Münchner Wiesn guide. Der perfekte Oktoberfest-Begleiter. Servus!

Transkript

1 guide Münchner Wiesn 2015 Servus! Der perfekte Oktoberfest-Begleiter Gemütlich feiern: Alle großen und kleinen Festzelte Nostalgie & Tradition: Die historische»oide Wiesn«München zur Wiesnzeit: Die Highlights der Stadt Dirndl & Lederhose: Die besten Shoppingadressen

2 guide Münchner Wiesn 2015 Der perfekte Oktoberfest-Begleiter Lizenziert von der Landeshauptstadt München Sonja Still ist Münchnerin und im Schlachthofviertel mit der Wiesn großgeworden. Sie war mehrere Jahre Wiesn - Reporterin, berichtet heute fürs Fernsehen von fernen Reisezielen und für Printmedien von Brauchtum und Heimat.

3 Inhalt Auf geht s zur Wiesn! 4 Willkommen auf der Wiesn...4 Geschichte des Oktoberfests Zehn Gründe, die Wiesn zu lieben Praktische Wiesn-Tipps 10 Wissenswertes von der Anfahrt bis zum Zelt-Knigge Im Fokus Interkultureller Austausch... 22

4 Auf geht s zur Wiesn! Mit Ein- und Umzügen feiert sich das größte Volksfest der Welt selbst und reißt Jahr um Jahr Millionen von Menschen mit. Auf der Wiesn 24 Die großen Festzelte Armbrustschützen-Festzelt Augustinerbräu-Festhalle Fischer- Vroni Hackerbräu-Zelt Hofbräu-Zelt Käfers Wiesnschänke Kufflers Weinzelt Löwenbräu-Festzelt Marstall Ochsenbraterei Pschorr-Festhalle Bräurosl Schottenhamel-Festhalle Schützen- Festzelt Winzerer Fähndl Im Fokus Wiesn-Bedienung Die kleinen Festzelte Kulinarisches Lexikon: Bayerische Schmankerl auf der Wiesn Im Fokus Hochzeiten auf der Wiesn Fahrgeschäfte und Schausteller Im Fokus Eine Schaustellergeschichte Oide Wiesn Wiesn mit Kindern Um die Wiesn herum 78 After Wiesn München kulinarisch: Frühstück, Biergärten, bayerische Küche Dirndl-Shopping & Co Im Fokus Bayerische Tracht Sehenswertes in und um München Highlights der Stadt Von der Allianz-Arena über das Kunstareal bis zum Viktualienmarkt Ausflüge in Bayern Vom Kloster Andechs bis zur Zugspitze Orts- und Sachregister Impressum Karten und Pläne Übersichtsplan Theresienwiese Klappe vorne Verkehrslinienplan...Klappe hinten Kartenatlas Kartenregister Die Koordinaten im Text verweisen auf die herausnehmbare Karte und auf den Kartenatlas, z. B. D 4. Extra-Karte zum Herausnehmen Klappe hinten

5 Willkommen auf der Wiesn Das Oktoberfest ist viel mehr als ein normales Volksfest, es ist ein gewachsenes, kulturelles Event mit langer Geschichte. Warum ein Reiseführer zur Wiesn, mag man sich fragen. Was da zu erleben ist, kann man auch ohne Reiseliteratur erfahren, könnte man meinen. Auf dem Oktoberfest gibt s viel Bier, es gibt es eine Menge Feiervolk, und alles und alle scheinen zügellos. Nun, das Klischee stimmt nur auf den ersten Blick. Freilich, die Wiesn ist das größte Volksfest der Welt. In einer weltweiten Umfrage gaben 90 Prozent der Befragten an, das Wort»Oktoberfest«zu kennen. Oft wird es nachgeahmt, 3000 Oktoberfeste meldet das Internet in Sekunden. Oktober- fest heißt übersetzt oft nur»beer Fest«. Aber das Münchner Oktoberfest ist eben nicht nur Bierwahn und Saufgelage. Das hätten die gerne, die dagegen schimpfen. Das scheint so, weil die Boulevardmedien in den letzten Jahren nur beachteten, was geil, steil und immer noch wilder war. Wer will schon sehen, dass die Wiesn einfach nur nett und lustig sein kann, dass die Menschen angeheitert singen, weil sie nicht so brav sein müssen wie sonst? Ein Fest für alle Keiner wird behaupten, dass die Wiesn eine klösterliche Veranstaltung ist, aber sie ist auch

