Wissenschaft & Praxis Stand und Entwicklung des Internationalisierungsprozesses der externen Rechnungslegung aus deutscher Sicht



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Transkript:

Beiträge für die Wirtschaftspraxis 2 Wissenschaft & Praxis Stand und Entwicklung des Internationalisierungsprozesses der externen Rechnungslegung aus deutscher Sicht Thomas Kümpel Akademie Verlag

Kümpel, Thomas Stand und Entwicklung des Internationalisierungsprozesses der externen Rechnungslegung aus deutscher Sicht FOM-Schriftenreihe: Beiträge für die Wirtschaftspraxis, Nr. 2 Essen 2004 ISBN 3-89275-039-4 C 2004 by Akademie Verlag MA Akademie Verlagsund Druck-Gesellschaft mbh Rolandstraße 5-9 45128 Essen Tel. 0201 81004-351 Fax 0201 81004-610 Kein Teil des Manuskriptes darf ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag oder ähnliche Wege bleiben vorbehalten. ISBN 3-89275-039-4

Inhaltsverzeichnis 1. 1.1. 1.2. Internationalisierung des deutschen Bilanzrechts Globalisierung der Finanzaktivitäten als Katalysator Meilensteine des Internationalisierungsprozesses der deutschen Rechnungslegung (IFRS) 2 2 5 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 2.3.5. Grundlagen der Rechnungslegung nach International Financial Reporting Standards Entwicklung des IFRS-Regelwerks Struktur des IFRS-Regelwerks Das Framework als Rahmenkonzept der IFRS-Rechnungslegung Bedeutung des Framework Grundsätze und Elemente des Jahresabschlusses Ansatzkonzeption nach IFRS Bewertungsmaßstäbe nach IFRS Kapital- und Kapitalerhaltungskonzepte 16 16 18 22 22 24 31 36 38 3. 3.1. 3.2. Gliederung der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung nach IAS 1 (revised 2003) Gliederungsvorschriften für die Bilanz Gliederungsvorschriften für die GuV 40 40 43 4. Fazit und Ausblick 46 Literaturhinweise 47

Diskussionsbeitrag Nr. 2 2 1. Internationalisierung des deutschen Bilanzrechts 1.1. Globalisierung der Finanzaktivitäten als Katalysator Die deutsche externe Rechnungslegung unterliegt seit einigen Jahren einem mittlerweile nicht mehr zu übersehenden Trend der Internationalisierung. Dies ist vor allem auf das wachsende Bedürfnis der Inanspruchnahme internationaler Kapitalmärkte zurückzuführen: International tätige Investoren benötigen im Rahmen einer aktiven Portfolio-Strategie vergleichbare und transparente Informationen aus dem Rechnungswesen, um ihre Anlageentscheidungen zu fundieren. Da aber gerade das deutsche Bilanzrecht, dem kontinentaleuropäischen Rechnungslegungssystem zugehörend, durch die überwiegend starke Betonung des Gläubigerschutzes diese Forderung nicht erfüllt, ist die Anpassung der Rechnungslegung an internationale Standards für deutsche Unternehmen, die auf den internationalen Kapitalmärkten agieren, ein konsequenter und notwendiger Schritt, um keine Nachteile hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt zu erleiden 1. Als internationales Referenzsystem der externen Rechnungslegung haben sich vor allem die International Financial Reporting Standards (IFRS) als Nachfolgestandards der International Accounting Standards (IAS) herausgebildet. Diese stehen (noch) in Konkurrenz zu den US-Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP), da nur dieser Standard für ein Listing an den USamerikanischen Börsen akzeptiert wird. Beide Regelwerke gehören dabei dem anglo-amerikanischen Rechnungslegungssystem an. Die Ausrichtung der deutschen Rechnungslegung an diese internationalen Standards bedeutet dabei einen Paradigmenwechsel für das deutsche Bilanzrecht: Weg von einer gläubigerschutzorientierten Rechnungslegung mit dem primären Ziel des Ausweises eines vorsichtig ermittelten, besteuerungs- und ausschüttungsfähigen Gewinns hin zu einer kapitalmarktorientierten Rechnungslegung, in der primär das Informationsbedürfnis der Investoren durch eine periodengerechte Gewinnermittlung im Sinne eines betriebswirtschaftlich richtigen Erfolgsausweises sowie die Darstellung seines Zustandekommens erfüllt 1 Vgl. Kümpel, Th. (2002a), S. 797 ff.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 3 werden soll 2. Insofern deutet sich eine Verlagerung von der gesellschaftsrechtlichen Rechnungslegung mit vergleichsweise niedrigem Offenlegungsgrad an Informationen zur entscheidungsorientierten kapitalmarktrechtlichen Rechnungslegung mit hohem Publizitätsgrad an. Das Vorsichtsprinzip tritt in den Hintergrund der Betrachtung und die Vermittlung von entscheidungsrelevanten Informationen i. S. eines decision-usefulness-konzepts in den Vordergrund. Deshalb weist das IFRS-Regelsystem auch im Vergleich zum deutschen Bilanzrecht u. a. geringere Wahlrechte beim Bilanzansatz und bei der Bewertung auf 3. Warum berechtigterweise von einem Paradigmenwechsel für die deutsche Rechnungslegung gesprochen wird, zeigt die folgende Tabelle, in der in Stichworten die wesentlichen Unterschiede zwischen HGB und der anglo-amerikanischen Rechnungslegungswelt dargestellt werden: Tabelle 1: Wesentliche Unterschiede zwischen HGB und IFRS/US-GAAP Rechtssystem Stellung des Berufsstandes Steuersystem Eigentumsund Kapitalmarktstruktur Zielsetzung Wahlrechte HGB (kontinental-europäisch) Hohe gesetzliche Regelungsdichte (code law) Kleiner Berufsstand Geringer Einfluss auf Gesetzgebung Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz (bzw. umgekehrtes MGP) Banken/Staat/Familien als Eigentümer Geringfügig ausgeprägte Aktienkultur Schutz der Fremdkapitalgeber Starke Ausprägung des Gläubigerschutzes durch Vorsichtsprinzip Zahlreiche Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte IFRS/US-GAAP (anglo-amerikanisch) Begrenzte Zahl gesetzlicher Regelungen Richterliche Einzelfallentscheidungen als zentrale Rechtsquelle (case law) Hoher Organisationsgrad Starke Einflussnahme und Beteiligung am Normsetzungsprozess Handels- und Steuerbilanz werden unabhängig voneinander erstellt Kleinaktionäre und institutionelle Investoren als Eigentümer Ausgeprägte Aktienkultur Schutz der Eigenkapitalgeber Informationsversorgung des Kapitalmarkts durch periodengerechten Gewinnausweis Weitgehender Verzicht auf Wahlrechte Die Anwendung der IFRS wird aber nicht nur infolge der internationalen Kapitalbedarfsdeckung der Unternehmen bzw. der steigenden internationalen 2 3 Vgl. hierzu detailliert Auer K.V. (1997), S. 13 ff. Diese Aussage ist aber kritisch zu hinterfragen. Da die Zeitwertbilanzierung im Rahmen der Bewertung eines IFRS-Abschlusses einen großen Raum einnimmt, existieren implizit immer noch zahlreiche Wahlrechte bei der Wertfindung des fair value. Vgl. hierzu auch kritisch Theile, C. (2003), S. 957 ff.