Leitlinie zur amputationsbedrohten Extremität



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Transkript:

Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie (vaskuläre und endovaskuläre Chirurgie) (DGG) Leitlinie zur amputationsbedrohten Extremität Vorbemerkungen Akute oder chronische arterielle Durchblutungsstörungen stellen neben Traumen und Infektionen die häufigsten Ursachen für den Extremitätenverlust dar. Die weit überwiegende Ursache der chronischen arteriellen Durchblutungsstörung ist eine generalisierte Atherosklerose. Der in aller Regel gleichzeitige Befall der hirnversorgenden Arterien und der Herzkranzarterien resultiert in einer extrem hohen Mortalität bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit der Beine (pavk), vor allem bei Auftreten einer chronischen kritischen Extremitätenischämie. Vorrangiges Ziel muss es daher sein die Entstehung einer CLI durch rechtzeitiges Management der klassischen Risikofaktoren der Atherosklerose nach den aktuellen internationalen Leitlinien (TASC II, Leitlinien ACC/AHA) (1, 2) zu verhindern. Diabetiker mit Atherosklerose bedingter Makroangiopathie sind 10 mal häufiger von einer Amputation betroffen als Nichtdiabetiker. Neben der Beeinträchtigung der Makrozirkulation bestehen bei Diabetikern häufig auch Störungen der Mikrozirkulation sowie eine verminderte Immunabwehr, sodass Infektionen rasch zu erheblichem Gewebeuntergang führen können. Jährlich werden in Deutschland ca. 25.000 Majoramputationen durchgeführt, etwa 70 % davon bei Diabetikern (3). Noch ungünstiger sind Prognose und Verlauf bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz. Entsprechend dem Verteilungsmuster atherosklerotischer Gefäßverschlüsse ist die untere Extremität weitaus am häufigsten amputationsgefährdet. Die folgenden Ausführungen beziehen sich daher auf die unteren Extremitäten, gelten sinngemäß jedoch auch für die oberen Extremitäten. Amputation - Definitionen Majoramputation bedeutet eine Amputation oberhalb der Knöchelregion. Im DRG- Abrechnungssystem beginnt die Majoramputation (höherer Resourcenverbrauch) bereits bei der transmetatarsalen Vorfußamputation (ICPM 5-865.6). Minoramputation bedeutet eine kleineamputation bis unterhalb der Knöchelregion (also bis einschließlich der Chopart-Amputation). Im DRG-System umfasst sie nur Zehenamputationen bzw. Strahlresektionen (ICPM 5-865.7). Die Grenzzonenamputation ist ein auf den deutschen Sprachraum begrenzter Sammelbegriff für die Kombination aus Minoramputation in der Grenze zum vitalen Gewebe, Nekrosektomie oder Débridement (4). 1

Symptome und Befunde Die Extremität ist in ihrem Erhalt dann bedroht, wenn eine bestehende Infektion fortschreitet, eine akut oder chronisch verminderte arterielle Durchblutung zum Untergang von Muskelgewebe mit daraus folgender Bedrohung anderer Organfunktionen führt, weitgehend therapieresistente, vom Patienten nicht mehr tolerierbare Ruheschmerzen bestehen, schwerste, neuro-osteoarthropathische Deformitäten mit Osteomyelitis im Fußskelett bestehen, ohne Aussicht auf Funktionserhalt des Fußes. Demzufolge variiert auch das klinische Bild. Es reicht vom Befund der Vorfußgangrän über das kalte paretische Bein bis zur entzündlichen Zerstörung des Fußskeletts beim Charcot-Fuß, oder zum komplexen Schmerzsyndrom mit klinisch nur diskretem Lokalbefund. Diagnostik Bei Vorliegen einer arteriellen Durchblutungsstörung entscheidet das Ergebnis der angiologischen Diagnostik über die Möglichkeit einer extremitätenerhaltenden Revaskularisation. Kann eine arterielle Minderdurchblutung sicher