Essay zur Finanzkrise und ihren Auswirkungen auf die Eurozone - Ralf Schlindwein, 28.01.2011 -



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Postgraduate Programme in European Studies Postgraduierten-Studiengang Europawissenschaften Cycle postuniversitaire d Etudes Européennes Essay zur Finanzkrise und ihren Auswirkungen auf die Eurozone - Ralf Schlindwein, 28.01.2011 - Durch den Bail-Out Irlands hat die EU zum zweiten Mal nach Griechenland innerhalb kurzer Zeit de facto entgegen des Wortlauts des Artikel 125 AEUV (sogenannte No-Bail-Out Klausel ) entschieden. Damit werden der Schwachpunkt der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion deutlich und die Frage, nach dem Umgang mit Staatsschuldenkrisen in der Eurozone, auf eine schmerzhafte Art und Weise aufgeworfen. Die Staats- und Regierungschefs, sowie die Finanzminister der Mitgliedstaaten, die Europäische Kommission sowie die EZB haben in den letzten Wochen fieberhaft versucht hierfür Lösungsvorschläge vorzulegen. Das Ergebnis ist der Bericht einer Arbeitsgruppe (sogenannte Van-Rompuy- Task-Force) geleitet durch den Präsidenten des Europäischen Rats, Hermann van Rompuy und ein Gesetzespaket der Kommission (Rehn-Paket) zur Änderung bisher bestehenden Sekundärrechts. Die Frage, ob diese Maßnahmen das systemimmanente Moral-Hazard-Problem der Eurozone und des europäischen Finanzmarkts lösen können, bleibt jedoch bestehen. Um dieser Frage nach zu gehen, wird im Folgenden die Entstehung der Staatsschuldenkrise als Folge der Finanzkrise dargestellt. Dabei wird das jeweilige Krisenmanagement analysiert und kommentiert, sowie im Fall des Umgangs mit dem Problem der Staatsschuldenkrise auf Vorschläge aus Presse und Wissenschaft eingegangen. Grob lassen sich die Krisenphasen auf den Finanzmärkten und in der Weltwirtschaft in den letzten 3,5 Jahren in 2 Phasen unterteilen. Die erste Phase beginnt laut EZB Präsident Trichet am 09. August 2007, ca. ein Jahr vor der Insolvenz von Lehman Brothers. Hier zeichnete sich vor allem die EZB als Krisenmanager aus. Die zweite Phase beginnt um den Jahreswechsel 2009/ 2010 mit einer sich ankündigenden Staatsschuldenkrise Griechenlands. In dieser Phase, in der sich die Eurozone weiterhin befindet, besteht die Gefahr, dass sich eine Staatsschuldenkrise gemäß einer spillback Logik wieder auf die Finanzwirtschaft ausweitet. In dieser Phase agieren vor allem die Mitgliedstaaten als Krisenmanager, unterstützt durch Kommission und EZB. Ein Jahr vor der offiziellen Insolvenz von Lehman Brothers kam es im Geldmarkt zu Turbulenzen durch einen übermäßigen Anstieg der kurzfristigen Geldmarktzinsen. Die EZB 1

reagierte darauf mit der Ausgabe einer 95 Milliarden Euro Übernachtkreditlinie um der bestehenden Liquiditätsgefahr zu begegnen. In Folge der Lehman-Insolvenz am 15. September 2008 breiteten sich im Interbankenmarkt eine Hysterie und ein Vertrauensverlust zwischen den Akteuren aus, der nahezu zu einem Stillstand der finanzwirtschaftlichen Aktivität führte. Um dem Interbankenmarkt wieder Liquidität zu zuführen, senkte die EZB sofort den Leitzins. 1 Dieser sank bis zum Mai 2009 um 325 Basispunkte auf nur noch 1%. Außerdem wurde den Banken des Euroraums uneingeschränkte Liquidität zu festen Wechselkursen zugesichert. Der EZB wollte mit dieser Maßnahme in erster Linie wieder kurzfristige Liquidität herstellen damit die Banken ihr Tagesgeschäft abwickeln konnten und ihre Aufgabe der Finanzierung der Realwirtschaft erfüllen konnten. Kurzfristige Liquidität schaffte ebenfalls die Erweiterung der durch die EZB akzeptierten Sicherheitseinlagen. Um für langfristige Liquidität im Geldmarkt zu sorgen, verlängerte die EZB die Fälligkeit von Refinanzierungsoperationen auf ein Jahr und kürzte zudem den entsprechenden