde der Leistungsindex einer DMU formuliert als Quotient aus der gewichteten Summe sämtlicher Outputs und der gewichteten Summe der Inputvariablen. Abweichend von diesem Produktivitätsmaß gibt es die Möglichkeit, relative Effizienz bei mehreren Inputs und Outputs durch ein multiplikatives Maß zu messen, vgl. Charnes et al. (1983). Diese Autoren formulieren ein DEA-Modell, das dieses multiplikative Maß verwendet und dabei invariant ist gegenüber Skalentransformationen. 20

Basismodelle der DEA Es stellt sich heraus, dass dann die von der DEA produzierten Datenumhüllung abschnittsweise vom Cobb-Douglas-Produktionsfunktionstyp ist. Für genauere Betrachtungen, insbesondere Modellformulierungen, sei auf Charnes et al. (1983) verwiesen. Free Disposal Hull-Modell Die Voraussetzungen an die Produktionsmöglichkeitenmenge (im Folgenden: PMM) sowohl im CCR- als auch im BCC-Basismodell sind recht restriktiv. Die Annahme, dass mit realisierten Leistungen auch stets beliebige Konvexkombinationen möglich sind, ist nicht immer gerechtfertigt. Dazu ein Beispiel: Verschiedene Fahrzeughersteller werben u.a. in Printmedien, um Image, Umsatz und Bekannheitsgrad positiv zu beeinflussen. Den Einsatz (Input) im Bereich Printmedien lässt sich beispielsweise durch die Anzahl der geschalteten Seiten pro Zeiteinheit in sämtlichen Zeitschriften messen. In diesem Zusammenhang macht es wenig Sinn anzunehmen, eine beliebige (reelle) Zahl an geschalteten Seiten sei möglich. Vielmehr ist hier die betrachtete Variable auf die Ganzen Zahlen beschränkt. Die theoretisch denkbare DEA-Handlungsempfehlung, man müsse ceteris paribus die Anzahl der Werbeseiten pro Zeiteinheit um 7,95 Prozent verringern (und dies bei einem aktuellen Wert von beispielsweise 57), ist in der Praxis nicht umzusetzen. Ein Versuch, diesen und ähnlichen Situationen in einem Modell zur Effizienzmessung gerecht zu werden, besteht in der so genannten Free Disposal Hull-Methode (im Folgenden: FDH). 6 Tulkens (1993) gibt eine Hierarchie von Bedingungen an die PMM an und stellt das Modell vor, das im Vergleich zu den genannten Basismodellen die schwächsten Voraussetzungen benötigt. Die Forderungen bezüglich der PMM lauten folgendermaßen: (i) determinist postulate Die Beobachtungen sämtlicher DMU-Leistungen gehören zur PMM. (ii) free disposal postulate Es gehören diejenigen Leistungen zur PMM, die bei jedem Output höchstens so viel erzeugen wie bei beobachteten Leistungen und bei mindestens einem Input mehr benötigen sowie diejenigen, die bei jedem Input mindestens so viel wie bei beobachteten benötigen und bei mindestens einem Output weniger hervorbringen. (iii) convexity postulate Jede Konvexkombination der unter (i) und (ii) möglichen Leistungen gehört zur PMM. 6 Zur ausführlichen Diskussion dieser Methode sei auf Kleine (2002), S. 135ff., und Allen (2002), S. 168ff., verwiesen. 21

Basismodelle der DEA CCR-Rand BCC-Rand FDH-Rand Abbildung 3.2: Grafische Darstellung des effizienten Randes in FDH-Modellen im Vergleich zum CCR- und BCC-Modell (iv) convexity and partial proportionality postulate Jede Konvexkombination der unter (i) und (ii) möglichen Leistungen sowie Konvexkombinationen solcher Leistungen und der ursprünglichen Input-Output-Menge gehören zur PMM. (v) full proportionality postulate Positive Vielfache jeder beobachteten Leistung gehören zur PMM. Dabei benötigt FDH die Forderungen (i)-(ii), BCC (i)-(iii), ein DEA-Modell mit nichtsteigenden Skalenerträgen (i)-(iv) und schließlich CCR (i)-(v). Insofern ist FDH die unter diesen Modellen am wenigsten restriktive Methode. Die FDH-Methodik bedient sich, wie in den besprochenen DEA-Modellen der Fall, Techniken der Linearen Programmierung, allerdings mit wesentlichen Modifikationen. 