Visionen und Realitäten die Entwicklung der wissenschaftlichen Weiterbildung aus der Sicht der Hochschulforschung



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Transkript:

Prof. Dr. Andrä Wolter Visionen und Realitäten die Entwicklung der wissenschaftlichen Weiterbildung aus der Sicht der Hochschulforschung Vortrag zur Festveranstaltung 40 Jahre wissenschaftliche Weiterbildung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 15. November 2013

Historische Entwicklung wissenschaftlicher Weiterbildung in Deutschland (1) Vor-institutionelle Phase (seit 1890): Universitätsausdehnungsbewegung, volkstümliche Hochschulkurse (2) Pionierphase (Westdeutschland, seit 1956): universitäre Erwachsenenbildung (Seminarkursmodell, extra-murale Angebote) (3) Seit Mitte der 1960er Jahre: Ausbau der Weiterbildung als Teil der Studienreform, aber folgenlos (4) Förderprogramm des Bundes zur Einrichtung von Kontaktstudien und Kontaktstellen für wissenschaftliche Weiterbildung (1973 ff.), 1974 Hochschulrahmengesetz 2

Historische Entwicklung wissenschaftlicher Weiterbildung in Deutschland II (5) Von der universitären Erwachsenenbildung zur wissenschaftlichen Weiterbildung: Hochschule als eigener Anbieter von Weiterbildung für Hochschulabsolventen/innen (6) 1980/90er Jahre: Langsame Expansion u. stärkere Institutionalisierung bei konzeptioneller Stagnation (7) Seit ca. 10-15 Jahren neue Impulse und stärkerer Rückenwind: Bologna, Fachkräftequalifizierung, Offene Hochschule (8) Zukunft: Hochschule als Ort des lebenslangen Lernens? 3

Begriffsvielfalt und funktionale Diversifizierung: Was ist wissenschaftliche Weiterbildung? (1) Wechselnde Begriffe: u.a. Seminarkurse, univ. Erw.bildung, Kontaktstudien, wiss. Weiterbildung, berufsbegleitendes Studium (2) Unterschiedliche Zielgruppen und Angebotsformate: bildungsbeflissenes Publikum, erwerbstätige (auch erwerbslose) Hochschulabsolventen, Berufstätige im Erststudium, Ältere (3) Auf dem Wege zu einem erweiterten, biographisch und nicht an der Studiengangsarchitektur orientierten Weiterbildungsverständnis (4) Bisheriges Kerngeschäft: postgraduale Weiterbildung; jetzt Erweiterung in Richtung berufsbegleitendes Erststudium, nachberufliche Bildung, studienvorbereitende Angebote 4

Was ist wissenschaftliche Weiterbildung? II Was ist das wissenschaftliche an der Weiterbildung? Adressaten: Hochschulabsolventen/innen als primäre Zielgruppe Institution: wiss. Einrichtungen als Anbieter Niveau: wiss. Anspruch, Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen Personal: wiss. Lehrpersonal 5

Impulse für die Intensivierung des Weiterbildungsengagements von Hochschulen (1) Gesellschaftlicher Bedarf: lebenslanges Lernen als Rollenmuster bei hochqualifizierten Arbeitskräften und akademischen Berufen (2) Demographischer Wandel: rückläufige Studiennachfrage Furcht mancher Hochschulen vor Unterauslastung bei großen regionalen Unterschieden (3) Weiterbildung als Wachstumsmarkt: Hochschulabsolventen/innen als mit Abstand weiterbildungsaktivste Gruppe (4) Hochschulfinanzierung im Zeichen knapper Ressourcen: Weiterbildung als neues Geschäftsfeld 6

Impulse für die Intensivierung des Weiterbildungsengagements von Hochschulen II (5) Profilbildung: Lebenslanges Lernen als Teil institutioneller Strategien der Hochschulentwicklung (6) Europäisierung: Lebenslanges Lernen als Teil des Bologna-Prozesses; in Deutschland: konsekutiver und weiterbildender Master (7) Personaler Faktor: Oft engagieren sich Hochschulen deshalb in der Weiterbildung, weil es dort Personen gibt, die sich für die Weiterbildung engagieren! 7

Akademische Weiterbildung seit 1990 (1) Fortschreitende Institutionalisierung der Zuständigkeiten an den Hochschulen in unterschiedlicher Form (2) Expansion der Angebote und Teilnehmerzahlen (3) Große Unterschiede im Engagement zwischen Hochschulen, Fakultäten, Fächern u. Lehrenden empirisch kein Zusammenhang zwischen Auslastung und Weiterbildungsengagement! (4) Wandel im Aufgabenverständnis: vom sozialen Öffnungsund zweckfreien Bildungsauftrag zum marktförmigen ressourcenorientierten (Weiter-) Bildungsmanagement (5) Institutionelles Outsourcing als neue, nicht immer erfolgreiche Strategie der Hochschulen (6) In den letzten Jahren: Bedeutung der Förderprogramme des Bundes und einiger Länder 8

