Montagspredigt Dezember, Gottesdienst an Weihnachten, Monika Götte

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1 Montagspredigt Dezember, Gottesdienst an Weihnachten, Monika Götte Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Joh 1,14 Seite 1 Lesung aus Lk ,1 Es geschah aber in jenen Tagen, dass ein Erlass ausging vom Kaiser Augustus, alle Welt solle sich in Steuerlisten eintragen lassen. 2 Dies war die erste Erhebung; sie fand statt, als Quirinius Statthalter in Syrien war. 3 Und alle machten sich auf den Weg, um sich eintragen zu lassen, jeder in seine Heimatstadt. 4 Auch Josef ging von Galiläa aus der Stadt Nazaret hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heisst, weil er aus dem Haus und Geschlecht Davids war, 5 um sich eintragen zu lassen mit Maria, seiner Verlobten, die war schwanger. 6 Und es geschah, während sie dort waren, dass die Zeit kam, da sie gebären sollte. 7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe, denn in der Herberge war kein Platz für sie. 8 Und es waren Hirten in jener Gegend auf freiem Feld und hielten in der Nacht Wache bei ihrer Herde. 9 Und ein Engel des Herrn trat zu ihnen, und der Glanz des Herrn umleuchtete sie, und sie fürchteten sich sehr. 10 Da sagte der Engel zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Denn seht, ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird: 11 Euch wurde heute der Retter geboren, der Gesalbte, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und dies sei euch das Zeichen: Ihr werdet ein neugeborenes Kind finden, das in Windeln gewickelt ist und in einer Futterkrippe liegt. 13 Und auf einmal war bei dem Engel die ganze himmlische Heerschar, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens. 15 Und es geschah, als die Engel von ihnen weggegangen waren, in den Himmel zurück, dass die Hirten zueinander sagten: Lasst uns nach Betlehem gehen und die Geschichte sehen, die der Herr uns kundgetan hat!

2 16 Und sie gingen eilends und fanden Maria und Josef und das neugeborene Kind, das in der Futterkrippe lag. 17 Und als sie es sahen, taten sie das Wort kund, das ihnen über dieses Kind gesagt worden war. 18 Und alle, die es hörten, staunten über das, was ihnen von den Hirten gesagt wurde. 19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. 20 Und die Hirten kehrten zurück und priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war. Seite 2 Predigt zu Joh 1, I Die Freudenbotschaft Liebe Geschwister in Christus Der Engel verkündet den Hirten auf dem Feld die frohe Botschaft: 10 Da sagte der Engel zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Denn seht, ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird: 11 Euch wurde heute der Retter geboren, der Gesalbte, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und dies sei euch das Zeichen: Ihr werdet ein neugeborenes Kind finden, das in Windeln gewickelt ist und in einer Futterkrippe liegt. Der Retter ist geboren freut euch alle! Aber inwiefern rettet dieser Retter? Ein neugeborenes Kind, in Windeln gewickelt, in einer Futterkrippe Was ist dann die grosse Freude? Ich habe diesen Gottesdienst ja unter das Thema gestellt: Herrliche Menschlichkeit! Warum die Botschaft der Menschlichkeit Gottes das umstürzendste und beglückendste Ereignis aller Zeiten ist. Inwiefern also ist die Weihnachtsbotschaft umstürzend und beglückend? Dazu brauchen wir den heutigen Predigttext. II Lesung aus Joh 1, (Ine) 1 Im Anfang war das Wort, und der Logos war bei Gott, und von Gottes Wesen war der Logos. 2 Dieser war im Anfang bei Gott. 3 Alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ist auch nicht eines geworden, das geworden ist. 4 In ihm war Leben,

