Der Fiskalpakt im europäischen Stresstest Leipzig 20. September 2013 DR. WOLFGANG MERZ

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Transkript:

Der Fiskalpakt im europäischen Stresstest Leipzig 20. September 2013 DR. WOLFGANG MERZ

Zur interdependenten Fragestellung Eingrenzung des Themas: Anwendung der finanzpolitischen Regeln auf EU-Ebene und mögliche Rückwirkung auf die entsprechenden deutschen Regeln? (Hinweis: einen deutschen Fiskalpakt gibt es nicht) Zum Aufbau der Intervention: Erstens klarmachen, wie sich Finanzpolitik auf EU-Ebene entwickelt hat. Zweitens erörtern, ob mögliche Fehlanwendungen auf EU- Ebene auf die nationalen fiskalischen Regeln durchschlagen können. Drittens: Makroökonomische Bewertung des Regelwerks. Ausblick: Optionen einer finanzpol. Koord. auf EU-Ebene 2

Exkurs Entwicklung der finanzpolitischen Regeln in der EU WWU-Entstehung: erst nur Konvergenzkriterien 1992 (3% und 60%; statisch; kurzfristig); nachträglich dauerhafte Finanzpolitik: Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) 1997 mit der Einführung eines präventiven Arms. Ökonomisches Primat: gemeinsame Geldpolitik erfordert integrierte Finanzpolitik. Anwendung: in guten Zeiten in Ordnung (obwohl kaum Beachtung des Schuldenstands); in schlechten Zeiten Regelkrise (2003: D-F; aber D mit Agenda 2010, für Haushalte mindestens ebenso wichtig wie Ausgabekürzungen). Konsequenz: SWP-Reform in 2005. 3

Exkurs Entwicklung der finanzpolitischen Regeln in der EU Weitere Anwendung (ab 2005ff) der reformierten SWP- Regeln weiterhin schwach (auch weiterhin keine Beachtung der öffentlichen Schuldenstände). Die in 2007ff einsetzende Finanzmarktkrise brachte Offenbarungseid dieser Überwachung: Eurozone ging mit zu hohen öffentlichen Defiziten und Schuldenständen in die Krise. Krise wurde durchgearbeitet mit weiteren Steigerungen bei den Defiziten, bedingt durch die großen Konjunkturpakete und die durch die rezessiven Tendenzen verursachten Steuerausfälle (finanziert über öffentliche Kredite) und bei den Schuldenständen, auch bedingt durch die fiskalisch teuren Bankenrettungsmaßnahmen 4

Überarbeitung des finanzpolitischen Regelwerks in der EU (im Zuge der Finanzmarktkrise): Sixpack, Twopack, Fiskalvertrag Fokussierung auf das mittelfristige strukturelle Haushaltsziel. Operationalisierung des Schuldenstandskriteriums. Einführung eines abgestuften Sanktionssystems. Ausdehnung der umgekehrten qualifizierten Mehrheitsentscheidung auf alle Stufen des Defizitverfahrens (EDP). Ausdehnung der Überwachung auf die weitere Haushaltsplanung im zweiten Halbjahr. Wirtschaftsreformprogramme bei EDP-Eurozonen-MS. 5

Überarbeitung des finanzpolitischen Regelwerks in der EU (im Zuge der Finanzmarktkrise): Sixpack, Twopack, Fiskalvertrag Verschärfte Informations- und Berichtspflichten für Eurozonen-MS. KOM hat ergänzend die Stellung des Währungskommissars gestärkt (insbes. Ermächtigung zum Erlass bestimmter Rechtsakte). 6

Anwendungsprobleme beim überarbeiteten finanzpolitischen EU-Regelwerk Intransparente Berechnung der effective action. Bei Fristverlängerungen im EDP hat KOM keine besonders strikte Linie gewählt. Zurückhaltung der KOM bei der Verhängung von Sanktionen. Diskussion über ein Herausrechnen verschiedener Ausgaben (Investitionsteile im präventiven Arm des SWP; Kosten für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit) aus der Berechnung des strukturellen Defizits. KOM-Zurückhaltung bei der Durchsetzung neuer Regeln (kein Insistieren auf Wirtschaftspartnerschaftsprogramme; keine Überarbeitungsbitte bei den neu eingeführten Bewertungen der Haushaltsplanungen) 7

Ansteckungsmöglichkeit für das nationale finanzpolitische Regelwerk Was impliziert die nicht befriedigende EU-Anwendung für das nationale finanzpolitische Regelwerk (hier: die deutsche Schuldenbremse)? Es besteht die Möglichkeit, dass auch in D eine erneute Debatte über das Gegenzurechnen (Investitionen und Defizit entflammt. (Aber: EU-Diskussion nur im präventiven Bereich und u.u. eingrenzbar) Weitere Ansteckungsmöglichkeiten sind im Prinzip schon verstopft, weil die meisten ja in einem EDP-Verfahren verankert sind (siehe: effective action ; Fristverlängerung; Sanktionen), dem sich D in absehbarer Zukunft wohl nicht stellen dürfte. 8

