Brauchen wir eine Studie zu den Gesundheitsfolgen des Schienenlärms in Deutschland?

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Transkript:

Brauchen wir eine Studie zu den Gesundheitsfolgen des Schienenlärms in Deutschland? Prof. Dr. med. Eberhard Greiser Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen & Epi.Consult GmbH, Musweiler Internationales Silent Europe Rail Symposium Boppard 21.11.2013

SPD-Politiker Kelber zieht Bilanz Bonner Generalanzeiger 21.11.2011 Eine Milliarde Euro würde es laut Kelber kosten, um die 500 000 Güterwaggons, die EU-weit unterwegs sind, mit modernen Bremssystemen auszustatten. Danach seien die Wagen nur noch halb so laut. Diesen Investitionsausgaben gegenüber stünden die Gesundheitskosten, die jährlich aufgrund des Schienenlärms die Kassen in Europa belasteten: neun Milliarden Euro. Basierend auf einer Studie der EU-Kommission

Eine Literaturrecherche ergibt, dass es drei Studien publiziert wurden: 2010 (Lercher und Koautoren) Einnahme von Schlafmitteln und Schienenlärm.

60 Schienenlärm und Verordnung von Schlafmitteln Österreichische ALNAP-Studie (Lercher et al. Noise Health 2010) % mehr Schlafmittel 50 40 30 20 10 0 50-60 55-65 60-70 65-75 Schienenlärm Lden db(a)

Eine Literaturrecherche ergibt, dass es drei Studien publiziert wurden: 2010 (Lercher und Koautoren) Einnahme von Schlafmitteln und Schienenlärm. 2011 (Sorensen und Koautoren) Bluthochdruck und Schienenlärm: nicht signifikant. 2012 (Dratva und Koautoren) Bluthochdruck und Schienenlärm: Schienenlärmpegel tags: 19 db(a), nachts 17 db(a).

Möhler U. Zeitschrift für Lärmbekämpfung 1988

Schienenlärm weist ähnliche Charakteristika auf wie Fluglärm: hohe Emergenz. Es wären deshalb ähnliche Gesundheitsfolgen zu erwarten wie durch Fluglärm verursacht.

Epidemiologische Studie im Umfeld des Flughafens Köln-Bonn im Auftrag des Umweltbundesamtes Fragestellung: Führt nächtlicher Fluglärm zu erhöhter Erkrankungshäufigkeit für Herz- und Kreislauf-Erkrankungen und für psychische Erkrankungen? 1.020.528 Versicherte von 8 gesetzlichen Krankenkassen >> ca. 55.4 % der Gesamtbevölkerung der Stadt Köln, des Rhein-Sieg-Kreises und des Rheinisch-Bergischen Kreises Fluglärm: 6 verkehrsreichste Monate 2004 Nächtliche Flugbewegungen: im Durchschnitt 87 pro Nacht

Erhöhung des Erkrankungsrisikos durch nächtlichen Fluglärm Sämtliche Herz- und Kreislauferkrankungen Männer und Frauen ab 40. Lebensjahr (Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzschwäche, koronare Herzkrankheit) 100 Risiko-Anstieg % 80 60 40 20

Maximaler Dauerschallpegel Flughafen Köln-Bonn nachts 2004 62 db(a) Dauerschallpegel Rüdesheim Schienenlärm nachts 2012-2013 78 db(a)

Nächtlicher Schienenlärm - Kritische Probleme Kann nächtlicher Schienenlärm zu ähnlichen Erkrankungen führen wie nächtlicher Fluglärm oder Straßenlärm? Welche gesundheitlichen Effekte treten bei nächtlichen Dauerschallpegeln um 80 db(a) auf? Ein Lärmpegel von 78dB(A) ist nicht um 26% höher als ein Lärmpegel von 62 db(a), sondern um 3200%, weil jeder Zuwachs um 3 db(a) eine Verdopplung der Lautstärke bedeutet. Welche Gesundheitsfolgen haben Erschütterungen durch Güterzugverkehr? Wieviele Menschen erkranken pro Jahr durch nächtlichen Schienenlärm, wieviele sterben an diesen Erkrankungen und welche Krankheitskosten entstehen dadurch?

