Sozialraumorientierung Integration durch Patenschaft
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- Frank Dittmar
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1 I 14 1 Sozialraumorientierung Integration durch Patenschaft Das Bamberger Modell Kuno Eichner (2007) Der Fachdienst INTEGRA der Bamberger Lebenshilfe-Werkstätten ist ein externer Werkstattbereich. Hier werden Menschen mit Behinderung in auf Dauer angelegten Außenarbeitsplätzen der WfbM beschäftigt, die keine oder nur geringe Chancen auf eine sozialversicherungspflichtige Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts übernehmen die Patenschaft für einen oder mehrere Menschen mit Behinderung und stellen individuell ausgerichtete Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung. Nicht diese Tatsache an sich ist das Besondere, sondern das System mit dem dies gelingt: Sozialraumorientierung. Theoretische Wurzeln Sozialraumorientierung ist ein Ansatz aus der Kinderund Jugendhilfe, der sich insbesondere auch für die Arbeit mit behinderten Menschen anbietet. Dabei werden gezielt die Ressourcen des sozialen Nahraums (Dorf oder Stadtteil, in dem jemand wohnt) einbezogen, um dadurch integrative und normalisierende Effekte herzustellen. Gerade weil Menschen mit Behinderung über geringere Kommunikations- und Mobilitätsmöglichkeiten verfügen, ist ihre Lebenswelt viel stärker auf einen sozialgeografischen Raum einer Region beschränkt ein Raum, der gezielt bearbeitet werden kann. Unser Ziel ist es, an diesem Ort Bedingungen und Strukturen zu schaffen, die Teilhabechancen stärken und Ausgrenzung vermeiden. Innerhalb der Sozialraumdebatte finden sich in der Fachliteratur unterschiedliche Systematisierungen. Charakteristisch ist immer die Verbindung unterschiedlicher sozialarbeiterischer Handlungskonzepte. Wir haben uns für einen mehrdimensionalen Arbeitsansatz * entschieden, der auf folgenden theoretischen Hintergründen beruht: Das Konzept der Lebensweltorientierung, das Betroffene als prinzipiell kompetent in ihrem Alltag sieht. Ziel ist die Installation bislang strukturell vorenthaltener Ressourcen. Das Arbeitsprinzip der Gemeinwesenarbeit, das individualisierende Problemerklärungen überwindet und eine Umweltperspektive einnimmt. Das Konzept der Organisationsentwicklung, wonach Organisationen als Ergebnisse sozialen Handelns und damit als zielbezogen veränderbar begriffen werden. Betriebswirtschaftliche Konzepte der Neuen Steuerung, die von sozialer Arbeit Effektivität und Effizienz erwarten. Das Konzept des Sozialen Kapitals, das die sozialen Wechselbeziehungen zwischen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das Empowerment, das Menschen Mut macht, ihre eigenen Kräfte zu entdecken. Das SONI-Schema Aus diesen Wurzeln lassen sich die folgenden Handlungsebenen ableiten, die unsere Arbeit strukturieren: Sozialstrukturell-sozialpolitische Ebene: Hier geht es um die sozialpolitische Thematisierung von gesellschaftlichen und beruflichen Teilhabechancen von Menschen mit Behinderung. Wir greifen das Normalisierungsprinzip auf und fordern, dass Menschen mit Behinderung selbstverständlich und gleichberechtigt am (Arbeits-)Leben in der Gemeinde teilhaben können. Organisationsebene der Werkstätten für behinderte Menschen: Wir hinterfragen die vorhandene organisatorische Ordnung unserer Werkstätten von den Bedürfnissen und dem Willen der Adressaten her: Was wollen wir als Organisation bewirken? Es geht hier um einen Paradigmenwechsel aus der institutionellen Systemlogik der eigenen (Sonder-)Einrichtung hin zur Subjektlogik, um passende individuelle gemeinwesenbezogene Teilhabelösungen zu finden. Netzwerke: Der Schwerpunkt dieser Ebene liegt im Aufspüren und Aufbau eines regionalen Unterstützerkreises mit einflussreichen Personen vor Ort. Es geht hier um Stärkung bzw. Aufbau vorhandener oder herstellbarer Beziehungen der Kooperation, des Vertrauens und der Solidarität zwischen unseren behinderten Mitarbeitern, ihren Angehörigen, Freunden, Nachbarn, örtlichen Vereinen, Betrieben usw. in ihrem sozialen Nahraum. Das Dorf oder der Stadtteil, in dem unsere Mitarbeiter(innen) leben, ist häufig ein Ort, in dem sich Benachteiligungen manifestieren. Es ist aber auch der Raum, wo sich Gestaltungsmöglichkeiten, Ressourcen und Netzwerke von Betroffenen verdichten ein Gestaltungsraum, der gezielt für die Soziale Arbeit genutzt werden kann. * In den letzten Jahren hat Prof. Dr. Gudrun Cyprian mit zwei Kollegen an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg ein Know-How-Zentrum für diese Methode aufgebaut.
