1 Konzept der Kritischen Kontrollpunkte/Managementpunkte (CCP/CMP)
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- Caroline Berg
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1 Züchtungskunde, 79, (5) S , 2007, ISSN Eugen Ulmer KG, Stuttgart Kritische Kontrollpunkte (CCP) in der Rinderhaltung ein Konzept zur betrieblichen Eigenkontrolle für die Bereiche Tierschutz, Tiergesundheit und Management E. von Borell 1*, H.-J. Herrmann 2, Ute Knierim 3, Christiane Müller 4, Th. Richter 5, P. Sanftleben 6, D. Schäffer 1, V. Schulze 7 und A. Sundrum 8 1 Konzept der Kritischen Kontrollpunkte/Managementpunkte (CCP/CMP) Qualitätssicherungssysteme haben sich seit vielen Jahren in der lebensmittelverarbeitenden Industrie durchgesetzt. Neben der Sicherung der Produktqualität haben sich die Qualitätssicherungssysteme zunehmend der Prozessqualität angenommen. In der Tierhaltung sind dies insbesondere Dokumentations- und Kontrollsysteme für die Bereiche Tierschutz, Tiergesundheit, Umwelt- und Verbraucherschutz. Der Begriff Qualitätsmanagement schließt auch Managementaspekte mit ein, die für eine hohe Produkt- und Prozessqualität bedeutsam sind. Das ursprünglich für die Lebensmittelindustrie entwickelte HACCP-Konzept (Hazard Analysis and Critical Control Points) ist ein betriebliches Eigenkontrollsystem, welches mittlerweile durch die Lebensmittelhygieneverordnung verpflichtend vorgeschrieben ist. Durch Interpretations- und Übersetzungsfehler aus dem Englischen kommt es immer wieder zu unterschiedlichen Auslegungen der Begriffe. Sinngemäß bedeutet das HACCP-Konzept den Herstellungsprozess unter Kontrolle haben (beherrschen), und zwar durch Gefahrenanalyse und Festlegung von Kontrollpunkten (Stolle et al., 1994). Kritische Kontrollpunkte (CCP s) sind im ursprünglichen Sinn Punkte bzw. Produktionsabschnitte, die für die Beherrschung von Gesundheitsrisiken kritisch sind. Mit dem CCP muss die Gefährdung ausgeschlossen bzw. minimiert und durch ein fortlaufendes Monitoring sowie durch die Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen die Funktionsfähigkeit des Konzeptes gewährleistet werden. Qualitätsmanagementsysteme (u.a. Basisqualität (BQ), Basisqualitätsmanagement (BQM) und Total Quality Management (TQM)) orientieren sich bezüglich der Analyse von Prozessschritten an der Risikobeurteilung gemäß HACCP, berücksichtigen aber auch die gesetzlichen Vorgaben, die Gute landwirtschaftliche Praxis bzw. Vorgaben aus der internationalen Norm der ISO-Reihe für ein dokumentiertes Qualitätsmanagementsystem. Das TQM geht über die Anforderungen der DIN EN ISO 9000 hinaus und schließt neben der Produktqualität auch Kriterien der Nachhaltigkeit (u.a. Belange der Mitarbeiter, Umwelt und Gesellschaft) mit ein (Rother, 2004). Farm Quality Assurance- 1 Fachgebiet Tierhaltung und Nutztierökologie, Martin-Luther-Universität, Halle; 2 Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft e.v., Fachzentrum Landwirtschaft und Ernährung, Frankfurt; 3 Fachgebiet Nutztierethologie und Tierhaltung, Universität Kassel, Witzenhausen; 4 Trenthorst, Westerau; 5 Fachgebiet Tierhaltung und Tiergesundheit, Fachhochschule Nürtingen, Nürtingen; 6 Institut für Tierproduktion, LFA Mecklenburg-Vorpommern, Dummerstorf, 7 Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde, Bonn, 8 Fachgebiet Tierernährung und Tiergesundheit, Universität Kassel, Witzenhausen * Kontaktadresse: Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Adam-Kuckhoff-Str. 35; Halle; eberhard.vonborell@landw.unihalle.de