ausgeschlossen werden, entscheidet der lokale Befund. Ein Algorhythmus zur Gefäßdiagnostik bei amputationsbedrohten Patienten ist in der Nationalen VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes Präventions- und Behandlungsstrategien für Fußkomplikationen (5) einzusehen. Gut tastbare Knöchel- und Fußpulse schließen eine für die Entscheidung zur Amputation relevante Durchblutungsstörung mit großer Sicherheit aus. Vor einer Amputation sollte aber in jedem Fall die Durchblutung mittels objektiver Verfahren untersucht und dokumentiert werden (5, 6, 7), was meist eine Angiographie notwendig macht (s.u.). Im Zweifelsfall muss ein gefäßmedizinscher Fachmann (Gefäßchirurg, Angiologe) befragt werden. Das Recht des Patienten auf eine Zweitmeinung ist zu respektieren. Durch die dopplersonographische Verschlussdruckbestimmung der Knöchelarterien kann das Ausmaß der Durchblutungsstörung im Ruhestand festgestellt werden. Insbesondere bei Vorliegen eines Diabetes mellitus oder einer terminalen Niereninsuffizienz ist die Methode jedoch häufig (40 %) nur bedingt verwendbar. In diesen Fällen sind dopplersonographisch normale oder übernormale Druckwerte kein Beweis für eine gute arterielle Durchblutung. Bei Vorliegen einer Inkompressibilität der Arterien infolge Mediasklerose sind die segmentale arterielle Oszillographie und der Pulsatilitätsindex als semiquantitative Methoden hilfreich. Die farbcodierte Duplexsonographie (FKDS) gestattet mit modernen Geräten und in der Hand geübter Untersucher eine zuverlässige Einschätzung der Becken-, Oberschenkel- und Kniearterien, häufig auch der Unterschenkel- und Fußschlagadern. Ihre Möglichkeiten sollten vor der Planung einer Angiographie ausgeschöpft werden, insbesondere vor dem Hintergrund der Nephrotoxizität der Kontrastmittel nicht nur bei der DSA, sondern auch der MRA (6). Häufig erspart ein guter FKDS-Befund der Beckenarterien die Übersichtsangiographie und 2

damit Kontrastmittel. Stattdessen kann bei Vorliegen von Verschlussprozessen dann gleich nach orthograder Punktion der Leistenschlagader eine gezielte Angiographie in Interventionsbereitschaft durchgeführt werden. Durch die Angiographie ist ein sicherer Ausschluss einer arteriellen Durchblutungsstörung möglich. Ihren Stellenwert hat sie jedoch in der Darstellung von Gefäßläsionen und in der Beurteilung der Möglichkeiten der arteriellen Revaskularisation. Bei Vorliegen einer arteriellen Minderdurchblutung und der drohenden Notwendigkeit einer Extremitätenamputation ist sie obligat. Zur definitiven Feststellung einer nicht rekonstruierbaren Gefäßläsion (technische Inoperabilität) ist vor allem die transarterielle digitale Subtraktionsangiographie als diagnostischer Standard anzusehen. Allerdings wird sie zunehmend durch die MR-Angiographie (MRA) verdrängt, die aufgrund rasanter technischer Fortschritte immer zuverlässigere Ergebnisse auch bei der Darstellung der Unterschenkelarterien liefert. Die CT-Angiographie eignet sich (derzeit) nicht zur definitiven Feststellung der technischen Inoperabilität. Indikationsstellung Macht der Lokalbefund (Nekrose, Gangrän, zerstörtes Gewebe) eine Amputation erforderlich und besteht im Bereich der durch die lokale Situation vorgegebenen Absetzungslinie eine normale arterielle Durchblutung (tastbarer Knöchelpuls bei Amputationen im Fußbereich), kann die Amputation ohne Angiographie erfolgen. Das Ausmaß der Amputation richtet sich in diesem Fall somit ausschließlich nach der Ausdehnung der geschädigten Gewebezone, unter Berücksichtigung der Möglichkeiten für eine spätere prothetische