7 Auf diese Weise wird erreicht, dass sich der effiziente Rand der aktuellen Datenstruktur enger anpasst. Folglich sind die Effizienzwerte (u.u. erheblich) höher als bei Anwendung eines BCC- oder CCR-DEA-Modells. Eine grafische Veranschaulichung dieses Sachverhaltes findet sich in Abbildung 3.2. 7 Vgl. Tulkens (1993), S. 187ff. 22

Varianten der DEA Das Standard-LP ist im Rahmen der FDH nun nicht mehr anwendbar. Zur Ermittlung der optimalen Gewichtungsfaktoren gelangt hier eine Vektorvergleichsmethode zum Einsatz, die einen kompletten Aufzählungsalgorithmus bedeutet. Dabei ist es wie bei den DEA-Basismodellen möglich, entweder Input- oder Outputorientierung zu wählen. Gleichzeitig ist gewährleistet, dass die Effizienz einer DMU ausschließlich im Vergleich zu den anderen DMUs geschätzt wird. Wesentlicher Unterschied zur DEA ist aber nun der, dass der Referenzpunkt für eine ineffiziente DMU in jedem Fall ein realisierter (also kein konstruierter) Punkt ist - and this makes it more convincing than the DEA evaluations. 8 Bei dieser globalen Beurteilung ist jedoch folgendes zu beachten: Zum einen besteht i.d.r. bei der ineffizienten DMU und der Referenzeinheit ein unterschiedlicher Input-Output-Mix. Im Einzelfall ist zu entscheiden, ob dies überhaupt wünschenswert ist. Zum anderen ist es möglich, dass eine ineffiziente DMU einen relativen Ausreißer als Referenzpunkt besitzt. Also verstärkt FDH die Abhängigkeit und Sensitivität der Ergebnisse von den in die Analyse einbezogenen DMUs. Darüber hinaus fällt das Argument, FDH produziere realistischere Referenzeinheiten, bei steigender Dichte des Datensatzes tendenziell weniger ins Gewicht. Zur abschließenden Anwendungsempfehlung sei gesagt, dass im Einzelfall zu prüfen ist, inwiefern die Annahmen bezüglich der Vorgehensweise zur Konstruktion von Referenzeinheiten (und somit letztlich zur Ermittlung von Soll-Positionen) mit der Anwendungssituation vereinbar sind. Beim Prozess der Modellauswahl ist abzuwägen, wie stark vereinfachende Annahmen auf die evaluativen Aussagen über die (modellhaft abgebildete) Realität wirken. 3.2 Varianten der DEA mit exemplarischen Verweisen auf Marketing-bezogene Anwendungen In der Einleitung wurde bereits erwähnt, dass die Zahl der bisherigen Anwendungen der DEA in Marketing-bezogenen Untersuchungssituationen bisher gering ist. In Tabelle 3.2 findet sich eine Übersicht von uns identifizierter Anwendungen. 8 Tulkens (1993), S. 206. 23

24 Verfasser DMUs Inhaltlicher und/oder methodischer Fokus Ali und Bhargava (1998) Bauer, Staat und Hammerschmidt (2000) Variablen 146 Molkereigenossenschaften Marketing-Performance (1) Outputs: Umsatz, Erlös, Stabilität; Inputs: Nachfrage, Kapazität; (2) Output: Umsatz; Inputs: Kapazität, Kosten, Vielseitigkeit 30 Automobilmodelle der Kompaktklasse aus den Jahren 1994 bis 1996 Produkt-Controlling Outputs: Gebrauchtwagenpreis als Prozentsatz des Kaufpreises nach 4 Jahren Betrieb, Zuverlässikeit im prakt. Betrieb, Zukunftssicherheit (bzgl. Kat.); Inputs: Anschaffungspreis, jährl. Unterhaltskosten im prakt. Betrieb Boles et al. (1995) 58 Verkaufsangestellte Effizienz des Verkaufspersonals Outputs: Erfolgsquote, Supervisor-Einschätzung des Vertreters mit Hilfe dreier Fragen, Verkaufsvolumen; Inputs: Verkaufstraining, Gehalt, Quotient aus Anzahl der Manager pro Office und Anzahl der Vertreter pro Office, gebietsbezogenes Potenzial Büschken (2003) 21 Marken im deutschen Automobilmarkt, 1998-2001 Chebat et al. (1994) Datengruppen (jeweils kanadische Firmen): (1) 50 DMUs aus dem Bereich Lebensmittel und Getränke (2) 42 Forstprodukte(3) 39 Metallprodukte(4) 59 DMUs aus dem Bereich Trade and Commerce (5) 39 DMUs aus dem Bereich Entertainment, Hotels und Restaurants Donthu und Yoo (1998) Golany et al. (1990a) Kamakura, Ratchford und Agrawal (1988) inhaltlicher Fokus: Werbeeffizienz; methodische Aspekte: Supereffizienz, Vergleich der Ergebnisse verschiedener Modelle, Vergleich DEA-principal component analysis Allokation von Marketing-Ressourcen; methodischer Fokus: Vergleich mit regressionsanalytischen Ergebnissen Output: Kauferwägung; Inputs: Werbeausgaben in vier verschiedenen Bereichen; jeweils jährliche Durchschnittswerte Output: Zufriedenheit mit den Gewinnen; Inputs: 12 Human- und Finanzressourcen im Marketing betreffende Variablen (z.b. Anzahl der Mitarbeiter im Marketing; Marketing-Budget), 5 Nicht-Marketing-Variablen (z.b. Ausgaben für Forschung und Entwicklung) 24 Filialen einer Fast-Food-Kette Internes Benchmarking im Einzelhandel Outputs: Umsatz, Kundenzufriedenheit; Inputs: Ladenfläche, Geschäftsführererfahrung (in Jahren), geografische Lage (Kategorialvariable), Ausgaben für Verkaufsförderung; sämtliche Variablen wurden in drei aufeinanderfolgenden Jahren erhoben 15 in einem Markt konkurrierende Marken eines gängigen Haushaltproduktes (1) 16 Marken im Bereich C-size Batteries ; (2) 74 bzw. 82 amerikanische bzw. nichtamerikanische Automodelle (1978 bzw. 1984); (3) Vergleich von Effizienzmessungen in 20 Produktkategorien; methodische Besonderheit: Berücksichtigung ordinal- und nominal-skalierter Daten inhaltlicher Fokus: Markenmanagement; methodischer Fokus: Vergleich unterschiedlicher DEA-Modelle bzw. Effizienzarten; Berücksichtigung einer nominal-skalierten und einer nichtbeeinflussbaren Variable Preiseffizienz bei Marken Luo (2003) 245 große Banken Effizienz der Wirtschaft-lichkeit und Marktnähe (zweistufiges Modell) Luo und Donthu (2001) Thomas et al. (1998) (1) 100 Top-Werbetreibende in den USA; (2) 23 Außenwerbekampagnen 520 einzelne Kaufhäuser eines Einzelhandelsunternehmens Werbeeffizienz inhaltlicher Fokus: Effizienz im Einzelhandel; methodische Besonderheit: Anwendung der Assurance-Region- Variante der DEA Outputs: Umsatzerlös, Anzahl der Kundenhaushalte im Markt, Marktanteil; Inputs: Ausgaben für Werbung und sonstige verkaufsfördernde Manahmen, Anzahl der Filialen, die die Marke vertreiben, Verwendungszweck des Produktes (innen, außen), Marktanteil in der Vorperiode (nicht-beeinflussbar) (1) Outputs: mittlere Funktionsdauer in kontinuierlichem bzw. unterbrechendem Einsatz, Leistung bei kontinuierlichem bzw. unterbrechendem Einsatz; Input: niedrigster Marktpreis; (2) Outputs: Beinfreiheit auf dem Rücksitz, Beschleunigung von 0 auf 60 mph, Drehzahl, Länge, Breite, Kraftstoffverbrauch, Ride, Benutzerfreundlichkeit, Reparaturhäufigkeit, Kategorie (Luxus- oder