3 und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. 9 Er war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der zur Welt kommt. 10 Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, und die Welt hat ihn nicht erkannt. 11 Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht auf. 12 Die ihn aber aufnahmen, denen gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus Blut, nicht aus dem Wollen des Fleisches und nicht aus dem Wollen des Mannes, sondern aus Gott gezeugt sind. 14 Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, wie sie ein Einziggeborener vom Vater hat, voller Gnade und Wahrheit. III Der Herrliche wird Mensch Dieser vielleicht zunächst befremdende, zugleich aber wunderschön poetische Text ist die Weihnachtsgeschichte nach dem Evangelisten Johannes. Er erzählt uns nicht von einem Stern oder Engeln oder einem Kind, das in einer Krippe geboren wird, sondern von dem Wort, das Mensch wird. Der Text ist ganz schön kompliziert und meine Freunde an den theologischen Fakultäten könnten allein über diese Verse hunderte von Seiten schreiben; heute wollen wir ihn aber ganz einfach lesen. Wir hören vom seit jeher bei Gott seiendem Wort. Am Anfang war das Wort dabei erinnert sich vielleicht der oder die eine oder andere an den Anfang der Bibel: Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde und auch dort finden wir die Vorstellung, dass Gott schafft durch sein Wort, durch sein Sprechen. Und Gott sprach: es werde Licht und es wurde Licht Gott spricht und es wird. Wir hören weiter, dass dieses Wort Gottes von Anfang an bei Gott war und es auch Gott ist. Und wir hören, dass alles, was ist, durch dieses Wort Gottes geschaffen ist. Alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ist auch nicht eines geworden, das geworden ist. Seite 3

4 Und wir hören, dass eben dieses Wort, das von Ewigkeit zu Ewigkeit war und ist und sein wird und durch das alles was ist, überhaupt erst ist, dass dieses Wort Mensch wird, von Gott in die Welt gesprochen: Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit. Das ist also das Umstürzende, unerhörte und bisher ungehörte. Dass der Ewige, Höchste, Mensch wird und als Licht in der Finsternis scheint. Aber nicht zum Schein, wie griechische Götter, nicht nur für kurze Zeit, für irgendein romantisches Abenteuer oder für einen Krieg oder derartiges, sondern ganz und gar und für ein ganzes menschliches Leben. Seite 4 Damit man dieses Umstürzende verstehen kann, braucht es ein Blick in die Logik von Religionen. Jegliches Denken in den verschiedenen Religionen geht von einer vollkommenen Unterscheidung zwischen Gott/Göttern und Menschen aus. Im Islam beispielsweise gilt es als Gotteslästerung, dass Christen behaupten, Gott habe einen Sohn. Auch das Christentum sieht einen fundamentalen Unterschied zwischen Gott und den Menschen. Und doch kennt unser Glaube diese unglaubliche Weihnachtsbotschaft. Dass Gott selbst Mensch wird und zwar ganz und gar, in dem einen Menschen Jesus Christus, Gottes Sohn, indem sich Gott und Mensch auf einmalige Art und Weise berühren und wodurch Gott uns Menschen fassbar nahekommt. Achten wir auf die Bewegung, die in dieser Menschwerdung drin ist: Sie geht «von oben nach unten». Vom Himmel auf die Erde. Von Gott zu uns Menschen. Und in dieser Bewegung steckt etwas ganz Essenzielles unseres christlichen Glaubens drin: Gott kommt uns entgegen nicht wir ihm. Und das ist etwas, was dem religiösen Denken des Menschen entgegensteht deshalb ist die Weihnachtsbotschaft nämlich so umstürzend. Denn egal, welcher Religion Menschen angehören, lebt in ihnen die Vorstellung, dass es bestimmte Handlungen und Taten gibt, die es einen möglich macht, Gott näherzukommen und sich vor diesem gewissermassen zu rechtfertigen. Jede Religion kennt religiöse Gebote, beispielsweise Opfergaben (im Hinduismus) oder eine vorgeschriebene Gebetspraxis (beispielsweise im Islam). Manch einer versteht religiöse Gebote und Handlungsanweisungen so, als dienten sie einem Gott gefälligen Leben, als könne man Gott damit näherkommen. Auch Menschen, die nicht an einen Gott glauben, können in diesem Sinne übrigens «religiös» sein. Alles «religiöse» Streben, sei es ein bürgerliches anständiges Leben, die Einhaltung bestimmter Regeln und Bräuche oder ein humanistisches Streben nach dem Gutsein bringt uns, so das Evangelium, aber nicht näher zu Gott. Weil es nicht

