Demenz bei Menschen mit Migrationshintergrund. der nahen Zukunft

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1 Demenz bei Menschen mit Migrationshintergrund - ein Versorgungsproblem der nahen Zukunft Elisabeth Wesselman Fachreferentin Interkulturelle Versorgung Städtisches Klinikum München GmbH elisabeth.wesselman@klinikum-muenchen.de

2 Gemeinnütziger Verein: DeJaK-Tomonokai Deutsch-Japanischer Verein für kultursensible Pflege 公 益 法 人 文 化 を 配 慮 した 介 護 DeJaK- 友 の 会 Individuelle Erfahrungen der Mitglieder (Auszug): Eines Tages hat mir eine Freundin eine ältere Japanerin vorgestellt. wusste ich vage, dass man im hohen Alter zu seiner Muttersprache zurückkehrt und den Bezug zu später erlernten Fremdsprachen verlieren kann. Es geht nicht darum, dass man plötzlich kein Wort Deutsch mehr sprechen kann, sondern vielmehr um den Verlust der Fähigkeit, seine Gedanken und Emotionen gewählt und präzise ausdrücken zu können. Gerade im Alter stellt man fest, dass man medizinische Fachausdrücke, juristische Fachwörter und Amts-Deutsch nicht (mehr) gut verstehen kann. Zusätzlich stellt sich plötzlich eine große Sehnsucht nach japanischem Essen ein auch wenn dies vorher nie der Fall gewesen ist. aber dann möchte man im Alter doch seine Landsleute sehen und Japanisch hören.

3 Migranten eine unbedeutende Gruppe? Menschen mit Migrationshintergrund (MHG) in Deutschland 19,3 % der Bevölkerung in Deutschland (15,7 Mio.) Stat.Bundesamt 2011 Aussiedler : 25,9% Türkei: 18.4% sonst.eu-27: 14,1% Südeuropa: 9,1% ehem.jugoslaw.: 8,8% ferner Osten : 6,2% naher Osten 4,3% Afrika: 3,4% Sonstige: 9,8% Quelle: Mikrozensus 2010, Berlin Institut, Neue Potentiale

4 Ein erheblicher Teil der Migrantinnen und Migranten bald alt und pflegebedürftig? Herkunftsländer der Migranten über 55 Jahre, TOP 4 Zunahme der über 65-jährigen Migrationsbevölkerung (2011 vs. 2013) Migration und Pflege Abschied von Illusionen, ZQP (Zentrum für Qualität in der Pflege) 2011 / Migration und Bevölkerung, Newsletter der Bundeszentrale für politische Bildung, 2. Februar/März 2010

5 Projekt Amiqus: Ältere Migranten in München Projekt zur Unterstützung und Initiierung von Netzwerkorganisationen und Selbsthilfe von älteren Migranten im Quartier: Wiesbaden, Fulda, München (Hart, Hasenbergl) Aussagen einer aktivierenden Befragung, gesamt N: 801, München N: 155 Ich will meinen Hauptwohnsitz in Dtschl. behalten Ich will in meinem Herkunftsland bestattet werden Besorgungen Ehepartner Kinder Freunde/Bekan. München 70% 48 % 51% 52% 48% gesamt 58% 59% 39 % Hilfe bei eigener Krankheit Ehepartner Kinder Freu nde/bekan. 39% 46% 44 % 46% 55% 43% S. Fröba, , AK Migration und Gesundheit, München

6 Befragung von Migranten in München Auszug Bezüglich meiner seelischen und körperlichen Gesundheit habe ich keine Ansprechpartner meines Vertrauens (über 30%) Ich bin bezüglich Fragen von Gesundheit, Pflege und Not von älteren Menschen sehr unsicher. (über 40%)

7 Kaiser Claudia, BAGSO, Frankfurt,

8 Gesundheit von älteren Migranten Aufgrund des im Durchschnitt schlechteren Gesundheitszustandes der älteren Migranten wird davon ausgegangen, dass sie bereits in jüngeren Jahren an einer Demenz erkranken können. (Kaiser Claudia, BAGSO, Frankfurt, ) Der einsetzenden Alterungsprozess von Deutschen wird im Alter von 60 bis 65 Jahren angesetzt, bei Migranten ab 55 Jahre (AWO NRW, Dialogzentrum Demenz Witten-Herdecke) Der Krankenstand (Kranke u. Unfallverletzte) von Migrantinnen und Migranten liegt bis zum 65 Lebensjahr unter dem von Nicht- Migranten; für die 65Jährigen kehrt sich dieses Verhältnis um (10. Bericht der Integrationsbeauftragten Oktober 2014)

