Themenpapier 12 Direkte Demokratie und Partizipation Thesen zu Wirkungen von Bürgerund Volksbegehren

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Transkript:

Themenpapier 12 Direkte Demokratie und Partizipation Thesen zu Wirkungen von Bürgerund Volksbegehren 10.12.2003 Frank Rehmet frank.rehmet@mehr-demokratie.de Mehr Demokratie e. V. Greifswalder Str. 4 10405 Berlin Tel 030 420 823 70 Fax 030 420 823 80 info@mehr-demokratie.de

Das vorliegende paper befasst sich mit den Wirkungen von direktdemokratischen Verfahren auf die Bürgerbeteiligung/Partizipation. Außerdem soll kurz skizziert werden, ob und inwiefern Bürgerinnen und Bürger verantwortungsbewusst mit Geld umgehen. Insgesamt werden sieben Thesen aufgestellt, begründet und empirisch belegt. These 1: Direktdemokratische Verfahren erhöhen die Partizipation durch Erweiterung von themenspezifischen Artikulations- und Beteiligungsmöglichkeiten Direktdemokratische Verfahren haben insbesondere die Eigenschaft, dass sie als themenspezifische Verfahren der Bürgerbeteiligung sich generell für eine sachlich differenziertere Artikulation von Problemen eignen, als sie über Parteien mit ihren stärker generalisierten Programmpaketen möglich ist. Die Partizipation erhöht sich in mehreren Dimensionen: durch die Teilnahmemöglichkeit an einer Unterschriftensammlung sowie evtl. an einer Abstimmung, die zusätzlich zu einer Wahl stattfindet. Immerhin beträgt die durchschnittliche Beteiligung bei einem Bürgerentscheid in Hessen und Bayern ca. 50 Prozent. durch die Beteiligung an Informations- und Diskussionsprozessen. Politische Alternativen werden ernsthaft diskutiert und gegeneinander abgewogen. Die Tatsache, dass Bürger- und Volksentscheide Bürgerbeteiligungsverfahren mit Entscheidungscharakter sind, macht sie besonders attraktiv für die Bürger, denn im Unterschied zu unverbindlichen Verfahren (z. B. Einwohnerversammlung) ersetzt die Volksabstimmung einen Ratsbeschluss. These 2: Direktdemokratische Verfahren begünstigen das Auftreten neuer Akteure Empirische Untersuchungen ergaben, dass sich in fast der Hälfte der Fälle der untersuchten Begehren in Hessen und Bayern auf kommunaler Ebene Bürger aktiv bei direktdemokratischen Verfahren beteiligen, die vorher sehr wahrscheinlich nicht in politischen Gruppierungen aktiv waren. 1 Für politisch unerfahrene Bürger (wie auch für erfahrene Bürger) ist das Engagement für ein Bürgerbegehren ein besonderer Lernprozess und eine Möglichkeit, sich projektbezogen politisch zu engagieren. 1 Vgl. Rehmet, Frank/Weber, Tim/Pavlovic, Dragan 1999: Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein, in: Schiller, Theo (Hg.) 1999, Direkte Demokratie in Theorie und kommunaler Praxis, Frankfurt a. M. u.a., S. 146 ff. Mehr Demokratie Themen 12: Direkte Demokratie und Partizipation Seite 2 von 6

These 3: Direktdemokratische Verfahren bewirken intensivere Diskussionen - zwischen Personen - in den Medien (intensivierte Berichterstattung) - zwischen und innerhalb der Parteien/Verbände - zwischen Bürgern und Verwaltung Bürger- und Volksbegehren führen stets zu Informationsangeboten, da sowohl Initiatoren als auch Opponenten ein überragendes Interesse daran haben, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger über das begehrte Thema zu informieren und für den jeweiligen Standpunkt zu werben. Dies führt zu zahlreichen Gesprächen sowohl während der Phase der Unterschriftensammlung als auch vor einem Bürger- bzw. Volksentscheid. Erste bisherige empirische Untersuchungen über politische Aktionsformen ergaben, dass sich Initiatoren und Gegner auf kommunaler Ebene sehr oft mit Infoständen, Veranstaltungen und Hausbesuchen an die Bevölkerung wenden. 2 Eine wichtige Rolle spielen die Medien, die diese interpersonalen Kommunikationsprozesse ergänzen und vertiefen. Erste empirische Auswertungen für Hessen und Bayern ergaben, dass die lokalen Medien überwiegend ausgewogen und angemessen über Bürgerbegehren und Bürgerentscheid berichten. 3 Auch innerhalb von Verbänden und Parteien ist eine vertiefte, intensivierte Diskussion zu erwarten. Schließlich kommt es bei Bürgerbegehren oft zu einem Austausch mit der Verwaltung u.a. auch zu Hilfestellungen durch die Verwaltung. These 4: Direkte Demokratie bewirkt Diskussionen über neue Ideen und Problemlösungsvorschläge der Wettbewerb wird erhöht Durch Bürger- und Volksbegehren gelangen neue Ideen und Lösungsvorschläge für Probleme auf die politische Tagesordnung. Das innovative Potential von sachverständigen Bürgerinnen und Bürger wird so für die Politik potentiell nutzbar gemacht. Politische Alternativen und Problemlösungen werden mittels Bürgerbegehren ernsthaft diskutiert. Dies ist vor dem Hintergrund, dass ein häufig gehörter Satz in der Kommunalpolitik Dazu gibt es keine Alternative lautet, besonders beachtlich. Dadurch, dass geplante Projekte und Maßnahmen sich dem Wettbewerb der Ideen stellen müssen, erhöhen sich die Chancen auf eine transparentere Auseinandersetzung und auf eine problemadäquate Lösung. Ein empirischer Beleg für diese These ist die Anzahl der so genannten Initiativbegehren. Diese Begehren beziehen sich nicht auf einen bereits getroffenen Ratsbeschluss, hier kommen neue Ideen und Problemlösungsvorschläge auf die politische Tagesordnung. In Bayern und Hessen beträgt die Anzahl an Initiativbegehren ca. 16 Prozent aller Begehren. Darüber hinaus beinhalten viele Korrekturbegehren ebenfalls eigene Vorschläge (zum Beispiel richtet sich das Begehren formal gegen die Schließung des Hallenbads. Statt einer Schließung wird von den Initiatoren jedoch die Alternative Sanierung und Weiterführung mit vermehrt ehrenamtlichen Tätigkeiten vorgeschlagen. 2 Vgl. ebd., S. 144. 3 Vgl. ebd., S. 162. Mehr Demokratie Themen 12: Direkte Demokratie und Partizipation Seite 3 von 6