Bunte Vielfalt der Formate (1) Degree und Non-degree programs, Credit und Non-credit programs (2) Abschlussorientierte Studiengänge (Bachelor, Master) (3) Zertifikatsprogramme, Weiterbildungsmodule (4) Weiterbildungsseminare (5) Kurzfristigere Angebote (workshops, Wochenendkurse) (6) Allgemeinbildende Angebote (z.b. zur Studienvorbereitung, nachberufliche Angebote, Bürgeruniversität, Studium generale) (7) Traditionelle Formen externer Angebote (Seminarkurse) (8) Kooperative Angebote (Inhouse) 9

Hochschulen auf dem Weiterbildungsmarkt: Häufigste Institutionen, an denen sich (Fach-) Hochschulabsolventen weiterbilden, 1997-2007 (Teilnahmefälle in %) Quelle: BSW 1997-2007 10

Anteil von Hochschulabsolventen, die in 4-5 Jahren nach Studienabschluss an weiterbildenden Kursen teilgenommen haben (in %) Quelle: Schaeper/Wolter u.a. 2006 11

Weiterbildungsteilnahme von Hochschulabsolvent/inn/en des Jahrgangs 2005 nach Fachrichtung des Studiums und Formen der Weiterbildung, 5 Jahre nach Abschluss (in %) Quelle: Nationaler Bildungsbericht 2012 12

Finanzierung von Weiterbildung von Universitätsabsolventinnen und -absolventen (in %, Mehrfachnennung) Quelle: : HIS-Absolventenjahrgang 2000/2001 fünf Jahre nach dem Hochschulabschluss 13

Struktur des akademischen Weiterbildungsmarktes (1) Fach- bzw. berufsspezifische Segmentierung des Weiterbildungsmarktes (2) Wettbewerbssituation vor allem innerhalb dieser Segmente (3) Position der dt. Hochschulen auf diesem Markt eher peripher (4) Hauptgrund: Starke Bedeutung außerhochschul. Anbieter in Deutschland (5) Stärke der Hochschulen: Forschungsbezug, Studienabschlüsse, Unabhängigkeit, niedrige Gebühren (6) Schwäche der Hochschulen: Praxisbezug, Modernität d. Vermittlung (7) Je wissenschaftsnäher die Nachfrage, desto stärker die Rolle der Hochschulen (8) Je praxisbezogener, desto stärker außerhochschulische Anbieter 14

Vergleich der Anfängerzahlen in der Berufsausbildung und im Studium 15

Neukonfiguration und Entgrenzung von Berufs-, Hochschul- und Weiterbildung? (1) Die Hochschule als Volksbildungsstätte der Postmoderne - Wandel des deutschen Qualifikationsmodells? (2) Rückt die Hochschulbildung (noch?) enger an die berufliche Bildung heran? (3) Ausbau hybrider (dualer) Studienangebote in verschiedenen Varianten? (4) Welche Studienangebote eignen sich als Fortbildungsstufe für betriebliche bzw. schulische Berufsausbildung? (Neuordnung der IT-Berufe) 16

Neukonfiguration und Entgrenzung von Berufs-, Hochschul- und Weiterbildung? II (5) Formelle Akademisierung bislang betrieblicher und (fach-)schulischer Ausbildungsangebote? (6) Modularisierte Zertifikatsprogramme in Erststudienangeboten? (7) Massiver Ausbau berufsbegleitender Studienmodelle? (8) Welche Auswirkungen hätte eine konsequente Umsetzung des DQR (z.b. der Gleichstellung von Fortbildungsabschlüssen und Bachelor)? Fließende(re) Grenzen zwischen Berufs-, Hochschul- und (wiss.) Weiterbildung? 17

Schluss: Herausforderungen der Weiterbildung an Hochschulen (1) Weiterbildung und berufsbegleitendes Studium: primär postgradual oder auch Erststudium? (2) Modulbasierte Zertifikatsprogramme im Erststudium und in der Weiterbildung: Studium im Baukastenmodell? ABER: Vermeidung von Beliebigkeit und Sicherung der Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit (3) Auswirkungen der neuen Lern- u. Lehrtechnologien Zukünftiges Verhältnis von Präsenzlernen, selbstgesteuertem Lernen und online-lernen (4) Weiterbildende Masterprogramme als Alternative zu den hohen Übergangsquoten ins konsekutive Masterstudium? 18

Schluss II: Herausforderungen der Weiterbildung an Hochschulen (5) Sicherung der Pluralität der Weiterbildungsformate/-angebote (6) Wie kann man die Konstruktion eines Gegensatzes zwischen akademischer Exzellenz und Öffnung vermeiden? (7) Forschungsbasierte (Premium-) Weiterbildung als spezifisches Profilmerkmal universitärer Weiterbildung? (8) Wissenschaftliche Weiterbildung als öffentlicher Auftrag oder wirtschaftliche Aktivität? Zwang zur Vollkosten- und Trennungsrechnung? 19

Wenn wir schon sparen, dann nicht an Gehirnmasse. Hubert Markl, Biologe, 1986-1991 Präsident der DFG, 1996-2002 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Und alle guten Wünsche für die Zukunft der Weiterbildung an der JG-Universität Mainz Andrae.Wolter@hu-berlin.de 20