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 4 Investmenttätigkeit forciert, sondern es lassen sich im Wesentlichen noch weitere Erfolgspotenziale identifizieren 4 : Verbesserte Information der Eigenkapital- und Fremdkapitalgeber durch Vermittlung von entscheidungsrelevanten Daten, die durch eine periodengerechte Erfolgsermittlung und nicht durch den Gläubigerschutzgedanken geprägt sind Erleichterte Kreditwürdigkeitsprüfungen und Ratings auf Basis geringerer Transaktionskosten und Erleichterung der Einstufung der Unternehmensbonität auf internationaler Ebene Imagevorteile durch die Anwendung der IFRS, da somit die Unternehmen, die eine globale Geschäfts- und Firmenpolitik betreiben, die Reputation eines Global Players untermauern Vereinheitlichtes Konzernreporting führt zu einer vereinfachten Rechnungslegung bei international tätigen Konzernen und somit zu einer Kostenreduktion bei der Konzernabschlusserstellung Konvergenz des internen und externen Rechnungswesens mit dem Vorteil der Effizienzsteigerung, da so das traditionelle Zwei-Kreis-System durchbrochen wird Angleichung der Rechnungslegungsvorschriften vereinfacht sowohl die Ausbildung als auch die Mobilität des Personals von international tätigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften 5 Die abnehmende Bedeutung des HGB zeigt sich darin, dass in den deutschen Börsenindizies der Anteil der HGB-Bilanzierer in den letzten Jahren immer weiter zurückgeht. So befindet sich derzeit kein Unternehmen mehr im DAX-30, dass nach HGB bilanziert 6. Vielmehr bilanzieren alle DAX-30-Unternehmen mehrheitlich nach den IFRS sowie auch nach den US-GAAP, wobei dieser Standard von den Unternehmen vor allem aufgrund eines US-Börsenlistings gewählt wurde 7. 4 5 6 7 Vgl. hierzu Lüdenbach, N. (2004), S. 21 ff. Zu diesem Motiv vgl. Auer, K. V. (1997), S. 23. BASF AG und Deutsche Telekom AG erstellen Konzernabschluss zwar nach HGB, erstellen aber eine Überleitungsrechnung auf US-GAAP. Vgl. detailliert die Übersicht unter www.standardsetter.de/drsc/faq.html, Stand: 30.05.2004.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 5 1.2. Meilensteine des Internationalisierungsprozesses der deutschen Rechnungslegung Bislang hat sich nur der deutsche Konzernabschluss an den internationalen Referenzsystemen ausgerichtet. Dies liegt darin begründet, dass dieser im Gegensatz zum Einzelabschluss keine Besteuerungs- und Zahlungsbemessungsfunktion, sondern ausschließlich Informationsfunktionen zu erfüllen hat. Dabei befindet sich die deutsche (Konzern-)Rechnungslegung seit 1998 in einem stetigen und rasanten Wandel, der sich bislang in sechs Meilensteinen vollzogen hat: 1. Einfügung des 292a HGB durch das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz (KapAEG) im April 1998 2. Verabschiedung der EU-Fair-Value-Richtlinie im September 2001 3. Transparenz- und Publizitätsgesetz von Juni 2002 4. IAS-Verordnung betreffend der Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze von Juli 2002 5. EU-Modernisierungsrichtlinie von Juni 2003 6. Gesetzesentwurf zum Bilanzrechtsreformgesetz sowie Bilanzkontrollgesetz von April 2004 Mit der Einfügung der bis zum 31.12.2004 befristeten Interimslösung des 292a HGB, die am 24.04.1998 in Kraft getreten ist und durch das KapCoRiLiG im Februar 2000 ausgeweitet wurde, reagierte der deutsche Gesetzgeber erstmalig auf die Internationalisierung der Rechnungslegung. Mit diesem ersten Meilenstein wird deutschen Konzernen, die einen organisierten Kapitalmarkt in Anspruch nehmen, die Möglichkeit eingeräumt, unter bestimmten Voraussetzungen statt einen HGB-Konzernabschluss einen nach international anerkannten Rechnungslegungsgrundsätzen zu erstellen, worunter die IFRS sowie die US-Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) zu subsumieren sind 8. Somit trat eine Erleichterung für diese Konzerne dahingehend ein, als eine Doppelgleisigkeit hinsichtlich der Konzernabschlusserstellung entfällt. Die doppelte Ergebnisberichterstattung führte im Besonderen zu erheblichen Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des präsentierten Datenmaterials, was wiederum den Erklärungsbedarf seitens der Konzernspitze erhöhte und damit auch die Kosten der Investor-Relations. Dabei betraf dieser neu einzufügende 292a 8 Vgl. hierzu detailliert Heuser, P. J., Theile, C. (2003), S. 6 f.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 6 HGB in erster Linie die Nutzer des US-amerikanischen Kapitalmarktes und damit die Bilanzierung nach US-GAAP. Der Vorteil dieser Öffnungsklausel wurde darin gesehen, dass international tätige Konzerne nicht länger in zwei Bilanzwelten leben müssen und die Öffentlichkeit durch unterschiedliche Ergebnisse und Eigenkapitalausweise verunsichert wird mit der Folge, dass Anleger möglicherweise abgeschreckt werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Gründung des Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) zu sehen. Die zunehmende Bedeutung der internationalen Kapitalmärkte für deutsche Unternehmen und Konzerne veranlasste den deutschen Gesetzgeber im Jahre 1998, Möglichkeiten für eine stärkere Annäherung der deutschen Rechnungslegungsvorschriften an die internationalen Grundsätze zu eröffnen. Um eine größere Flexibilität für die Weiterentwicklung der Rechnungslegung und ihre schnellere Anpassung an neue Erfordernisse zu gewährleisten, sollte auf Wunsch des Gesetzgebers ein privates, mit unabhängigen Fachleuten besetztes Gremium tätig werden. Als nationale Standardisierungsorganisation wurde deshalb das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) gegründet, das mit Vertrag vom 03. September 1998 durch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) als privates Rechnungslegungsgremium im Sinne von 342 HGB anerkannt wurde 9. Danach kommen dem DRSC folgende Aufgaben zu: Beratung des BMJ bei Gesetzesvorgaben zur Rechnungslegung Vertretung der deutschen Interessen in internationalen Standardisierungsgremien Entwicklung von Deutschen Rechnungslegungsstandards (DRS), welche die HGB-Konzernrechnungslegung an die internationale Entwicklung heranführen sollen Zur Erreichung der Ziele des DRSC ist der Deutsche Standardisierungsrat (DSR) gegründet worden, der aus sieben Mitgliedern besteht und als das operative Organ des DRSC bezeichnet werden kann. Den verabschiedeten Standards kommt dabei kein Gesetzescharakter zu. Vielmehr führt die Bekanntmachung seitens des BMJ im Bundesanzeiger gemäß 342 Abs. 2 HGB dazu, dass bei Anwendung der DSR die Beachtung der die Konzernrechnungslegung 9 Vgl. hierzu die Ausführungen unter www.standardsetter.de/drsc/faq.html, Stand: 10.04.2004.