6 Willkommen auf der Wiesn 5 Weiches Licht, Menschen in Tracht, funkelnde Blasinstrumente und eine frische Brezn: So kann s losgehen. kein 16 Tage dauernder Exzess. Überhaupt, die finden eher statt, wenn die Festzelte schließen und die Menschen zurück in den Alltag müssen.»ein gewachsenes Gemeinschaftsgefühl fehlt unserer Gesellschaft«, sagt die Psychologin Brigitte Veiz, die das Fest wissenschaftlich untersucht hat.»die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ist ein wichtiger Aspekt der menschlichen Identität. Auf dem Oktoberfest und in Tracht kann jeder glauben dazuzugehören und dem Alltag entfliehen.«kulturgeschichtliches Die Wiesn ist ein gewachsenes, kulturelles Event. Es gibt hier viel Geschichte und Geschichten zu entdecken, auch die Entwicklungsgeschichte von Spaß und Spiel. Als die Menschen Not hatten, entstand der erste Glückshafen, die Lose dienten dem guten Zweck. Als die Technik in die Gesellschaft einzog, entstanden die ersten Fahrgeschäfte; das Kettenkarussell etwa war eine Art Nebeneffekt des Flugzeugbaus. Mit der Elektrizität begann die Wiesn zu leuchten, Albert Einstein verdingte sich als Student hier als Elektriker. Als das Reisen noch nicht für alle möglich war, holten die Schausteller Kurioses aus fremden Kulturen hierher. Heute kommen Menschen aus der ganzen Welt nach München, um gemeinsam friedlich zu feiern. Bei sechs Millionen Besuchern schier kurios! Beim ersten Oktoberfest vor über 200 Jahren wollte das Volk ei- nes frisch gegründeten Staates die Hochzeit seines Königssohns feiern. Der junge Regent wiederum wollte seinen Untertanen eine nationale Identität vermitteln. Aus diesem Keim entstand das heutige bayerische Selbstempfinden. Mit Nationalem ist 200 Jahre später freilich nicht mehr viel anzufangen, aber es gibt ein Heimatgefühl, ein Zugehörigkeitsgefühl, eine Identität in Bayern. Die zeigt sich in der Tracht, im bayerischen Dialekt und in der Musik. Es gibt das Humptata und Hollareiduljöh, daran dürfen gerne alle in den Festzelten teilhaben, gerne auch in dem, was sie Tracht nennen. Es gibt aber auch das Juchazen und a gscheide Tanzlmusi. Auch das ist gelebter bayerischer Lebensstil, der auf der Oidn Wiesn gar nicht so alt ausschaut, sondern endlich Raum findet, sich neu zu zeigen. Auf geht s! Jedes Jahr gibt es neue Attraktionen, doch auch das Vertraute kommt wieder, an dem die Menschen ihre Gaudi hatten. Apropos»Gaudi«, also»spaß«: Das Bayerische hat zum Teil eigene Ausdrücke. Viele Begriffe werden im Buch eingestreut und erklärt.»ois zam«, also in der Zusammenschau des Ereignisses, soll es einen bisserl weniger bierseligen Eindruck vom Oktoberfest vermitteln und ein bisserl mehr davon erzählen, was alles so besonders ist an der Münchner Wiesn. Die Münchner granteln über sie. Die Münchner lieben sie. Vor allem heißen sie gerne alle Besucher willkommen, oder wie man hier sagt:»schee, dassds alle da seids!«