9 Gesundheitsversorgung Zugangsbarrieren für Menschen mit MGH Kommunikation, insbesondere Sprache mangelnde Kenntnisse der Institutionen im Gesundheitswesen unterschiedliche kulturell bedingte Krankheits- und Gesundheitskonzepte (z.b. Prävention, Krankheitszuschreibung ) soziale Unterschicht (niedriger Bildungsgrad, finanziell geringe Mittel)

10 Kulturbezogene Kommunikationsprobleme Was sagt die Forschung? Es wurden fünf Aspekte für kulturbezogene Kommunikationsprobleme identifiziert: 1. Kulturelle Unterschiede in Erklärungsmodellen von Gesundheit und Kranksein 2. Unterschiede in kulturellen Werten 3. Kulturelle Unterschiede bzgl. Arzt-Patient Beziehung 4. Rassismus/Wahrnehmungsfehler 5. Sprachliche Barrieren

11 Patientenaussagen im Krankenhaus Theda Borde, Berlin, Dtsch. Ethikrat, Jahrestag. 2010,Migration und Gesundheit

12 Demenz besondere sprachliche Probleme Die durch die Migration erworbene Zweitsprache wird im Laufe des Alterungsprozesses vergessen Bei einem Verlust des Kurzzeitgedächnisses und der Fokussierung auf Erinnerungen der Kinder- und Jugendzeit spielt die Sprache des Herkunftslandes eine besonders große Rolle Laiendolmetscher, Familiendolmetscher problematisch werden auch langfristig bestimmte Personengruppen eine Sprachmittlung benötigen: Ältere Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere bei demenziellen Erkrankungen (10. Bericht der Integrationsbeauftragten Oktober 2014)

13 Demenz Anzahl der Betroffenen mit MHG valide Daten gibt es nicht bundesweit geschätzt ca demenziell erkrankte Migranten (Piechotta/Matter) Häufigkeit bei älteren Migranten in etwa übereinstimmend mit der Häufigkeit in der Mehrheitsbevölkerung (Grieger 2009) oder höher (Kessler/Kalbe 2010) Nach Aussagen der Dtsch. Alzheimer-Gesellschaft leidet jeder 20. zwischen Jahren an Demenz, zwischen 80 und 90 Jahren jeder Dritte

14 Demenz migrationsspezifische Probleme kein Wissen von der Erkrankung normale Vergesslichkeit des Alters? kulturspezifische magische Deutung (Geister, Strafe Allahs) religiöse Amulette, Pilgerfahren etc. als Lösung ansteckende Krankheit, vererblich? hohe Tabuisierung, Scham keine Vergleichsmöglichkeit mit Gleichaltrigen aus dem Herkunftsland (andere Lebensumstände)

15 Erschwerende Faktoren zur Diagnosestellung - Störung im Familienleben durch Rollenverlust des Familienoberhauptes - stationäre Versorgung, Heimaufenthalt = Schande - Versorgungsprobleme der Familien (conta kultureller Konzepte der generationenübergreifenden familiären Fürsorge) - Unterschiedliche Erklärungsmodelle und Diagnosestellungen von Ärzten (fehlende Diagnostikverfahren) und Beratern, wie z.b. Hocas - Konsequenz: Verstecken der Erkrankten, kein Ersuchen um Hilfe durch die betroffenen Angehörigen, Freunde

16 Demenzdiagnostikverfahren problematisch Bildungsgrad (z.b. Analphabeten) Sprachniveau kultur- und bildungsspezifische Anpassung der Tests Hinzuziehung von Familienangehörigen als Dolmetscher (Verzerrung, Reduzierung, Wertung und Interpretation von Aussagen das Gesicht zu wahren) z.t. großes Misstrauen gegenüber Beratungsstellen, insbesondere bei russischstämmigen Menschen Demenztest TRAKULA ( Transkulturelles Assessment ) ohne lese- u. schreiblastige Module (Kurzform EASY)

17 Häufige Fehler in der Versorgung Cave: Ethnisierung, Kulturalisierung, Diskriminierung!!! es gibt nicht den Migranten, den. Migranten bewegen sich zwischen der Herkunfts- und der hier erlebten Kultur, sie präsentieren je nach Integrationsgrad und Situation verschiedene Aspekte beider Kulturen Viele Migrantenfamilien zeigen erhebliche Brüche und problematische Beziehungen untereinander auf die Familie gibt es nicht Vorsicht bei religiöse Zuschreibungen, den Muslim gibt es auch nicht, religiöse Gemeinschaften sind vereinsrechtlich organisiert Fragen, Beziehung, Wertschätzung, Respekt hilft!!!