Sportwagen) (Wirtschaftlichkeit) Outputs: Umsatz, Gewinn; Inputs: Mitarbeiter, Anlagevermögen, Eigenkapital. (Marktnähe) Outputs: Umsatz, Gewinn; Inputs: Marktwert, Aktienkurs, EPS (Gewinn je Aktie) (1) Outputs: Umsatz, Betriebseinkommen; Inputs: Ausgaben fr Außenwerbung, Ausgaben für Werbung in Zeitschriften und Radio. (2) Outputs: Werberückruf, Expertenevaluation der Werbequalität; Inputs: Anzahl großgedruckter Wörter auf dem Plakat, Anzahl der inhaltlichen Ausrichtungen, schwarz/weiß oder Farbdruck, Anzahl der präsentierten Grafiken Outputs: Umsatz, Erlöse; Inputs: 16 Variablen in 4 Kategorien Varianten der DEA Tabelle 3.1: Einige bisherige DEA-Anwendungen im Marketing

Varianten der DEA Einzelne in Tabelle 3.2 genannte DEA-Anwendungen im Marketing verwenden Varianten der DEA, die speziellen Anforderungen gerecht werden sollen. So ist bei Thomas et al. (1998) die so genannte Assurance Region-Methode eingesetzt worden: Incorporating assurance regions into a DEA model allowed for a more complete specification of inputs and outcomes than usually found in DEA applications. This procedure permitted the researchers to capture top management s strategic thinking. 9 Bei Golany et al. (1990a) ist die Art der Verwendung der untersuchten Marken des Haushaltsproduktes nominalskaliert (Verwendung innen bzw. außen), 10 bei Kamakura, Ratchford und Agrawal (1988) ist die Leistungsmessung der betrachteten Batterien ordinalskaliert. 11 Diese Beispiele deuten bereits darauf hin, dass Effizienzmessungen in gewissen Marketing-Fragestellungen nach DEA-Modellen verlangen, die typische methodische (Zusatz-)Anforderungen erfüllen. Beispielsweise kann dieser Umstand, wie oben gesehen, an der Skalierung einiger in die Effizienzbetrachtung einzubeziehender Variablen liegen oder auch an der besonderen Berücksichtigung von Erfahrungswerten bezüglich der Wichtigkeit einiger Variablen. Der Marketing-spezifische Anwendungskontext mit typischen Eigenheiten führt also in besonderem Maße zu methodischen Zusatzüberlegungen. Die Tatsache, dass zur Beurteilung von Marketing-Effizienz mittels DEA insbesondere die Anwendung einiger Verfahrensvarianten nahe liegen, soll das Beispiel der Automobilmarken noch einmal illustrieren und bei dieser Gelegenheit auf weitere methodische Aspekte verweisen: Der Output Marktanteil ist stichprobenartig zu messen; aus dem relativen Anteil derjenigen Befragten, die Käufer der betreffenden Marke sind, erhält man eine Schätzung des Marktanteils für diese Marke. Nun ist unmittelbar einleuchtend, dass man es bei dieser Variablen nicht mit einer deterministischen, sondern mit einer zufallsbehafteten zu tun hat. Die Unsicherheit bezüglich des jeweiligen tatsächlichen Marktanteils muss sich zwangsläufig auf die Ermittlung des effizienten Randes mittels DEA auswirken. Es gibt stochastische DEA-Modelle, die diesem Umstand Rechnung tragen. - Im übrigen gelten diese Anmerkungen auch für den hier verwendeten Output Wiederkaufrate. Der Input Anzahl der in einem bestimmten Zeitraum geschalteten ganzseiti- 9 Thomas et al. (1998), Golany et al. (1990a) sowie Kamakura, Ratchford und Agrawal (1988) beziehen nominal und/oder ordinalskalierte Variablen in ihre jeweiligen Effizienzbetrachtungen ein, was bei den DEA-Basismodellen zunächst einmal nicht möglich ist. 10 Vgl. Golany et al. (1990a), S. 499. 11 Vgl. Kamakura, Ratchford und Agrawal (1988), S. 294. 25