VORSICHT UND MATCHING
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- Birgit Brahms
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1 XV/7002/95 DE DOKUMENT DES BERATENDEN FORUMS FÜR RECHNUNGSLEGUNG VORSICHT UND MATCHING GENERALDIREKTION XV Binnenmarkt und Finanzdienstleistungen
2 Diese Dokument wurde für den internen Gebrauch der Kommissionsdienststellen ausgearbeitet. Es wird der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, ist aber nicht als offizielle Stellungnahme der Kommission anzusehen. Nachdruck - ausgenommen zu kommerzielle Zwecken - mit Quellenangabe gestattet. 2
3 VORWORT Dieses Dokument befaßt sich mit Vorsicht und Matching in der Rechnungslegung. Es wurde vom Beratenden Forum für Rechnungslegung (Forum) erarbeitet und dient als Beratung der Kommission. Die im Dokument geäußerten Ansichten geben nicht unbedingt einen offiziellen Standpunkt der Kommission wieder. Das Forum ist eine die Kommission beratende Einrichtung, die sich aus Sachverständigen der wichtigsten an der Rechnungslegung beteiligten oder interessierten Kreise in der Europäischen Union zusammensetzt. Das Forum ist kein standard-setting body. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Kommission in Fragen der Rechnungslegung zu beraten und Möglichkeiten für eine Koordinierung aufzuzeigen. Die Mitglieder des Forums werden persönlich eingeladen und ihre geäußerten Ansichten, die sich in diesem Dokument widerspiegeln, verpflichten in keiner Weise die Organisationen, die sie für eine Mitgliedschaft im Forum vorgeschlagen haben, noch werden diese Ansichten einmütig von allen Mitgliedern geteilt. Zweck dieser Veröffentlichung ist es, die Diskussion zwischen den Normgebern, Aufstellern, Abschlußprüfern und Anwendern von Abschlüssen in den Mitgliedstaaten bezüglich des Umganges mit den Grundsätzen der Vorsicht und des Matching in der Rechnungslegung anzuregen. In dem Dokument werden die verschiedenen Möglichkeiten einer verbesserten Darstellung von vergleichbaren und gleichwertigen Informationen auf der Grundlage der Richtlinien der Rechnungslegung geprüft. 3
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5 INHALT Ziffer EINLEITUNG 1-3 GRÜNDE FÜR UNTERSCHIEDLICHE AUSLEGUNGEN UND ANWENDUNGS FORMEN DES VORSICHTS- UND DES MATCHINGPRINZIPS 4-7 DAS VORSICHTSPRINZIP A) Vorsicht und Risiko 8-10 B) Die Anwendung des Vorsichtsprinzips in der 4. Richtlinie ) Vorsicht beim Ausweis und der Bewertung von Aktiva und Passiva ) Vorsicht, um eine angemessene Bewertung in besonders riskanten Situationen zu erreichen 15 3) Vorsicht beim Ausweis von Gewinnen (Realisationsprinzip) C) Grenzen für die Auslegung des Vorsichtsprinzips DAS MATCHINGPRINZIP BEZIEHUNG ZWISCHEN VORSICHT UND MATCHING FAZIT
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7 EINLEITUNG 1. Die europaweite Harmonisierung im Bereich der Rechnungslegung hat u.a. zum Ziel, die Abschlüsse in der Europäischen Union gleichwertig und vergleichbar zu machen, so daß "die verschiedenen Bewertungsmethoden für Aktiva und Passiva, soweit erforderlich, vereinheitlicht werden" müssen 1. Abweichungen können also hingenommen werden, solange dies nicht dazu führt, daß die Angaben in den Abschlüssen nicht mehr vergleichbar und gleichwertig sind. Teilweise jedoch können unterschiedliche Auslegungen und Anwendungsformen der Bewertungsregeln und Rechnungslegungsgrundsätze den Harmonisierungsprozeß erschweren. Die Beseitigung derartiger Unterschiede bildet daher eine der wichtigsten Aufgaben, die im Bereich der europäischen Rechnungslegung in nächster Zukunft zu bewältigen sind. 2. Nachdem die EG-Rechnungslegungsrichtlinien nun seit mehreren Jahren in den Mitgliedstaaten durchgeführt werden, sind Divergenzen bei Auslegung und Anwendung der Bewertungsregeln und Rechnungslegungsgrundsätze hervorgetreten. Die Probleme betreffen offensichtlich vor allem die Grundsätze der Vorsicht und des Matching. Die FEE (Fédération Européenne des Experts Comptables) hat kürzlich eine Umfrage in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten durchgeführt 2, die folgendes bestätigten: a) Sowohl das Vorsichtsprinzip als auch das Matchingprinzip werden unterschiedlich interpretiert, vor allem in bezug auf die Art und Weise, nach der bestimmt wird, ob Gewinne als realisiert gelten oder nicht. b) Die Beziehung zwischen beiden Prinzipien wird unterschiedlich interpretiert, was dazu führt, daß das Vorsichtsprinzip dem Matchingprinzip vorgeht. Die entsprechenden Abweichungen treten klar zum Vorschein, wenn man sich beispielsweise folgenden Aspekten zuwendet: Kapitalisierung von Forschungs- und Entwicklungskosten, Bewertung börsenfähiger Wertpapiere, Bewertung langfristiger Kontrakte, der Ausweis von Währungsumrechnungsdifferenzen, die Behandlung staatlicher Investitionszuschüsse, die Behandlung von Anzahlungen und Anlagen im Bau, Wahl der Kostenformel für Fertigwaren und Waren, die zum Wiederverkauf bestimmt sind. 1 2 Vierte Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1978 (78/660/EWG) über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen - ABl. L 222 vom Präambel. Diskussionspapier über die Anwendung der Vorsicht und des Matching in bestimmten europäischen Staaten - Brüssel
