Übung im Privatrecht I Wintersemester 2014/15 Fall 5: Umstrittene Preisvorstellungen (frei nach BGH NJW 2005, 976) Victor (V) ist Inhaber eines kleinen Computergeschäfts. Im Rahmen dessen bietet er auch auf seiner Shop-Homepage Computer zum Verkauf an. Hierzu hat V sich eine spezielle Software (ein EDVgesteuertes Warenwirtschaftssystem) angeschafft, die von ihm in einer Eingabemaske samt Kaufpreis eingegebene Artikel automatisch in die Shop-Datenbank einstellt und auf der Homepage ausweist. Im Januar des Jahres 2003 möchte V einen Laptop des Typs X zum Preis von 2.650,- EUR in sein Internetangebot aufnehmen. Er gibt hierzu die Typenbezeichnung und den Preis (2.650,- EUR) korrekt in die Eingabemaske seines EDV-gesteuerten Warenwirtschaftssystems ein. Aufgrund eines Softwarefehlers wies die Datenbank jedoch nicht 2.650,- EUR, sondern 245,- EUR als Preis für das Gerät auf. Entsprechend war das Gerät dann auch auf der Homepage des V ausgepreist. Kurze Zeit später bestellt Karl (K) per E-Mail einen Laptop des Typs X bei V, auf welchen er auf der Homepage des V aufmerksam geworden ist und den er zum Preis von 245,- EUR für ausgesprochen günstig erachtet, mittels des elektronischen Bestellformulars des V. Die Bestellung wird durch eine automatisch verfasste E-Mail von V bestätigt. Diese hatte folgenden Inhalt: Sehr geehrter Herr K, ihr Auftrag wird unter Kundennummer bearbeitet Wir bedanken uns für Ihren Auftrag. Als wenige Tage später dem V der Fehler auffiel, teilte er dies umgehend K mit und erklärte die Anfechtung des Kaufvertrags. Zur Begründung führte er aus, dass aufgrund eines Softwarefehlers ein falscher Kaufpreis ausgewiesen war. K verlangt gleichwohl von V Lieferung des Laptops (Typ X) gegen Zahlung des Kaufpreises. Frage: Kann K von V Lieferung des Laptops (Typ X) verlangen? 1
Lösungsskizze K könnte gegen V einen Anspruch auf Lieferung (Übereignung und Übergabe) des Laptops (Typ X) gem. 433 Abs. 1 Satz 1 BGB haben. Voraussetzung für einen solchen Anspruch des K ist das Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrags zwischen K und V über den Verkauf des Laptops. - ein Vertrag kommt zustande durch Angebot und Annahme 1 ( 151, 145 ff. BGB) - =zwei übereinstimmende, in Bezug aufeinander abgegebene, 2 Willenserklärungen - Angebot des V durch Einstellen auf seiner Angebotsseite? - dann müsste dieses Einstellen selbst eine Willenserklärung sein - hier möglicherweise fraglich im Hinblick auf den Bindungswillen - Vorliegen von Bindungswillen ist durch Auslegung ( 133 u. 157 BGB) der Erklärung des V zu ermitteln - Maßstab: objektiver Empfängerhorizont 3 ; wie musste ein verständiger Rechtsadressat die Erklärung verstehen? => Erklärung ist hier abzugrenzen von der invitatio ad offerendum, 4 bei der kein Bindungswille des Erklärenden vorliegt - hier Bindungswille abzulehnen, da wenn alle Haushalte, die den Prospekt erhalten, das Angebot annehmen, ist V mit einer Vielzahl von Kaufverträgen konfrontiert, die er nicht aller erfüllen kann => er würde auf Schadensersatz wg. Nichterfüllung haften - dies soll nach h.m. selbst beim Vorhandensein einer Shopampel gelten, da auch hier der Anbietende ggf. noch die Bonität des Vertragspartners prüfen will - Angebot durch die Bestell-E-Mail des K? - Willenserklärung (+) => V will hier aus objektiver Sicht sinnvollerweise keine Bindung => Einstellen des Angebots auf der Homepage ist keine Willenserklärung (kein Angebot) des V - E-Mail stellt unproblematisch eine Willenserklärung dar - Qualifikation der Erklärung des K als Angebot ist unproblematisch möglich, da Angebot und Annahme inhaltlich übereinstimmen => es 1 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 246 ff. 2 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 243. 3 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 295. 4 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 251. 2