Zinssatz. Darüber hinaus wurde im Mai 2009 die langfristige Liquidität durch den Kauf von Euro notierten Anleihen in der Eurozone in Höhe von 60 Mrd. Euro beschlossen. Ex-post können die Maßnahmen der EZB als durchaus positiv bewertet werden. Als Erfolg dieser expansiven Geldpolitik kann die weiterhin bestehende Preisstabilität genannt werden, sowie der Rückgang der Volatilität im Finanzmarkt. Durch die Liquiditätszufuhr konnte Druck von den Banken genommen und durch die damit einhergehende Zinssenkung weiterhin die Finanzierung von Investitionen gewahrt werden. Auf Grund der engen Verknüpfung der Finanz- und Realwirtschaft in der Eurozone, waren die Auswirkungen auf die Realwirtschaft trotzdem extrem. 2 Ohne die Handlungen der EZB hätte es in der Realwirtschaft jedoch zu noch größeren Verwerfungen kommen können. Nahezu zeitgleich zur Verkündung einer Exit-Strategie durch die EZB gab es in Griechenland einen Regierungswechsel, in dessen Folge die Nettoneuverschuldungsquote auf 12,7% nach oben korrigiert wurde. Dadurch wurde die Kreditwürdigkeit Griechenlands in den folgenden Monaten durch verschiedene Ratingagenturen gesenkt. Dies hatte steigende Risikoaufschläge für griechische Staatsanleihen zur Folge. 3 Diese Situation spitzte sich bis Mai 2010 so dramatisch zu, dass die Europäischen Staats- und Regierungschefs in Zusammenarbeit mit 1 Dies geschah in einer historisch einmaligen Art und Weise durch eine Koordinierung mit Zentralbanken anderer Währungsräume (bspw. USA, Schweiz. Kanada, Großbritanien, Schweden). 2 Die Industrieproduktion sank laut Eurostat im Juni 2009 in Vergleich zu Juni 2008 um 17%. 3 Abgesehen von den kurzfristig dramatisch angestiegen Spreads nach der Bekanntgabe des Griechenland Bailouts können die jetztigen Spreads als nachträgliche Einpreisung des vorher nicht korrekt bepreisten Risikos angesehen werden. 2

dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ein 110 Mrd. Euro schweres Rettungspaket schnürten. Da sich im Verlauf des Jahres 2010 zeigte, dass noch weitere Mitglieder der Eurozone von einer Staatsverschuldungskrise gefährdet sein könnten und damit auch die gesamte Eurozone und möglicherweise auch die Stabilität des Euros gefährdet war, beschlossen die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel am 07. 09. Mai 2010 einen 750 Mrd. Euro schweren Rettungsschirm. Dieser sollte die Finanzmärkte beruhigen und zu einem Rückgang der Zinsaufschläge bei den jeweils betroffenen Staatsanleihen führen. Rechnet man somit die gesamten Mittel, die als Haftungssummen zur Verfügung gestellt wurden, dann kommt man auf eine Gesamtsumme von 920 Mrd. Euro. 4 Darüber hinaus hat die EZB im Verlauf des letzten Jahres, entgegen ihrer bisherigen Politik, begonnen im Sekundärmarkt zu intervenieren, um die Zinsaufschläge bei Staatsanleihen Irlands und Portugals zu reduzieren. Zu den gefährdeten Mitgliedstaaten zählten und zählen neben Griechenland Portugal, Spanien, Irland und Italien. Während sich die Gefahr für Spanien und Irland 5 vor allem aus dem Privatsektor speist, liegen in Portugal eher strukturelle Defizite vor, ähnlich wie in Griechenland. Italien verfügt zwar ebenfalls über einen sehr hohen öffentlichen Staatsschuldenstand, scheint jedoch zurzeit keine Liquiditätsprobleme zu haben. Im Zuge des Reformprozesses der europäischen Economic Governance haben sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie deren Finanzminister auf einige Ergebnisse geeinigt, die sich teilweise bereits im Abschlussbericht der Van-Rompuy-Task-Force wiederfinden. Mit dem Gesetzespaket vom 29. September hat die Kommission zudem entsprechende Vorschläge zur Änderung des Sekundärrechts gemacht. Auch wenn noch nicht alle Vorschläge verabschiedet sind, gibt es trotzdem Klarheit bei