Patientenmobilität an der schweizerischen Grenze



Ähnliche Dokumente
Kostenübernahme von grenzüberschreitenden Behandlungen. die rechtliche Situation in der Schweiz

zum Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung

SVS. Schweizerischer Verband der Sozialversicherungs-Fachleute. Zentral-Prüfungskommission. Berufsprüfung Soziale Krankenversicherung (KV)

s Bundesgesetz über die Krankenversicherung. Teilrevision. Spitalfinanzierung (Differenzen)

Tarifdelegiertentag. 6. Mai Prof. Dr. iur. Ueli Kieser

Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG)

Verordnung über Investitionshilfe für Berggebiete

s Bundesgesetz über die Krankenversicherung. Teilrevision. Spitalfinanzierung

Tarif und Tarifanpassung in der Krankenversicherung (KVG)

Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung

Bundesgesetz über die Krankenversicherung

Nr. 866a Verordnung zum Gesetz über die Verbilligung von Prämien der Krankenversicherung (Prämienverbilligungsverordnung)

Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Anpassung von Bestimmungen mit internationalem Bezug)

über die Verbilligung der Krankenkassenprämien (VKP)

ASF 2010_135. Ausführungsgesetz. zum Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung. Der Grosse Rat des Kantons Freiburg.

Pflegefinanzierung für Personen in stationärer Langzeitpflege.

Verordnung über die Versichertenkarte für die obligatorische Krankenpflegeversicherung

Vom TCS für Ferien und Reisen ins Ausland empfohlen. TCS Heilungskosten: Die optimale Ergänzung zu Ihrer Krankenversicherung.

1. Wohnort Deutschland Beschäftigter + Familienangehörige Beschäftigt in den Niederlanden (Grenzgänger)...4

Bundesgesetz über Beiträge an die Aufwendungen der Kantone für Stipendien und Studiendarlehen

Vertrag Stillberatung SBK. Tarifvertrag. zwischen dem. Schweizer Berufsverband der Krankenschwestern und Krankenpfleger. und dem

Einziehung von Forderungen aus der CH-KV in

Kreisschreiben über die Verrechnung von Nachzahlungen der IV mit Leistungsrückforderungen von zugelassenen Krankenkassen

Anlage 1 zur Arbeitshilfe zur Hilfe zur Pflege nach 61 SGB XII in Tagespflegeeinrichtungen. Berechnungsbeispiele zu Ziffer Stand

Verordnung über den Risikoausgleich in der Krankenversicherung

Informationen zum Thema Europäische Krankenversicherungskarte

Gesundheit in besten Händen GRENZENLOS VERSICHERT. Fünf wichtige Fragen und Antworten für Versicherte

Einziehung von Forderungen aus der CH-KV in

Inhaltsübersicht Produktinformationsblatt zur Jahres-Reiserücktritts-Versicherung der Europäische Reiseversicherung AG

FÖDERALE PARLAMENTSWAHLEN VOM... WAHLVOLLMACHT (*)

Umsetzung der Pflegefinanzierung im

Verordnung zum Schutz vor Passivrauchen (Passivrauchschutzverordnung, PRSV)

Synopse. Verordnung betreffend die Änderung der Verordnung des Grossen Rates über die berufliche Vorsorge des Staatspersonals und der Lehrkräfte

1. Weniger Steuern zahlen

Verordnung betreffend die Aufsicht über die soziale Krankenversicherung (KVAV): Anhörung

Verschreibungsfreie Arzneimittel wieder in der Erstattung

Gründe für fehlende Vorsorgemaßnahmen gegen Krankheit

Kostenübernahme durch Krankenkassen. Inkontinenz-Tag Zürich Martin Künzler, Publicare AG

Anhang V zur Weiterbildungsordnung SSO

Verordnung über die Krankenversicherung

Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz - PflegeZG)

Einleitende Bemerkungen

Vereinbarung über privatzahnärztliche Leistungen bei der kieferorthopädischen Behandlung

I. Verfahren bei der Handelsregistereintragung A. Sitzverlegung an einen bestimmten Ort in der Schweiz (Art. 4 Abs. 1 des BRB) vom 12.

Schärfen Sie Ihren Blick!

Zypern. Mehrwertsteuererstattungen nach der 13. MwSt-Richtlinie (86/560/EWG)

Was ist die Krankenkasse?