- Zugang (+) ist egal, ob K ggf. nach seiner Vorstellung tatsächlich annehmen wollte (vgl. auch 150 Abs. 1 BGB) - Zugang ohne weiteres gegeben, als E-Mail im elektronische Postfach des V einging und mit Kenntnisnahme des V innerhalb der gewöhnliche Geschäftszeiten zu rechnen war - Inhalt der Angebotserklärung - Inhalt des Angebots durch Auslegung (nach Zugangsprüfung 5 ) zu ermitteln (vgl. 133, 157 BGB) - hier bezieht sich die Mail auf das Angebot zum Preis von 245,- EUR => ist vom objektiven Empfängerstandpunkt 6 nur als Kaufangebot für 245,- EUR zu interpretieren; (dies wäre bei der erforderlichen Sorgfalt auch für den V selbst erkennbar gewesen) - Annahme durch Bestellbestätigungsmail des V? - Willenserklärung - ggf. fraglich, ob V sich bereits durch die automatisch generierte Mail oder erst später durch die Übersendung der Ware binden wollte - Zugang (+) => Erklärung ist auszulegen ( 133, 157 BGB) => für den objektiven Empfänger kann die Erklärung nur als konkludente Annahme des V verstanden werden - Zugang mit Eingang der E-Mail bei K unproblematisch gegeben - Inhalt der Annahmeerklärung - Inhalt der Annahme durch Auslegung zu ermitteln ( 133, 157 BGB) - Wortlaut: Annahmeerklärung bezieht sich auf das Angebot des K => spricht für eine Annahme zum Preis von 245,- EUR - 133 BGB: am Wortlaut ist nicht festzuhalten, sondern der wahre Wille des Erklärenden zu erforschen => hier tatsächlicher Wille des V, zum Preis von 2.650,- EUR zu verkaufen 5 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 289. 6 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 295. 3
- letzte bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen maßgeblichste Auslegungsebene ist der objektive Empfängerhorizont (Argument: Verkehrsschutz) => hier konnte K die Annahme seines Angebots nur als Annahme zu dem Angebotspreis verstehen => die Auslegung vom Empfängerhorizont ergibt eine Annahme zum Preis von 245,- EUR Zwischenergebnis: Ein Kaufvertrag zwischen V und K über den Kauf des Laptops zum Preis von 245,- EUR ist zustande gekommen. - Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Wuchers gem. 138 Abs. 2 BGB? - grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung kann sittenwidrig sein, wenn bestimmt subjektive Verdachtsmomente hinzutreten; z.b. Ausnutzung einer Drucksituation oder der Überlegenheit einer Partei - hier ist eine Drucksituation seitens V ebenso wenig erkennbar, wie Böswilligkeit des K, da aus Sicht des K das Angebot zum besonders günstigen Preis von V aus freien (ihm nicht bekannten oder ersichtlichen) Stücken abgegeben wird - K trifft insbesondere keine Verpflichtung, die Ordnungsgemäßheit der Angebote des V zu prüfen => keine Nichtigkeit gem. 138 Abs. 2 BGB - Nichtigkeit des Vertrags nach 142 Abs. 1 BGB? Der Vertrag könnte hier als von Anfang an (=rückwirkend) nichtig anzusehen sein, sofern V seine Willenserklärung wirksam angefochten hat. Dazu müssten die Voraussetzungen einer wirksamen Irrtumsanfechtung 7 vorliegen: - Anfechtungsgrund 8 - abschließende Aufzählung in 119 BGB => Gründe sind: Erklärungs-, 9 Inhalts- 10 oder