2 330 E. von Borell u.a. Tab. 1. Aspekte des HACCP-Systems (Köfer und Stolle, 1994) Aspects of HACCP system HACCP-System 1. Detaillierte Prozessbeschreibung z. B. Fließdiagramm Wissen 2. Einschätzung einzelner Risiken (Hazards) Risikoanalyse des Gesamtproblems 3. Identifizierung der Kritischen Kontrollpunkte (CCP s ) Ermittlung der kritischen Prozessstufen 4. Aufstellen der CCP-Kriterien mit dem Ziel der Prozesskontrolle 5. Erstellen von Monitor-Programmen unter Berücksichtigung einfacher, Messen schneller Methoden für Protokollführung Analyse Auswertung 6. Durchführung korrigierender Maßnahmen beim Aufdecken von Schwach- Machen stellen 7. Überprüfung des HACCP-Konzeptes auf Funktionsfähigkeit (ggf. durch unabhängige Sachverständige) über Zusatzuntersuchungen und Auswertungen Programme wie z. B. das EurepGAP (2004) (European Retailer Produce Working Group, Good Agricultural Practice), basieren auf Checklisten mit Kontrollpunkten und Erfüllungskriterien, die als Grundlage für ein externes Audit des Betriebes bzw. auch der betrieblichen Eigenkontrolle dienen. Die Erfüllungskriterien sind dabei in Kritische-Muss- Kriterien, Muss-Kriterien und Kann-Soll-Kriterien unterteilt. Qualitätssicherungs- und Managementsysteme in der landwirtschaftlichen Tierhaltung beruhen in Teilen auf Prinzipien der Gefahrenanalyse (gemäß HACCP). Sie verfolgen jedoch vielfach andere vom HACCP-Konzept abweichende Ziele der Vermarktung (z. B. Herkunftsnachweis) und Zertifizierung von definierten Standards (z. B. nach den EU-Standards des Ökologischen Landbaus, von Borell und Sørensen, 2004). Das HACCP-Konzept lässt sich nicht wie im Herstellungsprozess für Lebensmittel auf alle Einflussbereiche der Tierhaltung anwenden, da mitunter nur Voraussetzungen baulicher und verfahrentechnischer Art überprüft werden und Kontrollpunkte zur Tiergerechtheit häufig auf Indikatoren und nicht auf direkt beeinflussbaren Mess- oder Rechengrößen beruhen, wie dies bei der Prozessüberwachung in der Lebensmittelindustrie üblich ist. Es handelt sich vielmehr um eine Art Schwachstellenanalyse, an welche sich definierte Maßnahmen zur Überwachung und Korrektur der Kriterien sowie der Funktionsfähigkeit (Verifikation) des Qualitätssicherungssystems gemäß dem HACCP- Konzept anschließen müssten. Dennoch lassen sich auch bei der Tierhaltung die Grundprinzipien einer Risikoanalyse mit entsprechenden Vorgaben hinsichtlich der Managementmaßnahmen zur Beherrschung von Risiken anwenden. Die Grundlage dazu liefern die vom Arbeitsausschuss der DGfZ erarbeiteten Kriterien zur Beurteilung von Nutztierhaltungsverfahren (von Borell und Van den Weghe, 1999) und das Konzept der Kritischen Kontroll- bzw. Managementpunkte (CCP/CMP), welches zunächst auf die Haltung von Schweinen angewendet wurde (von Borell, 2000; von Borell et al., 2001; Hoy et al., 2004). Zielvorgabe war die Erarbeitung von Kontrollpunkten für die Bereiche Tiergerechtheit (Tierverhalten, Tiergesundheit und Hygiene), Umweltwirkungen und Management (einschließlich ökonomisch relevanter Punkte) unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben. Zu jedem Kontrollpunkt wurden Zielgrößen (mit Ja- Nein-Entscheidung ) festgelegt, deren Erreichen bzw. Einhaltung im Einzelnen erläutert wird und deren Kontrolle in vorgegebenen Intervallen zu erfolgen hat. Dieses Konzept zur betrieblichen Eigenkontrolle wurde nun in ein Folgeprojekt für die Rinderhaltung übertragen. Dabei hat sich die Projektgruppe auf die Merkmale der Tiergerechtheit kon-
