Wer weiß was? Auf dem Weg in die Datengesellschaft
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- Ella Diefenbach
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1 Wer weiß was? Auf dem Weg in die Datengesellschaft Einführung zur Ad hoc-gruppe auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Frankfurt a. M Pascal Geißler / Thomas Schwietring Die aktuellen Anlässe für das Thema unserer Ad hoc-gruppe sind zahlreich, und wir haben bereits in unserem Call for Papers darauf Bezug genommen: Elektronischer Entgeltnachweis (ELENA), elektronische Personalausweise mit biometrischen Daten, einheitliche Steuernummer, digitale Signatur, Google Street View, Datenspuren im Internet, Vorratsdatenspeicherung, persönliche Profile, die Nutzerinnen und Nutzer auf kommerziellen»sozialen Netzwerken«anlegen und die sich die Betreiber aneignen. Gemeinsam ist diesen in sehr verschiedenen Bereichen des Lebens angesiedelten Techniken, Medien, Geschäftsstrategien oder Herrschaftspraktiken dass es schwierig ist, hier den richtigen Begriff zu finden, führt bereits mitten in die Diskussion, dass es bei ihnen im Kern um die Erhebung, Speicherung und Auswertung von Daten geht. Mit jedem der eingangs genannten Schlagworte verbindet sich eine aktuelle öffentliche Diskussion. Die Diskussion ist intensiv und aufgeregt, aber fast immer oberflächlich. Es geht um technische Details, skandalöse Einzelfälle, Datenmissbrauch, und in den seriöseren Teilen der Diskussion um rechtliche Aspekte des Datenschutzes und der informationellen Selbstbestimmung. Doch wie verändert sich eine Gesellschaft, die sich in ihren Abläufen zunehmend auf die Erfassung, Speicherung und Verarbeitung von Daten stützt? Eine Gesellschaft, die sich zunehmend über formalisierte Daten definiert, sich an der Erzeugung von Daten orientiert und von Datenbeständen abhängig ist, unterscheidet sich möglicherweise grundlegend von bisherigen Gesellschaften. Aus solchen Überlegungen ist die Idee zu dieser Ad hoc-gruppe hervorgegangen. Wir ein Forum schaffen, um über eine soziologische Diagnose der sich entwickelnden Datengesellschaft zu diskutieren. Die Ad hoc-gruppe ist ein erster Schritt, dem in absehbarer Zukunft weitere folgen sollen. Datengesellschaft Wir nähern uns einem Zustand, in dem alles, was Menschen tun, wo sie sich aufhalten und mit wem sie kommunizieren, in Form von Daten erfasst und gespeichert wird. Daten können genauere Auskunft über unser eigenes Leben geben, als wir es selbst könnten. Und längst haben Menschen begonnen, ihr Handeln daran zu orientieren, dass sie Daten erzeugen oder eben nicht erzeugen wollen. 1
2 Zugleich wird praktisch keine politische oder ökonomische Entscheidung getroffen, ohne Bezug auf Daten zu nehmen. Und die Nutzung von Daten erzeugt wiederum neue Daten, die nicht ungenutzt bleiben werden. Datensammeln ist zu einem ein Selbstzweck geworden, und der öffentliche Diskurs vollzieht sich fast ausschließlich entland der Linie von Effizienzsteigerung auf der einen und Datenschutzfragen auf der anderen Seite. Die darin enthaltene doppelte Unterstellung: (a) mehr Daten bedeuten mehr Effizienz, (b) Datenschutz oder Datenvermeidung ist ein potentielles Organisations- und Effizienzhemmnis dient einerseits als unwidersprochene Legitimation des Datensammelns und legt die Debatte andererseits auf einen eindimensionalen Konflikt fest. Soziologische Beobachter sollten keiner dieser beiden Unterstellungen glauben, sondern vielmehr Fragen stellen in der Art: Was sind die wirklichen Effekte der Datenerfassung, -sammlung und verarbeitung jenseits der Dichotomie von Effizienz/Ineffizienz? Was sind die Kriterien, nach denen Effizienz bemessen wird? Erzeugen Daten nicht eine selbstbezügliche Eigenlogik, die Effizienz nur nach eigenen Maßstäben misst? Hier wird deutlich, dass Technik als solche stets eng von ökonomischen und politischen