7 2 10 Gründe, die Wiesn zu lieben Das Oktoberfest ist den Münchnern eine Herzensangelegenheit. Sie granteln zwar drüber, dass so viele Leut in der Stadt sind. Gleich zeitig freuen sie sich aber narrisch, auf der Wiesn mit all ihren Besuchern zu feiern. Es gibt tausend Gründe, die Wiesn zu lieben. Hier die zehn wichtigsten. 1. Friedlich, fröhlich und international feiern Etwa 70 Prozent der Wiesn- Besucher kommen aus München und dem Umland der Rest aus der ganzen Welt! 2. Ein Prosit auf die Gemütlichkeit trinken... und dabei deren große, große Bandbreite erleben. 3. Flirten und»anbandln«so viele hübsche Madln und fesche Buam jeder Münchner kennt mindestens ein Paar, das sich auf der Wiesn kennengelernt hat. 4. Mit Dirndl und Lederhosen fesch sein und dazugehören Mögen Puristen auch schimpfen jede Variante von Tracht macht Spaß. 5. Bei Föhn mit Alpenblick Riesenrad fahren Gerade bei Sonnenuntergang ist der Blick vom höchsten Fahrgeschäft pure Magie.

8 6 6. Karussells ausprobieren, bis einem schlecht wird Stürzen, schleudern, schütteln die»foltermethoden«werden jedes Jahr vielfältiger Auf der Oidn Wiesn in Nostalgie schwelgen So»schee«zeigen sich Marionettentheater, Museumszelt und junge Volksmusik. 8. Das Münchner Kindl beim Wirteeinzug begrüßen Wenn symbolisch der Wiesn- Rohstoff gebracht wird, steigt die Spannung Die Trachtler bestaunen... und beim Trachtenumzug viel Exotisches entdecken! 10. Ein Herzl von seinem Herzerl geschenkt bekommen... und es bis zur nächsten Wiesn aufheben.

9 Beim Trachtenumzug am ersten Wiesn- Sonntag ( S. 20) zeigen 9000 Mitwirkende ihre stoffgewordene Identität. Übrigens aus ganz Europa!

10 Praktische Wiesn-Tipps Nützliche Informationen für einen gelungenen Oktoberfestbesuch: wie man hinkommt, wie man rumkommt, wie man reinkommt!

11 12 PRAKTISCHE WIESN-TIPPS Wissenswertes von A Z ANFAHRT Es ist ratsam, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Festwiese anzureisen. Der zu erwartende Alkoholkonsum und die Parksituation sind nicht autokompatibel. Es gibt keine Parkplätze auf der Wiesn. Theresienwiese D 5 Verkehrslinienplan Klappe hinten S-BAHN Alle S-Bahnen (außer S 27) halten an der Hackerbrücke. Von dort sind es 7 Min. Fußweg zur Wiesn (ausgeschildert). Die S 27 hält am Hbf. München. Von dort kann man in etwa 15 Min. zur Wiesn laufen. U-BAHN U4/U5 bis Theresienwiese oder Schwanthalerhöhe. Man kann beide Aufgänge der Haltestelle Theresienwiese benutzen. Der Süd-Aufgang führt direkt zum Haupteingang der Wiesn. Am Nordaufgang ist etwas weniger Gedränge. U3/U6 bis Goetheplatz oder Poccistraße: Von dieser Station ist es der kürzeste Fußweg zur Oidn Wiesn. TRAMBAHN Linien 16/17 bis zur Haltestelle Hackerbrücke, Linien 18/19 bis zur Haltestelle Hermann-Lingg-Straße. BUS Linie 53 bis zur Haltestelle Schwanthalerhöhe, Linie 58 bis Georg-Hirth-Platz, Beethovenplatz oder Goetheplatz. Im Gegensatz zu vielen anderen Großstädten fahren Münchner U- und S-Bahnen nicht die ganze Nacht. Zur Wiesn gehen die letzten Bahnen um ca. 2 Uhr. An den Wochenenden und vor Feiertagen gibt es Nachtlinien. Abfahrtszeiten, Infos, Fahrplanauskunft und Handyticket-App: ANSTICH Er findet am ersten Samstag um 12 Uhr im Schottenhamel ( S. 38 und 40) statt. Viele Besucher sitzen bereits ab 9 Uhr morgens im Bierzelt, um dabeizusein. Bier gibt es trotzdem erst nach dem Anstich. Zwölf Böllerschüsse geben das Signal, dass die Wiesn eröffnet ist. ANZIEHEN Natürlich kann jeder selbst entscheiden, was er oder sie auf die Wiesn anzieht ( Dirndl-Shopping S. 94, bayerische Tracht S. 100). Zu leichtes Schuhwerk sollte aber nicht gewählt werden: Mit Flipflops durch Scherben, Pferdemist und Bierlachen zu laufen, geht nicht immer gut. APPS iplattl Nicht nur zur Wiesnzeit gut, sondern das ganze Jahr über. Mit dieser App lässt sich der bayerische Traditionstanz Schuhplattln erlernen. Da staunen die Madln garantiert. Für iphone 99 Cent MyWiesn Die Oktoberfest Community Die App von Radio Gong 96,3 verrät, welche Zelte voll sind und wo Freunde sich aufhalten, und unterstützt bei Flirtversuchen. Ein Maßcounter zählt mit, wie viel man getrunken hat. Für iphone und Android kostenlos