3 Kritische Kontrollpunkte (CCP) in der Rinderhaltung 331 Tab. 2. Kennzeichen von Qualitätsmanagement und -sicherungssystemen in der Land- und Ernährungswirtschaft (Rother, 2004) Characteristics of quality management and assurance systems in the agro food business + = Merkmal innerhalb des Qualitätssystems vorhanden * = stufenübergreifende Rückverfolgbarkeit Kennzeichen GMP GAP HACCP Rück- Produktbereiche Erfasste Geltungs- Kontrolle Zertifizierung Qualitäts- verfolg- Herstellungs- bereich systeme barkeit* stufen GAP + landwirtschaftliche Produkte Erzeuger weltweit stichprobenartig KIP + Obst und Gemüse Erzeuger Bayern jährlich Keine akkreditierte Zertifizierung KVA + Kartoffeln, Zuckerrüben, Erzeuger Bayern jährlich Keine Getreide, Hopfen akkreditierte Zertifizierung GMP / GMP Futtermittel, Lebensmittel Verarbeitung weltweit stichpro- GMP 02 benartig HACCP + Lebensmittel Verarbeitung/ weltweit Handel BQ / BQM + + landwirtschaftliche Produkte Erzeuger Deutschland jährlich + ISO teils Lebensmittel, Hopfen und weite- alle Stufen weltweit jährlich + re landwirtschaftliche Produkte QS tierische Produkte; Obst und alle Stufen EU jährlich + Gemüse GQ + + tierische Produkte alle Stufen Bayern / EU jährlich + QM Milch + Milch Erzeuger Deutschland alle 3 Jahre EurepGAP Erstin Obst und Gemüse, Zierpflanzen, Erzeuger, weltweit jährlich + EurepGAP IFA verkehr- landwirtschaftliche Produkte Erstinverbringer kehrbringer IFS + Voraus- + Lebensmittel Verarbeitung/ EU jährlich + setzung auf Handel Erzeugerstufe
4 332 E. von Borell u.a. zentriert. Demnach sollte ein kritischer Punkt 1. einen wesentlichen Einfluss auf die Tiergerechtheit haben, 2. durch zuverlässige Erhebungen zu bewerten und 3. durch entsprechende Maßnahmen zu kontrollieren sein. Neben der betrieblichen Eigenkontrolle kann das Konzept nach entsprechender Modifikation (z. B. durch Ergänzung mit einem Punktebewertungssystem wie in der BQM-Richtlinie des LKV Sachsen-Anhalt e.v., 2004) auch die Grundlage für ein externes Audit im Rahmen einer Qualitätssicherungsmaßnahme durch eine neutrale Prüfeinrichtung bilden. 2 Rahmenbedingungen und Konzepte zur Kontrolle und Bewertung der Tiergerechtheit in der Rinderhaltung In Deutschland leben gegenwärtig knapp 13 Millionen Rinder, davon 4,1 Millionen Milchkühe (ZMP, 2006). Nach derzeitigen Schätzungen werden im Durchschnitt nur etwa 38 Milchkühe pro Betrieb gehalten, wobei in den neuen Bundesländern 170 Kühe/Betrieb und in den Herdbuchzuchtbetrieben mit Milchleistungsprüfung rund 200 Kühe stehen. Im Zuge einer kontinuierlichen Milchproduktionssteigerung haben sich die Milchviehbestände (zuletzt um jährlich 2 %) reduziert. Die Anzahl der Betriebe (alte Bundesländer: ; neue Bundesländer: 5.000) hat sich in den letzten 10 Jahren halbiert. Die Verteilung auf die möglichen Haltungsvarianten kann nur über die Erfassung der Betriebe mit Melkständen (alte Bundesländer) geschätzt werden. Demnach beträgt der Anteil der Kühe in Anbindehaltung etwa 60 % und entsprechend 40 % in Laufstallhaltung. In den alten Bundesländern befinden sich etwa nur 20 % der Kühe in Herden über 50 Kühe, während davon auszugehen ist, dass sich in den 5000 Betrieben der neuen Bundesländer nahezu alle Kühe in Herdengrößen deutlich über 50 Kühe befinden. Demnach ergäbe sich für Gesamtdeutschland (etwa 30 % der Milchkühe [1,3 Millionen] stehen in Bayern) ein Anteil von Kühen in Anbindehaltung von nahezu 50 %. Abgesehen von der Kälberhaltung (TierSchNutztV, 2006), existieren für die Haltung von Milch- und Fleischrindern derzeit keine spezifischen Mindestanforderungen in Form von gesetzlich verbindlichen Verordnungen. Offensichtlich wird auf EU-Ebene in diesen Bereichen zurzeit kein