Letzte Krankenkassen streichen Zusatzbeiträge

Schulzahnpflege Reglement (Inkraftsetzung am 20. August 2007)

Häufig wiederkehrende Fragen zur mündlichen Ergänzungsprüfung im Einzelnen:

Gesetz über die Finanzierung der Pflegeleistungen der Krankenversicherung (Pflegefinanzierungsgesetz)

Die bilateralen Abkommen bringen Neuerungen im Sozialversicherungsbereich

4.05 Leistungen der IV Vergütung der Reisekosten in der IV

Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung

über die Berechnung des Einkaufs und dessen Amortisation bei der Pensionskasse des Staatspersonals

zur Änderung des Reglements über das Staatspersonal (flexible Pensionierung)

Pflegeneuausrichtungsgesetz: Pflegebedürftige und Menschen mit Demenz sind die Gewinner!

Häufig gestellte Fragen zur Einhebung des KV-Beitrags von Auslandspensionen

Die Post hat eine Umfrage gemacht

Neuordnung der Pflegefinanzierung im Kanton Thurgau

Gesetzlicher Rahmen für die Datenübermittlung in einem DRG-System

Reglement. Entlastungsleistungen bei der Pflege zu Hause

Die Gesellschaftsformen

EINE PLATTFORM

Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg. Leitfaden Basistarif. Information für den Zahnarzt. Stand: Dezember 2008

BESCHLUSS DES GEMEINSAMEN EWR-AUSSCHUSSES Nr. 15/2001 vom 28. Februar zur Änderung des Anhangs IX (Finanzdienstleistungen) des EWR-Abkommens

Statuten in leichter Sprache

Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) für Medicasa, Hausarztversicherung für das Oberw allis

Leitsätze: Hinweis: Der Beklagte lehnte die Gewährung von BAföG ab.

# Das Wichtigste in Kürze. Liebe Leserin, lieber Leser,

Berechnungsbeispiel 1 Kombination von häuslicher Pflege (Pflegesachleistung) und Pflegegeld

Sie benötigen Pflege Wir begleiten Sie. Informationen für die Pflege zu Hause und im Heim

PFOHL Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

Avenue Oldtimer Liebhaber- und Sammlerfahrzeuge. Ihre Leidenschaft, gut versichert

Bericht und Antrag der Ratsleitung an den Landrat

Damit auch Sie den richtigen Weg nehmen können die 8 wichtigsten Punkte, die Sie bei der Beantragung Ihrer Krankenversicherung beachten sollten:

-> Wir können bei Ihnen alle Behandlungen mit aufwendigen Maßnahmen, Spezialgeräten und hochwertigen Materialien, entsprechend den Kriterien

Was meinen die Leute eigentlich mit: Grexit?


Liebe Eltern, liebe Erziehungsberechtigte,

Dekret über die berufliche Vorsorge für Mitglieder des Regierungsrates und über die Lohnleistungen beim Ausscheiden aus dem Amt

Verordnung über die Kostenermittlung und die Leistungserfassung durch Spitäler und Pflegeheime in der Krankenversicherung

Volksinitiative Einheitskasse:

Erläuterungen zu Leitlinien zum Untermodul Krankenversicherungskatastrophenrisiko

s Bundesgesetz über die Krankenversicherung. Teilrevision. Spitalfinanzierung

Ihre Rechte und Vorteile bei der CH- Versichertenkarte. Information zur Versichertenkarte aus Sicht der Patienten

Anleitung zur Prüfungsmeldung im SB-Portal

Die Vorteile der betrieblichen Gesundheitsvorsorge

Rente mit 67 Anhebung der Altersgrenzen

Im Folgenden werden einige typische Fallkonstellationen beschrieben, in denen das Gesetz den Betroffenen in der GKV hilft:

Datum Ausgabe 05/2009

Verordnung über die Kostenermittlung und die Leistungserfassung durch Spitäler und Pflegeheime in der Krankenversicherung

Landtag Brandenburg Drucksache 5/ Wahlperiode

Beiträge der Studierenden an die AHV, die IV und die EO

Richtlinie. des Gemeinsamen Bundesausschusses. zur Umsetzung der Regelungen in 62 für schwerwiegend chronisch Erkrankte ( Chroniker-Richtlinie )

BETRIEBS- KRANKENKASSE

Wie machen es die anderen? Beispiel Schweiz. Dr.med. Thomas Maier Chefarzt St. Gallische Kantonale Psychiatrische Dienste Sektor Nord