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 7 betreffenden GoB vermutet wird. Folglich ist seitdem zwischen GoB für den Einzelabschluss und sog. Grundsätzen ordnungsmäßiger Konzernrechnungslegung (GoK) zu unterscheiden 10. Als zweiter Meilenstein ist die sog. EU-Fair-Value-Richtlinie vom 27.09.2001 zu nennen, die grundsätzlich eine Bewertung von Finanzinstrumenten zu Zeitwerten erlaubt, auch wenn diese höher als die historischen Anschaffungskosten sind 11. Die genannte EU-Änderungsrichtlinie strebt somit keine allgemeine Bewertung zu (höheren) Zeitwerten an, aber es sollen Zeitansätze für bestimmte Finanzaktiva und passiva, wie z. B. Beteiligungen, Wertpapiere, Swaps, ermöglicht werden. Zugleich wird den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht eingeräumt, die Bewertung von bestimmten Finanzinstrumenten mit dem Zeitwert im Konzernabschluss allen Gesellschaften oder einzelnen Gruppen von Gesellschaften vorzuschreiben oder zu gestatten. Ferner sollen die Mitgliedstaaten eine Regelung für die übrigen Unternehmen vor allem Einzelkaufleute, offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften, die nicht unmittelbar dem Geltungsbereich der EU-Bilanzrichtlinien unterliegen treffen. Das am 21.06.2002 durch den Deutschen Bundestag beschlossene Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) markiert den dritten Meilenstein der Reformierung der (Konzern-)Rechnungslegung. Neben den Regelungen zum Corporate-Governance-Kodex werden vor allem Vorschriften zur Konzernrechnungslegung geändert, um diese in Anlehnung an international geltende Regelungen (behutsam) zu modernisieren. Dies sind vor allem die Vorschriften zum Anwendungsbereich der Konzernrechnungslegung, der Kapitalkonsolidierung, der Zwischenergebniseliminierung, der einheitlichen Bewertung sowie dem Konzernanhang 12. Ferner wird festgelegt, dass alle kapitalmarktorientierten Mutterunternehmen eine Kapitalflussrechnung, eine Segmentberichterstattung sowie zusätzlich einen Eigenkapitalspiegel zu erstellen haben, so dass der Konzernabschluss hinsichtlich seiner Bestandteile eine wesentliche Erweiterung erfährt 13. 10 11 12 13 Vgl. zu der Differenzierung zwischen GoB und GoK ausführlich Kümpel, Th. (2000), S. 187 ff. Vgl. hierzu detailliert Kümpel, Th. (2002b), S. 125 ff. Vgl. Busse v. Colbe, W. (2002), S. 1583. Vgl. ebd., S. 1584.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 8 Die Übergangsvorschrift des 292a HGB wird durch die am 19.07.2002 durch das Europäische Parlament und den Rat der EU verabschiedeten Verordnung über die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, kurz IAS- Verordnung, faktisch abgelöst, die den vierten Meilenstein des Internationalisierungsprozesses verkörpert und den (vorläufigen) Höhepunkt des Harmonisierungsprozesses der Rechnungslegung auf EU-Ebene markiert: Nach Art. 4 dieser EU-Verordnung werden alle kapitalmarktorientierten Konzerne mit Sitz in der Europäischen Union ab 2005 zur Anwendung der IFRS verpflichtet. Denn die EU-Kommission ist der Auffassung, dass die EU-Bilanzrichtlinien die für kapitalmarktorientierte Unternehmen erforderliche Transparenz und Vergleichbarkeit der Daten auf einem effizienten Kapitalmarkt nicht gewährleisten können 14. Vielmehr bedarf es Rechnungslegungsstandards, die speziell auf die Bedürfnisse des internationalen Kapitalmarkts zugeschnitten sind. Mit dieser Verordnung wird für europäische kapitalmarktorientierte Konzerne gleichzeitig die Anwendung der US-GAAP, wie nach 292a HGB vor allem für an USamerikanischen Börsen gelisteten Unternehmen möglich, definitiv ausgeschlossen. Die IFRS werden das zentrale Regelwerk für die Bilanzierung innerhalb der EU. Darüber hinaus räumt Art. 5 der EU-Verordnung den Mitgliedsstaaten ein Wahlrecht ein, die IFRS auch für nicht kapitalmarktorientierte Konzerne sowie für den Einzelabschluss aller Unternehmen vorzuschreiben oder zuzulassen. Mit der Gewährung dieser beiden Mitgliedsstaatenwahlrechte will die EU- Kommission auch nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen zur Anwendung der IFRS ermutigen 15. Sofern man in Deutschland auch insoweit entsprechende Möglichkeiten oder Verpflichtungen schaffen will, bedarf es hier im Unterschied zur unmittelbaren Verbindlichkeit der Vorschrift für kapitalmarktorientierte Konzernabschlüsse eines nationalen Gesetzes 16. Folglich kann die deutsche Entscheidungssituation unter Berücksichtigung der EU-Verordnung wie folgt zusammengefasst werden 17 : 14 15 16 17 Vgl. Ernst, C. (2001), S. 1440. Vgl. Busse v. Colbe, W. (2001), S. 1530. Vgl. zu den Vor- und Nachteilen der entsprechenden Umsetzung des eingeräumten Wahlrechts Haller, A. (2003), S. 413 ff. Zu den Stellungnahmen der Interessenverbände und wissenschaftlichen Arbeitskreisen siehe die Übersicht bei Mandler, U. (2004), S. 118. Vgl. Pellens, B., Gassen, A. (2001), S. 138.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 9 Tabelle 2: Mögliche Rechtsgrundlagen deutscher Rechnungslegung Abschlussart Konzernabschluss Einzelabschluss Einzelkaufmann und Personengesellschaften Über PublG nach HGB und/oder IFRS Kapitalgesellschaften nicht kapitalmarktorientiert kapitalmarktorientiert HGB und/oder IFRS IFRS HGB und/oder IFRS HGB und/oder IFRS HGB und/oder IFRS Eine wichtige Ausnahme für die Anwendung der IFRS enthält Art. 9 der EU- Verordnung. Danach wird die Frist zur Anwendung der IFRS für die Unternehmen, die lediglich Schuldtitel emittiert haben oder die für die Zulassung an dem Wertpapiermarkt eines Drittlandes in ihrer primären Rechnungslegung andere internationale Grundsätze angewendet haben, bis zum Jahr 2007 verlängert, wobei die Umsetzung dieser Ausnahmeregelung den nationalen Gesetzgebern freigestellt wird. Dabei ist diese Ausnahmeregelung vor allem für diejenigen deutschen Konzerne relevant, die ihren Abschluss für eine Notierung an der New York Stock Exchange respektive an der Nasdaq gemäß 292a HGB vollständig nach den US-GAAP erstellt haben; ein Sachverhalt, der für viele DAX- Bilanzierer und am Neuen Markt gelisteten Unternehmen gilt. Diese Übergangsregelung ist vor dem Hintergrund, dass die Verordnung der EU-Kommission zwar erst zum 01.01.2005 in Kraft tritt, eine retrospektive Anwendung der IFRS aber bereits ab dem 01.01.2004 notwendig ist, da ein erstmaliger Abschluss nach IFRS entsprechende Vorjahreszahlen enthalten muss, zu begrüßen 18. Dass die EU-Kommission spätestens ab 2007 einen vollständigen Ausschluss der US-GAAP in Europa erreichen will, liegt aber auf der Hand: Zum einen entzieht sich ihre Entwicklung jeglichen Einwirkungsmöglichkeiten von nichtamerikanischen Personen oder Institutionen und zum anderen stellen diese Normen ein jahrzehntelang gewachsenes Geflecht dar, das weitgehend auf die ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der USA abstellen und somit nicht ohne weiteres auf die EU übertragbar ist. Als fünfter Meilenstein des Internationalisierungsprozesses der Rechnungslegung ist die Modernisierungsrichtlinie vom 18.06.2003 zu nennen, die es den 18 Vgl. zum erstmaligen Übergang von der deutschen Rechnungslegung auf IFRS Kümpel, Th. (2004), S. 148 ff.