2 Messproblem, Minimal- und Kollapsinterpretationen

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Transkript:

2 Messproblem, Minimal- und Kollapsinterpretationen Cord Friebe Übersicht 2.1 Minimalinterpretation.......................................... 45 2.2 Ensemble-Interpretation und Kopenhagener Deutung............... 49 2.3 Messproblem und Dekohärenz................................... 60 2.4 Realistische Kollaps-Deutung: GRW.............................. 70 Literatur zu Kapitel 2............................................... 77 Nicht erst in der Philosophie, sondern bereits in der Physik wird interpretiert. Mathematische Formalismen wie jener, der im vorhergehenden Kapitel in seinen Grundzügen präsentiert wurde, sind als solche selbst bloß abstrakt, sagen also für sich betrachtet noch nichts über die konkrete Wirklichkeit aus. Es bedarf einer Interpretation, zunächst in dem Sinne, dass den mathematischen Symbolen und Operationen Elemente in der Realität zugeordnet werden. Während aber in der klassischen Physik in der Newtonschen Mechanik ebenso wie in der Maxwellschen Elektrodynamik eine solche Interpretation im Grunde auf der Hand lag, tauchen im Fall der Quantenmechanik von Beginn an erhebliche Schwierigkeiten auf: Der Hilbertraum ist im Gegensatz etwa zum sogenannten Phasenraum der klassischen Mechanik ein so abstrakter Vektorraum, dass dessen Vektoren und Operatoren nicht automatisch etwas in der Welt zugeordnet werden kann. Es gibt in der Quantenmechanik einen größeren Interpretationsspielraum als in der klassischen Physik: ein Spektrum, das weit reicht; von solchen Deutungen, die sich sehr nah am üblichen, von Neumannschen Formalismus halten, bis zu Interpretationen, deren Eingriffe in den mathematischen Apparat durchaus gravierend sind. Geht man systematisch vor, so sollte man mit einer Interpretation beginnen, auf die sich noch alle einigen könnten: mit einer instrumentalistischen Minimalinterpretation. Ihr zufolge repräsentieren hermitesche Operatoren makroskopische Messvorrichtungen, deren Eigenwerte die zu erzielenden Messwerte (Zeigerstellungen) und Skalarprodukte die Messwahrscheinlichkeiten. So formuliert, bleibt sie C. Friebe et al., Philosophie der Quantenphysik, DOI 10.1007/978-3-642-37790-7_2, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

44 2 Messproblem, Minimal und Kollaps in ihrem Realitätsbezug beim Makroskopischen stehen und enthält sich jeglicher ontologischen Aussage über das quantenphysikalische System selbst. Einen Schritt darüber hinaus geht die Ensemble-Interpretation: Danach beziehen sich die mathematischen Symbole zwar auf Mikroskopisches, aber bloß auf eine große Anzahl solcher Systeme. Die Quantenmechanik ist ihr zufolge eine Art statistische Theorie, deren Gesetz das der großen Zahl ist. Bezüglich des einzelnen Systems bleibt diese Deutung agnostisch. Nicht so Kopenhagen : Mit den Physikern Niels Bohr und Werner Heisenberg begann der Formalismus erstmals über das individuelle Quantensystem zu sprechen. Damit aber war ein großes Problem aufgeworfen, weil sich nun die Frage stellte, was denn mit einem solchen System bei einer Messung geschehe. Während Bohr diesbezüglich noch zurückhaltend blieb, sich auf Details des Messvorgangs lieber nicht einließ, betonte Heisenberg die Einbettung des Messgerätes in eine Umgebung, zu welcher der messende Beobachter wesentlich hinzugehöre. An dieser Stelle kommt der berühmte Kollaps der Wellenfunktion ins Spiel, der aber gemäß Kopenhagener Deutung entweder bloß methodologisch oder explizit epistemisch, jedenfalls nicht ontologisch zu verstehen ist. Letztlich bleibt die Kopenhagener Deutung also an entscheidender Stelle agnostisch oder gar anti-realistisch. Inzwischen werden daher, insbesondere in der Quantenphilosophie, einige realistische Kollaps-Deutungen sehr ernst genommen, so beispielsweise die 1986 von den Physikern GianCarlo Ghirardi, Alberto Rimini und Tullio Weber entwickelte. Diese GRW-Theorie ist auch eine erste hier vorgestellte Interpretation, die in den mathematischen Apparat eingreift, indem sie die lineare Schrödinger- Gleichung durch eine nicht-lineare zeitliche Dynamik ersetzt. 