Versorgung. Bei Vorliegen von Durchblutungsstörungen ist die technisch einwandfreie Angiographie unabdingbare Voraussetzung vor einer Amputation. Scheint aus angiomorphologischen Gründen keine Rekonstruktionsmöglichkeit gegeben, so muss diese Feststellung dem aktuellen gefäßchirurgischen Standard standhalten. Sie ist eine Seltenheit, wenn an der entsprechenden Gefäßachse bisher kein Revaskularisationsversuch vorgenommen wurde. Bei angiographisch vermuteter Unmöglichkeit einer Revaskularisation sollte vor der Amputation ein in der cruro-pedalen Etage erfahrener Gefäßchirurg oder interventioneller Behandler (Angiologe, Radiologe) konsultiert werden, da häufig doch noch eine Verbesserung der Durchblutung möglich ist, was von Unerfahrenen übersehen wurde. Vor der Amputation sollten an den typischen Stellen Unterschenkel- und Fußarterien mit der Dopplersonde oder FKDS aufgesucht werden. Nicht selten sind doch noch offene, anschlussfähige arterielle Segmente vorhanden, die der angiographischen Darstellung entgangen sind. Hier bietet die MRA eine Möglichkeit, in der DSA nicht sichtbare, aber potentiell revaskularisierbare arterielle Gefäßsegmente darzustellen. Zusätzlich kann bei unklaren Befunden in Amputationsbereitschaft über einen antegrad eingebrachten arteriellen Mikrokatheter, der so weit wie möglich in die Peripherie vorgeschoben wird, eine intraoperative Angiographie erfolgen, um gegebenenfalls sofort eine Angioplastie durchzuführen oder ein anschlussfähiges peripheres Gefäßsegment darzustellen. Falls dieses nicht gelingt, so ist immer noch in gleicher Sitzung wenigstens eine Probefreilegung möglich. Ist nach klinischen Kriterien eine Minoramputation notwendig, so ist bei vorgeschalteten Gefäßverschlüssen im Unterschenkel wie z. B. bei komplettem Querschnittverschluss in einem hohen Prozentsatz mit gestörter Wundheilung, rascher Progredienz des Lokalbefundes sowie nachfolgend notwendiger Unterschenkelamputation zu rechnen. Eine Abschätzung 3

darüber, ob es im speziellen Fall zur Wundheilung kommt, ist schwierig. Die Wiederherstellung der arteriellen Durchblutung soll daher unbedingt vor Durchführung einer Minoramputation erfolgen. Bestehen zusätzlich zu Obliterationen der Unterschenkelarterien proximal gelegene Gefäßverschlüsse (kein kräftig tastbarer Puls der Arteria poplitea), muss vor Minoramputation eine Revaskularisation durchgeführt werden. Ist dies nicht möglich, ist insbesondere bei Vorliegen eines inoperablen femoro-poplitealen Verschlusses eine Unterschenkelamputation der Minoramputation vorzuziehen, um frustrane Nachamputationen zu vermeiden. Sind die Kriterien einer Major-Amputation erfüllt, so sind alle Maßnahmen zu treffen, um die Amputationshöhe so peripher wie möglich zu legen. Darunter fallen interventionelle und gefäßchirurgische Techniken im Bereich der Oberschenkelarterien (z. B. Profundaplastik), im Einzelfall auch die Durchführung einer Sympathikolyse. Entscheidungshilfe kann neben der angiomorphologischen Situation die transkutane Bestimmung des Sauerstoffpartialdruckes sein. Liegt eine obliterierende Arteriosklerose im Bereich der Beckenetage vor, ist in der Regel eine Amputation im Oberschenkel bzw. im Kniegelenk (Exartikulation) erforderlich. Vorher müssen alle gefäßchirurgischen Möglichkeiten unternommen werden, um die Durchblutungssituation im Bereich der Amputationsstelle zu verbessern. Bei gleichzeitigem Verschluss der Beckenarterien, der A. femoralis communis und profunda femoris besteht ein hohes Risiko eines nicht heilenden Oberschenkelstumpfes. Allerdings ist bei