Handlungsbedarf gesehen. Es werden deshalb die Empfehlungen und Leitlinien auf europäischer und deutscher Ebene zu den Mindestanforderungen an die Haltung von Rindern herangezogen (von Borell, 2003). Die Anbindehaltung für Rinder wird unter dem Gesichtspunkt der Tiergerechtheit zunehmend kritisch gesehen. Forderungen zur Ablösung der Anbindehaltung durch Laufstall- bzw. Auslaufhaltung werden seitens der Tierschutzorganisationen und Verbraucherverbände nicht in dem Maße eingefordert, wie dies bei anderen Nutztierarten unter vergleichbaren Einschränkungen der Verhaltensaktivitäten der Fall ist. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass diese Haltungsformen überwiegend in kleinbäuerlichen Familienbetrieben bzw. auch in standortbenachteiligten Gebieten (Alpenwirtschaft) anzutreffen sind und damit nicht dem Bild einer intensiven Massentierhaltung entsprechen. Zudem beschränkt sich diese Form der Haltung häufig nur auf die Winterperiode, da traditionell die Anbindehaltung mit einem Weidegang in der Vegetationsperiode gekoppelt ist. Nach der Öko-Tierhaltungsverordnung der EU (EWG-Nr. 1804/1999) dürfen Ökobetriebe nur noch übergangsweise (bis 2010) ihre Rinder im Winter anbinden. Laufstallhaltungen unter Beachtung des Kuhkomforts setzen sich jedoch nicht nur aus Tierschutzgründen durch. Im Vergleich zu tierschutzfreundlicheren Haltungsformen bei anderen Nutztierarten stellen sich diese bei der Rinderhaltung als ökonomisch besonders konkurrenzfähig dar. Der Umstellung aller Betriebe von Anbinde- auf Laufstallhaltung stehen vielfach die niedrigen Milchpreise entgegen, welche keine Neuinvestitionen im Stallbau und der Haltungstechnik zulassen. Die Konzeption der Haltung nach getrennten Funktionsbereichen (Fressen, Laufen, Melken, Liegen) ist nicht nur für die Ausübung von arteigenen Verhaltensweisen vorteilhaft. Für diese Form der Haltung spre-
5 Kritische Kontrollpunkte (CCP) in der Rinderhaltung 333 chen insbesondere auch hygienische (z. B. getrennter Melkbereich) und arbeitswirtschaftliche Vorteile. Die Funktionsbereiche eines Haltungssystems (z. B. Liegebereich, Fressbereich) bieten den Raum und die Struktur für die Ausübung spezifischer Verhaltensweisen, die entsprechend den Funktionen (z. B. Ruhen, Wiederkäuen) nach Funktionskreisen (z. B. Ruheverhalten, Ernährungsverhalten) eingeteilt werden. Innerhalb dieser Funktionskreise lassen sich bestimmte Verhaltenselemente zur Beurteilung verschiedener Haltungssysteme und Haltungseinrichtungen heranziehen. Auf der Grundlage wissenschaftlicher und praktischer Erkenntnisse wurden zur Einschätzung der Tiergerechtheit von Stalleinrichtungen in Anlehnung an die Funktionskreise Prüfkriterien entwickelt, die im Rahmen der freiwilligen DLG-Gebrauchswertprüfung von Stalleinrichtungen berücksichtigt werden (Knierim et al., 2003). Die auf Bewertungspunkten basierenden Systeme zur Beurteilung der Tiergerechtheit (u.a. Tiergerechtheitsindex-200, Sundrum et al., 1994; Tiergerechtheitsindex 35/L; Bartussek, 1996) dienen vornehmlich der vergleichenden Beurteilung von Haltungssystemen. Diese auf Indices beruhenden Bewertungssysteme geben jedoch nur unzureichend den tatsächlichen Zustand der Tiere wieder, da überwiegend haltungstechnische Voraussetzungen überprüft und damit nur indirekt Rückschlüsse auf die Tiergerechtheit ermöglicht werden (von Borell, 2002). Andere Konzepte der Beurteilung der Tiergerechtheit stützen sich auf Betriebsbesuche (on-farm monitoring) mit dem Ziel der betrieblichen Eigenkontrolle und Qualitätssicherung. Neben den auf das Tier bezogenen Kriterien (z. B. Verhalten und body condition scoring) werden dabei sowohl baulich-technische Voraussetzungen als auch Managementmaßnahmen (z. B. Maßnahmen zur Erhaltung der Tiergesundheit über das Veterinary Herd Controlling System (VHC), Mansfeld, 2002) erfasst. Das Konzept der kritischen Kontrollpunkte in der Rinderhaltung ist hier einzuordnen. Die EU hat eine konzertierte Aktion zur wissenschaftlich-methodischen Aufarbeitung und Dokumentation des Status quo für Mess- und Bewertungssysteme in der Nutztierhaltung initiiert (COST 846: Measuring and Monitoring Farm Animal Welfare, http// unina.it). Die Arbeitsgruppe On-farm monitoring of welfare beschäftigt sich u.a. mit der Erfassung, Analyse und Standardisierung von Bewertungssystemen für die Nutztierhaltung. In den skandinavischen Ländern wird traditionell der epidemiologische Ansatz zur Beurteilung der Tiergerechtheit herangezogen. Neben der Erfassung des Verlustgeschehens und der Art und Häufigkeit von Erkrankungen werden Abgangsursachen wie z. B. Gliedmaßenschäden und Lahmheiten erfasst, die wiederum mit den Haltungsbedingungen und dem Management in Verbindung gebracht werden. (Hier wäre eine Einschätzung dieses Ansatzes bezüglich der Effizienz hilf- und aufschlussreich.) So können unzureichend dimensionierte Haltungseinrichtungen durch Verrenkungen beim Aufstehen und Abliegen und infolge von punktförmigen Belastungen der Körperhülle zu vielfältigen Schäden (so genannten Technopathien) am Tier führen. Diese Schäden am Integument lassen sich nach einem Bewertungsschema objektiv beurteilen (u.a. nach der Methode Ekesbo, 1992). Eine systematische und umfassende Beschreibung und Bewertung des Standes der Technik von Haltungsverfahren für Geflügel, Pferde, Rinder und Schweine wurde in einem vom BMVEL (AG Tiergerechtheit) und vom Umweltbundesamt (AG Umwelt- und Verfahrenstechnik) geförderten Projekt Nationaler Bewertungsrahmen vorgenommen. In Anlehnung an die Beschreibung der Umweltwirkungen im Rahmen der Besten Verfügbaren Technik wurden darüber hinaus Aspekte der Tiergerechtheit gleichrangig mit den Aspekten des Umweltschutzes betrachtet, um damit u.a. eine Datengrundlage für Genehmigungsverfahren und Fördermaßnahmen zu schaffen (Achilles et al., 2005, Schäffer et al., 2005, Schrader et al.).
6 334 E. von Borell u.a. Tab. 3. Ethologische Indikatoren zur Bewertung der Tiergerechtheit von Rinderhaltungsverfahren (modifiziert nach Schrader et al., 2006) Behavioural indicators for animal welfare assessment of cattle housing systems (modified from Schrader et al., 2006) Funktionskreise Indikatoren Sind die baulich-technischen Voraussetzungen gegeben: des Verhaltens Sozialverhalten Gruppe um die Tiere in Gruppen zu halten Sozialstruktur dass eine stabile Sozialstruktur etabliert werden kann Sozialkontakt für akustische, visuelle, olfaktorische und taktile Kontakte zwischen den Tieren einer Art Ausweich- & für genügend Platz und/oder Strukturen zum Ausweichen Rückzugs- bzw. zum Zurückziehen einzelner Tiere in Gruppenhaltung möglichkeiten Fortbewegungs- Gehen für langsame Fortbewegung mit Ortswechsel verhalten Laufen für schnelle Fortbewegung (z. B. Trab) Rennen für die schnellste Art der Fortbewegung (z. B. Galopp) / Bewegungsspiele der Kälber Drehung für eine vollständige horizontale Drehung (um 180 ) Ruhe- und Abliegen/ für ein ungehindertes, vollständiges Ausführen des Schlafverhalten Aufstehen Abliegens/Aufstehens Ruhe-/Schlaf- zur Wahl eines ausreichend großen, platzwahl geeigneten Ruheplatzes Ruhe-/ für die Einnahme der gestreckten Seitenlage Schlaflage störungs- zu