1 Schritt für Schritt werden wir also realistischer, nämlich in dem Sinne, dass immer mehr mathematischen Symbolen und Operationen reale Vorgänge in der Welt zugeordnet werden. Die philosophische Interpretation geht meistens noch weiter, indem sie etwa fragt, ob angesichts des sogenannten Individualitätsverlusts gleichartiger Quantensysteme der philosophische Substanzbegriff obsolet wird, ob quantenphysikalische Systeme überhaupt persistieren, also eine zeitüberdauernde Identität haben, und wie denn das Verhältnis eines Ganzen zu seinen Teilen im Lichte von Zustandsverschränkungen zu bestimmen ist. Aber diese Probleme sind den weiteren Kapiteln vorbehalten. 1 Für Überblicke zur Interpretationslage vgl. Stöckler (2007) und Esfeld (2012).

2.1 Minimalinterpretation 45 2.1 Minimalinterpretation Werfen wir zunächst einen Blick zurück auf die klassische Mechanik: Wir haben N Teilchen mit je 3 scharf bestimmbaren und vorliegenden Komponenten von Ort und Impuls. Hierzu liefert die klassische Mechanik den Zustandsraum, nämlich eben den Phasenraum der Dimension 6N; eine Punktmenge, deren Elemente (q, p) direkt als die Orte und Impulse der Teilchen gedeutet werden können. Zwischen den Teilchen wirken irgendwelche Kräfte, die Beschleunigungen erzeugen, und sie haben Eigenschaften wie beispielsweise eine bestimmte kinetische Energie oder einen bestimmten Drehimpuls. All dies hat ein naheliegendes mathematisches Korrelat: Funktionen, die den Punkten des Phasenraums also den Orten und Impulsen reelle Zahlen zuordnen, entsprechen den Messgrößen, und den Funktionswerten den zugeordneten reellen Zahlen entsprechen die jeweiligen Messwerte, die sogleich als Eigenschaften des physikalischen Systems aufgefasst werden. So gibt etwa für ein einzelnes freies Teilchen die Funktion f( q, p) = 1 2m p 2 dessen kinetische Energie an. Im Allgemeinen gelten zwischen den Funktionen bestimmte Beziehungen, so insbesondere die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen, die der bekannten Newtonschen Bewegungsgleichung F = m a äquivalent sind. Wie eingangs ausgeführt, behandelt die Philosophie historisch wie systematisch selbstverständlich auch klassische Objekte; Probleme der Persistenz, der Kausalität, etc. sind nicht erst solche bezüglich quantenphysikalischer Systeme. Dasjenige Interpretationsproblem aber, den mathematischen Symbolen überhaupt erst einmal Realitätsbezug zu verleihen, ist klassisch ganz leicht zu lösen, so dass darüber keine philosophischen Diskussionen entstanden sind. Ganz anders in der Quantenmechanik: Ihr Zustandsraum, der Hilbertraum, ist erheblich abstrakter als der Phasenraum; seinen Vektoren und Operatoren entsprechen nicht so einfach Elemente der physikalischen Realität. Zwar könnte man meinen, dass etwa der Vektor up x auf ein physikalisches System (Teilchen) verweise, das die Eigenschaft Spin-up in x-richtung hat. Doch wie wir wissen, lässt sich jeder solche Vektor auf unendlich viele Weisen als Linearkombination anderer Vektoren darstellen was aber spiegelt eine solche Darstellung wider? Hat das Teilchen etwa nicht