Erklärung zur Abrechnung

Vortrag von Andreas Jesse ChancenForum bezahlte Arbeit trotz Bescheid für die Beschäftigungs-Therapie

Preisliste Universitätskinderspital beider Basel

Transkript:

Patientenmobilität an der schweizerischen Grenze Deutsch-französisch-schweizerische Konferenz, Baden-Baden, 17. 18. November 2014 Susanne Jeker Siggemann, stellvertretende Leiterin Sektion Rechtliche Aufsicht 1

Inhalt 1. Recht auf Leistungen im Ausland nach der schweizerischen sozialen Krankenversicherung 2. Pilotprojekte 3. EU-Patientenmobilitätsrichtlinie im Verhältnis zur Schweiz 2

Grundsatz Die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernimmt dem Grundsatz nach nur Leistungen, die in der Schweiz von in der Schweiz zugelassenen Leistungserbringern erbracht werden (Territorialitätsprinzip). Artikel 34 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) 3

Wann dürfen gestützt auf das geltende Recht Leistungen im Ausland bezogen werden und wie werden sie vergütet? (1) Bei Notfällen Artikel 34 Absatz 2 KVG, Artikel 36 Absätze 2 und 4 der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) In einem Drittland (ausserhalb EU/EFTA) besteht ein Anspruch auf KVG-Leistungen. Es wird höchstens der doppelte Betrag der Kosten übernommen, die in der Schweiz vergütet würden. 4

Wann dürfen gestützt auf das geltende Recht Leistungen im Ausland bezogen werden und wie werden sie vergütet? (2) Bei Behandlungen, die wegen fehlenden medizinischen Angebots in der Schweiz nicht zur Verfügung stehen Artikel 34 Absatz 2 KVG, Artikel 36 Absatz 1 KVV Anspruch auf eine medizinische Behandlung, die in der Schweiz entweder nicht durchgeführt wird oder im Einzelfall eine innerstaatliche Behandlung im Vergleich zur auswärtigen Behandlungsalternative für die betroffene Person erheblich höhere, wesentliche Risiken mit sich bringt und damit eine medizinisch verantwortbare und in zumutbarer Weise durchführbare, zweckmässige Behandlung in der Schweiz nicht gewährleistet ist. 5

Wann dürfen gestützt auf das geltende Recht Leistungen im Ausland bezogen werden und wie werden sie vergütet? (3) Die Bestimmungen über die internationale Leistungsaushilfe bleiben vorbehalten, gilt für Behandlungen in einem EU-/EFTA- Staat: Artikel 36 Absatz 5 KVV Ansprüche aus der europäischen Krankenversicherungskarte Anspruch auf alle Sachleistungen, die sich unter Berücksichtigung der Art der Leistungen und der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer als medizinisch notwendig erweisen. Es besteht ein Anspruch auf Leistungen und Kostenübernahme nach dem Recht des Behandlungslandes. Die Kosten der Leistungen werden in der Regel über die Leistungsaushilfe übernommen. 6

Wann dürfen gestützt auf das geltende Recht Leistungen im Ausland bezogen werden und wie werden sie vergütet? (4) Ansprüche der Bescheinigung S2, geplante Behandlung Der Krankenversicherer muss diese Bescheinigung ausstellen, wenn die Behandlung zu den schweizerischen Pflichtleistungen gehört, und wenn der Person die Behandlung in der Schweiz nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs ihrer Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann. Leistungen gestützt auf Artikel 36a KVV, die im Rahmen eines Pilotprojektes in Grenzgebieten für in der Schweiz wohnhafte Versicherte erbracht werden. 7

Pilotprojekte für die Kostenübernahme für Leistungen im Ausland nach Artikel 36a KVV (1) Diese Verordnungsbestimmung wurde auf den 10. Mai 2006 in Kraft gesetzt Voraussetzungen für Pilotprojekte: Sie müssen vom Eidgenössische Departement des Innern bewilligt werden. Die Projektdauer beträgt vier Jahre; sie kann zweimal um bis zu vier Jahre verlängert werden. Gesuche für neue Pilotprojekte konnten bis zum 31. Dezember 2012 eingereicht werden. Die Pilotprojekte werden von einem oder mehreren Kantonen und von einem oder mehreren Krankenversicherern gemeinsam eingereicht. 8

