Medikamente mit Suchtpotential. Ulrich Koczian, PharmD Univ. of Florida Linden-Apotheke, Augsburg
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- Edith Otto
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1 Ulrich Koczian, PharmD Univ. of Florida Linden-Apotheke, Augsburg 1
2 Risikokonstellationen für Arzneimittelfehlgebrauch Psychovegetative Beschwerdebilder: Vegetative Beschwerdebilder: Überforderung Schlafstörungen Ständige Müdigkeit Ängste Nervosität Überlastung Niedergeschlagenheit u. v. m. Schwindel Herzrasen Unspez. GIT-Probleme Diffuse Schmerzsymptome ohne organische Ursachen 2
3 Arzneistoffe mit Missbrauchspotential Schmerz- und Migränemittel Antitussiva Hypnotika und Sedativa Antidepressiva Antiepileptika Psychostimulantien Appetitzügler Mittel gegen Erkältungskrankheiten Nasentropfen Parkinsonmittel Narkosemittel Laxantien Anabolika Alkohol und alkoholhaltige Arzneimittel. 3
4 Missbrauch vs Abhängigkeit Arzneimittel mit Missbrauchs- aber ohne Abhängigkeitspotential Arzneimittel mit Abhängigkeitspotential (Auswahl) z.b. Laxantien Diuretika Schilddrüsenhormone z.b. Opioide / Opiate Tranquilizer Stimulanzien 4
5 Merkmale des Arzneimittelmissbrauchs absichtliche sporadische oder dauerhafte übermäßige Verwendung von Arzneimitteln Arzneimittelanwendung ohne medizinische Indikation mit körperlichen oder psychischen Schäden als Folge Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 Allgemein: zu oft zu viel zu lange ohne medizinische Indikation 5
6 Merkmale der Arzneimittelabhängigkeit Nach ICD-10-GM Version 2016 Wenn in den letzten 12 Monaten mindesten 3 der folgenden Merkmale aufgetreten sind: starker Konsumwunsch oder zwang verminderte Kontrolle im Umgang mit dem Stoff körperliches Entzugssyndrom beim Absetzen Toleranzentwicklung anhaltende Vernachlässigung sozialer und beruflicher Aktivitäten fortgesetzter Gebrauch, obwohl dem Konsumenten klar ist, dass er sich damit schädigt 6
7 Schlafstörungen in Deutschland 81,6 % der Erwachsenen in Deutschland schläft zwischen 6 und 8 Stunden pro Nacht. Ältere Menschen schlafen etwas weniger. 13,6 % der Frauen und 8,6 % der Männer in Deutschland haben 3-mal oder häufiger in der Woche Probleme mit dem Einschlafen. Bei älteren (60+) Frauen sind diese Beschwerden mit einer Prävalenz von 18,1 % am häufigsten. 26,4 % der Frauen und 19,5 % der Männer haben 3-mal oder häufiger in der Woche Probleme mit dem Durchschlafen. Diese Probleme sind bei beiden Geschlechtern stark altersabhängig: Während bei jüngeren Erwachsenen (18-39) nur 17,9 % der Frauen und 9,5 % der Männer sich wegen Durchschlafproblemen beschweren, liegen diese Raten bei älteren Erwachsenen (60-79) bei 34,4 % und 29,0 %. 21,9 % aller Deutschen klagen über die durch Ein- oder Durchschlafprobleme bedingte schlechte Schlafqualität. Bei 5,7 % allen Deutschen beeinträchtigen diese Probleme den Tagesablauf und somit liegt eine Insomnie vor. Schlack, R., Hapke, U., Maske, U., Busch, M. & Cohrs, S. (2013). Häufigkeit und Verteilung von Schlafproblemen und Insomnie in der deutschen Erwachsenenbevölkerung. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz, 56(5-6),
8 8 Gebrauch von Schlaf- oder Beruhigungsmitteln in Deutschland 9,6 % der Frauen und 5,8 % der Männer haben im letzten Jahr Schlaf- oder Beruhigungsmittel genommen. 6,7 % der Frauen und 3,7 % der Männer haben sie in den letzten 30 Tagen konsumiert. Jeweils 4,3 % der Frauen und Männer nahmen sie mindestens einmal wöchentlich in den letzten 30 Tagen. 2,8 % der Frauen und 2,5 % der Männer nahmen sie mindestens dreimal wöchentlich in den letzten 4 Wochen. 86,2 % der Personen, die in letzten 12 Monaten Schlaf- oder Beruhigungsmittel konsumierten, nahmen auch andere der erfassten Medikamente: - 81,4 % Schmerzmittel - 30,4 % Antidepressiva - 6,2 % Neuroleptika In den letzten Jahren werden Benzodiazepine immer weniger und Z-Drugs immer häufiger verschrieben. Z-Drugs haben ähnliche Nebenwirkungen sowie ein vergleichbares Missbrauchsund Abhängigkeitsrisiko wie Benzodiazepine. Privatrezepte für Hypnotika sind eher die Regel als die Ausnahme, was die systematische Erfassung der Verschreibungszahlen erschwert. Piontek, D., Atzendorf, J. Gomes de Matos, E. & Kraus, L. (2016). Kurzbericht Epidemiologischer Suchtsurvey Tabellenband: Medikamenteneinnahme und Hinweise auf klinisch relevanten Medikamentengebrauch nach Geschlecht und Alter im Jahr München: IFT Institut für Therapieforschung.