12 Anfahrt Bierpreis 13 BAZI, BAUERNFÄNGER UND HADERLUMPEN Diese drei bayerischen Wörter bezeichnen Menschen mit frechen, unlauteren oder gar kriminellen Absichten. Die Polizei warnt immer wieder vor Taschendieben. Also: aufs Geld aufpassen und alles andere, das wertvoll sein könnte, daheim lassen. Außerdem: Der Eintritt zur Wiesn und ins Festzelt ist kostenlos. Alles andere ist Betrug. Es gibt manchmal Schleuser vor den Festzelten, die versprechen, einen gegen Provision ins Zelt zu bringen. Erfahrungsgemäß sind sie nach Geldübergabe schnell in der Menge verschwunden, und man steht noch immer vor der Tür. Bierund Hendlmarken sollte man nur vom Festwirt kaufen, andere könnten gefälscht sein, und das bringt Ärger. Im Internet gibt es immer wieder Angebote, in denen Reservierungen weiterverkauft werden. Zum einen stornieren die Festwirte diese, wenn sie das bemerken. Zum anderen bieten diese Internetverkäufer nur Reservierungen, ohne Bier- und Hendlmarken. Wer an seinem reservierten Tisch keine Marken vorweisen kann, fliegt erst auf und dann raus. BIER Auf der Wiesn gibt es kein Budweiser, Beck s & Co. Zugelassen sind nur Brauereien, die in München daheim sind. Ein Fakt, der jedes Jahr wieder in der Boulevardpresse zu Diskussionen führt: Die Marken Spaten, Löwenbräu und Franziskaner gehören heute der belgischen Brauereigruppe Anheuser-Busch InBev. Andere bayerische Biere wie Tegernseer, Ayinger oder Kaltenberger, um nur die prominentesten Beispiele zu nennen, dürfen aber nicht ausgeschenkt werden, weil sie eben nicht aus München kommen. Sei s drum, es soll ja um die Gemütlichkeit gehen. Gebraut wird das untergärige Helle extra für diesen Anlass und selbstverständlich nach dem jahrhundertealten bayerischen Reinheitsgebot. Obacht: Es hat einen etwas höheren Alkoholgehalt als normales Helles, nämlich 6 7 %. BIER- UND HENDLMARKEN Gutscheine werden am Tisch im Zelt eingelöst. Man erhält sie bei der Reservierung. Freilich darf man mehr konsumieren, das muss jedoch sofort bar bei der Bedienung bezahlt werden. Verlorene und vergessene Gutscheine werden nicht erstattet. Die Marken sind nur während des Oktoberfests gültig. Ausnahme: In den Gasthäusern und Biergärten der Festwirte kann auch nach der Wiesn damit bezahlt werden. Genaue Angaben gibt es im jeweiligen Festzeltbüro. BIERPREIS Der Preis für eine Maß Bier liegt 2015 zwischen 10 und 10,40. Kleine Festzelte sind manchmal etwas günstiger als die großen. Seit es den Euro gibt, hat sich der Preis etwa um 40 Cent pro Jahr gesteigert. Die Bierpreise werden jährlich im Juni veröffentlicht. Anders als manchmal angenommen, werden die Getränkepreise nicht von der Stadt München festgelegt. Die Stadt überprüft die Preise aber auf ihre Angemessenheit. Zu diesem Zweck wird ein Vergleich mit den Bierpreisen der gastronomischen Großbetriebe in München vorgenommen.