nur die Eigenschaft Spin-up in x-richtung, sondern darüber hinaus irgendwie geartete Überlagerungen zahlreicher anderer Spinwerte? Sollen wir solche Superpositionen tatsächlich realistisch deuten? Nicht jede mathematische Operation in diesem Vektorraum hat automatisch auch ein reales Korrelat! Ferner sollte konsequenterweise ein Teilchen mit der Eigenschaft Spin-up in y- Richtung durch den Vektor up y dargestellt werden, und eine Messung des Spins in y-richtung welche ja den Spinwert in x-richtung zerstört sollte den Wechsel der Spinwerte bewirken. Was aber entspricht mathematisch diesem Übergang? Brauchen wir etwa einen Operator, der in 50% der Fälle up x auf up y abbildet (und in den anderen 50% auf down y ; Spin-down in y-richtung)? Einen solchen

46 2 Messproblem, Minimal und Kollaps Operator gibt es offenbar nicht. Nicht jeder Vorgang in der Wirklichkeit scheint mathematisch repräsentiert zu sein! Im einführenden Kapitel ist aber deutlich geworden, worauf sich offenbar alle einigen können: Die reellen Eigenwerte hermitescher Operatoren stellen wohl unstrittigerweise die Messwerte dar, wobei unter Messwerten hier zunächst nur so etwas wie Zeigerstellungen makroskopischer Messgeräte gemeint sein sollen und nicht sogleich Eigenschaften quantenmechanischer Mikrosysteme, was bereits wieder umstritten wäre. Die Operatoren, deren Eigenwerte Messwerte darstellen, sind entsprechend das mathematische Korrelat der Messgrößen, wobei unter Messgrößen ebenfalls zunächst bloß makroskopische Messvorrichtungen wie etwa Stern- Gerlach-Apparaturen verstanden werden sollen und nicht sogleich Eigenschaftsarten mikroskopischer Systeme wie etwa deren Spin in bestimmter Raumrichtung. Mit dieser Deutung ist eine erhebliche Einschränkung verbunden: Im Hilbertraum gibt es nämlich viel mehr Operatoren als solche, die Messgrößen entsprechen können. Es gibt nicht-selbstadjungierte Operatoren, deren Eigenwerte, wenn sie überhaupt welche haben, nicht alle reell sind, also keine Messwerte darstellen können. Und es gibt sogar nicht-lineare Operatoren, denen physikalisch erst recht nichts entspricht. Solche mathematische Objekte kommen im Hilbertraum zwar vor, repräsentieren physikalisch aber nichts nach Meinung wohl aller Physikerinnen und Physiker. Vor diesem Hintergrund ist es bereits eine starke These, dass nun aber alle hermiteschen Operatoren irgendwelche Messvorrichtungen darstellen; selbst dann, wenn man konkret gar nicht weiß, wie ein theoretisch vorgegebener Operator in der Praxis zu realisieren wäre. 2 Nehmen wir nun aber einmal an, ein bestimmter hermitescher Operator repräsentiere eine realisierbare Messvorrichtung, so zeigen alle seine Eigenwerte physikalisch-mögliche Messwerte (Zeigerstellungen) an. Eine weitere Einschränkung ergibt sich sogleich im Anschluss: Der Eigenwert- Gleichung Ô Ψ = λ Ψ entspricht ebenfalls kein physikalischer Vorgang; sie dient lediglich der Berechnung der Eigenwerte und der Eigenvektoren. Dies ist bemerkenswert, da man ja denken könnte, sie repräsentiere mathematisch den Messvorgang, bei dem sich einer dieser Eigenwerte als Messwert einstellt. Das kann aber nicht sein: Wenn Operatoren auf Vektoren im Hilbertraum angewendet werden wie eben z. B. in der Eigenwert-Gleichung, so bedeutet das in aller Regel (nämlich vielleicht mit Ausnahme der Anwendung des unitären Zeitentwicklungs- Operators; vgl. Abschnitt 1.2.4) nicht, dass damit irgendein realer physikalischer Vorgang beschrieben würde. Betrachten wir beispielsweise die folgende Operation: ( ) ( ) ( ) 0 i 1 0 = i i 0 0 1 2 In der Tat gilt dies ja bei Mehrteilchen-Systemen nur mit Einschränkung.