ungestörtem Ruhen/Schlafen freies Ruhen/ Schlaf Nahrungs- Nahrungs- für eine arttypische Nahrungssuche (Futterselektion) in aufnahme- suche einem geeigneten Substrat / Funktionsbereich verhalten (z. B. Reißen, Grasen) Futter- für eine arttypische Körperposition und -haltung bei der aufnahme Futteraufnahme Wasser- für eine arttypische Wasseraufnahme (Körperposition und aufnahme -haltung, Geschwindigkeit der Wasseraufnahme) ungestörte für Fressen bei ausreichendem Platzangebot (z. B. an- Futter- gemessenes Tier-Fressplatz-Verhältnis) ohne Verdrängen aufnahme durch andere Tiere (z. B. geschützte Fressplätze) Futterbe- für das Angebot von Futter, das arttypisch von den Tieren arbeitung bearbeitet werden kann (z. B. Kauen) Ausscheidungs- Koten und dass Verhaltensabläufe beim Koten und Harnen ohne verhalten Harnen Einschränkungen durch Schmerz erzeugende Steuerungseinrichtungen (z. B. Kuhtrainer, Strom führende Ketten) ausgeführt werden können
7 Kritische Kontrollpunkte (CCP) in der Rinderhaltung 335 Tab. 3. (Teil 2) (Second part) Funktionskreise Indikatoren Sind die baulich-technischen Voraussetzungen gegeben, des Verhaltens Paarung Aufspringen zur unbehinderten, verletzungsfreien Ausführung des Verhaltens Geburt Separation zum Aufsuchen eines separaten Geburtsbereiches zur Geburt Geburts- für einen ungestörten Vorgang ohne Bewegungseinverhalten schränkungen und in arttypischer Körperhaltung Mutter-Kind- Mutter-Kind- für den Aufbau einer ungestörten Bindung von Mutter und Verhalten Beziehung Kind Saugen für unbehindertes Saugen in arttypischer Körperstellung Komfort- eigene für arttypisches, unbehindertes Pflegeverhalten verhalten Körperpflege (z. B. Strecken, Kratzen, Lecken) Körperpflege für ein arttypisches Pflegeverhalten an bzw. in Einricham Objekt tungen (z. B. Scheuern, Kratzen) Thermo- für Verhaltensanpassungen an hohe Temperaturen regulatorisches (z. B. Möglichkeit zu aktivem Aufsuchen eines Außen- Verhalten klimabereichs) (Abkühlung) Thermo für Verhaltensanpassungen an niedrige Temperaturen regulatorisches (z. B. Möglichkeit zu aktivem Aufsuchen eines Kleinklima- Verhalten bereichs wie Einstreu, Hütten) (Wärmezufuhr) Erkundungs- Orientierungs- für die Orientierung (z. B. Lichtverhältnisse) und die Erverhalten verhalten/ kundung (visuell, auditorisch, olfaktorisch, taktil wahr- Fortpflanzungsverhalten räumliches Erkunden nehmbare Reize) einer abwechslungsreichen, strukturierten Haltungsumwelt (z. B. durch räumliche Strukturen, unterschiedliche Funktionsbereiche, Auslauf) 3 Anwendung des CCP/CMP-Konzeptes auf die Kälberaufzucht, Milch- und Fleischrinderhaltung Das Konzept der Kritischen Kontrollpunkte in der Rinderhaltung konzentriert sich ausschließlich auf Aspekte der Tiergerechtheit bei der Aufzucht von Kälbern und Jungrindern sowie der Haltung von Milch- und Fleischrindern. Diese Aspekte werden in vorgegebenen Intervallen direkt am Tier (z. B. durch Adspektion) auf der Grundlage von Managementdokumenten (z. B. Herdenmanagementprogramme, Gesundheitsüberwachung), baulich-haltungstechnischen Gegebenheiten und unter Berücksichtigung der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben erfasst. In dem Konzept geht es nicht vornehmlich um die Bewertung eines spezifischen Haltungssystems (wie beim Tiergerechtheitsindex oder dem Nationalen Bewertungsrahmen), sondern vielmehr um die Kontrolle essentieller und nach dem derzeitigen Kenntnisstand wünschenswerter Bedingungen der Haltungsumwelt und des Managements, die dem Wohlbefinden und der Tiergesundheit zuträglich sind. Auf die teilweise sehr spezifischen Anforderungen der extensiven Rinderhaltung (u.a. Mutter- und Ammenkuhhaltung) und der Ökologischen Landwirtschaft