13 Das Oktoberfest erhellt den Himmel über der ganzen Stadt. Zur blauen Stunde schaffen das Riesenrad und seine kleinen Geschwister eine besonders schöne Atmosphäre.

14 Auf der Wiesn Das Oktoberfest zieht jährlich Millionen Besucher an nahm es als fünftägiges Hochzeitsfest seinen Anfang, heute ist es das größte Volksfest der Welt.

15 32 DIE GROSSEN FESTZELTE Da sind sie, die echten Promis: Philipp und Claudia Lahm vor dem Käfer-Zelt. Käfers Wiesnschänke Festwirt: Michael Käfer Bier: Paulaner Seit: 1971 Sitzplätze innen/außen: 1164/1900 Tel. 0 89/ der) sichtbar wird. Sieben Tage später ist»italiener-wochenende«, da geht s auch recht lustig, aber längst nicht so wahnsinnig zu. Im Ausgleich dazu sorgt der Wirt des Hofbräu-Zelts, Günter Steinberg, an den Dienstagen der Wiesn für Familienfreundlichkeit. 600 Plätze werden für Eltern und Kinder freigehalten. Von 11 bis 15 Uhr gibt es die Wiesn-Schmankerl zu günstigeren Preisen, eine Limo (0,5 l) kostet zum Beispiel 2,50 statt 3,95. Auch auf dem rückwärtigen Balkon hält der Wirt eine familienfreundliche Zone bereit. Es lohnt sich also immer, im Hofbräu-Zelt einen Platz zu suchen. KÄFERS WIESNSCHÄNKE Die Schänke ist eigentlich kein Bierzelt das verrät schon der Name. Sie ist ein massives Holzhaus, mit einem Ambiente irgendwo zwischen Skihütte und Country Style. Hier geht es etwas exklusiver zu. Im Biergarten kann man Plätze reservieren, was anderswo nicht geht. Käfer ist neben Dallmayr das Feinkostparadies Münchens, und das findet sich auch auf der Speisekarte wieder. Vor allem aber ist»das Käfer-Zelt«, wie man es gemeinhin nennt, länger geöffnet: wochentags bis 0.30 Uhr, am Wochenende bis 1 Uhr. Wenn die anderen Zelte schließen, ist hier mehr Andrang als in mancher Disco in der Innenstadt. Die Schänke gilt