2.1 Minimalinterpretation 47 Sie ist in der Eigenvektor-Basis von Ŝy die Darstellung von Ŝx up y = i down y. Der Operator der Messgröße des Spins in x-richtung wird also angewendet auf den Eigenvektor zum Eigenwert Spin-up in y-richtung und bildet diesen auf den Eigenvektor zum gegensätzlichen Eigenwert Spin-down in y-richtung ab. Sollte dies etwa bedeuten, dass die Stern-Gerlach-Apparatur in x-richtung bei einem quantenphysikalischen System den Spinflip von Spin-up (in y-richtung) zu Spindown (in y-richtung) bewirkt? Doch wohl nicht: Sie bewirkt vielmehr, dass das System entweder Spin-up oder Spin-down in x-richtung zeigt! Hermitesche Operatoren entsprechen daher lediglich Messgrößen oder Messvorrichtungen, ihr Operieren im Hilbertraum stellt aber keinen Messvorgang in der Welt dar. Zusätzlich zu deren Eigenwerten gibt es gemäß der instrumentalistischen Minimalinterpretation tatsächlich nur noch eine weitere mathematische Operation mit Realitätsbezug: das Skalarprodukt, mittels dessen die Messwahrscheinlichkeit berechnet werden kann. Nehmen wir dazu an, das quantenphysikalische System sei mit dem Vektor Ψ korreliert, und die Messgröße Ô mit den Eigenvektoren Ψ i solle gemessen werden. Dann definiert man, mit 3 Ψ = i c i Ψ i : Bornsche Regel: Im Zustand Ψ ist die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung von Ô den Messwert λ i zu erhalten, gegeben durch P robô Ψ = ( Ψ i Ψ ) 2 = c i 2 Dies ist die Verallgemeinerung einer Interpretation, die der Physiker Max Born der Wellenfunktion, d. h. dem Vektor Ψ in Ortsdarstellung, gegeben hat. Dort sah man noch, dass es sich hierbei tatsächlich um eine Festlegung handelt und nicht um etwas, das man dem Formalismus einfach ansehen könnte. Denn die Funktion Ψ( x, t) war ursprünglich beispielsweise von Erwin Schrödinger selbst als delokalisierte Masse- oder Ladungsdichte verstanden worden, was sich aber etwa für Mehrteilchen-Systeme als problematisch erwies, da die Funktion eigentlich kein Feld im dreidimensionalen Anschauungsraum beschreibt, sondern eines im abstrakten, allgemein höherdimensionalen Konfigurationsraum. 4 Durchgesetzt hat sich dann (vorerst) Borns Deutung der Funktion als Wahrscheinlichkeitsdichte mit Ψ( x, t) 2 als der Wahrscheinlichkeit, bei einer Ortsmessung zur Zeit t das Teilchen am Ort x zu messen. Verallgemeinert kann man nun sagen, dass wenn das quantenphysikalische System zur Zeit t mit dem Vektor Ψ korreliert ist, eine zeitlich-unmittelbar anschließende Messung von Ô mit der Wahrscheinlichkeit c i 2 den Messwert λ i ergibt. In dem speziellen Fall, dass das System schon vor 3 Wie in Abschnitt 1.2.4 bereits gesagt, ist die Messwahrscheinlichkeit identisch mit dem Erwartungswert des entsprechenden Projektionsoperators. Man sah dort ebenfalls, wie dies auf gemischte Zustände zu verallgemeinern ist. 4 Zur Diskussion vgl. die historischen Artikel, gesammelt in Baumann und Sexl (1984).