dieser Befundkonstellation die Feststellung der technischen Inoperabilität eine Rarität. Gerade bei Mehretagenverschlüssen bieten moderne Hybrideingriffe (Kombinationen aus intraoperativen interventionellen Techniken und offener Gefäßchirurgie) maßgeschneiderte, einzeitige Therapiemöglichkeiten. Therapie Bei Minoramputation folgt die Absetzungslinie nicht anatomischen Gegebenheiten, sondern sie richtet sich nach dem Ausmaß des Lokalbefundes. Durch die Amputation darf kein Gelenk eröffnet werden, andernfalls ist eine Nachresektion des gelenktragenden Knochens erforderlich. Bei der Grenzzonenamputation liegt die Absetzungsstelle exakt in der nekrotischen Grenzzone. Im Zweifelsfall wird der offenen Wundbehandlung der Vorzug gegeben. Amputationen im Rückfußbereich bzw. im Sprunggelenk kommt bei gleichzeitigem Vorliegen von Durchblutungsstörungen und Infektionen nur eine geringe Bedeutung zu..bei Amputationen im Unterschenkel ist auf eine geeignete Stumpflänge zu achten, um eine optimale prothetische Versorgung zu gewährleisten (für die Prothesenführung ausreichende Stumpflänge, Vermeidung überlänger Stumpfbildung mit insuffizienter Weichteildeckung). Bei kritischer Durchblutungssituation im Amputationsbereich werden verschiedene technische Modifikationen beschrieben. Die Verwendbarkeit des Hautlappens zur Stumpfdeckung kann durch die transkutane Sauerstoffdruckmessung "landkartenartig" markiert werden. 4

Aus Gründen der Prothesenversorgung ist die Kniegelenksexartikulation der Oberschenkelamputation vorzuziehen. Die Exartikulation ist für den Patienten weniger traumatisierend, die Mobilität ist bei entsprechend fachgerechter Prothesenversorgung besser. Nachteil der Exartikulation gegenüber der Oberschenkelamputation ist die häufigere Wundheilungsstörung, so dass dieses Verfahren bei kritischer Durchblutungssituation (Verschluss der A. profunda femoris) nur in ausgewählten Fällen in Betracht kommt. Bei Durchführung einer Amputation im Oberschenkel ist jeder Zentimeter an Stumpflänge wertvoll. Auch bei bettlägerigen Patienten erleichtert ein langer Stumpf die Versorgung. Bei grenzwertiger Durchblutung im Amputationsniveau ist eine offene Wundbehandlung immer vorzuziehen. Nachsorge Erscheint eine prothetische Versorgung möglich, sollte der Patient bereits vor der Amputation krankengymnastisch betreut werden (Gehen mit Krücken, Krafttraining). Nach der Amputation soll frühzeitig mit dem Orthopädiemechaniker die Art der prothetischen Versorgung festgelegt werden. Für die weitere Prognose sind die frühe Mobilisation des Patienten und die frühe Versorgung mit einer Interims-Prothese wichtig. Ein intensives Rehabilitationstraining mit Gehschulung sollte sich unmittelbar an den Krankenhausaufenthalt anschließen. Ist eine Prothesenfähigkeit nicht gegeben, soll mit Gehhilfen und Aufbautraining im Rollstuhl ein gewisses Maß an Mobilität erreicht werden. Bei bettlägerigen Patienten, die nicht rollstuhlfähig sind, sollten aggressive krankengymnastische Bemühungen unterbleiben, da sie für den Patienten irrelevant und bei frustranem Rehabilitationsergebnis psychisch belastend sind. Literatur 1. Norgren et al Inter-Society consensus for the management of peripheral arterial disease (TASC II) J Vasc Surg 45, Supplement 1, 2007 2. Hirsch AT et al. ACC/AHA 2005 Guidelines for the management of patients with peripheral arterial disease (lower extremity, renal, mesenteric, and abdominal aortic): Executive Summary. JACC 47(6) 2006 3. Heller G, Günster C, Schellschmidt H. Wie häufig sind Diabetes-bedingte Amputationen unterer Extremitäten in Deutschland? Eine Analyse auf Basis von Routinedaten. Dtsch Med Wschr 2004; 129: 429-433 4. Rümenapf G. Grenzzonenaputation bei Diabetikern Offene Fragen und kritische Bewertung. Zentralbl Chir 2003; 128: 726-733 5. Bauer H, Germann G, Gries FA, Imig H, Morbach S, Riepe G, Rothe U, Rümenapf G, Stiegler H, Tepe G, Uebel T, Weck M, Witte M, Kopp I, Thole H, Lelgemann M, 5