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 10 Mitgliedstaaten ermöglichen soll, ihre Rechnungslegungsrechte stärker an die IFRS-Regelungen anzugleichen. Damit ist die Verabschiedung dieser Richtlinie eine konsequente und logische Fortführung der Maßnahmen zur Umsetzung der europäischen Rechnungslegungsstrategie 19. Denn durch die IAS-Verordnung wird das Problem aufgeworfen, dass in bestimmten Bereichen die Vorschriften der 4. und 7. EU-Richtlinie nicht mit den IFRS vereinbar sind. Aus diesem Grund müssen die beiden Richtlinien so weit geändert werden, dass keine Widersprüche mehr zu den IFRS bestehen. Demnach verfolgt die Modernisierungsrichtlinie der EU-Kommission folgende Zielsetzungen 20 : (1) Beseitigung aller bestehenden Konflikte zwischen den Richtlinien und den IFRS, (2) Öffnung der nach den IFRS bestehenden Rechnungslegungsoptionen für die Unternehmen, für die die Rechnungslegungs-Richtlinien weiterhin die Rechtsgrundlage darstellen (d.h. Unternehmen, die ihren Jahres- oder Konzernabschluss nicht gemäß den nach der EU-Verordnung übernommenen IFRS erstellen), und (3) Modernisierung der Richtlinien, um einen Rechnungslegungsrahmen zu schaffen, der sowohl der modernen Praxis entspricht, als auch flexibel genug ist, um künftigen Entwicklungen der IFRS Rechnung zu tragen. Die Modernisierung wird für erforderlich gehalten, da beide Richtlinien nahezu 25 Jahre weitgehend unverändert geblieben sind und somit nicht mehr dem Stand von Theorie und Praxis entsprechen. Es soll denjenigen Unternehmen, die nicht von der EU-Verordnung zur verbindlichen Anwendung der IFRS ab 2005 verpflichtet werden und folglich weiter nach den EU-Richtlinien bilanzieren, die Möglichkeit eröffnet werden, den IFRS vergleichbare Abschlüsse zu erstellen. Zur Erreichung dieser Zielsetzung sind im Richtlinienvorschlag umfangreiche Wahlrechte aufgenommen worden, die es jedem Mitgliedsstaat ermöglichen, die nationalen Rechnungslegungsvorschriften gemäß den jeweiligen Besonderheiten an die IFRS anzupassen 21. 19 20 21 Vgl. Böcking, H.-J. (2004), S. 179. Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaft (2002), S. 4. Vgl. Niehus, R. (2002), S. 1389 f.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 11 Am 21.04.2004 sind die Gesetzesentwürfe zum Bilanzkontrollgesetz (BilKoG), das darauf abzielt, Rechtsgrundlagen für eine wirksame Durchsetzung der Rechnungslegung (Enforcement) zu schaffen, sowie zum Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG), das sich mit der Übernahme der Regelungen der IAS- Verordnung sowie der Transformation weiterer europäischer Vorgaben in das deutsche Bilanzrecht befasst, im Kabinett verabschiedet worden. Mit diesem sechsten und damit vorläufig letzten Meilenstein des Internationalisierungsprozesses der Rechnungslegung werden Teile des 10-Punkte-Programms zur Stärkung der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes vom 25.02.2003 umgesetzt 22. Grundsätzlich gilt es vor allem die IAS-Verordnung, die Modernisierungsrichtlinie, die Schwellenwertrichtlinie (Anhebung der Klassifizierungsmerkmale für die Größe von Kapitalgesellschaften) sowie die Fair-Value-Richtlinie in deutsches Recht zu transformieren. Dabei hat sich der deutsche Gesetzgeber für ein zweistufiges Verfahren entschieden: Als erste Stufe ist eben das BilReG zu sehen, das sich vor allem mit der Umsetzung der in der IAS-Verordnung eingeräumten Mitgliedsstaatenwahlrechte, der Sicherung der Abschlussqualität sowie der teilweisen Umsetzung der Fair-Value-Richtlinie beschäftigt. Ebenso werden auch die Schwellenwerte für die Einstufung der Kapitalgesellschaften um ca. 17% erhöht. Als zweite Stufe ist das Bilanzrechtmodernisierungsgesetz anzusehen, das für Sommer 2004 angekündigt ist und sich mit Veränderungen der Rechnungslegungsregeln innerhalb des HGB beschäftigen wird. Hiermit soll vor dem Hintergrund der Modernisierungs- und Fair-Value-Richtlinie demnach eine Aktualisierung des HGB bzw. eine Anpassung des geltenden deutschen Bilanzrechts an internationale Entwicklungen erfolgen. Da die IAS-Verordnung in den EU-Mitgliedsstaaten unmittelbar gilt, werden für kapitalmarktorientierte Mutterunternehmen keine Vorschriften bezüglich der Konzernrechnungslegung nach IFRS aufgenommen. Hinsichtlich der Regelungen zur Anpassung des HGB an die Anwenderwahlrechte der IAS-Verordnung sieht das BilReG für den Konzernabschluss von nicht kapitalmarktorientierten 22 Vgl. hierzu und den folgenden Ausführungen insbesondere Hüttemann, R. (2004), S. 203 ff.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 12 Unternehmen und Unternehmen, die unter die Zwei-Jahres-Schonfrist des Art. 9 der EU-Verordnung fallen, gemäß 315a Abs. 1 HGB-E vor, dass diese Unternehmen ihren konsolidierten Abschluss nach IFRS aufstellen dürfen. Dadurch soll eine größtmögliche Flexibilität gewährt werden und vor allem mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt werden, internationalen Geschäftspartnern auch mit einem internationalen Abschluss entgegen treten zu können 23. Mit diesem Wahlrecht ist indes die vollständige Anwendung der IFRS verbunden, d.h. eine selektive Anwendung einzelner Standards ist nicht möglich. Ferner sieht 315a Abs. 2 HGB-E eine verbindliche Anwendung der IFRS im Konzernabschluss immer dann vor, wenn das Mutterunternehmen die Zulassung eines Wertpapiers zum Handel an einen geregelten Markt i. S. d. 2 Abs. 5 WpHG beantragt. Mit dieser Pflichtanwendung der IFRS soll dem Informationsinteresse potenzieller Investoren Rechnung getragen werden. Das Wahlrecht der IAS-Verordnung wird also in eine Pflichtanwendung