These 5: Die Partizipationswirkung ist umso größer, - je fairer das Verfahren gestaltet ist - je besser der Diskussionsprozess durch die Verwaltung unterstützt wird (Abstimmungsbenachrichtigung, Briefwahl, Abstimmungsbroschüre) Das Verfahrensdesign wirkt sich unmittelbar auf das Wirkungspotenzial aus: Zum Beispiel führen restriktiv Themenausschlusskataloge zu einer Einschränkung von Themen. So ist in einigen Bundesländern etwa die kommunale Bauleitplanung ein zentrales kommunalpolitisches Politikfeld ausgeschlossen. Hohe Quoren beim Bürgerbegehren und entscheid sind insbesondere in großen Städten schädlich und erschweren Bürgerengagement bereits im Vorfeld bzw. sorgen für Ungültigkeit und führen dann zu Frustration und Deaktivierung partizipationsbereite Bürger. Je besser die Verwaltung die Informations- und Diskussionsprozesse begleitet und unterstützt, desto informierter sind die Bürger und desto größer ist die Partizipationswirkung. Durch das Versenden einer Abstimmungsbenachrichtigung, das Ermöglichen von Briefabstimmungen und durch das Erstellen und Versenden einer Abstimmungsbroschüre mit Pro- und Kontra-Argumenten (Vorbild: Abstimmungsbuch in der Schweiz) kann die Verwaltung zu einer breiten Information der Bevölkerung beitragen. Vor kurzem erst dies die Stadt Dortmund mustergültig geregelt. These 6: Direkte Demokratie begünstigt andere Verfahren der Bürgerbeteiligung Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung sind Beteiligungsverfahren, die unterschiedliche Funktionen erfüllen. 4 Bürgerbeteiligungsverfahren sind informell, sie basieren auf der Freiwilligkeit der Auftraggeber. Es würde beispielsweise keinen Sinn ergeben, eine Planungszelle oder eine Zukunftskonferenz gesetzlich vorzuschreiben, da diese Verfahren beratenden Charakter haben und niemand eine Verwaltung zwingen kann, einem Rat zu folgen. Demgegenüber sind direktdemokratische Verfahren formell und normsetzend. Eine Verwaltung muss eine Entscheidung umsetzen. Allerdings ist es unsachgemäß, bei jedem Konflikt direktdemokratische Verfahren anzuwenden, da sie ressourcenaufwändig sind. Direkte Demokratie verkleinert das Machtungleichgewicht zugunsten der Bürgerinnen und Bürger. In der Regel sitzen Verwaltungen oder Großunternehmen am längeren Hebel, sie können Entscheidungen durchsetzen. Mediationsverfahren zum Beispiel sind aber auf ein Machtgleichgewicht der Konfliktbeteiligten angewiesen. Auch begünstigt das Recht auf Bürgerbegehren und Bürgerentscheide die Bereitschaft von Verwaltungen, Bürgerbeteiligungsverfahren anzuwenden, zum Beispiel um einen drohenden Bürgerentscheid abzuwenden. 5 4 Bis Anfang der 90er Jahre wurde direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung oft als Gegensatz diskutiert siehe Peter Dienel, Die Planungszelle, Eine Alternative zur Establishment-Demokratie, 3. Auflage, Westdeutscher Verlag, 1992, S. 46ff. In der jüngeren Literatur löst sich dieser Gegensatz auf. Vgl. Lars Holtkamp, Bürgerbeteiligung in Städten und Gemeinden, Ein Praxisleitfaden für die Bürgerkommune, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin 2000, S. 16 ff. Mehr Demokratie Themen 12: Direkte Demokratie und Partizipation Seite 4 von 6