16 Hofbräu-Zelt Kufflers Weinzelt 33 Ein Riesen-Wiesn-Wahnsinn ist das international bekannte Hofbräu-Zelt. Hier feiert die Jugend der Welt ( S. 31). als Hotspot für die High-Society. Die»Echt-Promi-Dichte«ist hier deutlich höher als anderswo, was es zu einem besonders begehrten Zelt für die Jungen und Schönen macht, die dazugehören wollen. Allerdings geht am Eingang nix, wenn einer mit einem riesen Suri, g schlampert und abg feiert daher kommt (auf Hochdeutsch: Der Eintritt wird verwehrt, wenn man angetrunken auftritt, die Kleidung nicht mehr sauber sitzt und man müde erscheint). Schafft man es reinzukommen, lässt es sich bei Paulaner Bier oder auch mal Champagner im Krug feiern und flirten. KUFFLERS WEINZELT Wie der Name schon sagt: Es ist kein Bierzelt. Bier gibt es zwar, aber nur in Form von Weißbier. Ab 21 Uhr ist auch das vorbei. Im Weinzelt gibt es auch keine Biertische, sondern hübsche Holztische mit Eckbank. Auf der Speisekarte stehen die üblichen Wiesn-Gerichte, aber es finden sich auch Köstlichkeiten, die es sonst auf der Wiesn nicht gibt: Asia-Gerichte, Trüffeltortellini oder Mediterranes wie gebratene Jakobsmuscheln. Es wäre falsch zu sagen, dass hier nur gutaussehende Damen und adrette Madln der Stadt verkehren, die gepflegt ausgehen wollen. Aber sie scheinen schon irgendwie in der Überzahl zu sein. Da das viele Mannsbilder inzwischen gespannt haben, wird das Weinzelt mehr und mehr zum charmanten Anbandl- Treffpunkt. Das Weinzelt ist übrigens wie Käfers Wiesnschänke länger geöffnet, bis 1 Uhr gibt es hier Livemusik. Dann sind doch Bierkrüge zu sehen, aber sie sind mit Champagner gefüllt. Sofern nicht einfach eine Magnumflasche des Luxusgetränks über die Tische gereicht wird. Der Lokalradiosender Gong 96,3 sendet täglich live aus seinem gläsernen Studio im Weinzelt. Übrigens: Wein hatte von Beginn an seinen Platz auf der Wiesn. Es war ursprünglich sogar das üblichere Getränk, denn Bier war im Sommer ohne Kühlanlagen schlecht haltbar. Carl Linde entwickelte erst 1873 die erste Kältemaschine, bis dahin muss- Kufflers Weinzelt Festwirte: Roland, Doris und Stephan Kuffler Bier: nur Paulaner Weißbier und das nur bis 21 Uhr, Nymphenburg Sekt und Wein, Roederer Champagner Seit: 1984 Sitzplätze innen/außen: 1920/580 Tel. 0 89/

17 Im Fokus Wiesn-Bedienung Reich wird man nicht, doch wer einmal auf dem Oktoberfest Maßkrüge geschleppt hat, tut es immer wieder. Zwei Kellner erzählen, warum. Wer auf dem Oktoberfest als Bedienung arbeiten möchte, muss sich lange vorher drum kümmern, erklärt Wilhelm Klemm, der 2015 sein viertes Jahr in der Bräurosl ( S. 37) kellnert und im normalen Leben Redakteur in einem Verlag ist. Die Verträge werden im Juni verschickt. Am Donnerstag vor der Wiesn treffen sich alle im Zelt, lernen einander kennen, verteilen die Tische und richten sich in ihrem Revier ein. Tabletts, Putzzeug, Kleidung alles müssen Kellnerinnen und Kellner nämlich selbst mitbringen. In der Bräurosl und in vielen anderen Zelten ist man grundsätzlich sein eigener Unternehmer. Es gibt keinen Stundenlohn, sondern die Bedie- nungen kaufen dem Wirt Bier- und Essensmarken ab. Der Rest ist Hoffnung: auf gutes Trinkgeld. Dafür ist der Bierpreis wichtig denn, wenn es wie 2014 nur 9,90 Euro sind, gibt mancher Gast auch nur einen 10-Euro-Schein. Pro Maß verdient man je nach Zelt, Brauerei und der vom Wirt gewährten Marge etwa 90 Cent. Es ist laut, es ist stressig. Jede Wiesnbedienung hat ein lädiertes Handgelenk vom Maßn schleppen. Und es darf kein Malheur passieren also kein Tablett mit Essen zu Boden gehen, die Teller vom Tablett geklaut werden oder gar der Geldbeutel verschwinden.»außerdem«, sagt Wilhelm,»gibt es eine Art interne Zelt-Hierarchie. Wer das