Eigenschaftsirrtum 11 - hier ggf. Erklärungsirrtum, sofern V bei der Abgabe seiner Willenserklärung versehentlich 245,- EUR erklärte, obwohl er tatsächlich 2.650,- EUR erklären wollte (=Verwendung der falschen Erklärungszeichen, nicht falsches Verständnis der verwendeten Erklärungszeichen) - Zeitpunkt - V irrt hier tatsächlich nur im Zeitpunkt der Abgabe der invitatio ad offerendum 7 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 521 ff. 8 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 529 ff. 9 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 530 ff. 10 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 533. 11 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 534 ff. 4
- Anfechtungserklärung 14 - allerdings setzte sich der zu diesem Zeitpunkt gebildete und formulierte Wille in der automatisch generierten E-Mail zur Vertragsbestätigung fort, denn es erfolgte keine weitere Willensbetätigung => ursprünglicher (Erklärungs-) Irrtum ist noch im Zeitpunkt der Annahme gegeben - falsche Preisangabe als Folge eines Irrtums? - hier insofern fraglich, als V seinen Willen ordnungsgemäß bildete und ins System eingab => eigentlich kein Irrtum (keine menschliche Fehlvorstellung) - aber allgemeine Meinung: wird der ordnungsgemäß gebildete Wille durch einen Softwarefehler 12 (die keine Kalkulationsfehler 13 sind) verfälscht wiedergegeben, stellt auch dies einen Erklärungsirrtum nach 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB dar - Argument: es ist der Situation des Sich-Verschreibens gleichzustellen - diese Ergebnis entspricht zudem auch dem Rechtsgedanken des 120 BGB, der die Anfechtbarkeit bei Falschübermittlung ausdrücklich zulässt - nach 143 Abs. 1 BGB erfolgt die Anfechtung durch Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner 15 - Anfechtungsgegner ist bei einem Vertrag der Vertragspartner (vgl. 143 Abs. 2 BGB), hier also K - V erklärte gegenüber K die Anfechtung des Vertrags unter Berufung auf den Softwarefehler - Anfechtungsfrist 16 => wirksame Anfechtungserklärung des V liegt unproblematisch vor - gem. 121 Abs.1 BGB muss die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich [=Legaldefinition 17 ]) erfolgen - unverzüglich bedeutet jedoch nicht sofort => angemessene Frist zur Überlegung oder zur Beratung durch fachkundige Dritte steht der Unverzüglichkeit nicht entgegen 18 12 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 531. 13 Zum Begriff und der rechtlichen Behandlung des Kalkulationsirrtums s. Skript Privatrecht I, 2 Rn. 540 ff. 14 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 536 f. 15 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 557. 16 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 558 f. 17 S. zum Begriff der Legaldefinition Skript Privatrecht I, 2 Rn. 40 ff. 5
- hier hat V die Anfechtung unmittelbar nach Kenntnis vom Irrtum also unverzüglich erklärt - Kein Ausschluss der Anfechtung wegen Bestätigung ( 144 Abs. 1 BGB) - hier unproblematisch nicht der Fall - (hätte V jedoch nach Kenntnis des Irrtums zunächst das Laptop an K versandt, hätte dies als Bestätigung des anfechtbaren Geschäfts nach 144 Abs. 1 BGB aufgefasst werden können) Weiteres Zwischenergebnis: V hat den Vertrag mit K wirksam angefochten und damit rückwirkend ( 142 Abs. 2 BGB) vernichtet. Ergebnis: K hat gegen V keinen Anspruch auf Lieferung (Übereignung und Übergabe) des Laptops (Typ X) gem. 433 Abs. 1 Satz 1 BGB. 18 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 559. 6