48 2 Messproblem, Minimal und Kollaps der Messung durch den entsprechenden Eigenvektor Ψ i repräsentiert ist, wird λ i mit Sicherheit gemessen, und für jeden anderen Eigenvektor von Ô ist die Messwahrscheinlichkeit für dieses λ i null wie zu erwarten. Ist das System hingegen durch eine Superposition der Eigenvektoren von Ô beschrieben, so ist die Wahrscheinlichkeit für jeden Eigenwert von Ô weder 0 noch 1, sondern ein präziser Wert dazwischen, so dass die Messwerte streuen. Soweit gibt die Bornsche Regel also Wesentliches des allgemeinen Verständnisses des mathematischen Formalismus der Quantenmechanik wieder. Die angegebene Gleichung gestattet aber wohlgemerkt wie analog zuvor die Eigenwert-Gleichung zunächst lediglich die Berechnung der Messwahrscheinlichkeit. Sie spiegelt daher keineswegs den realen Vorgang wider, dass das physikalische System von dem einen (Ausgangs-)Zustand Ψ auf den anderen (End-)Zustand Ψ i projiziert würde. Im Gegensatz zur Eigenwert-Gleichung, die in keiner Interpretation einen realen Vorgang wiedergibt, ist man an dieser Stelle jedoch immer wieder in der Versuchung, die geometrische Projektion des einen Vektors auf den anderen als Kollaps des quantenphysikalischen Systems zu deuten. Man will über die Bornsche Regel hinaus auch noch sagen, dass wenn umgekehrt ein bestimmter Eigenwert eines bestimmten Operators tatsächlich 5 gemessen wurde, das System zeitlich-anschließend mit dem entsprechenden Eigenvektor korreliert ist. Die hier vorgestellte Minimalinterpretation ist aber diesbezüglich agnostisch; für sie haben die Vektoren des Hilbertraums lediglich operationalistische Bedeutung als Rechengrößen. Um die Bornsche Regel anwenden zu können, muss man ja den adäquaten Vektor, wie er zeitlich-unmittelbar vor der Messung vorliegen soll, kennen, und so rechnet man, der Einfachheit halber, nach einer vorhergehenden Messung mit dem zugehörigen Eigenvektor weiter, der sich zwischen den Messungen gemäß der unitären Zeitentwicklung Ψ t = e i tĥ Ψ 0 verhält. Doch dies sind bloß Rechenvorgänge, die nicht so verstanden werden müssen, als beschrieben sie reale Prozesse. Real sind (vielleicht: lediglich) makroskopische Messvorrichtungen und Messwerte sowie Messwahrscheinlichkeiten: eine Auffassung, die der überragenden Mehrheit allzu minimalistisch vorkommt. Insbesondere sagt eine solche Minimalinterpretation noch gar nichts darüber, welchen Status denn die Messwahrscheinlichkeiten eigentlich haben: Ist damit lediglich ein subjektives Unwissen ausgedrückt? Oder sind damit objektive Tatsachen gemeint, relative Häufigkeiten etwa oder objektive Tendenzen als dispositionale Eigenschaften des quantenphysikalischen Systems selbst? Sich hierzu festzulegen, heißt, über diese Minimalinterpretation hinauszugehen. 5 Also wiederholbar und irreversibel?

2.2 Ensemble-Interpretation und Kopenhagener Deutung 49 2.2 Ensemble-Interpretation und Kopenhagener Deutung Die erste Stufe der Interpretation des mathematischen Formalismus stellt die Verbindung mit der Erfahrung soweit her, wie sie im Alltag der Physik im Labor oder am Teilchenbeschleuniger benötigt wird. Die Bornsche Regel gestattet dabei die präzise Vorhersage, mit welcher Wahrscheinlichkeit bei realen, makroskopischen Messungen bestimmte Messausgänge zu erwarten sind. Dass sich die Minimalinterpretation ausschließlich über makroskopische, der Erfahrung direkt zugängliche Entitäten wie Messvorrichtungen, sogenannte Teilchenspuren in Nebelkammern, geschwärzte Photoplatten etc. äußert, mag völlig genügen, wenn man als Aufgabe einer empirischen Theorie wie der Physik lediglich verlangt, dass sie zu empirisch