einigen inhaltlichen Punkten zwischen den Mitgliedstaaten, denen das Europäische Parlament wahrscheinlich folgen wird. Hierzu gehört eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP), der schneller und effektiver angewendet werden soll, härtere Strafen enthält und teilweise im umgekehrten Mehrheitsverfahren angewandt wird. Hinzu kommt eine stärkere Beachtung des Maastricht- Kriteriums der Staatsschuldenquote von 60%. Dies wird durch die Errichtung eines makroökonomischen Überwachungsmechanismus flankiert, an dessen Ende ebenfalls eine 4 Hierin sind die 60 Mrd. Euro enthalten, die die EZB für den Kauf Euro notierter Staatsanleihen während der ersten Phase investierte. Zudem muss beachtet werden, dass die von Seiten der EU und den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Mittel in Höhe von 500 Mrd. Euro (440 Mrd. Euro und 60 Mrd. Euro) im Ernstfall nicht zur Verfügung stehen, sondern lediglich ca. die Hälfte als Kredite gewährt werden kann, während die andere Hälfte zur Absicherung, also als Garantie dient. 5 Im Fall Irlands bewahrheitete sich diese Gefahr. Im Januar platzierte der EFSM Anleihen im Wert von 5 Mrd. Euro. Insgesamt stütz die EU Irland mit 40 Mrd. Euro, weitere 22,5 Mrd. Euro stellt der IWF zur Verfügung. 3

pekuniäre Bestrafung stehen kann, wenn ein Mitglied der Eurozone nicht die geforderten Maßnahmen einleitet. Durch das seit dem 01.01.2011 in Kraft getretene Europäische Semester sollen die mitgliedstaatlichen Haushalts- und Wirtschaftspolitiken durch die Kommission koordiniert und überwacht werden. Diese präventiv wirkenden Mechanismen sollen zukünftige Staatsschuldenkrisen verhindern. Nichts desto trotz braucht es auch Regeln, die beim Ausbruch einer Krise Anwendung finden, um dem Moral-Hazard- und Free-Rider-Problem zu begegnen. Wenn Staaten wissen, dass sie im Falle einer staatlichen Insolvenz von den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft durch Kredite und Garantien gestützt werden, gibt es für sie nur geringe Anreize auf den Weg zu einer ausgeglichenen Haushalts- und Finanzpolitik zurück zu kommen. Da die vertragliche No-Bail-Out Regel nur schon zum zweiten Mal gebrochen wurde, haben sich die Staats- und Regierungschefs für die Errichtung eines ständigen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) 6 entschieden, dessen Details aber noch bis zum März geklärt werden müssen. Die Möglichkeit von Strafzinsen im Falle einer finanziellen Unterstützung sollte dabei bedacht werden. Was sich bereits heute abzeichnet ist die Nicht-Institutionalisierung der Beteiligung privater Gläubiger, entgegen deutscher Forderungen. Dies wäre aber notwendig um die privaten Akteure zu einer nachhaltigeren Investitionsentscheidung zu animieren. Eine ergänzende Regelung im Falle eines Bail-outs, ist die bevorrechtigte Bedienung staatlich gewährter Hilfen und die nachrangige Bedienung des Privatsektors. Dadurch könnte man zumindest das Problem lösen, dass Gewinne privatisiert werden und Kosten vergesellschaftet werden. Die Gefahr des ESM könnte jedoch in einer Art umgekehrten Moral-Hazard liegen. Dies bedeutet, dass Investoren, sobald ein Mitgliedstaat die Hilfe des ESM in Anspruch nimmt, auf fallende Kurse der Staatsanleihen und somit steigende Zinsen wetten und damit von der Malaise dieses Staates profitieren. Zusätzlich zu den bereits getroffenen Regeln, sollten die Mitgliedstaaten bestimmen, dass der Anleihenkauf von Staaten mit strukturellen Defiziten mit einer zusätzlichen Eigenkapitalakkumulation bei Banken einhergehen müsste. Über diesen Weg, würden sich die privaten Investoren und Banken sehr genau überlegen welchem Staat sie wie viel Kredit gewähren. Das Problem des Moral-Hazard würde reduziert werden, wäre jedoch trotzdem nie ganz aus zu schalten. Durch den jüngst getätigten Kauf von portugiesischen Staatsanleihen durch die EZB, eröffnet die EZB selbst ein neues Fenster für Moral-Hazard, das sie wiederum 6 Dies ist der Krisenbewältigungsrahmen in dem die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und der Europäische Stabilisierungsmechanismus (EFSM) nach deren Auslaufen im Jahr 2013 aufgehen sollen. 4