2 2 K. Eichner I 14 Individuelle Ebene: Wir orientieren uns hier konsequent an den Stärken und dem Willen unserer Mitarbeiter(innen). Dabei stärken wir ihre sozialen Bezüge und Strukturen und schneidern mit ihnen zusammen eine völlig individuelle Form der Teilhabe. Es werden individuelle Arbeitsbereiche geschaffen, die eine Plattform bieten, um den Willen, die Neigungen und Talente der Betroffenen zur Entfaltung zu bringen. Dabei achten wir konsequent darauf, dass diese Form von Beschäftigung nicht in Konkurrenz zu sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten tritt. Es geht deshalb auch nicht um Konkurrenz zu bestehenden Arbeitsplätzen, sondern darum, der Menge latent vorhandener Arbeit, die außerhalb sozialversicherungspflichtiger Arbeit brachliegt, eine organisatorische Form zu geben. Wenn im Einzelfall die Qualifizierung auf einem solchen Patenschaftsarbeitsplatz so weit entwickelt werden kann, dass eine reelle Chance auf einen Wechsel in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis besteht, unterstützen wir diesen. Vom Fall zum Feld Unser sozialräumlicher Ansatz tritt am deutlichsten hervor, wenn man sich die Veränderungen anschaut, die er in die»herkömmlichen«vorgehensweisen der beruflichen Rehabilitation einführt. Eine erste Veränderung, die wir in der fachlichen Arbeit mit dem Konzept verbinden, bezieht sich auf den Menschen mit Behinderung als soziales Wesen. Es ist in WfbM sowohl im Fachausschuss als auch später im Werkstattgeschehen bisher üblich, dass man sich auf den Einzelnen, eben auf den betroffenen Menschen mit Behinderung, konzentriert. Er wird beraten, es werden unterschiedliche Fördermaßnahmen abgesprochen, um ihm zu helfen. Dabei wird er in der Regel als Einzelperson wahrgenommen, so als ob er, herausgelöst aus seinem sozialen Feld, einsam in der Welt steht. Im Idealfall wird (vielleicht) noch die Familie mit einbezogen. Auf diese Weise mag eine WfbM zwar die Chance zur Förderung bieten, doch bleibt der Weg begrenzt, da er das soziale Umfeld des Betroffenen ausblendet. Lösungen, die normalisierend wirken sollen, müssen Verbindungen zwischen den Menschen mit Behinderung und dem»regelsystem«, d. h. den Regeleinrichtungen, den Normalstrukturen herstellen das sind im Bereich Arbeit in erster Linie die Betriebe vor Ort. Der Fachdienst INTEGRA der Lebenshilfe Bamberg versucht konsequent mit den vielen sozialen Bezügen zu arbeiten, in die jeder Mensch eingebunden ist, d. h. mit der Familie und der Verwandtschaft, den Nachbarn und den Ortsbewohnern. Wenn man dort, im Stadtteil bzw. am Wohnort selbst, nach Beschäftigungsmöglichkeiten sucht, findet man etwas, dessen Verlust bereits vielmals beklagt wurde: Menschen engagieren sich für andere und übernehmen Verantwortung. Die Grundlage unserer fachlichen Arbeit ist daher der Aufbau und die Unterstützung von Netzwerken des Betroffenen. Dies geschieht in vielen kleinen Einzelschritten. Wir versuchen zunächst, über ein Familien-Genogramm die»familienschatzkarte«das individuelle Netzwerk des behinderten Mitarbeiters zu beleuchten. Familienschatzkarte als Ressourcenfinder Familien sind fast immer üppige Ressourcenlager. Wir gehen deshalb