8 336 E. von Borell u.a. wird nicht explizit eingegangen. Das Konzept verzichtet bewusst auf Gewichtungen innerhalb der einzelnen Kriterien, da diese mitunter nur subjektiv erfolgen und die Kriterien (bzw. Indikatoren) in ihrer Bedeutung und Komplexität nicht hinreichend eingeschätzt werden können. Prinzipiell lässt daher das Konzept keine Kompensationen zu (Defizite in einem Bereich durch Übererfüllung in einem anderen nicht kompensierbar). Bei Nichterfüllung eines kritischen Kontrollpunktes sind, sofern möglich, geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Tiergerechtheit einzuleiten. Das Konzept wurde noch nicht bezüglich der Plausibilität und Umsetzbarkeit in Betrieben der Rinderhaltung überprüft. Dass dies notwendig ist, hat sich in dem vergleichbaren Projekt zur Bewertung der Schweinehaltung gezeigt. In Praxiserhebungen wurden noch diverse Mängel aufgedeckt (von Borell et al., 2002). Ein derartiges System der betrieblichen Eigenkontrolle muss ohnehin in regelmäßigen Abständen dem aktuellen Kenntnis- und Entwicklungsstand angepasst werden. Das hier vorgestellte Konzept ist schwerpunktmäßig auf die Kontrolle und Verbesserung der Tiergerechtheit ausgerichtet. Da in der Regel das Wohlbefinden und die Tiergesundheit mit der Leistungsfähigkeit der Tiere einhergehen, sollte das Konzept nicht als vermeintlich lästiges und zeitaufwändiges Überwachungsinstrument missverstanden werden, sondern vielmehr als Angebot zur nachhaltigen Verbesserung der Tiergerechtheit und der betrieblichen Rahmenbedingungen insgesamt verstanden werden. Zusammenfassung Qualitätssicherungs- und Managementsysteme in der landwirtschaftlichen Tierhaltung beruhen in Teilen auf Prinzipien der Gefahrenanalyse (gemäß HACCP). Sie verfolgen jedoch vielfach andere vom HACCP-Konzept abweichende Ziele wie Vermarktung (z. B. Herkunftsnachweis) und Zertifizierung von definierten Standards (z. B. nach den EU- Standards des Ökologischen Landbaus). Grundsätzlich lassen sich auch bei der Tierhaltung die Prinzipien einer Risikoanalyse mit entsprechenden Vorgaben hinsichtlich der Managementmaßnahmen zur Beherrschung von Risiken anwenden. Zielvorgabe der Projektgruppe Kritische Kontrollpunkte in der Rinderhaltung ist die Erarbeitung von Kontrollpunkten für die Bereiche der Tiergerechtheit (Tierverhalten, Tiergesundheit und Hygiene) und des Betriebsmanagements (einschließlich ökonomisch relevanter Punkte) unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben. Aspekte der Tiergerechtheit bei der Aufzucht von Kälbern und Jungrindern sowie der Haltung von Milch- und Fleischrindern werden in vorgegebenen Intervallen direkt am Tier (z. B. durch Adspektion) auf der Grundlage von Managementdokumenten (z. B. Herdenmanagementprogramme, Gesundheitsüberwachung), der baulich-haltungstechnischen Gegebenheiten und der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben erfasst. In dem Konzept geht es um die Kontrolle essentieller und nach dem derzeitigen Kenntnisstand wünschenswerter Bedingungen der Haltungsumwelt und des Managements, die dem Wohlbefinden und der Tiergesundheit zuträglich sind. Schlüsselwörter: Rinder, Haltung, Tiergerechtheit, Kontrollpunkte Danksagung Die Autoren bedanken sich für die wertvollen Anregungen aus vorangegangenen Diskussionen mit folgenden Personen aus einem erweiterten Expertenkreis: S. Baumgart, B. Bünger, Th. Engelhard, N. Harzer, G. Rademacher, L. Schrader, W. Sieber, O. Weiher und P. Zelfel.