gegen ihre informelle Regel der Nicht-Intervention im Sekundärmarkt verstößt. Dies ist auf lange Frist keine wirkliche Alternative um die Finanzmärkte zu beruhigen, da die Strategie nicht glaubhaft ist. Von Bundesfinanzminister Schäuble wurde im Sommers 2010 die Errichtung eines Europäischen Währungsfonds (EWF) als Instrument zum Umgang mit einer Staatsschuldenkrise ins Spiel gebracht und von Gros und Mayer in einer Analyse für das Centre for European Policy Studies (CEPS) aufgenommen. Vom Prinzip und Funktionsweise würde der EWF ähnlich wie der IWF funktionieren. Der Vorteil eines EWF läge in der Abwicklung einer Staatsinsolvenz durch die EU selbst. Der Nachteil eines EWF liegt in der Dopplung bereits bestehender europäischer und internationaler Strukturen. Erstens existiert mit dem IWF bereits eine Institution, die über Expertise beim Umgang mit Staatsschuldenkrisen verfügt. Zweitens ist ein Engagement des IWF mit strikten Auflagen für das verschuldete Land verbunden, was eigentlich im Sinne der beiden Autoren ist. Und drittens existieren die von Mayer und Gros in ihrer CEPS-Analyse vorgeschlagenen Sanktionen mehr oder weniger ähnlich im Rahmen des europäischen SWP bereits. Den EWF zu schaffen, hätte somit keinen nachhaltigen Effekt. Auf der Suche nach Lösungsvorschlägen ebenfalls nicht hilfreich, sind Forderungen eines möglichen Ausschluss eines Mitgliedstaates aus der Eurozone und EU wie von Fuest et. al. geäußert. Dies sind populistische Thesen, für die es keine vertragliche Grundlage gibt. Vielmehr muss die Verschuldungsproblematik bereits frühzeitig im Rahmen des SWP und einer verstärkten makroökonomischen Überwachung sanktionierend angegangen werden. Dies haben die Mitgliedstaaten und die Kommission verstanden, was sich im Rehn-Paket widerspiegelt. Beim Umgang mit den aktuellen Staatsschuldenkrisen (Griechenland, Irland und bald möglicherweise auch Portugal) werden die Mitglieder der Eurozone und der EU nicht umhin kommen die Realität anzuerkennen und eine Umschuldung durch Haircuts einzuleiten. Aus der Geschichte der lateinamerikanischen Schuldenkrise der 80-er Jahre zeigt sich, dass dies ein geeignetes Mittel wäre der Realität zu begegnen. Dass sich Schulden nicht ewig auf Pump finanzieren lassen, sollten die Mitgliedstaaten aus der jüngsten Vergangenheit gelernt haben. 5

Quellen: Europäische Zentralbank (2010): Monatsbericht Dezember 2010, Frankfurt am Main. Fuest C. u.a. (2010): Zehn Regeln zur Rettung des Euro. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 138, 18. Juni 2010, S. 10. Gros D. und Mayer T. (2010): How to deal with sovereign default in Europe: Create the European Monetary Fund now! CEPS Policy Brief, 202, Februar 2010, aktualisiert am 17. Mai 2010. Smaghi L.B. (2010): Vorsicht bei Staatspleiten. EU-Insolvenzverfahren sind ein Spiel mit dem Feuer. ZEIT ONLINE, 11. November 2010, zuletzt abgerufen am 07.01.2011 unter: http://www.zeit.de/2010/46/eu-insolvenzverfahren-staatspleiten. Rogoff K. (2010): Jetzt kommt die zweite Halbzeit der Euro-Krise. FTD.de, 07. Dezember 2010, zuletzt abgerufen am 07.01.2011 unter: http://www.ftd.de/politik/konjunktur/:top-oekonomen-rogoff-jetzt-kommt-die-zweitehalbzeit-der-euro-krise/50202775.html. Trichet, J.-C. (2010): State of the Union: The Financial Crisis and the ECB s Response between 2007 and 2009. Journal of Common Market Law Studies, 48, Annual Review, S. 7 19. 6