der IFRS transformiert. Der neu gefasste 297 Abs. 1 HGB-E schreibt nun vor, dass alle Konzerne eine Kapitalflussrechnung sowie einen Eigenkapitalspiegel zu erstellen haben, was einen weiteren Schritt zu einer internationalisierten, vereinheitlichten Konzernrechnungslegung bedeutet 24. Denn bislang wurden diese Bestandteile nur von kapitalmarktorientierten Konzernen gefordert. Ferner besteht die Option der Erstellung eines Segmentberichts. Im Einzelabschluss sind die IFRS nicht verpflichtend anzuwenden. Vielmehr wird auch zukünftig für rechtliche Zwecke, d.h. konkret für Besteuerung und Ausschüttung, weiterhin ein Einzelabschluss nach geltendem HGB gefordert. Demnach wird die Besteuerungs- und Ausschüttungsbemessungsfunktion des Einzelabschlusses nicht durch die IFRS tangiert. Dies geht vor allem auf die folgenden Gründe zurück 25 : Nach IFRS ist eine Zeitwertbilanzierung über die historischen Kosten hinaus möglich, was aber zur Ausschüttung von unrealisierten Gewinnen und damit zum Substanzverlust führen kann 23 24 25 Vgl. Wendlandt, K., Knorr, L. (2004), S. 45. Vgl. Pottgießer, G. (2004), S. 167. Vgl. Wendlandt, K., Knorr, L. (2004), S. 46.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 13 Die Zeitwertbilanzierung kann zu starken Schwankungen in der Steuerbemessungsgrundlage führen, was weder im Sinne des Steuerpflichtigen noch des Gesetzgebers liegt Verlagerung von nationalen Steuergesetzgebungskompetenzen auf supranationale Ebene Eliminierung des Maßgeblichkeitsprinzips und die daraus resultierende Entwicklung eines eigenständigen Steuerbilanzrechts erscheint derzeit nicht geboten und würde ferner erhebliche Kosten bei den Unternehmen verursachen Folglich wird vom deutschen Gesetzgeber die Auffassung vertreten, dass die mit der Anwendung der IFRS verbundene Verdrängung des Vorsichtsprinzips den Einzelabschluss als Bemessungsgrundlage für die Besteuerung und Ausschüttung unbrauchbar erscheinen lässt. In Ausübung des Wahlrechts der IAS- Verordnung wird aber durch das BilReG 325 Abs. 2a HGB-E eingefügt, der eine freiwillige Erstellung eines zusätzlichen Einzelabschlusses auf Basis der IFRS zu Informationszwecken erlaubt. Dabei können große Kapitalgesellschaften i. S. d. 267 Abs. 3 HGB diesen freiwillig aufgestellten IFRS-Einzelabschluss anstelle des für gesellschafts- und steuerrechtliche Zwecke erstellten HGB-Einzelabschlusses im Bundesanzeiger veröffentlichen 26. Diese Regelung ist für kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften bzw. Nichtkapitalgesellschaften entbehrlich, da diese schon jetzt von der Offenlegungspflicht im Bundesanzeiger befreit sind, da nur eine Hinterlegung beim Registergericht zu erfolgen hat. Die Befreiung von der Pflichtveröffentlichung ist dabei aber nach 325 Abs. 2a S. 2 HGB-E an fünf Bedingungen geknüpft: Vollständige Anwendung der von der EU übernommenen IFRS, Lagebericht und Bericht des Aufsichtrats müssen auf den IFRS-Abschluss Bezug nehmen, Veröffentlichung eines Bestätigungsvermerks zum IFRS-Abschluss, zusätzliche Einreichung des HGB-Einzelabschlusses sowie des entsprechenden Bestätigungsvermerks zum Handelsregister sowie Offenlegung des Ergebnisverwendungsvorschlags bzw. verwendungsbeschlusses. 26 Vgl. Hüttemann, R. (2004), S. 204. Vollständigkeitshalber sei noch erwähnt, dass auf große Unternehmen, die nach dem PublG offenlegungspflichtig sind, die Internationalisierungsvorschriften des HGB entsprechend übertragen werden, d. h. es gelten hier die gleichen Regeln für den Einzel- und Konzernabschluss wie vorher beschrieben.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 14 Durch das BilReG werden schließlich neue Berichtspflichten für bilanzierte Finanzinstrumente definiert, ohne dass jedoch konkrete Bewertungsvorschriften aufgenommen werden. Demnach kann hier nur von einer teilweisen Umsetzung der Fair-Value-Richtlinie durch das BilReG gesprochen werden. Ziel ist ein Mehr an Transparenz in der Bewertung der Finanzanlagen und somit die Stärkung des informationellen Kapitalschutzes 27. Für bestimmte Finanzinstrumente sieht 285 S. 1 Nr. 18 HGB-E zusätzliche Angaben hinsichtlich der bilanzierten derivativen Finanzinstrumente (Art, Umfang, beizulegender Wert) vor. Ferner sind künftig nach Nr. 19 des 285 S. 1 HGB-E umfangreiche Berichtspflichten für Finanzanlagen, für die keine außerplanmäßigen Abschreibungen trotz einer Wertminderung erfasst wurden, vorgesehen. Es gilt zu begründen, warum die Wertminderung voraussichtlich nur vorübergehend ist 28. Kleine Kapitalgesellschaften werden von diesen Berichtspflichten ausgeschlossen. Im Lagebericht sind gemäß 289 Abs. 2 Nr. 2 HGB-E Risikomanagementziele, -methoden und Absicherungsmaßnahmen sowie Preisänderungs-, Ausfall-, Liquiditätsrisiken sowie Risiken aus Zahlungsstromschwankungen in Bezug auf Finanzinstrumente anzugeben 29. Weitere Vorschriften hinsichtlich der fair value-bewertung von Finanzinstrumenten sollen im Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz berücksichtigt werden. Schließlich sei an dieser Stelle noch kurz auf den Gesetzesentwurf des Bilanzkontrollgesetzes eingegangen (BilKoG), der sich mit der Überwachung der Rechtmäßigkeit der Rechnungslegung beschäftigt. Ziel der Einrichtung eines Enforcement-Verfahrens ist die Erhöhung der Sorgfalt der Rechnungslegung sowie der Wiederaufbau des Vertrauens in die Kapitalmärkte und ihre nachhaltige Festigung 30. Bilanzfehler sollen möglichst schnell aufgedeckt und Fehlbilanzierungen präventiv entgegen gewirkt werden. Hierzu soll eine zweistufige Vorgehensweise beitragen, um die Abschlüsse der Unternehmen, deren Wertpapiere an einer deutschen Börse im amtlichen oder geregelten Markt zugelassen sind, auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. 27 28 29 30 Vgl. Böcking, H.-J. (2004), S. 181. Vgl. ebd. Vgl. Pottgießer, G. (2004), S. 169. Vgl. Wolf, K. (2004), S. 248.