5 unsere eigenen Werke sind, die uns Gott näherbringen sondern Gott kommt uns entgegen, indem er sein Wort in unsere Welt und in unser Leben hineinspricht. Und dieses Wort heißt Jesus Christus, der der Sohn Gottes ist. In ihm kommt Gott uns entgegen. Wer sich selbst Gott näherbringen will, der wird den Aufstieg auf der Leiter in den Himmel nie schaffen; denn wer leistet, kann immer noch mehr leisten. Wer höher klettert, der kann immer noch höher klettern. Man kann immer noch mehr Beten, noch mehr Spenden, noch mehr für andere da sein, noch anständiger sein. Aber wenn man ehrlich bleibt, gibt es immer etwas in unserem Leben, was eben noch nicht vollkommen ist und das wird auch immer so bleiben. Ausser bei denen, die sich einfach selbst belügen, indem sie meinen, schon angekommen zu sein und auf andere herabschauen, die scheinbar weniger perfekt als sie selbst sind. Aber eigentlich kann man auf diesem Selbstrechtfertigungstrip nur verlieren weil wir Menschen bleiben und nicht aus eigener Kraft zu Gott gelangen. Ausserdem frage ich mich manchmal, ob es dabei überhaupt noch um Gott geht, oder ganz einfach um das eigene Ego. Weihnachten heiß demgegenüber: Gott kommt uns entgegen nicht wir ihm. Das ist eine Grundannahme unseres Glaubens, Gott wird Mensch nicht der Mensch Gott: Uns wird der Retter geboren. Seite 5 Fürchtet euch nicht! Denn seht, ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird: Euch wurde heute der Retter geboren. IV Herrliche Menschlichkeit Diese umgekehrte Bewegung ist rettend und daher beglückend, frei machend: Weil es uns davon befreit, selbst zu Gott gelangen zu wollen oder zu müssen durch das, was wir tun. Die Bewegung Gottes zu uns Menschen und seine Menschlichkeit ist eine herrliche Nachricht für uns! Und dies sei euch das Zeichen: Ihr werdet ein neugeborenes Kind finden, das in Windeln gewickelt ist und in einer Futterkrippe liegt. Das Wort wurde Fleisch Das Leben Jesu fängt an, wie jedes menschliche Leben: mit der Geburt, einem enorm schmerzhaften, mitunter gefährlichen, blutigen Vorgang. Und dann? Und dies sei euch das Zeichen die Windel! Maria wickelt das Neugeborene in eine Windel, wie jede und jeder von uns damals nach der Geburt in eine Windel gewickelt wurde. Wie wir alle, hat der kleine Jesus in diese Windel auch hineingemacht. Hätte Lukas uns von einem Wunderknaben berichten wollen, dann hätte er betont, dass der kleine keine Windel gebraucht hätte (Kim Il-sung, der

