Pathophysiologie des akuten Nierenversagens (ANV)

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Transkript:

Pathophysiologie des akuten Nierenversagens (ANV)

Struktur der Niere: 2 x 1 Mio Nephrone 2 serielle Kapillarsysteme Funkt. Determinanten: 20% des HMV 180 l Primärharn/d 1,5 l Endharn Exkretion: 900 mosm 450 mm H + -Ionen Hormonproduktion

Struktur der Niere: 2 x 1 Mio Nephrone 2 serielle Kapillarsysteme Funkt. Determinanten: 20% des HMV 180 l Primärharn/d 1,5 l Endharn Exkretion: 900 mosm 450 mm H + -Ionen Hormonproduktion

Pathophysiologie der Nieren Niere: stärkste Organdurchblutung (20% des HMV) unmittelbare Homöostasefunktionen des Organismus Hauptfunktionen der Nierentätigkeit Exkretion: Ausscheidung von gelösten Stoffwechselabbauprodukten Isohydrie: Regulation des Säure-Basengleichgewichtes Isoionie & Isovolämie: Regulation von Wasserund Elektrolythaushaltes Flüssigkeitsvolumen Hormonbildung: Stoffwechselfunktion:

Pathophysiologie der Nierendurchblutung (RBF) Niere: stärkste Organdurchblutung (20% des HMV) Harnbereitung! Sehr niedriger O 2 - Ausschöpfungsgrad (AVDO 2 nur 1,5%) RBF: 90% ~9% <1% 40 20 0

renale Durchblutung (RBF) steht im Dienste der Ausscheidung renale Autoregulation sichert glomeruläre Filtration

Pathophysiologie der Nierendurchblutung (RBF) Nierendurchblutung Autoregulation 2500 Autoregulation der Nierendurchblutung RBF (ml / min) 2000 1500 1000 500 0 0 50 100 150 200 arterieller Blutdruck (mm Hg) myogene Autoregulation = Bayliss Effekt (1902) dehnungsabh. K + -Kanäle tubulo-glomeruläre Feedback (TGF) distal-tubulärer NaCl- Gradient Renin-Angiotensin- Mechanismus Sympathikotonus α 1Α/Β -Rezeptoren β 1 -Rezeptoren

Mechanismus der dehnungsabhähngigen Vasokonstriktion myogene Autoregulation = Bayliss Effekt (1902) t ~ 10s Vasokonstriktion Depolarisation BD dehnungsempfindliche Kationenkanäle (SOC) 20-HETE (20-Hydroxy-Eicosatetraensäure)

Pathophysiologie der Nierendurchblutung (RBF) Nierendurchblutung Autoregulation: tubulo-glomeruläre Feedback (TGF) t ~ 1min Lumen Macula densa Zellen [NaCl]: Vasokonstriktion RBF P Kap [NaCl] Zell- Volumen afferente Arteriole Vasokonstriktion A 1 -Rezept. Adenosin

Pathophysiologie der Nierendurchblutung (RBF) Nierendurchblutung Autoregulation: tubulo-glomeruläre Feedback (TGF) Lumen Macula densa Zellen [NaCl] RAAS afferente Arteriole: Vasodilatation Reninfreisetzung [NaCl]: Vasokonstriktion RBF [NaCl]: Vasodilatation RBF Renin AII Aldo PGE 2 art. BD Na + -Retention TGF: 50% der autoregulatorischen Kompensation (BD: 80-120 mmhg)

Pathophysiologie der Nierendurchblutung (RBF) Nierendurchblutung Rolle des Sympathikus: renale sympathische Nervenaktivität (RSNA) Juxtaglom. Granularzellen Renale Gefäße Reninsekretion tub. Na+ Resorpt. Gefäß- β 1 - AR α 1B - AR α 1A - AR

Pathophysiologie der Nierendurchblutung (RBF) Nierendurchblutung Rolle des Sympathikus: Renin Na + - RBF Resorption Maximal- Antwort (%) Normale Aktivierung Chonischer Stress Notfall- Response RSNA- Frequenz (Hz)

Pathophysiologie der Nierendurchblutung (RBF) Niere: stärkste Organdurchblutung (20% des HMV) Harnbereitung! Sehr niedriger O 2 - Ausschöpfungsgrad (AVDO 2 nur 1,5%) beginnende Ischämie: Prox. Tubulus/Henle S. u. TAL frühzeitig geschädigt 40 20 0 Bei Mangeldurchblutung: tubuläre Struktur und Funktion frühzeitig gefährdet