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 15 Auf erster Stufe wird mit 342b HGB-E eine privatrechtlich organisierte unabhängige Einrichtung als Prüfstelle für die Rechnungslegung verankert. Diese wird tätig beim Vorliegen von Anhaltspunkten für Verstöße, im Rahmen von Stichprobenprüfungen oder auf Verlangen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Anhaltspunkte könnten sich beispielsweise durch Hinweise von Aktionären, Gläubigern oder durch Berichte der Wirtschaftspresse ergeben. Zielsetzung ist es, dass auf dieser Stufe eine einvernehmliche Lösung zur Fehlerbeseitigung gefunden wird 31. Findet diese Fehlerbeseitigung nicht statt, sei es, weil das Unternehmen nicht mit der Prüfstelle kooperiert oder keine einvernehmliche Lösung zustande kommt, setzt die zweite Stufe ein. Auf dieser Stufe wird dem BaFin der Weg zur Prüfung und Berichtigung der Rechnungslegung mit öffentlich-rechtlichen Mitteln eröffnet. Dabei ist als Rechtsinstanz das Oberlandesgericht Frankfurt am Main vorgesehen 32. Um dem Kapitalmarkt zeitnah erforderliche Informationen mitzuteilen, sind festgestellte Fehler vom Unternehmen zu veröffentlichen, was durch das BaFin zu überwachen respektive zwangsweise durchzusetzen ist. Die durch das Enforcement-Verfahren entstandenen Kosten sind durch die Erhebung einer Umlage von den kapitalmarktorientierten Unternehmen zu finanzieren. Die Kosten der zweiten Stufe werden dem jeweiligen Unternehmen jedoch gesondert in Rechnung gestellt. 31 32 Vgl. Wolf, K. (2004), S. 246 f. Vgl. Böcking, H.-J. (2004), S. 182.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 16 2. Grundlagen der Rechnungslegung nach International Financial Reporting Standards (IFRS) 2.1 Entwicklung des IFRS-Regelwerks Das International Accounting Standards Committee (IASC) wurde am 29.06.1973 als privatrechtliche Vereinigung von den Berufsverbänden der Accountancy Profession (mehrheitlich Wirtschaftsprüfer) aus neun Ländern, darunter auch Deutschland, in London gegründet 33. Mit denen am 01.01.2001 in Kraft getretenen Satzungsänderungen haben sich sowohl Grundstrukturen als auch bestimmte Bezeichnungen geändert 34. Die nachfolgende Abbildung zeigt, dass sich der Standardsetter der IFRS grundsätzlich aus drei Organen zusammensetzt: Abbildung 1: Struktur des IASC IASCF (19 Trustees) ernennen + überwachen ernennen + überwachen IASB (14 Members) berichten IFRC (12 Members) erlassen 1. Draft Statements of Principles (Diskussionspapier) 2. Exposure Draft (Entwurf des Standards) 3. IFRS-Standard Öffentlichkeit Öffentlichkeit standard setting process (due process) In Anlehnung an: Lüdenbach, N. (2004), S. 36 33 34 Weitere Länder waren Australien, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Irland, Japan, Kanada, Mexiko und die USA. Vgl. Lüdenbach, N. (2004), S. 35.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 17 Die IASC Foundation (IASCF), eine Stiftung privaten Rechts mit Gründungsdatum 06.02.2001, besteht aus 19 ehrenamtlich tätigen Trustees und stellt die Dachorganisation dar. Ihre Aufgabe ist es, die Mitglieder des IASB zu ernennen und zu überwachen. Des Weiteren haben sie die Aufgabe, über mögliche Satzungsänderungen zu entscheiden. Das Board besteht hingegen aus 14 Mitgliedern, von denen 12 hauptamtlich tätig sind. Ihnen kommt die Aufgabe der Entwicklung und Veröffentlichung der einzelnen Standards zu, die früher als IAS, seit des Inkrafttretens der Satzungsänderung als IFRS bezeichnet werden. Dabei erfolgen Revision eines IAS-Standards und Erarbeitung neuer IFRS im Rahmen des sog. due process unter Einbezug der Stellungnahmen der interessierten Öffentlichkeit. In der Anfangsphase erlässt das IASB ein Diskussionspapier, das innerhalb eines Zeitraums von vier bis sechs Monaten durch die interessierte Öffentlichkeit kommentiert werden kann. Unter Berücksichtigung der Vorschläge und Kommentierungen entwickelt das IASB einen Exposure Draft, der wiederum zu Kommentierungszwecken veröffentlicht wird, bevor die endgültige Verabschiedung des Standards erfolgt 35. Das IASB ist bestrebt, den Standardsetzungsprozess weiter zu verbessern. Demnach strahlt es seit Anfang 2004 Boardsitzungen via Internet aus, stellt ausführliche Materialien im Vorfeld der Sitzung bereit, publiziert frühzeitig Vorabversionen von Standards und Entwürfen sowie führt ausführliche Beratungsgespräche sowie Feldstudien zu geplanten Maßnahmen durch. Bei seiner Facharbeit wird das IASB u. a. durch projektbezogene Arbeitsgruppen (Steering Committees) und anderen beratenden Ausschüssen (Advisory Committees) sowie durch einen Beirat, dem Standards Advisory Council (SAC), das sich aus ca. 30 Mitgliedern aus den verschiedenen Mitgliedsländern zusammensetzt, unterstützt 36. Der Entwicklungsprozess wird durch die IAS-Verordnung von Juli 2002 insofern erweitert, als dass das IFRS-Regelwerk durch die EU-Kommission anzuerkennen ist. Denn beim IASB handelt es sich um eine privatrechtliche Organisation, so dass aus verfassungsrechtlichen Gründen keine direkte Übernahme der 35 36 Vgl. Lüdenbach, N. (2004), S. 38 f. Die Satzung des IASB sieht grundsätzlich eine Kommentierungsfrist von 120 Tagen vor. Vgl. Mandler, U. (2004), S. 25.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 18 IFRS in europäisches Recht erfolgen kann. Um die IFRS im europäischen Bilanzrecht zu verankern, sieht die EU-Kommission das Komitologieverfahren vor, das einen Anerkennungsmechanismus in Form eines Ausschussverfahrens darstellt 37. Danach liegt die Rechtsetzungskompetenz bei dem Regelungsausschuss Accounting Regulatory Committee (ARC), der sich aus Vertretern aller Mitgliedsstaaten zusammensetzt und dessen Vorsitz die EU-Kommission hat. Im Rahmen dieses Anerkennungsverfahrens (Endorsement Mechanism) unterbreitet das European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) als beratendes privates Gremium der EU-Kommission dem ARC die Übernahmeempfehlung der Rechnungslegungsnormen des IFRS-Regelsystems, wobei das ARC innerhalb eines Monats über die Annahme oder Ablehnung des Standards zu entscheiden hat. Dabei bedarf es einer qualifizierten Mehrheit (75%), um einen Kommissionsvorschlag abzulehnen. Mit anderen Worten, für eine Annahme der Vorschläge der EU-Kommission reichen bereits 25% der Stimmen aus. Ferner kommt dem IASB die Aufgabe zu, die Interpretationen des International Financial Reporting Interpretations Committee zu einzelnen Sachverhalten, kurz IFRIC (früher SIC), entgegen zu nehmen und über deren Veröffentlichung zu entscheiden. 2.2. Struktur des IFRS-Regelwerks Hinsichtlich der konzeptionellen Struktur ist zwischen der gesamten Struktur des IFRS-Regelwerks zum einen und der Struktur der einzelnen Standards zum anderen zu unterscheiden 38. Dabei lässt sich das gesamte IFRS-Regelwerk in drei Stufen unterteilen, so dass ihm ein übersichtlicher und leicht verständlicher Aufbau bescheinigt werden kann. Auf der ersten Stufe sind die Einzelstandards zu nennen, die grundsätzlich zur Bilanzierung und Bewertung einzelner Rechnungslegungsfelder anzuwenden sind und in zeitlicher Reihenfolge ihrer Verabschiedung durchnummeriert sind. Werden bereits existierende Standards überarbeitet, werden diese mit dem Zusatz revised Jahresangabe versehen 39. Mit Stand April 2004 sind insgesamt 45 Standards verabschiedet, von denen der- 37 38 39 Vgl. diesem Verfahren Ernst, C. (2001), S. 1442. Vgl. Tanski, J. S. (2002), S. 20. Vgl. Heuser, P. J., Theile, C. (2003), S. 23.