Stellungnahme des Hamburger Ganztagsschulverbandes zur Senatsdrucksache 20/3642 Weiterentwicklung von ganztägigen Angeboten an Schulen

Transkript

1 Stellungnahme des Hamburger Ganztagsschulverbandes zur Senatsdrucksache 20/3642 Weiterentwicklung von ganztägigen Angeboten an Schulen Der Ganztagsschulverband GGT e. V., Landesverband Hamburg (Ganztagsschulverband), begrüßt, dass es nun die langerwartete Senatsdrucksache zur Weiterentwicklung von ganztägigen Angeboten an Schulen gibt. Positiv ist zu vermerken: Ausweitung des neuen Ganztagsangebots Das Ganztagsangebot wird ausgeweitet auf Zeiten der Früh- und Anschlussbetreuung und auf die Ferien. Der 5. Tag wird berücksichtigt, ebenso wird die Vorschule einbezogen. Damit wird die zunehmende Berufstätigkeit beider Elternteile ausreichend berücksichtigt. Ausweitung auf eine größere Schülerzahl Es ist zu begrüßen, dass mit dem neuen Ganztagsangebot eine größere Anzahl von Schülerinnen und Schüler erreicht wird als dies bei dem bisherigen Hortmodell mit Kita-Gutscheinen für berufstätige Eltern der Fall war. Das Gutschein- System hatte Kinder aus Familien ausgeschlossen, in denen die Mütter nicht berufstätig waren, was vor allem auch Familien mit Migrationshintergrund den Zugang zu den Horten erschwerte. Längere Frist zur flächendeckenden Einführung der ganztägigen Angebote Da jede Schule ein pädagogisches Konzept zur Einführung und Umsetzung der Ganztagsangebote braucht, das von allen an Schule Beteiligten mitentwickelt und mitgetragen werden soll, ist ein zeitlicher Aufschub richtig. Mögliche Formen der Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendhilfe undanderen Kooperationspartnern Eine soziale Staffelung der Kosten für das Mittagessen Die Umsetzung ist noch verbesserungsbedürftig und müsste auf die weiterführenden Schulen zumindest bis Klasse 8 ausgedehnt werden. Eine soziale Staffelung der Kosten für die Zusatzbetreuung Beibehalten der freien Kinder- und Jugendhilfe In der Drucksache ist vermerkt, dass es trotz und neben der Einführung und Weiterentwicklung von ganztägigen Angeboten an Schulen weiterhin die Notwendigkeit einer eigenständigen Jugendpolitik sowie von Einrichtungen der freien Jugendhilfe unabhängig von der Schule besteht. 1

2 Der Ganztagsschulverband kritisiert die folgenden Punkte: Die Qualität der geplanten ganztägigen Angebote Die personelle und finanzielle Ausstattung inkl. derkosten für das Mittagessen in weiterführenden Schulen Die Benachteiligung der Ganztagsschulen nach Rahmenkonzept gegenüber den GBS-Schulen Die Umsetzung der neuen Gebühren. 1. Qualität der ganztägigen Angebote In der Drucksache wird das Ziel genannt, durch ganztägige Angebote die Bildungschancen der Schüler zu verbessern (1). Die Qualitätsmerkmale zur Qualitätssicherungwerden angekündigt (2.6). Alle 4 Jahre soll die Qualität der Leistungserbringung durch ein externes Unternehmen geprüft werden. Notwendig wäre es aber, dass diese Qualitätsstandards schon jetzt zu Beginn der Kooperationen an Ganztagsschulen vorlägen! Zumindest an den Grundschulen mit dem Modell der Ganztägigen Bildung und Betreuung (GBS) wird das Bildungsziel zurzeit nämlich nicht erreicht, die Betreuung steht hier gegenüber der Bildung deutlich im Vordergrund! Die folgende Kritikpunkte zum GBS-Modell gehen aus dem Evaluationsbericht der Pilotschulen hervor: Es wird deutlich, dass die GBS-Schulen bislang am Nachmittag überwiegend Betreuung statt Bildung anbieten. Es fehlt ein übergreifendes pädagogisches Konzept, es fehlt qualifiziertes, kontinuierliches Personal. Mit der Hausaufgabenbetreuung sind Eltern und Schüler nur im mittleren Maße zufrieden, es gibt keine hohe Qualität der Angebote. Keine Verzahnung von Unterricht und Nachmittagsangeboten Die Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) versucht zwar bei dem GBS-Modell nachzubessern, indem sie Zeiten für gemeinsame Besprechungen für Lehrer und Erzieher bereitstellt. Dies wird aber bei Weitem nicht ausreichen, um eine Verzahnung zu ermöglichen. Das Problem bleibt bestehen, dass es ein Nebeneinander von Unterricht und Nachmittagsbetreuung geben wird und die schulische Expertise am Nachmittag nicht genutzt wird. Geteilte Verantwortung Eine geteilte Verantwortung für Vor- und Nachmittag, wie es beim GBS-Modell vorgesehen ist, führt nicht zu einer Schule aus einem Guss wie bei den Ganztagsschulen nach Rahmenkonzept. 2