Zusammenfassung Niere: stärkste Organdurchblutung 25% des HMV; ~0,2% des KG renale Durchblutung steht im Dienste der Ausscheidung gestörte Autoregulation der Nierendurchblutung: frühzeitige ischämische Schädigung umschriebener Tubulusabschnitte Beachte: Verschiebung der unteren Schwelle durch Schädigung 4 Komponenten der renalen Autoregulation (pathogenetische Bedeutung) myogene Autoregulation (bei Hypoxie abgeschwächt) TGF (bei renaler Ischämie verstärkt: Initialphase des ANF) RAAS (systemische Wirkung bei renaler Ischämie) RSNA (bei Verschiebung der autoregulat. Schwelle; Nieren-Ischämie)

Komplexe pathophysiologische Reaktionen der Niere Akutes Nierenversagen (ANV) Def.: Plötzlicher partieller / vollständiger Verlust der renalen Exkretionsfunktion mit Retention harnpflichtiger Substanzen, Störungen des Elektrolyt- u. Wasserhaushalts sowie des Säure-Basen-Haushalts infolge tubulärer Schädigung akutes Nierenversagen prärenales ANV (55-60 %) zirkulatorisch/ hypoxisch Intrarenales ANV (35-40 %) postrenales ANV (5 %) Harnrückstau Akute tubuläre Nekrose: ischäm. Schäd. tox. Schäd. interstitielle Nephritis Glomerulonephritis (GN)

Pathogenese des akuten Nierenversagens (ANV) prärenales ANV BD P Kap. GFR eff. Filtr. p P Bowm. postrenales ANV

GFR: durch effektiven Filtrationsdruck bestimmt BD-Abfall: p Kap p Kap p Bowm. P eff P eff = P Kap P onkot P Bow. = 40 mm Hg 24 mm Hg 12 mm Hg = 4 mm Hg BD-Abfall: p eff ~> GFR

Pathogenese des akuten Nierenversagens (ANV) prärenales ANV BD Ischämie TGF GFR intrarenales ANV Tubulusschädigung Intrarenale Schäd. eff. Filtr. p akute Azotämie ANV Rest-N (Crea) Rest-N (Crea) + FE Na Kapsel p postrenales ANV

Renale Ischämie: Initiale Störung der ANV-Pathogenese Sympathikotonus TGF GFR Hypoxie bei vorbestehender Nierenschädigung (GN, D. m.) und durch renale Ischämie ist renale Autoregulation gestört: normotensives ANV

Bei Zentralisation ist renale O 2 - Versorgung in äußerem Mark (S 3 -Segment, TAL) frühzeitig gefährdet Pathologische TGF-Aktivierung / Sympathikotonus Na + Na + GFR TGF

bei vorbestehender Nierenschädigung (GN, D. m.) und durch renale Ischämie ist renale Autoregulation gestört: normotensives ANV Backleackage

Tubuläre Ischämie führt zu Kapillarschäden, Endotheldysfunktion, Hyperkoagulation, Entzündung, Epithelschädigung, Lecks & Lumenverlegung

bei vorbestehender Nierenschädigung (GN, D. m.) und durch renale Ischämie ist renale Autoregulation gestört: normotensives ANV Backleackage Harnsediment: Epithelzylinder

Pathogenese des intrarenalen ANV Intrarenale Schädigungsmechanismen TGF Ödem Ödem GFR Akutes Nierenversagen (GFR <10%)

Pathogenese des intrarenalen ANV Intrarenale Schädigungsmechanismen Ischäm./tox. Insult Nekrose (Calpain) Apoptose (Caspasen) Zelltod Epithelabschilferung Inflammation (Leuko-Invasion) Tubuluslumen-Verlegung Primärharn-Rückdiffusion GFR

Pathogenese des intrarenalen ANV a. Schädigung (min-h) Zeitlicher Verlauf b. Phase des ANV (d Wks) c. Reparationsphase (Wks) d. Restitution (Monate) ad integrum cum defectu

Pathogenese des intrarenalen ANV a. Schädigung (min-h) b. Phase des ANV (d Wo) c. Reparationsphase (Wo) d. Restitution (Monate) ad integrum cum defectu Zeitlicher Verlauf

Zusammenfassung Akutes Nierenversagen (ANV): GFR Azotämie, metabolische Azidose, [K] e prärenales ANV P eff (Blutdruckabfall) intrarenales ANV Tubulusschädigung (Ischämie Toxine), postrenales ANV P eff (Kapseldruck, Obstruktion der ableitenden Harnwege) ANV- Pathogenese: Intrarenale Schädigungsmechanismen Vasokonstriktion (gestörte Autoregulation; TGF) Tubuläre Rückdiffusion (Epithelschädigung, Nekrose, Inflammation) Mechanische Obstruktion (Zelltrümmer, Zylinderbildung Tham-Horsfall-Protein) Permeabilität der Glomeruli (bei Glomerulonephritis) ANV: Zeitlicher Ablauf Schädigung ANV Reparationsphase Restitution