mit Genogrammen (Familienstammbaum) systematisch den Verwandtschaftslinien nach. Dabei werden die einzelnen Angehörigen mit ihren Möglichkeiten und Ressourcen erfasst. Genogramme als Ressourcensucher bieten, außer dass sie Ressourcen ins Blickfeld bringen, an die man vorher nicht gedacht hat, noch zwei zusätzliche Effekte. Sie wirken nach unserer Erfahrung durchgängig stärkend, da die Verwandtschaft oft größer ist als auf den ersten Blick gedacht und die grafische Darstellung einer Familie den Betroffenen meist Spaß macht. Zudem ist der behinderte Mensch der Experte seiner Familienbeziehungen. Ein solches Gespräch verläuft immer auf Augenhöhe und reduziert ihn nicht auf Defizite und behinderungsbedingte Probleme. Der Mitarbeiter wird ermuntert, selbst zu einem solchen Gespräch einzuladen. Neben einem INTE- GRA-Mitarbeiter kann er falls er dies wünscht ein oder zwei Vertrauenspersonen seiner Wahl hinzuziehen. Das Treffen wird als»heimspiel«für den Betroffenen organisiert, d. h. die konsequente Herstellung von Rahmenbedingungen, die den Adressaten der Hilfe stark machen: Er selbst bestimmt Zeit und Ort des Gesprächs. Wenn er den Wunsch äußert, dass dieses Gespräch nicht in der Werkstatt, sondern bei ihm zuhause stattfinden soll, wird dem entsprochen. Bei diesem ersten Treffen wird er dabei unterstützt, einen Familienstammbaum anzufertigen. Dieser wird dann gemeinsam zur Familienschatzkarte ergänzt: Welche Beziehungen gibt es bereits, welche Kompetenzen und Ressourcen, welche Verbindungen zu Arbeitsplätzen sind in der Familie, in der Verwandtschaft schon vorhanden? Wer arbeitet wo? Wer gehört welchem Verein an? Es entsteht ein erstes Netzwerk bzw. Datenbank über potenzielle familiennahe Ansprechpartner in unterschiedlichsten Betrieben. Netzwerkkarte als Ressourcenfinder Aus der Familienschatzkarte entwickelt sich nach der Methode des»circle of friends«(fachdienst der Lebenshilfe 3/05, 6) eine»netzwerkkarte«, die ein über die Familie hinausgehendes soziales Feld abbildet: Der Betroffene wird ermuntert, aus seiner Fa-
3 I 14 Sozialraumorientierung Integration durch Patenschaft 3 Bild 1: Beispiel Familienschatzkarte von Markus M. Hans F. Maria F. Rentnerin, Abb. 1: Beispiel Familienstammbaum engagiert sich im Verein Aktivsenioren verstorben Martin B Rentner, kennt Bürgermeister und stellv. Landrat gut Rentnerin, aktiv in der Pfarrgemeinde Paula B Aus der Familienschatzkarte entwickelt sich nach der Methode des»circle of friends«(fachdienst der Lebenshilfe 3/05, 6) eine»netzwerkkarte«, die ein über die Familie hinausgehendes soziales Feld bbildet: Der Betroffene wird ermuntert, aus Verkäuferin seiner Familienschatzkarte ein bis zwei Metzgerei Vertrauenspersonen auszuwählen, die er nun K., große zu einem weiteren Gespräch einlädt. Bei diesem Treffen Facharbeiter Kundschaft im Hausmeister Geschäftsführer wird nun gemeinsam Fa. W., versucht, Abteilungsleiter möglichst Stadtteil viele Südwest, Personen Firma zu X., Personalleiterin Firma P., erfassen, die dem behinderten Hotel S., Menschen Verkäuferin Taufpate von Fa. B., hilft in der Feuerwehrkommandant Firma V. Lionsclub Tierschutzvereins stellv. Vorsitzende des Facharbeiterin