18 Im Fokus 45 Pfarrer Rainer Maria Schießler als Kellner bei der»flexiblen Arbeiterseelsorge«. erste Mal dabei ist, fängt im Biergarten an. Da ist man auch noch vom Wetter abhängig.«das heißt: Wenn es regnet, verdient man gar nix. Japaner im Bierzelt Er hatte Glück. Die nötige Gastro- Erfahrung hatte er vorher schon, und eine Freundin hat ihn mit ins Zelt genommen. Das war noch im Studium. Nun sind sie ein eingeschworenes Team, bedienen in einer Box und nehmen für die Wiesn extra Urlaub.»Gemütlich ist es auf der Wiesn nicht«, gibt er zu.»aber es ist eine sportliche Herausforderung und es gibt so viel Schönes!«Letztes Jahr hat sich ein älteres japanisches Ehepaar in die Bräurosl verirrt.»das Bier hat bei ihnen relativ schnell angeschlagen. Sie konnten sich aber von ihren japanischen Anstandsregeln nicht trennen. Der alte Herr hat seine Schuhe ausgezogen und sie liebevoll unter die Bank geschoben. Wir versuchen die Box natürlich sauber zu halten, aber in Socken im Festzelt... Trotzdem war es ihm wichtiger, sich gut zu benehmen. Und wir haben uns alle darüber gefreut!«das Exzessive gibt es auch, sagt er, aber:»es ist auch immer eine Sache, wie über die Wiesn berichtet wird und was die Jungen dann nachmachen.«pfarrer und Kult-Kellner Pfarrer Rainer Maria Schießler von München St. Maximilian war sieben Jahre lang Bedienung im Schottenhamel-Zelt. Er war schon fast eine Kultfigur, wurde ständig fotografiert gefragt und ungefragt. Er bediente im Garten, denn ihm kam es nicht auf den Umsatz an, sondern»weil ich da hingehe, wo die Menschen sind.«und wo trifft man schon so viele Menschen wie auf der Wiesn?»Ich würde Rüstungsetats zu Oktoberfestbudgets umfunktionieren wollen, so wie die berühmten Schwerter aus der Bibel zu Pflugscharen. Sollen die Menschen doch zusammenkommen. Sie feiern, sie sind nicht nur exzessiv und aggressiv, wie uns das manche vorhalten wollen. Dummes Gerede!«Schießler hat geschuftet wie die anderen Bedienungen.»Ich sah es als flexible Arbeiterseelsorge«, erklärt er. Die kam gut an. Also beim Volk. Nicht immer in seiner Kirche, aber damit hat er eigentlich schon gerechnet. Einige Vorgesetzten witterten bei soviel Menschennähe nichts Gutes. Natürlich waren die Oberen gern Gast auf der Wiesn, aber ihren kellnernden Pfarrer haben sie nicht besucht.»dabei wäre das so ein tolles positives Signal für die Kirche überhaupt gewesen«, resümiert Schießler etwas enttäuscht. Zum Wiesn-Gottesdienst wurde er von der offiziellen Wiesnseelsorge auch nicht eingeladen. Dafür zeigten seine Zeltkollegen mehr Gespür und schenkten ihm zum Ende eine Schießscheibe mit der Widmung»Deine Schottenhamel- Ministranten«. Nach zwei Jahren Auszeit könnte es heuer ein Comeback des kellnernden Pfarrers geben.»wenn alles klappt, bin ich in diesem Jahr wieder dabei«, freut er sich. Seinen Verdienst spendet er dann wieder an die Orienthilfe von Christian»Fonsi«Springer. Der fährt mit seinem Freiwilligenteam regelmäßig in den Libanon sowie nach Jordanien und Syrien, um syrischen Flüchtlingen zu helfen. Friedensarbeit von der Münchner Wiesn aus wenn das keine frohe Botschaft ist!