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 19 zeit 36 in Kraft sind. Dabei ist mit der Verabschiedung der letzten Standards am 31.03.2004 das sog. improvement project abgeschlossen, dass vor allem das Ziel der Beseitigung von Wahlrechten innerhalb der einzelnen Standards hatte. Denn auch wenn seit Mai 2000 die IFRS von der International Organization of Securities Commissions (IOSCO), dem weltweiten Zusammenschluss der Börsenaufsichtsbehörden, für grenzüberschreitende Börsenemissionen empfohlen wird, haben die IFRS ein wesentliches Manko : Die US-amerikanische Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) erkennt die IFRS für ein Börsenlisting in den USA bis dato nicht an. Dem Schritt der Anerkennung will man u. a. durch den Abschluss des improvement project näher kommen 40. Demnach werden auch derzeit noch zahlreiche große deutsche Unternehmen aufgrund einer Börsennotiz an der New York Stock Exchange sowie der Nichtakzeptanz der IFRS durch die SEC zur Anwendung der US- Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) gezwungen. Das neue hauptamtliche Board hat sich entschieden, die von ihm neu verabschiedeten Standards IFRS zu nennen, so dass ein Nebeneinander von Begriffen existiert: Alle vor dem 01.01.2001 verabschiedeten Standards auch wenn diese neu überarbeitet werden bzw. wurden, tragen die Bezeichnung IAS, alle ab diesem Zeitpunkt veröffentlichten Standards werden als IFRS bezeichnet. Zu aller Verwirrung verwendet das IASB als Obergriff die IFRS, so dass hierunter auch die IAS fallen 41. Auf der zweite Stufe des IFRS-Regelwerks werden die IFRIC veröffentlicht, deren Ziel es ist, Regelungen einzelner Standards auszulegen, die aufgrund ihre Formulierung möglicherweise unterschiedlich und damit u. U. abweichend von den Intentionen des IASB angewendet werden 42. Ferner hat das IFRIC die Option, unabhängig von den einzelnen Standards aktuelle Bilanzierungsprobleme aufzugreifen und eine schnelle Lösung durch das Ausarbeiten neuer In- 40 41 42 In diesem Zusammenhang ist auch das am 18.09.2002 zwischen dem IASB und dem Financial Accounting Standards Board (FASB) als US-amerikanischer Standardsetter abgeschlossene Norwalk Agreement zu nennen, dass eine Zusammenarbeit mit dem Ziel vorsieht, bestehende Divergenzen zwischen den IFRS und den US-GAAP bis zum Jahre 2005 zu beseitigen. Vgl. Lüdenbach, N. (2004), S. 40. Im Folgenden wird auch grundsätzlich von IFRS gesprochen, außer es erfolgt ein Bezug auf einen speziellen Standard, der noch die Bezeichnung IAS trägt. Vgl. Förschle, G., Holland, B., Kroner, M. (2003), S. 9.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 20 terpretationen zu erarbeiten 43. Den IFRIC kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als sie den gleichen Verpflichtungsgrad wie die einzelnen Standards aufweisen. Auch hier existiert ein begriffliches Nebeneinander: Bis 2001 werden die durch das IASB verabschiedeten Interpretationen als SIC, ab diesem Datum als IFRIC bezeichnet. Auf der dritten Stufe ist das Framework (F) als Rahmenkonzept zu nennen, in dem die maßgeblichen Ziele, Grundsätze und Methoden der IFRS-Rechnungslegung aufgeführt sind. Trotz dieser zentralen Inhalte dieses Rahmenkonzepts gilt es zu beachten, dass die einzelnen Standards und Interpretationen gemäß F.2 Vorrang vor den Grundsatzregelungen haben. In Anlehnung an Lüdenbach können die drei Stufen des IFRS-Regelwerks in einem House of IFRS zusammengefasst werden 44 : Abbildung 2: House of IFRS Framework IFRIC Interpretations IAS 2 IFRS... IAS 1 Ansatz + Bewertung Ausweis Hierarchisches Verhältnis In Anlehnung an: Lüdenbach, N. (2004), S. 39 Neben den drei Stufen sind noch das Vorwort (preface) zu den einzelnen IFRS sowie jüngst Anwendungsrichtlinien (implementation guidance) zu bestimmten Sachverhalten zu nennen. Diese Anwendungshinweise stellen eine Auslegungshilfe von konkreten Standards und Interpretationen dar und sind regelmäßig im Fragen- und Antwort-Format gehalten. So sind z. B. zu dem komplexen IAS 39, der die bilanzielle Behandlung von Finanzinstrumenten behandelt, auf über 400 Seiten solche Hinweise niedergeschrieben. 43 44 Vgl. Mandler, U. (2004), S. 26. Wie auch schon die Vergangenheit gezeigt hat, ist grundsätzlich nicht mit ernsthaften Konflikten zu rechnen, da die EU-Kommission unbedingt europäische IFRS vermeiden möchte. Dafür spricht auch die Tatsache, dass das EFRAG der EU-Kommission Anfang März 2004 die Anerkennung der im Rahmen des improvement project überarbeiteten Standards empfohlen hat. Vgl. Lüdenbach, N. (2004), S. 40.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 21 Insgesamt zeigt sich also, dass der Regelungscharakter der Normen des IASB grundsätzlich kasuistisch geprägt und damit einzelfallbezogen ist. Es besteht also keine inhaltlich geschlossene Bewertungskonzeption wie nach den Vorschriften der 252 bis 256 HGB. Der Aufbau der einzelnen IFRS folgt grundsätzlich einer festen Struktur. Diese hat folgendes Aussehen 45 : Darstellung der Zielsetzung und damit Aufzeigen dessen, was durch die Vorschrift erreicht werden soll Aufzeigen des Anwendungsbereichs, d.h. für welche Unternehmen oder Branchen der Standard gilt oder nicht gilt Erläuterung der zentralen Begriffe des betreffenden Standards, die grundsätzlich nicht auf andere Standards übertragbar sind Behandlung von Ansatz-, Bewertungs- und Ausweisfragen, die den Kernbereich des Standards verkörpern und den größten Raum in Anspruch nehmen. In einigen Standards wird hinsichtlich der Bilanzierungsund Bewertungsmethoden zwischen der bevorzugten Methode (benchmark treatment) und der alternativ zulässigen Methode (allowed alternative treatment) unterschieden, was als ein Einräumen von echten Wahlrechten zu interpretieren ist; die Anwendung der Alternativmethode wird aber grundsätzlich durch zusätzliche Anhangsangaben diskriminiert Darlegung der notwendigen Offenlegungen (disclosure) in den notes, der mit dem Anhang nach HGB zu vergleichen ist. Da die Zielsetzung die Vermittlung von entscheidungsrelevanten Informationen ist, nehmen diese Ausführungen im Gegensatz zum HGB einen breiten Raum ein Zeitpunkt des Inkrafttretens und Übergangsvorschriften beschließen die Ausführungen des eigentlichen Standards Einzelne Standards enthalten Anhänge in Form von erläuternden Material sowie Anwendungsbeispielen zur Veranschaulichung der Vorschriften des Standards. Diese sind regelmäßig für das Verständnis der einzelnen Vorschriften von großer Bedeutung 45 Vgl. Heuser, P. J., Theile, C. (2003), S. 23 f.; Tanski, J. S. (2002), S. 25.