Mitglied Supermarkt R. vertraut sind, zu Markus seinem M. Freundeskreis Gemeinderat gehören, mit denen er gerne etwas unternimmt oder die als Gemeindebücherei otenzielle Unterstützer dienen können. Es entsteht eine Sammlung von Personen, die später evtl. Hilde M. Harald M. Peter M. Heike M. Fritz B. Doris B. Georg B. Maria B. twas zum Gelingen der Pläne beisteuern können Wir erarbeiteten dieses Netzwerk über verschiedene Kategorien, z. B. Tageszeiten (wen trifft Herr X morgens, mittags, abends?), Orte (wo wurde Herr X geboren, wo wohnt er und wo arbeitet er?), Biografieabschnitte (wer waren Freunde/Unterstützer in der Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter?) usw. Welche Ressourcen gibt es in der Nachbarschaft oder n den örtlichen Betrieben? Welche Personen könnten weitere potenzielle Unterstützer am Wohnort ein? Welche Möglichkeiten tun sich auf und welche können wir nutzen? Wir fragen also: Auf welche Weise kann sich die soziale Umgebung, die den betroffenen Menschen besonders gut kennt und die man in die Verantwortung Johanna nehmen kann, an der Lösung spezieller Aufgaben beteiligen? Als Ergebnis Tobias M. Markus M. Martina M M ntsteht eine persönliche »Netzwerkkarte«. Diese Karte wird später in regelmäßigen Abständen reflektiert. Dabei wird das Feld»betriebliche Azubi Schreinerei H., Schülerin Pflegedienstleitung Lehrer Grundschule S. Arbeitsvorbereiter Fa. T., Unterstützer«, spielt im Musikverein das Gymnasium zu Beginn F., des Prozesses Seniorenheim noch S., weitgehend Abteilungsleiter leer sein im Sportverein nimmt Markus M. häufig zu wird, im Laufe der Zeit Ministrantin singt im Frauenchor Ausflügen mit unehmend an Bedeutung gewinnen Abb. 1: Beispiel Familienstammbaum Wolfgang L Franz B milienschatzkarte ein bis zwei Vertrauenspersonen auszuwählen, die er nun zu einem weiteren Gespräch einlädt. Bei diesem Treffen wird nun gemeinsam versucht, möglichst viele Personen zu erfassen, die dem behinderten Menschen vertraut sind, zu seinem Freundeskreis gehören, mit denen er gerne etwas unternimmt oder die als potenzielle Unterstützer dienen können. Es entsteht eine Sammlung von Personen, die später evtl. etwas zum Gelingen der Pläne beisteuern können. Wir erarbeiteten dieses Netzwerk über verschiedene Kategorien, z. B. Tageszeiten (wen trifft Herr X morgens, mittags, abends?), Orte (wo wurde Herr X geboren, wo wohnt er und wo arbeitet er?), Biografieabschnitte (wer waren Freunde/Unterstützer in der Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter?) usw. Welche Ressourcen gibt es in der Nachbarschaft oder in den örtlichen Betrieben? Welche Personen könnten weitere potenzielle Unterstützer am Wohnort sein? Welche Möglichkeiten tun sich auf und welche können wir nutzen? Wir fragen also: Auf welche Weise kann sich die soziale Umgebung, die den betroffenen Menschen besonders gut kennt und die man in die Verantwortung nehmen kann, an der Lösung spezieller Aufgaben beteiligen? Als Ergebnis entsteht eine persönliche»netzwerkkarte«. Diese Karte wird später in regelmäßigen Abständen reflektiert. Dabei wird das Feld»betriebliche Unterstützer«, das zu Beginn des Prozesses noch weitgehend leer sein