19 Oide Wiesn Nostalgie ist hier das Stichwort. Die Zelte sind kleiner, die Musik ist mehr zum Anhören als zum Anheizen, und die Fahrgeschäfte haben zum Teil schon viele Jahrzehnte auf dem Buckel. Was sie nicht harmloser macht!

20 Herzkasperlzelt 71 In den 1950ern ein Hit, Ende der 1980er in Rente geschickt, heute wieder heiß geliebt: das Calypso ( S. 73). Als im Jahr 2010 das 200. Jubiläum des Oktoberfests anstand, ließ sich das Festkomitee etwas Besonderes einfallen. Man plante eine historische Wiesn, wie vor hundert Jahren. Die Münchner waren begeistert, eine halbe Million Besucher strömte herbei. Die Oide Wiesn, also die»alte Wiesn«, war geboren. Da der Erfolg so groß war, wird es die Oide Wiesn dauerhaft geben. Nur in den Jahren, in denen parallel zum Oktober- das Zentrale Landwirtschaftsfest stattfindet, das nächste im Jahr 2016, fällt die Oide Wiesn aus. Für alle drei Feste ist auf der Theresienwiese nicht genug Platz. Was hier anders ist Die Stimmung auf der Oidn Wiesn unterscheidet sich ganz deutlich von der auf dem modernen Oktoberfest. Hier wird in Nostalgie geschwelgt. Alles ist ein bisserl kleiner und weniger laut, Zelte und Fahrgeschäfte inbegriffen. Nicht-Bayern sollten sich einfach mal anschauen, was die Alte Wiesn zu bieten hat. Hier funkelt der Charme der 1950er-Jahre-Filme, trachtig und süß. Manchem vielleicht zu süß. Aber sehenswert. Verwurzelte Bayern werden sich hier ohnehin einfinden. Die Oide Wiesn ist ruhiger und trachtlerischer. Hier gibt s noch die Musik, die Bayern gerne machen, und den Dialekt, den Bayern sprechen. Und zwar so, wie sie das Bayerische und Bairische ( S. 22) auch leben, ohne nur in der Postkarten-Tracht formatiert zu sein. Halt pfundig und eher staad-lustig als grell und übermütig. Fakten Die Oide Wiesn kostet 3 Eintritt, Kinder bis 14 Jahre zahlen nichts. Es gibt Eintrittsbanderolen, mit denen man nach Verlassen auf das Areal der Oidn Wiesn zurückkehren kann. Das Kulturprogramm in den Festzelten ist kostenlos. Eingänge und Kassen befinden sich in der Straße C, der verlängerten Wirtsbudenstraße. Ausgänge befinden sich rund um das gesamte Gelände. Geöffnet ist die Oide Wiesn tgl Uhr, Einlass bis 21 Uhr, Ausschank bis Uhr. Die historischen Fahrgeschäfte und nostalgischen Belustigungen kosten je 1. ZELTE HERZKASPERLZELT Hier spielt die Musik, und zwar ganz wörtlich. Wirt Beppi Bachmaier zeichnet auch für die Traditionswirtschaft»Fraunhofer«( Kasten S. 90) verantwortlich und ist als solcher ein Garant dafür, dass junge bayerische Volks- und Musikkultur in ihrer Vielfalt präsentiert wird. Im»Fraunhofer«schafft es Bachmaier seit 40 Jahren, bayerisch zu sein, ohne das Seppl- oder Humptata-Klischee zu erfüllen.»die Cubaboarischen«,»Federspiel«, der»keller Steff und Band«oder»Koflgschroa«stehen bei ihm auf der Bühne und werden wohl auch im Herzkasperlzelt zum Programm beitragen. Das Wiesnbier stammt von Hacker- Pschorr und wird in Steingutkrügen serviert. Zu essen gibt es deftige bayerische Schmankerl und einfache Gerichte aus der Münchner Küche. Tel. 0 89/ nur Mi und Do Uhr