Strategien durchwoben ist. Ist Datenschutz tatsächlich nur auf Kosten der Organisationseffizienz zu verwirklichen? Oder handelt es sich dabei um einen Abwehrtopos, der unter dem Etikett der Effizienz nur verschleiert, dass Geschäftsstrategien und Herrschaftspraxen verteidigt werden? Wir wissen längst: Keine Technik ist ein bloßes Instrument zu Erreichung vorgegebener Zwecke, sondern die technischen Möglichkeiten verselbständigen sich und setzen damit auch neue Zwecke. Die Soziologie ist von solchen Fragen mehrfach betroffen. Zum einen weil es sich es sich nicht bloß um rechtliche oder technische Fragen handelt, sondern um Prozesse, die auf grundlegende Art die Funktionsweise von Politik, Wirtschaft, Öffentlichkeit und letztlich von Gesellschaft bestimmen. Und zwar nicht in ferner Zukunft, sondern in einer unmittelbar bevorstehenden Gegenwart. Zum anderen ist sie selbst betroffen, weil sie selbst Daten erhebt und nutzt und besonders im Bereich empirischer Forschung von den gewonnenen Daten profitiert und an der Entwicklung von Methoden der Datengewinnung und Auswertung beteiligt ist. In unserem ausführlichen Call for Papers, der sich zusammen mit weiteren Materialen zu dieser Ad hoc-gruppe und zu den aktuellen Beiträgen auf unserer Homepage findet ( haben wir eine Reihe konkreter Fragen formuliert, die uns interessieren. Einige dieser 2
3 Fragen haben wir zu Thesen zugespitzt, nicht, weil wir glauben, bereits Antworten gefunden zu haben, sondern um die Diskussion anzustoßen.. 1. Datengewinnung und Datenschutz - Wo liegt das Problem? Über Daten wird zumeist im Kontext von rechtlichen Fragen des Datenschutzes diskutiert. Doch was bedeutet die umfassende Datenerfassung aus soziologischer Sicht? Auch dann, wenn es gelänge, ausgeklügelte Datenschutzsysteme zu etablieren, wären Daten gleichwohl vorhanden, und die Frage, wer zu welchen Daten Zugang hat, auf welche Weise und über welche Sachverhalte Daten erhoben werden und wozu Daten genutzt werden, reicht weit über die Frage des Datenschutzes hinaus. Und sie ist auch keine Organisations-, sondern eine genuine Macht- und Herrschaftsfrage. 2. Wem gehören Daten? Wem gehören Daten? Demjenigen, der diese Daten herstellt, erfasst und zusammenträgt? Oder demjenigen, der diese Daten im eigentlichen Sinn hervorbringt und der von diesen Daten beschrieben oder erfasst wird? Kann man Daten überhaupt besitzen? Und umgekehrt: Kann man Daten stehlen? Was genau wird weggenommen, wenn man eine Kopie von Daten erstellt? Besitzen Daten vielleicht nur solange einen Wert, wie jemand über Daten verfügt, über die ein anderer nicht verfügt? Gerade die Nichtzugänglichkeit kann Daten wertvoll und wirksam machen. 3. Praktische Konsequenzen der Datenerfassung Menschen erzeugen fortwährend (und teils freiwillig) Daten. Oftmals ergeben sich erst später unvorhergesehene Probleme, wenn jemand diese Daten zusammenträgt und in einer Weise nutzt, die die Akteure nicht intendiert hatten. Das kann damit beginnen, dass Menschen mit zeitlich weit zurückliegenden Sachverhalten oder Handlungen konfrontiert werden, von denen sie sich längst distanziert haben. Aber die vorhandenen Daten legen Menschen auf ihre eigene Vergangenheit fest oder auf bestimmte Aspekte ihres Lebens, auf die sie gerade nicht festgelegt werden möchten. 4. Paradoxe Eigenschaften von Daten Auch dann, wenn es gelingt, Daten im Verborgenen zu halten, verändert ihre bloße Existenz das soziale Gefüge. Gerade die Ungewissheit darüber, wo welche Daten existieren, kann Konsequenzen haben. Hinzu kommen Paradoxien, die Daten von andere Gegenständen unterscheiden. Kann man beispielsweise überhaupt das Eigentum an Daten reklamieren, ohne dabei erst recht seine Anonymität aufzugeben, weil man nachweisen muss, dass es sich um die eigenen Daten handelt? 3
