Österreichische Psychologie Franz Brentano Franz Brentano (1838 1917) Univ.-Prof. Dr. Gerhard Benetka Biografisches Biografisches geb. 16. 1. 1838 in Marienberg ab 1856 Universitätsstudium in München, Würzburg, Berlin und Münster 1862 Promotion zum Dr.phil. 1864 Priesterweihe 1866 Habilitation für Philosophie in Würzburg 1872 Extraordinariat für Philosophie in Würzburg Entfremdung von der Kirche 1869 Stellungnahme gegen das Infallibilitäts-Dogma 1870 I. Vatikanisches Konzil 1873 Rücktritt vom Priesteramt; Niederlegung der Philosophie-Professur 1878 Austritt aus der Katholischen Kirche 1
1874 Berufung auf ein Ordinariat für Philosophie an die Universität Wien 1880 Niederlegung der Professur; Heirat mit Ida von Lieben; Brentano lehrt als Privatdozent Biografisches 1895 Brentano verlässt Österreich 1896 Florenz; italienische Staatsbürgerschaft 1907 Erblindung 1915 Zürich gest. 17. 3. 1917 Schüler Würzburg: Carl Stumpf, Anton Marty Wien: Edmund Husserl, Kasimir Twardowski, Christian von Ehrenfels, Alexius Meinong, Franz Hillebrand, Thomas Masaryk, Sigmund Freud 2
Kontext wissenschaftliche Rehabilitierung der Philosophie durch Übernahme von in den Naturwissenschaften entwickelten Denkformen Die wahre Methode der Philosophie ist keine andere als die der Naturwissenschaften Worauf soll eine den Naturwissenschaften analoge Methode in der Philosophie bezogen sein? psychische Zustände als Gegenstandsbereich der Philosophie 3
wissenschaftliche Erneuerung der Philosophie auf der Grundlage der Entwicklung einer wissenschaftlichen Psychologie Psychologie vom empirischen Standpunkte (1874) Grundlegung der Psychologie nach Gegenstand und Methode in Abhebung von den übrigen Naturwissenschaften Methode 4
äußere Wahrnehmung als Erfahrungsmodus der Naturwissenschaft innere Wahrnehmung als Erfahrungsmodus der Psychologie Evidenz der inneren Wahrnehmung Introspektion Retrospektion 5
erweiterte Erfahrungsgrundlage der Psychologie: die Erscheinungen des inneren Lebens pflegen sich zu äußern indirecte Erkenntnis fremder psychischer Phänomene Gegenstand Intentionalität als Gattungsmerkmal des Psychischen Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisiert, [...] was wir [...] die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt [...], oder die immanente Gegenständlichkeit nennen würden. Jedes enthält etwas als Objekt in sich, obwohl nicht jedes in gleicher Weise. In der Vorstellung ist etwas vorgestellt, in dem Urteile ist etwas anerkannt oder verworfen, in der Liebe geliebt, in dem Hasse gehasst, in dem Begehren begehrt u.s.w. 6
Aktpsychologie Stellung des Experiments in Brentanos Psychologie deskriptive vs. genetische (= experimentelle) Psychologie deskriptive Psychologie : die auf der inneren Wahrnehmung beruhende Beschreibung psychischer Zustände 7
genetische Psychologie : untersucht die Bedingungen, mit denen das Auftreten der psychischen Zustände verknüpft ist genetische Psychologie der deskriptiven Psychologie nachgeordnet! Zur Geschichte der Psychologie in Österreich II Alexius Meinong (1853-1920) Alexius Meinong und die Grazer Schule 8
Biografisches geb. 17. 7. 1853 in Lemberg Studium der Geschichtswissenschaften an der Universität Wien 1878 Habilitation in Philosophie 1882 Berufung auf ein Extraordinariat für Philosophie an die Universität Graz 1889 Ernennung zum ordentlichen Professor 1886/87 experimentalpsychologische Übungen; mussten 1889 eingestellt werden (fehlende Räumlichkeiten; kein Geld zur Anschaffung von Apparaten) 1893: Wiederaufnahme der experimentalpsychologischen Übungen 1894 Einrichtung des ersten experimentalpsychologischen Laboratoriums in Österreich: Psychologisches Laboratorium der Universität Graz 9
Abgrenzung zur Brentano-Schule Reformulierung des Konzepts der Intentionalität : Gegenstände sind unabhängig von psychischen Akten gegeben Frage nach der Seinsart der Gegenstände das zentrale Problem der Meinongschen Philosophie Objektivismus Existenz realer Gegenstände Bestand idealer Gegenstände Außersein unmöglicher Gegenstände Stephan Witasek (1870-1915) 10
Christian Ehrenfels (1859-1932) Über Gestaltqualitäten (1890) Fragestellung Was sind Vorstellungsgebilde wie eine Raumgestalt oder eine Melodie eine bloße Zusammenfassung von Elementen, oder etwas diesen gegenüber Neues, welches zwar mit jener Zusammenfassung, aber doch unterscheidbar von ihr vorliegt? Gestaltqualitäten : Vorstellungsinhalte, welche an das Vorhandensein von Vorstellungskomplexen im Bewusstsein gebunden sind, die ihrerseits aus voneinander trennbaren (d. h. ohne einander vorstellbaren) Elementen bestehen. Eine Melodie ist 1. gegenüber der Summe ihrer Einzeltöne etwas Neues ( Übersummenhaftigkeit ); 2. bleibt sie auch dann dieselbe, wenn sie in eine andere Tonart transponiert wird ( Transponierbarkeit ) 11
Alexius Meinong (1853-1920) Kann man eine Gestaltqualität wahrnehmen? Zur Psychologie der Komplexionen und Relationen (1891) Ehrenfels Meinong Inferiora sind eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung Gestaltqualität (z. B. Melodie) Vorstellungskomplex (z. B. Folge von Einzeltönen) fundierte Inhalte bzw. Gegenstände Superiora fundierende Inhalte bzw. Gegenstände Inferiora für das Auftreten der Superiora. Dieselben Superiora können durch verschiedene Komplexe von Inferiora reproduziert werden (Beispiel: Melodie) 12
Inferiora und Superiora gehören nicht derselben ontologischen Ordnung an: Inferiora haben zeitlich-räumliche Existenz Wahrnehmen können wir nur die Inferiora; die Superiora werden durch eine psychische Tätigkeit des Subjekts hergestellt. Superiora haben idealen Bestand Vorstellungsproduktion Vittorio Benussi (1878-1927) 13
geometrisch-optische Täuschungen Inadäquatheit der (außersinnlichen) Vorstellungsproduktion Vorstellungen sinnlicher Provenienz vs. außersinnlicher Herkunft 14