überprüfbaren Vorhersagen in der Lage ist. Der Naturphilosophie reicht dies alleine nicht, und auch die meisten Physikerinnen und Physiker möchten sich darüber hinaus eine Vorstellung davon machen, was hinter diesen Messausgängen steckt, wie also die Mikrowelt beschaffen ist, die solche Wirkungen erzeugt. Im Gegensatz zur instrumentalistischen Minimalinterpretation ist jede zusätzliche Annahme, die zu einer weitergehenden Interpretation führt, jedoch umstritten. Das Hauptproblem erkennt man, wenn man noch einmal genauer die Bornsche Regel betrachtet (vgl. hierzu Held, 2012): ( Ψ i Ψ ) 2 ist die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung von Ô den Messwert λ i zu erhalten, gegeben, das System ist mit dem Vektor Ψ korreliert. Es stellt sich dann die Frage, ob der Bezug auf eine Messung an dieser Stelle wirklich wesentlich ist oder nicht. Falls nicht, lautet die Bornsche Regel einfach : ( Ψ i Ψ ) 2 ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ô den Wert λ i hat, gegeben, das System ist mit Ψ korreliert. Diese Formulierung legt nahe, dass das mikroskopische Quantensystem eine dem Eigenwert λ i korrespondierende Eigenschaft hat und zwar unabhängig davon, ob gemessen wird, und insbesondere unabhängig von einem menschlichen Beobachter. Entsprechend drückt der Wahrscheinlichkeitsbegriff ein subjektives Unwissen aus, und folglich ist die Quantenmechanik in ihrer bislang dargelegten Gestalt unvollständig. Denn nur in dem Falle, bei dem das System bereits mit einem Eigenvektor von Ô korreliert ist, können wir mit Sicherheit sagen, welche Eigenschaft das Quantensystem tatsächlich hat. Nur dann nämlich ist der Erwartungswert des gegebenen Operators streuungsfrei und Ψ i Ô Ψ i = λ i. In allen anderen Fällen bleibt das Epistemische unvermeidlich hinter dem Ontologischen zurück.

50 2 Messproblem, Minimal und Kollaps Betrachten wir dazu erneut unser Beispiel in Abbildung 1.11, also die Winkelhalbierende(n) eines zweidimensionalen Koordinatensystems, das durch die Eigenvektoren des Operators Ŝx erzeugt werde. Sie selbst seien dann Eigenvektoren des mit Ŝx nicht kommutierenden Operators Ŝy, also der Messvorrichtung bzw. des Spins in y-richtung. Nehmen wir nun an, das System sei mit einem dieser Eigenvektoren von Ŝy korreliert woher auch immer wir das wissen, so folgt, dass sein Zustand bezüglich der Eigenvektoren und Eigenwerte von Ŝx superponiert. Das Skalarprodukt (bzw. dessen Betragsquadrat) von einem Eigenvektor up/down y mit einem Eigenvektor up/down x ist jeweils 1 2, so dass nach der Bornschen Regel die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das System die Eigenschaft hat, die einem Eigenwert von Ŝx entspricht also Spin-up oder Spin-down in x- Richtung, jeweils 50% beträgt. Da nun im Hilbertraum kein Eigenvektor von Ŝ y mit einem Eigenvektor von Ŝx zusammenfällt, ist im Rahmen dieses Formalismus kein solcher Vektor denkbar, der mit dem System so korreliert wäre, dass wir die Messwerte beider Messgrößen mit Sicherheit vorhersagen könnten. Mit anderen Worten: Das mikroskopische Quantensystem hätte unter der Annahme, dass in der Bornschen Regel der Ausdruck Messung nichts Wesentliches hinzufügt, mehr Eigenschaften, als mit den Mitteln des mathematischen Formalismus mit Sicherheit prognostiziert werden könnten. Ontologisch in dem Sinne, dass reale Eigenschaften in der Welt vorliegen läge mehr vor, als epistemisch mit Hilfe der Vektoren im Hilbertraum bestimmbar ist. Die Quantenmechanik wäre unvollständig. Dies ist das Motiv einiger Physikerinnen und Philosophen, im Geiste von David Bohm die Standard-Quantenmechanik abzuändern, so dass sogenannte