wird, im Laufe der Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnen. Persönliches Kompetenzteam Der Mitarbeiter wählt nun selbst mit Hilfe der Familienschatzkarte und der Netzwerkkarte drei bis vier Personen aus, die ihm gut bekannt sind und die»experten«für ihn sein können. Dieses Kompetenzteam gewinnt an Potenzial, wenn es aus ganz verschiedenen Ausschnitten des Alltags kommt. In einem anschließenden Check versucht das Kompetenzteam gemeinsam, die Talente und Ressourcen des Betroffenen herauszuarbeiten. Vom Förderbedarf zum»leuchtfeuer«neben dem Sozialraumbezug ist das zweite wichtige Prinzip unserer Arbeit die Orientierung am Willen unserer Mitarbeiter(innen). Unser Konzept sieht nicht mehr vor, dass»werkstattexperten«einen Förderbedarf feststellen; vielmehr wird der behinderte Mensch genau nach seinen Zielen gefragt. Wenn wir vom Willen und von Zielen sprechen, gehen wir von der Vorstellung aus, dass in jedem Menschen ein»leuchtfeuer«vorhanden ist, d. h. etwas, was er von ganzem Herzen gerne machen möchte. Unsere Aufgabe besteht darin, dieses Leuchtfeuer in jedem einzelnen Mitarbeiter zu finden, es in realistische Ziele zu übersetzen ein Weg mit vielen kleinen Schritten und die Bedingungen herauszuarbeiten, unter denen sie sich verwirklichen lassen. Die Arbeit
4 4 K. Eichner I 14 = die wichtigsten Menschen in meinem Leben = gute Freundinnen und Freunde Harald R. (Pfarrer) = betriebliche Unterstützer Martina M. (Pflegedienstleitung, Schwester von Markus M. ) = weitere Menschen, die mir helfen können Dr. W. (Hausärztin) Alexandra N. (Altenpflegerin ) Birgit T. (gemeinsamer Weg zur Arbeit ) Doris H. (Nachbarin) Heike M. (Mutter) Peter M. (Vater) Mathias F. (Schulfreund) Marion H. (Heimleitung) Bernhard T. (Hausmeister) Christian G (Freund der Familie) Harald M. (Pate) Franz B. (Cousin) Udo L. (Freund aus WfbM ) Marion R. (Freundin der Schwester) Michael G. (Ergoth.) Rektor S. (ehem. Schulleiter ) Klaus E. (Koch) Silke G. (Altenpflegehelferin ) Andreas S. (Bürgermeister ) Abb. 2: Beispiel Netzwerkkarte mit dem Willen des Einzelnen ist nach unseren Erfahrungen umso erfolgreicher, je früher sie einsetzt. Wenn Menschen mit Behinderung neu in eine WfbM aufgenommen werden, stellt diese Schwelle einen idealen Einstiegszeitpunkt dar. Ressourcencheck INTEGRA schaut im Gegensatz zu manchen traditionellen Förderansätzen ausdrücklich nicht, wo die Defizite der Betroffenen sind und bietet dann dazu entsprechende Programme. Wir setzen vielmehr ganz bewusst an dem Willen und den Stärken unserer Mitarbeiter(innen) an. Sie sind dann motiviert, wenn mit ihren Talenten und Fähigkeiten gearbeitet wird und nicht die Schwächen und ihr Hilfebedarf in den Vordergrund gerückt werden. Aufgabe des Kompetenzteams ist es nun, gemeinsam den Willen, die Stärken und Ressourcen der Mitarbeiter(innen) herauszuarbeiten. Das Ziel dieser Gespräche ist nicht das Motivieren, sondern das Suchen von Motivationen. Menschen haben Ziele, Wünsche und Träume. Das sind die Motivationen, die uns antreiben. Fundamentaler Bestandteil unseres Konzepts auf der individuellen Ebene ist, den Willen des behinderten Menschen zu erkennen und zu sensibilisieren. Im