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 22 Im Zuge der Umstellung der Rechnungslegung auf IFRS müssen sich die mit dem Rechnungswesen befassten Personen mit diesem Regelwerk frühzeitig vertraut machen. Bevor jedoch einzelne Standards des IFRS-Regelwerks betrachtet werden, empfiehlt sich eine intensive Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Rechnungslegungskonzeption der IFRS, die im Wesentlichen im Framework dargestellt sind. Demnach kommt dem Framework im Rahmen der Rechnungslegungsumstellung eine besondere Bedeutung zu, da es eine leicht verständliche Einführung in die Grundgedanken der kapitalmarktorientierten Rechnungslegung darstellt. 2.3. Das Framework als Rahmenkonzept der IFRS-Rechnungslegung 2.3.1. Bedeutung des Frameworks Im Juli 1989 wurde mit dem Framework for the Preparation and Presentation of Financial Statements, kurz Framework, ein Rahmenkonzept vom damaligen IASC, heute IASB, verabschiedet und somit ein theoretischer Bezugsrahmen für das Normensystem der einzelnen IFRS geschaffen. Dabei wurden die Inhalte dieses Rahmenkonzepts überwiegend aus den Anforderungen der Praxis, also im Gegensatz zu den GoB mehr induktiv als deduktiv, abgeleitet. In par. 1 des Framework, also F.1, werden als Zwecke die folgenden Punkte angeführt 46 : Unterstützung des IASB sowohl bei der Entwicklung neuer IFRS als auch bei der Überarbeitung bestehender IAS/IFRS Unterstützung des IASB bei seinem Ziel, die Rechnungslegungsvorschriften auf Basis der IFRS international zu harmonisieren Unterstützung der nationalen Standardsetter bei der Entwicklung von Rechnungslegungsnormen Unterstützung der Jahresabschlussersteller bei der Verwendung der IFRS-Vorschriften und beim Umgang mit Themen, die noch nicht Gegenstand bestehender IFRS-Normen sind Unterstützung von Wirtschaftsprüfern bei der Beurteilung der Jahresabschlüsse bezüglich ihrer IFRS-Konformität 46 Vgl. hierzu auch Kleinmanns (2002), S. 628 f.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 23 Unterstützung der Jahresabschlussadressaten bei der Interpretation von IFRS-konformen Abschlüssen Unterstützung der an der Arbeit des IASB interessierten Personen hinsichtlich der Methode der Formulierung von IFRS Es lässt sich also eine umfassende Zielsetzung des Framework erkennen 47. Somit erhebt das IASB den Anspruch, dass das Framework sämtliche mit der Rechnungslegung befassten Personen und Institutionen bei ihrer Arbeit unterstützt respektive hierfür eine konzeptionelle Grundlage liefert. Dabei besteht das Framework aus vier wesentlichen Bausteinen 48 : Abbildung 3: Bestandteile des Framework Bestandteile des Framework Grundprinzipien der Rechnungslegung Ansatzgrundsätze und -vorschriften Kapitalerhaltungskonzepte Zielsetzung des IFRS-Abschlusses In F.2 wird hinsichtlich des Verpflichtungscharakters des Framework eindeutig sichergestellt, dass das Framework selbst kein IFRS darstellt. Die Regelungen der einzelnen IFRS haben vielmehr Vorrang vor dem Rahmenkonzept, was dazu führt, dass das Framework nach den IFRS und IFRIC nur subsidiär anzuwenden ist. Im Gegensatz zu der Generalnorm der fair presentation gemäß den US-GAAP kann den Inhalten des Framework demnach nicht prima vista ein overriding principle-charakter zukommen, so dass auch die in den einzelnen IFRS eingeräumten Wahlrechte nicht durch das Framework eingeschränkt werden 49. Es wird im IFRS-Regelsystem vielmehr ein anderer Weg gegangen: Die IFRS geben den Vorrang vor dem Gebot zum true-and-fair-view. In diesem Zusammenhang ist aber zu beachten, dass im Zuge der Überarbeitung des IAS 1, Presentation of Financial Statements, im Jahre 1997 wesentliche Inhalte des 47 48 49 Vgl. Baetge, J., Kirsch, H.-J., Thiele, S. (2001), S. 118. Vgl. Buchholz, R. (2003), S. 20. Vgl. ebd.

Diskussionsbeitrag Nr. 2 24 Framework übernommen, ergänzt und konkretisiert wurden. Dies hat dazu geführt, dass über den Umweg des IAS 1 das Framework schließlich doch eine materielle Bedeutung erfährt. Demnach hat sich auch ein Meinungswechsel hinsichtlich der Fragestellung, ob das true-and-fair-gebot ein overriding principle darstellt oder nicht, vollzogen. Mittlerweile vertreten immer mehr Fachleute die Auffassung, dass der true-and-fair-view-grundsatz den Stellenwert eines overriding principle einnehme 50. Dies lässt sich auch aus IAS 1.17 ableiten, wo aufgeführt wird, dass in seltenen Fällen ein Abweichen von einzelnen Vorschriften in den Standards notwendig ist; dies aber nur dann, wenn hierdurch ein besseres Bild der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens vermittelt wird. Ferner schreibt IAS 1.21 vor, dass ein Abweichen von den Einzelvorschriften im Einklang mit dem nationalen Rechnungslegungswerk bestehen sollte. Weicht das Unternehmen von den Anforderungen eines IFRS oder einer Interpretation gemäß par. 13 ab, so hat es aber gemäß IAS 1.18 zahlreiche Angaben zu machen. Durch die umfangreichen Angabepflichten soll eine erhöhte Transparenz hinsichtlich sämtlicher Abweichungen vom IFRS-Regelwerk geschaffen werden. Demnach sollte Förschle/Kroner folgend von einem sehr restriktiven overriding principle gesprochen werden, da die Ausübung der Vorschriften des par. 17 nur selten möglich sein dürfte 51. 2.3.2. Grundsätze und Elemente des Jahresabschlusses Gemäß F.12 besteht die vorrangige Zielsetzung des IFRS-Abschlusses darin, die Informationsbedürfnisse der Jahresabschlussadressaten durch entscheidungsnützliche Informationen zu befriedigen (decision usefulness). Die durch den Jahresabschluss vermittelten Informationen sollen einem weiten Kreis von Adressaten ermöglichen, wirtschaftliche Entscheidungen, z. B. Kauf oder Verkauf neuer Anteile, zu treffen. Konkret gehören gemäß F.9 gegenwärtige und potenzielle Investoren, Arbeitnehmer, Kreditgeber, Lieferanten, Kunden, staatliche Stellen und die allgemeine Öffentlichkeit zu den Jahresabschlussadressaten. 50 51 Vgl. Pellens, B. (2001), S. 411; IdW (2000), Abschn. N, Rz. 612. Vgl. Förschle, G., Kroner, M. (1999), 264 HGB Rz. 107 f.; ihnen folgend Heuser, P. J., Theile, C. (2003), S. 37