verborgene Parameter unterstellt werden können. Die Quantenphysik wäre dann eine Art statistische Mechanik mit bloß epistemischen Wahrscheinlichkeiten über einer ontologisch durchgängig bestimmten und deterministischen Welt (vgl. zur Bohmschen Mechanik hier Abschnitt 5.1). Kommt es dagegen in der Bornschen Regel wesentlich auf den Zusatz bei einer Messung an, so kann dies nur heißen, dass das mikroskopische Quantensystem in der Regel keineswegs schon zeitlich-vor der Messung von Ô die entsprechende Eigenschaft λ i hätte, sondern dass es sie erst während der Messung bekommt. Im Allgemeinen wird daher das Quantensystem bei der Wechselwirkung mit dem Messgerät verändert und dies darüber hinaus in probabilistischer Weise: Ein Teilchen, das etwa Spin-up in y-richtung zeigt, also(?) mit up y beschrieben wird, nimmt durch die Wechselwirkung mit Ŝx entweder die Eigenschaft Spin-up in x-richtung an oder aber Spin-down jeweils mit 50% Wahrscheinlichkeit. Das Problem ist dann, dass wir eine solche Wechselwirkung in der Physik eigentlich gar nicht kennen: Elektromagnetische, gravitative und Kernkräfte wirken deterministisch. Ferner gehen solche Wechselwirkungen, wie sie etwa durch Magnetfelder zustande kommen, ja in die kontinuierliche und deterministische Schrödinger-Glei-

2.2 Ensemble und Kopenhagen 51 chung ein; 6 sie werden also längst durch die Zeitentwicklung wiedergegeben, der ein Vektor im Hilbertraum unterliegt, wenn auf ihn der unitäre Zeitentwicklungs- Operator angewendet wird. Auf diese Weise kann der diskontinuierliche und indeterministische Übergang von einem Eigenwert (und Eigenvektor?) von Ŝy auf einen Eigenwert (und Eigenvektor?) von Ŝx aber nicht dargestellt werden, da lineare Operatoren Superpositionen im Sinne von Gleichung 1.2 erhalten. Von dieser kontinuierlichen und deterministischen Zeitentwicklung und also von allen solchen Wechselwirkungen, die dort eingehen, müsste sich der Messvorgang daher unterscheiden. Die Frage ist bloß, wie? Gibt es physikalische Kriterien, eine Messung von einer beliebigen anderen Wechselwirkung zu unterscheiden? Wir haben schon gesehen, dass etwa Wiederholbarkeit und Irreversibilität als Kandidaten für solche Kriterien hochproblematisch sind: Letzteres setzt einen eigentlich erst zu erklärenden Unterschied zwischen Mikro- und Makrowelt als grundlegend voraus, da Irreversibilität im Quantenbereich nicht vorkommen kann (die Schrödinger-Gleichung ist zeit-reversibel), und Ersteres erwies sich als vage: Was darf zwischen zwei Messungen derselben Art passieren und was nicht, so dass die beiden Messungen als unmittelbar aufeinanderfolgend gelten können und somit die zweite als Wiederholung der ersten? Betrachtet man über das bereits Gesagte hinaus den Sonderfall der Ortsmessung, so muss man gar sagen, dass Ortsmessungen keine Messungen wären, müssten sie wiederholbar sein. Denn, wie ausgeführt, kommutiert nach Heisenbergs Unschärferelation der Ortsoperator insbesondere nicht mit dem des Impulses, woraus eben nicht nur folgt, dass Teilchen wie Elektronen sich nicht längs Bahnen bewegen, wie klassisch anzunehmen wäre, sondern insbesondere noch, dass nach einer präzisen Ortsmessung aufgrund der dann extrem streuenden Impulswerte die korrelierte Wellenfunktion (d. h. der entsprechende Eigenvektor in Ortsdarstellung) extrem schnell zerfließt: Jede unmittelbar, sogar zeitlich-unmittelbar, anschließende Ortsmessung führt dann nicht mit Sicherheit zum selben (oder benachbarten) Ortswert wie zuvor. Es gibt sogar wenn auch sehr kleine Wahrscheinlichkeiten dafür, das Teilchen anschließend weit entfernt zu detektieren. Die Ortsmessung