3 Kein rhythmisierter Tagesablauf für die Schüler Bei dem GBS-Modell drängt sich der Unterricht in die Zeit von Uhr, Unterrichtszeiten können sich nicht mit längeren Phasen der Entspannung und Erholung für die Schüler abwechseln. Keine verlässlichen Betreuer Schüler brauchen feste Bezugsbetreuer! In Ganztagsschulen nach Rahmenkonzept arbeiten multiprofessionelle Teams den ganzen Tag eng zusammen. Auch in offenen Ganztagsschulen nach Rahmenkonzept bieten die Lehrer am Nachmittag selbst Kurse an. Schüler mit besonderem Betreuungsbedarf müssen sich nicht auf ganz neues Personal am Nachmittag einstellen. In GBS-Schulen gibt es dies nicht, sondern durch die hohe Fluktuation müssen die Schüler sich sogar immer wieder auf neue Betreuer einstellen. Deshalb zeigt der Evaluationsbericht auch, dass nur die Hälfte der befragten Schüler zufrieden mit den Betreuern ist. Flächendeckende, überstürzte Einführung eines zu wenig erprobten Modells Es gibt in Hamburg, wie auch in anderen Bundesländern, bereits seit vielen Jahren Ganztagsschulen. Hier kann auf sehr viele positive Erfahrungen und ein gewachsenes, konzeptionelles Know How zurückgegriffen werden. Der Ganztagsschulverband fördert seit vielen Jahren den Austausch der Ganztagsschulen, hat sich in vielen Kongressen und Tagungen ausführlich mit verschiedenen Ganztagsschulmodellen auseinandergesetzt. Auch in der Fachliteratur und in den pädagogischen Hochschulen hat man sich seit Jahren mit unterschiedlichen Formen von Ganztagsschulen beschäftigt. 2. Personelle Ausstattung Ob die geplanten personellen Ressourcen für die Umsetzung der ganztägigen Bildung und Betreuung auskömmlich sein werden, bleibt abzuwarten! Schon jetzt haben die GBS-Schulen Probleme, geeignetes Personal zu finden. Dies liegt auch daran, dass der vorgesehene Stundenanteil der Betreuer gering ist. Dies wird sich auch durch die nur unwesentliche Erhöhung der Betreuerstunden und durch die Besprechungsstunden kaum ändern. Es ist schwierig, Personal für halbe Stellen zu bekommen! Dies hat offensichtlich zu einer Fluktuation der Erzieher bei den GBS-Schulen (Pilotschulen) geführt. Dieses Problem wird sich noch erheblich verschärfen, wenn im 3