An sich unzulässiger Versuch einer Übertragung der Ergebnisse der Fluglärmstudie um den Flughafen Köln-Bonn auf die Bevölkerung im Umfeld der Rheinschiene. Untersuchungs-Region: Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg

Studienregion nördlicher Teil

Studienregion südlicher Teil Bevölkerung Studienregion Rheinland-Pfalz 2.0 Millionen Hessen 1.2 Millionen Baden-Württemberg 2.9 Millionen

Annahmen 1. Gesamtbevölkerung durch Schienenlärm belästigt ca. 34% (Umfrage Umweltbundesamt, 2012) Umfrage Umweltbundesamt 2012 zu Lärmbelästigung: - Straßenlärm 55% - Fluglärm 23% - Schienenlärm 34% - Industrielärm 32% - Nachbarschaftslärm 42%

Annahmen 1. Gesamtbevölkerung durch Schienenlärm belästigt ca. 34% (Umfrage Umweltbundesamt, 2012) 2. In Studienregion belästigte Population 40-50%%. 3. belastet mit höchstem Dauerschallpegel (78 db(a)): 3% 4. belastet mit Dauerschallpegel von 60 db(a): 10% 5. belastet mit Dauerschallpegel von 50 db(a): 15% 6. Diese drei Dauerschallpegel bilden alle Dauerschallpegel von 40 bis 78 db(a) in grober Näherung ab. 7. Risiko-Erhöhungen durch Schienenlärm wie Risiko- Erhöhungen durch Fluglärm mit linearem Anstieg von 62-78 db(a). 8. Krankheitshäufigkeiten für Herz- und Kreislauferkrankungen, Demenz und chronisches Nierenversagen wie um den Flughafen Köln-Bonn.

Ergebnisse Belastete Population bei 50 db(a): 945.000 60 db(a): 630.000 78 db(a): 189.000 Risiko-Erhöhungen signifikant bei 40-76 Jahre alten Männern und Frauen Zusätzliche Erkrankungen an Herz- und Kreislauferkrankungen, Demenz und chronischem Nierenversagen durch Schienenlärm (einmalige Beobachtung) : ca. 17.000. Die Ergebnisse einer epidemiologischen Studie können eine vollkommen andere Größenordnung ergeben.

Elemente einer epidemiologischen Studie Datenbasis 1: Erkrankungen bei Versicherten gesetzlicher Krankenkassen im Umfeld der Rheinschiene Datenbasis 2: Aktuelle Belastung durch nächtlichen Güterverkehr und Prognose-Werte für 2020 Einbeziehung von Straßenverkehrslärm und Fluglärm als Störfaktoren. Zielkrankheiten: Herz- und Kreislaufkrankheiten, psychische Erkrankungen, Demenz, chronisches Nierenversagen, Zuckerkrankheit

Erforderliche Stichprobe bei einer Belastung von 14% der Bevölkerung durch nächtlichen Schienenlärm ab 40 db(a).

Bei einer Power von 80% (minimal zulässig) müßten daten von mindestens 1.050.000 Männern und Frauen ab 40 Jahren zur Verfügung stehen. Dieses bedeutet, dass die Gesamtpopulation über 2 Millionen umfassen müßte. Da wahrscheinlich nicht alle gesetzlichen Krankenkassen für eine solche Studie kooperieren werden, wäre eine Gesamtpopulation von mehr als 5 Millionen wünschenswert. Studiendauer: 30-36 Monate. Kosten: 2.5 3 Millionen. Die Studie sollte unter Kontrolle des Umweltbundesamtes durchgeführt werden. Ein externer, unabhängiger wissenschaftlicher Beirat für die Qualitätssicheurng ist unverzichtbar. Ohne ein hohes Engagement von Bevölkerung und Politik ist eine epidemiologische Studie unwahrscheinlich.