Pilotprojekte für die Kostenübernahme für Leistungen im Ausland nach Artikel 36a KVV (2) Sie stehen den Versicherten offen, die bei einem am Pilotprojekt beteiligten Versicherer versichert sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem am Pilotprojekt beteiligten Kanton haben. Sie umschreiben in einer Liste die im Ausland erbrachten Leistungen, die von der Krankenversicherung übernommen werden; dabei muss es sich um KVG-Leistungen handeln. Sie enthalten eine Liste mit den ausländischen Leistungserbringern, die im Rahmen des Pilotprojekts Leistungen erbringen dürfen. Die Tarife und Preise für die im Ausland erbrachten Leistungen dürfen nicht höher sein als in der Schweiz. Die Pilotprojekte müssen wissenschaftlich begleitet werden. 9

Pilotprojekte (1) Pilotprojekt Raum Basel/Lörrach Dieses Pilotprojekt wurde Ihnen bereits vorgestellt. 10

Pilotprojekte (2) Pilotprojekt St. Gallen/Fürstentum Liechtenstein Auf den 1. Januar 2008 wurde ein Pilotprojekt bewilligt, das den Kanton St. Gallen und das Fürstentum Liechtenstein betrifft. Danach können sich Versicherte, die bei einem am Pilotprojekt teilnehmenden Krankenversicherer versichert sind und ihren Wohnort im Kanton St. Gallen haben, stationär im liechtensteinischen Landesspital behandeln lassen. Auch dieses Pilotprojekt hat sich bewährt. Bis anhin haben sich einige Hundert Versicherte in Liechtenstein behandeln lassen. 11

Pilotprojekte (3) Pilotprojekt St. Gallen/Fürstentum Liechtenstein Damit konnte die seit Jahren bestehende einseitige Freizügigkeit aufgehoben werden, welche es nur liechtensteinischen Versicherten ermöglichte, sich in Spitälern des Kantons St. Gallen zu Lasten der liechtensteinischen Krankenversicherung behandeln zu lassen. Das Pilotprojekt dauert noch bis zum 31. Dezember 2015 und kann noch einmal um bis zu vier Jahre verlängert werden. 12

Pilotprojekte (4) Weitere Kantone zeigten Interesse an einer solchen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, es entstanden aber keine weiteren Pilotprojekte. Mögliche Gründe: zeitliche Befristung, Recht des Nachbarstaates 13

Schaffung einer Gesetzesgrundlage für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich Am 15. Oktober 2014 hat der Bundesrat eine Änderung des KVG in die Vernehmlassung geschickt. Die interessierten Kreise können bis zum 15. Februar 2015 dazu Stellung nehmen. Die Vorlage enthält unter anderem eine Bestimmung, die es ermöglichen soll, dass die bestehenden Pilotprojekte dauerhaft durchgeführt werden können und neue Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit entstehen können. Es ist vorgesehen, dass die künftige grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen der Pilotprojekte erfolgen soll. Am 15. Oktober 2014 hat der Bundesrat ebenfalls eine Revision von Artikel 36a KVV verabschiedet. Damit wird sichergestellt, dass die zwei bestehenden Pilotprojekte bis zum Inkrafttreten der Gesetzesänderung weitergeführt werden können. 14

Notenwechsel zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweiz von 1938/1939 betreffend Grenzärzte Schweizerische Grenzärzte können auf Kosten der liechtensteinischen Kranken- und Unfallversicherung liechtensteinische Versicherte behandeln und liechtensteinische Grenzärzte können auf Kosten der schweizerischen Kranken- und Unfallversicherung in der schweizerischen Nachbarschaft wohnhafte schweizerische Versicherte behandeln. Dieser Notenwechsel hat nach wie vor Gültigkeit, er wurde aber auf den 1. Oktober 2014 teilsuspendiert. 15

EU-Patientenmobilitätsrichtlinie, keine Gültigkeit für die Schweiz Zum jetzigen Zeitpunkt erwachsen der Schweiz keinerlei Verpflichtungen aus dieser Richtlinie, und sie ist vorderhand auch nicht Teil der Verhandlungen zu einem Gesundheitsabkommen, über das derzeit zwischen der Schweiz und der EU verhandelt wird. 16

Links: www.bag.admin.ch/themen/krankenversicherung www.bsv.admin.ch/themen/internationales www.kvg.org Kontakt: susanne.jeker@bag.admin.ch 17