4 nächsten Schuljahr weitere GBS-Schulen dazu kommen! Betreuungsschlüssel Der in Vergleich zu den Kindertagesstätten ungünstigere Betreuungsschlüssel von Schülern pro Gruppe wirkt sich insbesondere dann ungünstig aus, wenn das Personal häufig wechselt, sodass die Schüler sich immer wieder auf neue Bezugspersonen einstellen müssen. In diesem Fall scheint u.a. eine pädagogisch sinnvolle Hausaufgabenhilfe kaum noch möglich zu sein. Inklusion Bezugnehmend auf die Drucksache Inklusion wird für die Betreuung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Ressource pro Schüler von nur 3,8 WAZ statt 3,5 WAZ an Halbtagsgrundschulen berechnet. Dies entspricht einer Zusatzressource von gerade mal 0,3 WAZ. Dies ist zu wenig! Es muss berücksichtigt werden, dass diese Schüler auch die Zusatzbetreuung in den Ferien (ganztägig) und in den Randzeiten in Anspruch nehmen und dort in besonderem Maße das Personal beanspruchen. Der Ganztagsschulverband fordert deshalb für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf erheblich mehr Ressourcen für ganztägige Angebote zusätzlich! Schülerbücherei Da es den Schulen ausdrücklich untersagt wird Honorarkräfte in Schülerbüchereien zu beschäftigen, muss eine Teilzeitstelle an jeder Schule geschaffen werden für einen Mitarbeiter, der die Schülerbücherei leitet und in mindestens einer Pause am Tag besetzt. Anderenfalls könnten nur noch Schulen eine Schülerbücherei betreiben, die auf ehrenamtlich beschäftigte Eltern zurückgreifen können. Schulhausmeister Durch die verlängerten Öffnungszeiten der Schulen kommen auch zusätzliche Aufgaben für die Hausmeister mit hinzu, die diese nicht alleine bewältigen können. Die Schulbehörde muss mit Schulbau Hamburg dafür sorgen, dass hierfür zusätzliches Personal gestellt wird, z.b. indem den Schulen mehr Stunden für Betriebsarbeiter zugewiesen werden. Reinigungspersonal Die Zusatzbetreuung vor allem auch in den Ferien erfordert den Einsatz von zusätzlichem Reinigungspersonal. Zudem können einige Schulräume erst nach Uhr gereinigt werden. Die Schulbehörde muss in Zusammenarbeit mit Schulbau Ham- 4

5 burg auch hierfür zufriedenstellende Lösungen finden. 3. Finanzielle Ausstattung Die Nachbesserungen für neue GBS- und Ganztagsschulen sind zu begrüßen, ob sie ausreichend sind, muss aber unbedingt evaluiert werden! In folgenden Bereichen fordert der Ganztagsschulverband Nachbesserungen: Mittagessen Auch an den weiterführenden Schulen sollte das Mittagessen für Förderberechtigte kostenlos und für Geringverdiener und Familien mit mehreren Kindern sozial gestaffelt werden! Am besten wäre ein kostenloses Mittagessen für alle Schüler, nicht nur wegen des hohen Abrechnungsaufwandes für die Gebührenermittlung! Ganztägige Betreuung braucht mehr als nur ein Angebot für das Mittagessen! In Kitas werden selbstverständlich auch ein Frühstück und gesunde Snacks am Nachmittag angeboten. Deshalb brauchen auch neue Ganztagsschulen Mittel, um gesunde Snacks (z.b. Obst aus der Region) für die Schüler bereitstellen zu können. Schließlich bleiben einige Schüler bis Uhr in der Schule! Gleiche Ressourcen für GTS- und GBS-Schulen Die Ganztagsschulen nach Rahmenkonzept werden in der Ressourcenzuweisung gegenüber den GBS-Schulen benachteiligt: Besprechungszeiten Auch Ganztagsschulen nach Rahmenkonzept benötigen Besprechungszeiten für die Zusammenarbeit der multiprofessionellen Teams an den Ganztagsschulen. GBS-Schulen und ihre Kooperationspartner sollen nach der Drucksache für die Kooperation zur Verfügung gestellt werden. Der Ganztagsschulverband fordert die gleichen Ressourcen für GTS-Schulen! Implementierungszeiten Die Umstellung von Halbtagschulen in GTS-Schulen ist für die Schulleitung und das Kollegiummindestens ebenso aufwändig wie die der Halbtagsschulen, die GBS- Schulen werden. Der Ganztagsschulverband fordert: Den Ganztagsschulen müssen für diese 5