9 Mögliche Konsequenzen von Schlafstörungen Stressbelastung Tagesmüdigkeit mangelnde Konzentrationsfähigkeit schlechterer allgemeiner Gesundheitszustand mangelndes psychisches Wohlbefinden depressive Symptome Burn-out-Syndrom Übergewicht und Adipositas Bluthochdruck und metabolisches Syndrom Familiäre Probleme (z.b. sekundäre Schlafprobleme des Partners) hohe volkswirtschaftliche Kosten durch Behandlungskosten, durch gesunkene Produktivität, Krankschreibungen sowie Arbeitsunfälle 9
10 Patientenfall Frau C.M., 62 Jahre, Rentnerin Regelmäßiger Doxylamingebrauch seit über 10 Jahren, ohne Dosissteigerung Weitere Medikamente gegen Hypertonie, erhöhten Augeninnendruck, Arthrose Ansprache in Apotheke Erfolgloser Versuch mit Baldrian Hopfen Melisse Gespräch mit Hausärztin Absetzen Doxylamin und Wechsel zu Mirtazapin Erfolgloser Auslassversuch nach 4 Monaten Beginn einer begleitenden Psychotherapie Erfolgreiches Absetzen von Mirtazapin nach ca. 6 Monaten Weitere psychotherapeutische Betreuung (Gruppentherapie) 10
11 Schmerzmittel Medikamentenart Männer (60-64 Jahre) Frauen (60-64 Jahre) Schmerzmittel 34,3% 39,7% Schlaf- und Beruhigungsmittel 4,5% 9,5% Antidepressiva 5,0% 6,5% 30-Tages-Prävalenz des Medikamentengebrauchs (nach Piontek et al. 2016) 81,4% der jährigen Frauen und Männer mit Schlaf- und Beruhigungsmittelgebrauch nahmen gleichzeitig Schmerzmittel ein 30,3% der jährigen Frauen und Männer mit Schlaf- und Beruhigungsmittelgebrauch nahmen gleichzeitig Antidepressive ein 12-Monats-Prävalenz des Medikamentengebrauchs (nach Piontek et al. 2016) 11
12 Schmerzmittel Nach dgn-leitlinie: Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- und Migränemitteln 12
13 Patientenfall Patientin 71 Jahre, holt seit mehreren Wochen regelmäßig Formigran (Naratriptan) und Thomapyrin intens (ASS, PCM, Coffein) Ansprache der Patientin Migräneartiger Kopfschmerz schon am Morgen Migräne vor ca. 10 Jahren vom damaligen Hausarzt diagnostiziert Keine Facharztbetreuung Weitere Medikamente: Novaminsulfon (Arthrose), Amlodipin, Ramipril 13
14 Patientenfall Überweisung durch Hausärztin zum Neurologen Stationärer Entzug Sofortiges Absetzen aller Schmerzmittel Zusätzliche psychotherapeutische Betreuung Prophylaxe mit Topiramat Vereinbarung mit Patientin und Hausärztin, freiverkäufliche Schmerzmittel nur mit ärztlicher Verordnung 14
15 Patientenfall Kundin fragt nach einer Bewertung der von ihrer Mutter (80 Jahre) eingenommenen Medikamente Pantoprazol Ramipril / HCT Lercanidipin Novaminsulfon Tropfen Zopiclon 3,75mg 15
16 Patientenfall Weitere Medikamente: Iberogast Tropfen 3 x 20 Tropfen Echinacin Tropfen 3 x 2,5 ml Umckaloabo Tropfen 3 x 30 Tropfen Meditonsin Tropfen nur für 1 Woche Solunat Nr. 1, 6, 9 und15 je 3 x 20 Tropfen Arthro Loges comp Tropfen 3 x 20 Tropfen Phytodolor Tropfen 3 x Tropfen 20 Tropfen 1 ml, entspricht ca. 3x10 ml tägl. ca. 80 Vol% Alkohol, entspricht 19 g Alkohol/Tag Grenzwert für risikoarmen Konsum: Männer 24 g Alkohol/Tag, Frauen 12 g Alkohol/Tag und mindestens 2 alkoholfreie Tage / Woche 16
17 Alkohol im Alter Wegen veränderten Physiologie wird im Alter weniger Alkohol vertragen, d.h. bei gleichbleibender Trinkmenge tritt schneller ein körperlicher Schaden oder eine Abhängigkeit von Alkohol ein. Die Alkoholverträglichkeit des älteren Organismus ist verringert, da sich das Verhältnis von Muskulatur und Fettgewebe zugunsten des Letzteren verschiebt und der Alkohol sich auf weniger Masse konzentriert, ein geringerer Flüssigkeitsanteil im Körper einen höheren Wirkungsgrad der Substanz nach sich zieht. sich die Aktivität der abbauenden Enzyme verringert und Alkohol und das Abbauprodukt Aldehyd langsamer abgebaut werden. Gegenüber Jüngeren steigt das Risiko für: Schäden an vielen Organen Tumore Wechselwirkungen mit Medikamenten Stürze und Unfälle psychiatrische Erkrankungen Beeinträchtigung kognitiver Funktionen (Mukamal et al. 2003, Green et al. 2003, Moore et al. 2003) 17
18 Alkohol im Alter Die Symptome alkoholbedingter Erkrankungen im Alter: Stürze Schwindel Gesichtsröte Tremor Durchfälle Kognitive Defizite Stimmungsschwankungen Interesselosigkeit, Interessenverlust Appetitverlust, Fehlernährung Voralterung Soziale Isolation und Einsamkeit 18
19 Zusammenfassung Medikamenten- und Alkoholabhängigkeit bzw. Missbrauch in der Apotheke nur schwer erkennbar Stammapotheke mit Medikationshistorie erhöht die AMTS Ansprache des Patienten mit einem Gesprächs- und Beratungsangebot Erfolgreiche Hilfe nur durch interdisziplinären Ansatz möglich 19
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