These 7: Bürgerinnen und Bürger gehen verantwortungsbewusst mit Geld um Diese These wird oft in umgekehrter Richtung ( verantwortungslos ) verwendet; dies geschieht jedoch meist ohne empirische Basis, manchmal an Einzelfällen orientiert. Jedoch gibt es auch zahlreiche Einzelfälle, die für einen sorgfältigen Umgang der Bürger mit den Staatsfinanzen sprechen. Literatur In der empirisch ausgerichteten Literatur herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die direkte Demokratie langfristig kaum (...) weniger vernünftige Resultate hervorbringt als das Parlament 6 Erfahrungen in der Schweiz und der USA Volksabstimmungen über Staatsfinanzen sind in der Schweiz und in den USA selbstverständlich und gelten als politische Routineverfahren. In der Schweiz wird auf allen Ebenen über finanzwirksame Gesetze abgestimmt. Es gibt keine diesbezüglichen thematischen Beschränkungen. Auf kommunaler und kantonaler Ebene der Schweiz (wie auch in den USA auf kommunaler Ebene) ist sogar das sogenannte obligatorische Finanzreferendum weit verbreitet: Alle Ausgaben, die einen bestimmten Betrag übersteigen, müssen zwangsläufig (obligatorisch) vom Volk in einer Volksabstimmung bestätigt werden. Die USA und die Schweiz gelten als Staaten mit hohem Wohlstand und sehr geringer Staatsverschuldung offenbar ist hier die Direkte Demokratie nicht hinderlich bzw. trägt dazu bei (z.b. in Form obligatorischer Finanzreferenden, bei denen Politiker die Ausgaben/Steuererhöhungen besser rechtfertigen / begründen müssen). Erfahrungen in Deutschland Zur Landesebene in Deutschland kann generell folgendes festgehalten werden: Es gibt keine systematische Untersuchung zu diesem Themenbereich. Einige Volksbegehren wandten sich gegen (kostenintensive) Großprojekte (z.b. Ausbau Flughafen Schönefeld bei Berlin, gegen Transrapid, gegen Havel-Ausbau in Brandenburg). Es gibt Beispiele für Kosteneinsparungen als Wirkungen von direktdemokratischen Prozessen: Abschaffung des bayerischen Senats (vor allem aus Kosten-/Effektivitätsgründen) per Volksentscheid Verkleinerung der Bürgerschaft in Bremen (erfolgreich ohne Volksentscheid) Verkleinerung des Landtags, Verzicht auf Schankerlaubnissteuer/Getränkesteuer in Schleswig-Holstein. 5 Am 13. Juni 1999 fanden in Regensburg zwei Bürgerentscheide statt. Im ersten Bürgerentscheid sprachen sich die Regensburger für eine Stadthalle aus. Allerdings lehnten die Regensburger den vom Bürgermeister und Stadtratsmehrheit favorisierten Standort ab. Daraufhin gab die Stadt mit Unterstützung des Bayerischen Innenministeriums ein Bürgergutachten zur Stadtplanung in Auftrag. Vgl. Tim Weber, Aufbruch in eine neue politische Kultur, in: Zeitschrift für direkte Demokratie, Heft 51 (Sonderausgabe), Frühjahr 2001, S. 40 ff. 6 Kampwirth, Ralph 1999: Volksentscheid und Öffentlichkeit, in: Schiller, Theo (Hrsg.), Direkte Demokratie in Theorie und kommunaler Praxis, Frankfurt a. M. u.a., S. 56 mit weiterer Literaturnachweisen. Mehr Demokratie Themen 12: Direkte Demokratie und Partizipation Seite 5 von 6

Für die Kommunalebene Deutschlands liegen vereinzelte empirische Studien vor, die ebenfalls die Ausgangsthese unterstützen. Im Einzelnen sind dies: für Bayern: Sparsame Vorlagen werden vorwiegend angenommen 7 für Baden-Württemberg: Die Bürger entscheiden sparsam und wertkonservativ. Es gehe den Abstimmungsberechtigten nicht darum, kostspielige Einrichtungen wider alle Vernunft durchzusetzen, sondern im Gegenteil sie zu verhindern. Als Beispiele werden genannt: Erhalt historischer Bausubstanz, kein Verkauf von Gemeindebesitz und Anteilen an Energieversorgungsunternehmen. 8 7 Weber, Tim 1997: Direktdemokratische Prozesse auf der Kommunalebene in akteurstheoretischer Perspektive, Marburg, unveröff. Diplomarbeit, S. 106. 8 Wehling, Hans-Georg 1995: Bürgerentscheide in Baden-Württemberg. Ein Rückblick auf vier Jahrzehnte Praxis, Paper auf dem Symposium Der Bürgerentscheid für Bayern. Thesen, Fakten, Trends in München, 9.09.1995, S. 10 f. Mehr Demokratie Themen 12: Direkte Demokratie und Partizipation Seite 6 von 6