Willen des Menschen steckt die Vorstellungskraft für Veränderungen und die dafür notwendige Energie. Jeder Mensch besitzt ein Spektrum an Fähigkeiten und Möglichkeiten, die in seiner Biografie oder seinem Netzwerk verankert sind. Diese gilt es herauszufinden. Wenn mit den Ressourcen der Betroffenen gearbeitet wird, stärkt das den Optimismus und den Glauben der Betroffenen an ihre eigenen Kompetenzen. Es gibt viele Dinge, die ein Mensch tun kann, wenn er das entsprechende Selbstvertrauen hat. Der Ressourcencheck vermittelt ihm über den Wertschätzungseffekt hinaus auch eine gewisse Aufbruchstimmung und Optimismus, weil es ungewöhnlich ist, über die eigenen Stärken zu reden bzw. eine Rückmeldung zu den eigenen Stärken zu erhalten. Behinderte Menschen erhalten sonst eher Rückmeldung über ihren Hilfebedarf. Fallunspezifische Netzwerkarbeit als Vorarbeit Auch auf der Organisationsebene unseres Fachdienstes setzt sich die Netzwerkarbeit fort. Die Umsetzung der Ergebnisse des Ressourcenchecks in ein tragfähiges Unterstützungskonzept verlangt mehr als das bloße Wissen um funktionierende Strukturen im sozialen Umfeld der Familie. Möglichkeiten des Sozialraums können vor allem dann erschlossen werden, wenn schon vorher gezielt Res-
5 I 14 Sozialraumorientierung Integration durch Patenschaft 5 sourcenarbeit geschieht. Man muss in den Gemeinden bzw. Stadtteilen die politischen Strukturen, Vereine, Verbände, Kirchengemeinden, Betriebe usw. kennen, wissen was sie tun und über welche Möglichkeiten sie verfügen. Man muss auch wissen, was man gleichzeitig zu bieten hat, um als Kooperationspartner ins Geschäft zu kommen. Wir beziehen laufend alles und jeden ein, der weitere Chancen bieten kann: Wie kann ich noch eine Verbindung knüpfen? Wo gibt es den»türöffner«für eine Einrichtung oder für den nächsten Betrieb? Fallunspezifisch bauen wir in der Region ein Netzwerk von einflussreichen Personen auf, die sehr gute Kontakte zu den unterschiedlichsten Betrieben haben und uns bei Bedarf ihr»soziales Kapital«zur Verfügung stellen. Patenschaft Jetzt kommt die Gemeinde ins Spiel. Die politischen Strukturen, die Vereine, die Verbände, die Kirchengemeinden. Die individuelle Netzwerkarbeit setzt auf Multiplikatoren, auf persönliche Kontakte, auf das Einbinden in eine gemeinsame Zielsetzung. Dieses Einbinden ist nie langfristig angelegt, sondern immer an einzelne Aufgaben geknüpft. Der Bürgermeister vermittelt in einer ganz bestimmten Sache für eine ganz bestimmte Person. Der Kreishandwerksmeister stellt seine Kontakte zur Verfügung und so wird schließlich der passende Betrieb gefunden, der für den Bewerber eine»patenschaft«übernimmt. Es geht nicht um einen bestehenden Arbeitsplatz, sondern um die berühmten Nischen, für die eigentlich nie jemand eingestellt wird, und es geht darum, für den Menschen Verantwortung zu übernehmen. INTEGRA unterstützt, soweit es gewünscht wird und notwendig ist, bei der Einarbeitung, beim Auswählen potenzieller Arbeiten. Eventuell geht ein Praktikum voraus, aber die einmal gefundenen Arbeitsplätze sind dauerhaft angelegt. Es hilft, was passt: Diejenigen Wege und Vorgehensweisen sind erfolgreich, die zum Betroffenen