Minderung der Ansteckungsmöglichkeit durch erneute Härtung der finanzpolitischen Regeln auf EU-Ebene Für eine solche Minderung gibt es drei mögliche Wege: A) Striktere Anwendung des angeschärften Regelwerks auf EU-Ebene. B) Stärkung unabhängiger Elemente im bestehenden angeschärften Regelwerk auf EU-Ebene. C) Aufbau einer ganz anderen finanz- und auch wirtschaftspolitischen Überwachung auf EU-Ebene. 9

A) Striktere Anwendung des angeschärften Regelwerks auf EU-Ebene Zusätzlich zum Fokus auf das mittelfristige Haushaltsziel stärkere Berücksichtigung der nominalen Defizit- und Schuldenstandsreferenzwerte. Größere Transparenz bei der Berechnung der effective action. Keine weiteren Anrechnungen für Investitionen oder anderen Ausgaben. Restriktiver Gebrauch von Fristverlängerungen im EDP. Konsequente Haushaltsplanungsüberwachung. Konsequente Nutzung von Sanktionsmöglichkeiten. 10

B) Stärkung unabhängiger Elemente im bestehenden angeschärften EU-Regelwerk Unabhängige Instanzen: Funktionale Autonomie gegenüber der Regierung; Freiheit zur Intervention; unabhängige Personalbeschaffung. Merkmale: Unabhängige Funktion, Person, Institution. Beispiele: (Hinweis: es gibt jetzt schon unabhängige Elemente) Unabhängige Institutionen mit unabhängigen Makroschätzungen (ESM-Entpolitisierung; siehe C)) Europäischer Finanzminister nicht unbedingt eine Person, aber auch der Währungskommissar wäre denkbar Permanenter Eurogruppenchef oder finanzpol. Stab.rat Genereller Einwand: Ist etwas wirklich unabhängig? 11

C) Aufbau einer ganz anderen finanz- und auch wirtschaftspolitischen EU-Überwachung Erfahrung mit EU-Regeln sind im besten Fall gemischt. Auch KOM agiert oft nicht als Hüterin der Verträge, auch wenn diese derzeit mit F und Ita eine härtere Gangart einschlägt. Mögliches Modell: ESM zum EWF (ESM ja auch Andockmittel bei der Bankenunion). EWF wäre nicht nur für Krisen-, sondern auch für die Normalländer zuständig. Das hieße etwa: EWF würde auf Einhaltung der Schuldenbremse im Rahmen von Länderkonsultationen drängen. 12

Makroökonomische Bewertung des EU-Regelwerks Die neuen finanzpolitischen Regeln auf EU-Ebene stellen trotz der Umsetzungsprobleme die richtige Antwort darauf dar, den steigenden Defiziten und Schuldenständen in der Eurozone Herr zu werden. Die früheren Regeln waren eben nicht ausreichend und die Eurozone erlebte eben auch eine Schuldenkrise neben dem früheren Fehler, die Finanzmärkte zu deregulieren. Der Vorwurf, dieses Regelwerk würde die Krisenländer in eine mittelfristige Rezession treiben ( Austerity ), ist empirisch kaum haltbar. 13

Makroökonomische Bewertung des EU-Regelwerks Austerity wären wirtschaftspolitische Maßnahmen, von denen wir meilenweit entfernt sind (das gleiche gilt auch für die sog. neo-liberale Wirtschaftspolitik). Fakt ist, dass eine Konsolidierung mit Augenmaß dafür Sorge trägt, dass sich die jeweilige Rezession noch in vertretbarem Rahmen hält. Aber ohne Konsolidierung geht es nun leider nicht. Unterschätzt werden auch die positiven Erwartungseffekte einer Konsolidierung. Nach durchaus tiefen Einbrüchen sind mittlerweile erste Anzeichen einer Erholung erkennbar. 14

Ausblick Finanzpolitische EU-Koordinierung ist nur ein Baustein in der sich durch die Krise weiterentwickelten Governance in der Eurozone. Auch muss der wirtschaftspolitische und der Bankenbereich entsprechend fortentwickelt werden. In allen drei Feldern Probleme, weil der Kernkonflikt nicht gelöst wird: Eine gemeinsame Geldpolitik würde eine Integration in allen Bereichen erfordern. Aber die MS sind derzeit nicht gewillt, Souveränität abzugeben. (Beispiele: In Wirtschaftspolitik Spanien nicht im Ungleichgewichteverfahren; bei Bankenunion: könnte die EZB eine Bank in F dichtmachten?) Es gilt daher, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es ohne eine Souveränitätseinschränkung nicht geht. 15