18 Was fehlt? Aufklärungskampagnen, fremdsprachige Informations- und Aufklärungsmaterialien fremdsprachige Beratungszentren kulturell angepasste Pflegedienste kulturell angepasste Versorgungsketten (z.b. Tagespflege, Heime etc.) kulturell angepasste Demenz-Diagnostikverfahren verbindliche Aufnahme eines Moduls zur Versorgung von Migranten in der Aus- und Weiterbildung im ärztlichen und pflegerischen Bereich, kontinuierliche Fortbildung gezielte Einstellung von Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund und entsprechenden Sprachkenntnissen

19 Literatur Infobroschüren zum Thema Demenz in verschiedenen Sprachen Kurzinformationen zu Betreuung und Vorsorgevollmacht Muster einer Vorsorgevollmacht und Muster einer Betreuungsverfügung (russ./türk.) Meine Mutter/mein Vater wird extrem vergesslich Ist das normal im Alter oder Hinweis auf eine Demenz? (dtsch + russ., türk., griech., ital., poln.) Schriftliche Informationen und fremdsprachige Internetseiten Die Alzheimer Gesellschaft Australien bietet auf ihrer Website ausführliche Informationen in 25 Sprachen an: türk., russ., ital., griech., span., serb., span., weitere Sprachen Hilfen zur Kommunikation bei Demenz (russ., türk.,) fachliteratur-migration-und-demenz/

20 Broschüre polnisch Plötzlich hat mich mein Vater nicht mehr erkannt polnisch (download) Kurzinfo zur Betreuung und Vorsorgevollmacht (dtsch, türkisch, russisch, italienisch, griechisch, polnisch, englisch) Muster einer Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung türkisch, russisch Broschüren zum Thema Demenz dtsch., kroat., türk., engl., ital., rumän., portug., franz., poln., bulg., russ. Info zu Pflegebegutachtung des MDK kroat., poln., griech., ital.

21 Projekte (Auswahl) NASCH DOM Projekt zur Verbesserung der Versorgung russisch sprachiger Demenzkranker Kurse für (Laien-) Helfer für Familien mit an Depression und Demenz erkrankter Migranten in russ. und türk. Sprache Stuttgart VHS

22 Materialien (Auswahl) II (türkisch, russisch, polnisch) Projekt Demenz & Migration der AWO und des DemenzServicezentrums für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte: Filme, Broschüren, Erinnerungskarten, Ratgeber, Musik

23 Broschüre: Doppelt fremd, Demenzerkrankung in der Migration Christa Hanetseder, Empfehlungen

24 Verständigung und Verständnis eine besondere Herausforderung in der interkulturellen Versorgung Für die bessere Versorgung demenzkranke Migranten sind die Handlungsempfehlungen der Studie Menschen mit Demenz im Krankenhaus (dip, Caritas 2012) ebenfalls zutreffend (mehr Sensibilität, Demenzbeauftragte, höherer Angehörigeneinbezug) aber nicht ausreichend! Krankenhäuser (insbesondere in industriellen Zentren) müssen sich auf die massive Zunahme dementer Migranten vorbereiten, z.b. (freiw.) Erfassung der Staatsangehörigkeit qualifizierte Dolmetschersysteme qualifiziertes Personal mit MHG interkulturelle Schulungen des Personals

25 Interkulturell öffnen was heißt das für ein Krankenhaus? Die Broschüre steht als Download auf der Internetseite der Integrationsbeauftragten ( und kann im Herbst in 3. Auflage kostenlos bestellt werden

26 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Grazie per la vostra attenzione! Thank you for your attention! Beni sabırla dinlediginiz icin cok tesekkür ederim! Köszönöm a figyelmüket! Merci de votre attention! Dank U foor uw aandacht! Kiitos huomiostanne!