passen zu seiner Geschichte, seinen Stärken, seinem Willen und die sich aus den Ressourcen seiner eigenen Person, seiner Familie und seines sozialen Umfelds speisen lassen. Im weiteren Verlauf wird der Kontakt zu den»paten«in den Betrieben und den sozialräumlichen Netzwerken immer weiter vertieft. Der Erfolg: Ankommen im Betrieb Mit diesem Konzept konnten wir in 3½ Jahren 40 Menschen überwiegend mit geistiger Behinderung dauerhaft auf ausgelagerte Werkstattplätze in unterschiedlichste Betriebe wohnortnah vermitteln z. B. Holger P. als Hausmeisterhelfer und Silke W. als Küchenhelferin, die auf ihren Wunsch gemeinsam in einem Alten- und Pflegeheim arbeiten, ebenso wie Simone B., die in der Pflege eingesetzt ist und von sich sagt:»ich liebe meinen Beruf über alles«. Weitere Arbeitsfelder, die sich in Werkstätten kaum anbieten lassen, sind u. a. Kindertageseinrichtungen, Pferdehöfe, Baumschulen, die Universitätsbibliothek, eine Bäckerei, Metzgerei, Hotel oder Gastwirtschaften. Natürlich gebe es manchmal Anlaufschwierigkeiten, berichten die beteiligten Betriebe, doch wenn die Tätigkeiten mit der Zeit für die behinderten Mitarbeiter(innen) vertrauter geworden sind, klappt die Zusammenarbeit meist reibungslos. Sätze wie»am Anfang waren die Klöße eckig, jetzt sind sie rund,«oder»niemand hat die Küche so gut im Griff und uns Kollegen,«verdeutlichen, dass die Betroffenen in ihren Betrieben angekommen sind, als Fachkraft und als Mensch. Sie arbeiten jedoch auch in klassischen Werkstattbereichen, wie z. B. in einem Industriebetrieb, der in der Lage ist, angepasste Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen. Daniel S. hat einen Platz als Handelsfachpacker in einem kleinen Geschäft gefunden, das sich zunehmend auf Ebay-Geschäfte konzentriert. Auch Handwerksbetriebe wie ein Maler- und Verputzergeschäft können potenzielle Arbeitgeber sein. Das sozialraumorientierte Vorgehen führt dazu, dass die Stadt Bamberg und die Landkreisgemeinden ebenfalls ihren Teil beitragen. Ob in der Stadtgärtnerei oder in den kommunalen Bauhöfen: Menschen mit Behinderung sind plötzlich in der Region viel stärker präsent. Fazit Faszinierend ist, dass diese Form von Sozialarbeit»wie nebenher«einen Effekt zeigt: Die beteiligten Betriebe und die Öffentlichkeit werden für die Belange von Menschen mit Behinderung sensibilisiert, und es finden sich viele Bürger(innen), die Verantwortung für behinderte Menschen am Wohnort und in den örtlichen Betrieben übernehmen. Und noch etwas: Bei diesem Vorgehen wird ein konsequenter und systematischer Stärkenblick trainiert, der auf die lebensgeschichtlich gewonnen Kompetenzen, Talente, Ausstattungen, vorteilhafte Zufälligkeiten und nützliche Netzwerke gerichtet ist. Man sieht den behinderten Mitarbeiter aus einer anderen Perspektive aus der Fülle seiner eigenen Ressourcen! Sozialraumorientierung entwirft so ein neues Konzept der Werkstatt, welches die selbstverständliche Einbindung von Menschen mit Behinderung in die Gemeinde ermöglicht. Kuno Eichner Bamberger Lebenshilfe Werkstätten ggmbh Fachdienst INTEGRA Moosstr Bamberg Tel.: (01 60) eichner@blw-bamberg.de
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