Ollenschläger G. Nationale Versorgungsleitlinie Typ-2-Diabetes Präventions- und Behandlungsstrategien für Fußkomplikationen. BÄK, AWMF, KVB, Berlin, Düsseldorf 2006. Verfügbar unter: www.diabetes.versorgungsleitlinie.de 6. International Working Group on the Diabetic Foot. International Consensus on the Diabetic Foot & Practical Guiderlines on the Management and Prevention of the Diabetic Foot 2007. www.idf.org/bookshop 7. Morbach S, Müller E, Reike H, Risse A, Rümenapf G, Spraul M. Evidenzbasierte Leitlinie: Diagnostik, Therapie, Verlaufskontrolle und Prävention des diabetischen Fußsyndroms. Diabetes und Stoffwechsel 2007 (in press) Verfahren zur Konsensusfindung Herausgegeben vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie - Verantwortlich für die Erstellung: H. Schweiger (Bad Neustadt) unter Mitarbeit von K. Amendt (Mannheim, Angiologe) und G. Rümenapf (Speyer) Teilnehmer: Prof. K. Balzer (Mülheim), Prof. D. Böckler (Heidelberg), Prof. Th. Bürger (Kassel), Prof. S. Debus (Hamburg), Univ.-Prof. H.H. Eckstein (München), Dr. I. Flessenkämper (Berlin), Dr. A. Florek (Dresden), Dr. G. Hennig (Leipzig), Prof. Dr. Th. Hupp (Stuttgart), Prof. H. Imig (Berlin), Prof. W. Lang (Erlangen), Dr. G.H. Langkau (Bocholt), Dr. V. Mickley (Rastatt), Th. Noppeney (Nürnberg), Prof. H. Schweiger (Bad Neustadt) Adressaten der Leitlinie (Anwenderzielgruppe) sind Gefäßchirurgen, Angiologen, Allgemeinchirurgen sowie Radiologen in Klinik und Praxis, Allgemeinärzte und andere Ärzte, denen Patienten mit amputationsbedrohten Extremitäten vorgestellt werden. Patientenzielgruppe sind Patienten denen diese Krankheitsbilder zugeordnet werden können. Ziel war eine Abstimmung zu Klassifikation, Diagnostik und Therapie, damit die Patienten frühzeitig erkannt, zugeordnet und der weiteren Diagnostik und Therapie zugewiesen werden. Die im Delphi-Verfahren noch strittigen Punkte wurden in der Konsensus-Konferenz einzeln diskutiert und ausschließlich mit starkem Konsens (> 95% Zustimmung) beschlossen. Die Leitlinie wurde primär als kurzgefasste Anwenderversion formuliert, um ihre Umsetzung im Alltag zu erleichtern. Es erfolgte keine systematische Literaturanalyse und Evidenzbewertung, jedoch wurde die aktuelle Literatur studiert, um entscheidende Aussagen der Leitlinie zu untermauern. Die Leitlinie wird über die Internetseite der AWMF veröffentlicht, zusätzlich über die Zeitschrift Gefäßchirurgie (Deutschsprachiges Fachorgan der Gefäßchirurgischen Gesellschaften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz) Bei der Leitlinien-Entwicklung wurden die Kriterien des Deutschen Instruments für Leitlinien-Entwicklung (DELBI) berücksichtig. Die Gruppe war redaktionell unabhängig, Reisekosten wurden aus Mitteln der Fachgesellschaften oder selbst finanziert, die Experten waren ehrenamtlich tätig. 6

Erstellungsdatum: Januar 2008 Letzte Überarbeitung: August 2008 Verabschiedung durch den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie 31. August 2008 Nächste Überprüfung geplant: September 2010 Erklärung der Interessenkonflikte Es existieren keine finanziellen oder sonstige Beziehungen mit möglicherweise an den Leitlinieninhalten interessierten Dritten. 7