6 Mehrarbeit die gleichen Ressourcen für die Implementierung zur Verfügung gestellt werden wie den GBS-Schulen! Leitungsstunden Bei GBS-Schulen bekommt der Kooperationspartner Stunden für die Leitung des Nachmittagsbetriebes ab einer bestimmten Schülerzahl zugewiesen. Bei Ganztagsschulen wird die Leitung durch Schulleiter und Ganztagsschulkoordinatoren übernommen. Für diese Aufgaben erhalten die Schulen keine zusätzliche Funktionszeiten, sondern müssen auch die Funktionszeiten für die Koordinierung der gänzlich neuen Aufgaben, (Zusatz- und Ferienbetreuung) aus dem ohnehin nur schmalen Gesamtbudget der Schulen für Funktionen bestreiten. Der Ganztagsschulverband fordert die Zuweisung von mindestens 15 WAZ pro Woche für die Leitung jeder Ganztagsschule! Ausstattung Auch für Ganztagsschulen, die schon vor einem oder mehreren Jahren gestartet sind, muss es zusätzliche Ressourcen geben, da durch die Zusatzbetreuung, sowohl in der Früh- als auch Spät- und Ferienbetreuung zusätzliche Anforderungen gestellt werden, z.b. für die Ausstattung von Ruheräumen und anderen Rückzugs- und Entspannungsmöglichkeiten. Dies ist bislang von der BSB abgelehnt worden. Finanzielle Mittel für die Ferienbetreuung Der Ganztagsschulverband fordert, den Schulen Mittel zur Verfügung zu stellen, um den Schülern in den Ferien vielfältige Bildungsangebote, z.b. für Ausflüge zu ermöglichen. 4. Das neue Gebührensystem Das Antragsverfahren muss vereinfacht und die Schulbüros entlastet werden! Der Mehraufwand für die Bearbeitung der Anmeldungen für die Rand- und Ferienzeiten wurde von der BSB sehr unterschätzt. Die Schulsekretärinnen werden durch den Ausbau der ganztägigen Angebote in besondere Weise belastet. In der Drucksache wird ausdrücklich erwähnt, welche zentrale Bedeutung die Schulbüros als Anlaufstelle für die Eltern bei Fragen des Ganztags haben. Nicht etwa die Bezirksämter prüfen die Belege wie in anderen Bundesländern, sondern die Schulsekretärinnen! Es entstehen zusätzliche Belastungen: a) durch die Abrechnung des Mittagessens und die Prüfung der Belege zur Förderberechtigung zweimal im Jahr b) durch die Abwicklung des neuen Gebührenverfahrens. Die Formulare sind zu kompliziert. Allein mit der Ermittlung des Nettoeinkommens sind viele Familien überfordert, weil auf der Jahresabrechnung ihres Arbeitgebers im 6

7 Allgemeinen nur der Bruttobetrag steht. Es scheint auch aus Datenschutzgründen fragwürdig zu sein, dass die Schulbüros in größeren Mengen Einkommensbescheide von Eltern prüfen. Die zusätzlichen Stunden, die den Schulbüros dafür zugewiesen werden sollen, sind bei Weitem nicht ausreichend. Der Ganztagsschulverband fordert die BSB auf, hier zeitnah andere Lösungen zu finden! Gebühren sind zu hoch Der Ganztagsschulverband gibt außerdem zu bedenken, dass die Gesamtkosten für die Zusatzbetreuung sehr hoch sind. Insbesondere die Kosten für die Früh- und Anschlussbetreuung, in der für jede Stunde 30 pro Monat gezahlt werden soll, sind sehr hoch. Bei einer Anschlussbetreuung bis Uhr würde es 60 pro Monat für Vollzahler bedeuten. Es ist zu befürchten, dass Familien ihre Kinder in diesen Zeiten dann doch lieber sich selbst überlassen. Festlegung für 1 Jahr im Voraus erfordert viele Nachsteuerungen Die BSB sieht vor, dass die Eltern schon im Frühjahr ihre Kinder für die Zusatzbetreuung für das gesamte nächste Schuljahr anmelden. Da sich Dienstzeiten der Eltern auch im laufenden Schuljahr ändern können, wird es im laufenden Schuljahr immer wieder zu Änderungen kommen, was auch die Schulbüros wieder belasten wird. Die BSB muss zudem für diese Fälle ein Verfahren vorgeben, in welchem festgelegt wird, wie mit den monatlichen Ratenzahlungen in diesen Fällen umgegangen wird. Der Ganztagsschulverband fordert eine zeitnahe Evaluation der neuen Gebühren in denjenigen Schulen, die sie schon im nächsten Schuljahr erheben müssen. Der Ganztagsschulverband ersucht die Hamburgische Bürgerschaft die vorliegende Drucksache hinsichtlich der genannten Forderungen zu ändern bzw. zu ergänzen. Ziel sollte dabei sein, dass in Hamburg flächendeckend Ganztagsschulen mit einer hohen Bildungsqualität entstehen können! Karin Jessen, Vorsitzende des Landesverbandes Hamburg, Ganztagsschulverband GGT e. V. 7