ist also prinzipiell nicht wiederholbar. Dann aber gibt es anscheinend kein Kriterium dafür, was physikalisch eine Messung auszeichnet. Der Quantenmechanik-Begriff der Messung verlangt offenbar einen eigentümlichen Bezug auf ein (nicht-physikalisches) beobachtendes Subjekt (vgl. Held, 2012, 77). Nur ein solches Subjekt, das Zeigerstellungen und dergleichen auch registriert, ermöglicht anscheinend, den Messvorgang von anderen Wechselwirkungen zuverlässig zu unterscheiden. Die objektivierende Physik käme somit an eine für sie unüberwindliche Grenze, was viele als äußerst unbefriedigend ansehen. 6 nämlich in das Potenzial V (x) in 2 Ĥ = ( 2m ) 2 + V (x) x 2

52 2 Messproblem, Minimal und Kollaps Wie dem auch sei: Im Hilbertraum jedenfalls kommt ein solcher Messvorgang nicht vor, so dass jede Interpretation, die den Bezug auf eine Messung in der Bornschen Regel für wesentlich ansieht, eine zusätzliche und erstmals indeterministische Dynamik annehmen muss, die durch die Standard-Quantenmechanik letztlich nicht beschrieben wird. 2.2.1 Ensemble-Interpretation Noch harmlos scheint all dies zu sein, wenn man die realistische Interpretation nicht auf das individuelle System, sondern auf hinreichend viele solcher Systeme bezieht, wie gemäß der Ensemble-Interpretation. 7 Auch auf diese Deutung könnten sich die meisten Physikerinnen und Physiker noch einigen. Sie geht über die Minimalinterpretation insbesondere in der Hinsicht hinaus, dass auch sie ebenso wie die angesprochene Bohmsche Variante dem Begriff der Wahrscheinlichkeit, wie er in der Bornschen Regel auftritt, eine bestimmte Deutung gibt. Während aber nach Bohm die Standard-Quantenmechanik unvollständig ist, in der Welt also mehr Eigenschaften quantenphysikalischer Systeme vorliegen, als mit den Mitteln des üblichen Hilbertraum-Formalismus determiniert werden können, und also die unvermeidlichen Wahrscheinlichkeitsaussagen epistemischer Natur sind, erhalten in der Ensemble-Interpretation die Wahrscheinlichkeiten eine ontologische Bedeutung. Sie sind nun relative Häufigkeiten. 8 Blicken wir zurück auf die einleitend diskutierten Spin-Experimente und wählen wir etwa die Variante ŜxŜyŜx, also zunächst eine ursprüngliche Spinmessung in x-richtung, daran anschließend eine in y-richtung und schließlich erneut eine Spinmessung in x-richtung: Je 50% aller Teilchen (Elektronen bzw. Silberatome), die nach dem ersten Ŝx Spin-up (bzw. Spin-down) in x-richtung zeigen, sollten bei einer anschließenden Ŝy-Messung Spin-up und Spin-down in y-richtung zeigen. Schließlich zeigen sie bei erneuter Ŝx-Messung jeweils zur Hälfte Spin-up und Spin-down in x-richtung, so dass das Ergebnis des ersten Ŝx zunichte gemacht wird. Solange wir uns auf eine große Anzahl von Teilchen beziehen, sollte dies relativ unproblematisch sein: Von vielleicht 1 Million Elektronen, die bei dem ursprünglichen Ŝx Spin-up (bzw. Spin-down) zeigen, zeigen etwa die Hälfte, also ca. 7 Laut Ensemble-Interpretation beschreibt der Zustandsvektor Ψ eine große Anzahl gleichartig präparierter Systeme. Davon unabhängig und zu unterscheiden ist, ob Ψ Einoder Mehrteilchen-Systeme beschreibt. Die am besten ausgearbeitete Ensemble-Interpretation findet sich in Ballentine (1998, Kap. 9). 8 Vorsicht: Dieser Gegensatz zu Bohm besteht natürlich nur dann, wenn man die Quantenmechanik für vollständig hält und sie zugleich nicht auf einzelne Systeme anwenden will. In gewissem Sinn ist jede Bohmsche Theorie in ihrem statistischen Teil eine Ensemble-Deutung; diese ist aber nicht gemeint, wenn hier von Ensemble-Interpretation gesprochen wird.

http://www.springer.com/978-3-642-37789-1