6 vergöttlichte ewige Präsident Nordkoreas, soll übrigens nie Windeln gebraucht haben). Wie dem auch sei Jesus war ein normaler Neugeborener, kein Wunderknabe; er lag in Windeln. Und weiter ist zu einem Neugeborenen zu sagen: Es ist ganz und gar abhängig von den Eltern wird es nicht gestillt, verdurstet es, wird es nicht angezogen, erfriert es, werden seine Windeln nicht gewechselt, wird es krank. Der Mensch ist in dieser Beziehung ein ziemlicher Spätzünder, Tiere sind da oftmals viel schneller. Ein Fohlen springt schon kurz nach der Geburt rum, ein Baby muss man lange herumtragen. Viele Tiere schaffen es bald selbst zu den Zitzen der Mutter, ein menschliches Baby schafft es gar nirgendwo hin. Es kann sich nicht mal selbst drehen oder seinen Kopf selbst halten. Es ist abhängig, verletzlich und darin wunderschön. Denn kaum etwas rührt uns so an wie ein Neugeborenes. Schwer vorstellbar, dass man selbst mal so eines war. Und dass Jesus auch so eines war. In allem uns gleich und doch das ewige Wort Gottes. Herrliche Menschlichkeit! So meine Ausgangsthese. Gerade diese Menschlichkeit des Gottessohnes ist herrlich! Es ist grossartig, dass das allzu Menschliche Gott nicht fremd ist. Es gibt zwar eine Gottlosigkeit des Menschen, es gibt aber keine Menschenlosigkeit Gottes. Karl Barth Es gibt keine Menschenlosigkeit Gottes: Der Herr versteht die tiefsten Tiefen des Menschseins: Abhängigkeit, Verletzlichkeit, Schutzlosigkeit. Alles, was wir seit dem Tag unserer Geburt erleben und erfahren und dieses Neugeborene, das wir alle einst waren in seiner ganzen Verletzlichkeit und Abhängigkeit, dem Bedürfnis nach Liebe, Zuwendung und Geborgenheit, das schlummert immer noch in uns. Wir sind zwar gross geworden, Erwachsen doch die Bedürfnisse des Kindes in uns sind damit nicht verschwunden, weil es die Bedürfnisse des Menschen grundsätzlich sind. Es gibt keine Menschenlosigkeit Gottes. Er kennt die Schatten des Menschseins und das Unschöne, das Verworrene und die Abgründe in uns drin. Und nicht nur kennt er sie, sondern er war selbst drin, in diesem Menschlichen. Darum betont auch das Glaubensbekenntnis: wahrer Gott und wahrer Mensch und darum wurde in Streitigkeiten in den ersten Jahrhunderten immer wieder betont: Jesus war ganz und gar Mensch, nicht ein Gott im Menschenkostüm, nicht nur eine Erscheinung. Er war wahrer Gott und wahrer Mensch, von seiner Geburt, in seinem ganzen menschlichen Leben über seinen Tod hinaus und in seiner Auferstehung; wahrer Gott und wahrer Mensch. Unerhört aber herrlich und beglückend! Für uns heißt das: der Sohn Gottes kommt in seiner Menschlichkeit in unsere Menschlichkeit hinein. Er kommt uns entgegen und wird unser Bruder in unserer Seite 6

7 Verletzlichkeit, in unserem Bedürfnis nach Liebe und Geborgenheit und er kommt in alles, was unser Menschsein ausmacht; und darin begegnet er uns, in unseren unaufgeräumten, verwundeten, verbitterten, verletzten, trauernden Seelen. Er begegnet uns nicht in erster Linie da, wo wir selbst die Grössten sind, nicht da, wo wir selbst die Leiter zum Himmel emporsteigen. Denn da, wo wir uns selbst genug sind, da brauchen wir ihn gar nicht. Seite 7 Es wäre aber ein Fehler zu sagen: Gott wird Mensch, nur um uns zu sagen, dass wir alle ganz toll und grossartig sind. Der erwachsene Jesus zumindest ist nicht zu den Leuten gegangen und hat allen gesagt: Super bist du, Klasse, weiter so! Im Gegenteil, er hat eigentlich eher alle genervt, vor allem die, die meinten, ganz klasse zu sein. Denjenigen, die wussten, dass sie Gott nichts bieten können, denen hat er zugesprochen, dass der Vater sie liebt. Und zugleich hat er sie dazu aufgerufen, ein neues Leben zu beginnen wie er alle aufgerufen hat, ein neues Leben zu beginnen. Ein Leben in der Hinwendung zu Gott dem Vater, der uns in eben diesem Jesus entgegenkommt. 12 Die ihn aber aufnahmen, denen gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben. Weihnachten heisst für uns, und hier spreche ich einfach jeden von uns mit du an, weil es dann persönlicher ist: Das ewige Wort Gottes wird Mensch wird in unsere Welt und in dein Leben hineingesprochen. Gott kommt dir in seinem Sohn entgegen und er begegnet dir in deiner Menschlichkeit, in deiner Zerbrechlichkeit und deiner ganzen Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit und Heilung und er wird darin dein Bruder. Er hat all das angenommen, als er als kleines, verletzliches, abhängiges menschliches Baby zur Welt kam. Und Jesus, dein Bruder, weist dich auf ein neues Leben hin, ein neues Leben in Beziehung mit seinem Vater, der auch dein Vater ist, der alles von dir kennt und zugleich gnädig von dir denkt. Der dich schön nennt und der zugleich deine Tiefen nennt und erhellt und dessen suchendes Auge dich findet und in dessen Hand du immer fallen kannst. Fürchtet euch nicht!

8 Neben allen anderen News, die um die Welt gehen bin ich der Überzeugung, dass diese Nachricht die umstürzendste und beglückendste von allen ist. Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinnen in Jesus Christus. Amen. Seite 8