9 Kritische Kontrollpunkte (CCP) in der Rinderhaltung 337 Literatur Achilles, W.; Eurich-Menden, B.; Hartmann, W. (2005): Nationaler Bewertungsrahmen zur Beschreibung des Standes der Technik bei Tierhaltungsverfahren Aspekt Umweltwirkungen. In: 7. Internationale Tagung für Bau, Technik und Umwelt in der landwirtschaftlichen Tierhaltung, Braunschweig, 1. bis 3. März 2005, Tagungsband. Bartussek, H. (1996): Tiergerechtheitsindex für Rinder, TGI 35/L 1996, Stand Mai 1996, Bundesanstalt für alpenländische Landwirtschaft (BAL) Gumpenstein, A 8952 Irdning. von Borell, E.; Van den Weghe, S. (1999): Erarbeitung von meßbaren Kriterien für die Einschätzung von Haltungsverfahren für Rinder, Schweine und Legehennen bezüglich ihrer Tiergerechtheit und Umweltwirkung. Züchtungskunde 71, von Borell, E. (2000): Assessment of pig housing based on the HACCP concept critical control points for welfare, health and management. In: Blokhuis, H. J.; Ekkel, E. D.; Wechsler, B. (editors): Improving Health and Welfare in Animal Production, EAAP Publ. No. 102, Wageningen Pers, The Netherlands, von Borell, E.; Bockisch, F.-J.; Büscher, W.; Hoy, S.; Krieter, J.; Müller, C.; Parvizi, N.; Richter, Th.; Rudovsky, A.; Sundrum, A.; Van den Weghe, H. (2001): Critical control points for on-farm assessment of pig housing. Livest. Prod. Sci. 72, von Borell, E. (2002): An evaluation of indexing welfare in farm animals. In: Ellendorff, F.; Moennig, V.; Ladewig, J.; Babiuk, L. (eds.): Animal Welfare and Animal Health, Proc. of Workshop 5 on Sustainable Animal Production, FAL Agricultural Research, Special Issue 227. von Borell, E.; Schäffer, D.; Höver, K.; Kirschstein, T. (2002): Beurteilung der Tiergerechtheit von Schweinehaltungssystemen in Betrieben mit unterschiedlichen Produktionsstufen und Bestandsgrößen anhand des Konzepts der Kritischen Kontrollpunkte. In: Artgerechte Tierhaltung in der modernen Landwirtschaft Diskussion neuer Erkenntnisse, Schriftenreihe der Landwirtschaftlichen Rentenbank, Band 17, Frankfurt, von Borell, E. (2003): Haltungsansprüche. In: Fahr, R.-D.; von Lengerken, G. (Hrsg.) Milcherzeugung: Grundlagen, Prozesse, Qualitätssicherung, Deutscher Fachverlag GmbH, Frankfurt am Main. von Borell, E.; Sørensen, J. T. (2004): Organic livestock production in Europe: aims, rules and trends with special emphasis on animal health and welfare. Livest. Prod. Sci. 90, 3-9. Cost (european Cooperation in the field of Scientific and Technical Research) 846: Measuring and Monitoring Farm Animal Welfare, Chair: H. Blokhuis, http// Ekesbo, I. (1992): Monitoring systems using clinical, subclinical and behavioural records for improving health and welfare. In: Livestock Health and Welfare, Longmann Scientific, Harlow, Eurepgap (2004): Control Points and Compliance Criteria, Integrated Farm Assurance, Section 2: Cattle, Sheep, c/o FoodPlus GmbH, Köln, 1-3. Hoy, St.; von Borell, E.; Richter, Th.; Sundrum, A. (2004): Das HACCP-Programm in der Schweinehaltung Kritische Kontrollpunkte (CCP) aus der Sicht der Tiergesundheit. Züchtungskunde 76, Knierim, U.; Hesse, D.; von Borell, E.; Herrmann, H.-J.; Müller, C.; Rauch, H.-W.; Sachser, N.; Zerbe, F. (2003): Voluntary animal welfare assessment of mass-produced farm animal housing equipment with standardised procedure. Anim. Welfare 12, Köfer, J.; Stolle, A. (1994): Hygieneüberwachung in Fleischwaren-Produktionsbetrieben. Steierm. Landesdruckerei, Graz. LKV Sachsen-Anhalt e.v. (2004): Basis-Qualitätsmanagementsystem in der tierischen Erzeugung, Version 3/2004, 1-13.
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