4 Daten, die einmal erfasst oder in Umlauf sind, lassen sich nicht wieder beseitigen. Ist es überhaupt möglich, über Daten zu entscheiden, wenn sie einmal entstanden sind? 5. Kann man Daten schützen und wenn ja, vor wem? Angesichts der technischen Möglichkeiten, technisch induzierter Sachzwänge sowie der logischen Unmöglichkeit, die Nicht-Erfassung und Nicht-Speicherung zu kontrollieren, ohne dabei selbst wiederum Daten zu nutzen und zu erzeugen, zeigt sich, dass gutgemeinte Datenschutzrichtlinien zu kurz greifen. Jede technische Lösung von Datenschutzfragen erzeugt neue Daten und verschiebt das Datenproblem nur. Strikt genommen kann es keinen Datenschutz geben, der Begriff ist eher ein analytisches Hindernis für eine soziologische Theorie der Datengesellschaft. Möglicherweise ist es gerade die Vorstellung, Daten durch Geheimhaltung oder Einschränkungen von Zugriffsrechten schützen zu müssen, ein gefährlicher Irrtum. Denn Daten sind möglicherweise dann besonders gefährlich, wenn es geheime Daten sind. Die radikale Alternative wäre, Daten durch allgemeine öffentliche Zugänglichkeit zu schützen und darauf zu vertrauen, dass die öffentliche Kontrolle der beste Schutz ist. Vielleicht muss aber auch der Datenbegriff viel weiter differenziert und präzisiert werden, um verschiedene Datentypen zu bestimmen, die unterschiedlich zu schützen sind. Die Debatten zu Datenkriminalität und Freiheitsrechten haben hier eine entscheidende Schnittmenge. 6. Wie wirklich sind Daten? Wir wirklich sind Daten? In welchem Verhältnis stehen Daten zur Wirklichkeit? Die überkommene und naive Vorstellung, dass Daten eine gegebene Realität abbilden, erlebt gerade durch avancierte Techniken eine erstaunliche Renaissance. Das gilt für Daten, die im Alltag anfallen, ebenso wie für Daten, die zu wissenschaftlichen Zwecken erhoben werden. Doch hat sich das Verhältnis von Daten und Realität nicht längst umgekehrt? Indem wir mit allem, was wir tun, Daten erzeugen, die dauerhaft gespeichert, kombiniert und ausgewertet werden können, erzeugen wir eine Parallelwelt zu der gewohnten, realen Welt. Es ist keine virtuelle Welt, wie sie in Medientheorien lange beschworen wurde. Sondern es ist eine Parallelwelt, die den Anspruch erhebt, die eigentliche, wahre und präzise Welt zu sein. Es ist keine fiktive Welt gegenüber der realen Welt, sondern ein unerbittlicher Spiegel Daten können umschlagen von einer Beschreibung des Realen in ein normatives Raster dessen, was real zu sein hat. Beiträge zur Ad hoc-gruppe Wir haben uns über die zahlreichen Reaktionen auf unseren Call for Papers und die interessanten Beiträge sehr gefreut. Allein die uns zur Verfügung stehende begrenzte Zeit hat es nötig gemacht, eine Auswahl zu treffen. 4
5 Wir haben uns für fünf Beiträge entschieden, die anders als unsere kurze Einleitung Forschungen zu konkrete Nutzungszusammenhänge von Daten vorstellen. Das schien uns für den hier gegebenen Rahmen sinnvoll, und dadurch hat die Ad hoc-gruppe eine gewisse Schwerpunktsetzung gefunden. Wir möchten uns bei allen, die uns Beiträge vorgeschlagen haben (und jetzt vielleicht als Teilnehmer hier sind) sehr herzlich bedanken und hoffen, dass sie sich längerfristig an der Diskussion mit uns beteiligen. Wie eingangs angekündigt, beabsichtigen wir ja, die hier begonnene Diskussion auf einem größeren Workshop oder eine Tagung fortzuführen. Dann wird es auch Raum für stärker historische und theoretisch orientierte Beiträge geben. Da die Publikation der Beiträge zu unserer Ad hoc-gruppe im Tagungsband zu diesem Kongress erfahrungsgemäß mehr als ein Jahr erfordern wird, wir aber an einer aktuellen Diskussion interessiert sind, werden wir die Vorträge schon vorab auf unserer Homepage zum Thema Datengesellschaft veröffentlichen, die fortlaufend durch weitere Beiträge ergänzt wird und auf der sich dann auch Ankündigungen für weitere Veranstaltungen finden werden ( 5
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