8 3. In diesem Dokument sollen daher Probleme im Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung des Vorsichts- und des Matchingprinzips untersucht werden, um zu bestimmen, in welcher Weise diese die Gleichwertigkeit und Vergleichbarkeit von Abschlüssen erschweren können. Zunächst wird untersucht, warum in diesem Bereich Interpretations- und Anwendungsunterschiede bestehen, danach die besonderen Merkmale der beiden Grundsätze sowie die Beziehung zwischen ihnen. Als Fazit wird in dem Dokument keine abschließende Lösung der analysierten Probleme präsentiert, sondern zu bestimmen versucht, auf welche Art und Weise man in dieser Frage vorankommen könnte. GRÜNDE FÜR UNTERSCHIEDLICHE AUSLEGUNGEN UND ANWENDUNGSFORMEN DES VORSICHTS- UND DES MATCHINGPRINZIPS 4. Zunächst sei hierzu angemerkt, daß die Anwendung von Bilanzierungsprinzipien generell in keiner Weise eine mathematische Übung darstellt. Anders als bei technischen Normen besteht hier zwangsläufig ein gewisser Beurteilungsspielraum, so daß sich das Ergebnis naturgemäß je nach Personen und Umständen ändern kann. Die Rechnungslegungsrichtlinien lassen von der normalen Anwendung eines Rechnungslegungsgrundsatzes keine Abweichungen zu, die mit der Größe des Unternehmens (klein, mittel, groß), seinem Geschäftsbereich oder anderen Merkmalen (börsennotiert oder nicht) zu tun haben. Jedoch ist es nicht immer möglich, auf der Grundlage eines in den Richtlinien niedergelegten Grundsatzes zu entscheiden, wie ein solcher Grundsatz in der Praxis anzuwenden ist, bzw. zu sagen, daß er in verschiedenen Situationen in gleicher Weise anzuwenden ist. 5. Daß es gewisse Divergenzen gibt, ist in bestimmter Hinsicht unvermeidlich. Teilweise liegt es daran, daß sich mit der Zeit die Volkswirtschaften und auch die Rechnungslegung weiterentwickeln, wodurch sich die Auslegung bestimmter Prinzipien ändern und die Befolgung von vor längerem aufgestellten Grundsätzen nicht mehr ausreichen mag, um den neuen Gegebenheiten gerecht zu werden. Werden neue Formen von Unternehmenstransaktionen geschaffen, so kann das Fehlen spezieller Leitlinien für deren Behandlung zur Folge haben, daß dieselben allgemeinen Grundsätze unterschiedlich ausgelegt und angewandt werden. Andere Differenzen gehen auf den Umsetzungs- und Anwendungsprozeß zurück. Bedingt durch Unterschiede in Kultur, Geschichte, Tradition und Sprache können dieselben Sätze von Land zu Land unterschiedlich aufgefaßt werden. Die Rechnungslegungsrichtlinien geben allgemeine Regeln vor, legen aber nicht alle entsprechenden Anwendungsformen im einzelnen fest, so daß keine Sicherheit darüber besteht, daß die jeweiligen technischen Normen in den Mitgliedstaaten stets auf demselben Verständnis des betreffenden allgemeinen Prinzips gründen. So können auch, wenn man sich über ein allgemeines Konzept geeinigt hat, danach Divergenzen aufkommen, nämlich bei der praktischen Anwendung des Konzepts selbst. 8
9 6. Oft wird gesagt, der Hauptgrund dafür, daß das Vorsichts- und das Matchingprinzip so unterschiedlich interpretiert werden, seien die unterschiedlichen Auffassungen über die Ziele der Abschlüsse. In der Tat sind in Europa die Ziele der Rechnungslegung und die Rolle der Abschlüsse von Land zu Land unterschiedlich wichtig. In einigen Mitgliedstaaten werden die Finanzinformationen hauptsächlich dazu benutzt, Aktionäre und andere interessierte Kreise (wie z.b. die Gläubiger) über die Fähigkeit des Unternehmens zu informieren, ausschüttbare Gewinne zu erzielen, seinen Verpflichtungen nachkommen und seinen Fortbestand als operatives Unternehmen sichern zu können, während sie in anderen Mitgliedstaaten vorwiegend als Grundlage für wirtschaftliche Entscheidungen von Investoren, insbesondere am Kapitalmarkt, dienen. Die Darstellung von vorsichtigeren Informationen wird im erstgenannten Fall als kein grundlegendes Problem betrachtet werden, jedoch als grundsätzlich irreführend für die Erreichung des letztgenannten Zweckes angesehen. Abschlüsse sollten neutral und deshalb so ausgerichtet sein, daß sie Geschäftsvorfälle so darstellen, wie sie sich ereignet haben, einschließlich ihrer wahrscheinlichen künftigen Auswirkungen, und nicht etwa so, daß sie einen vorher festgelegten Effekt bewirken. Die Benutzung der Finanzinformationen zu unterschiedlichen Zwecken kann indessen zu einer unterschiedlichen Gewichtung der beim Abschluß angewandten Rechnungslegungsgrundsätze verleiten und so zu verschiedenartigen Interpretationen der gleichen Grundsätze und Vorschriften führen. 7. Ein anderer Grund, der oftmals zur Erläuterung der unterschiedlichen Interpretationen des Vorsichts- und des Matchingprinzips angeführt wird, ist das Steuerwesen. Bei der Wahl der Bewertungsregeln spielen steuerliche Erwägungen - zumindest in bestimmten Mitgliedstaaten - nämlich eine ganz entscheidende Rolle. Da jedes Land eigene Steuervorschriften hat, wirkt sich dies erheblich auf die Anwendung der Rechnungslegungsgrundsätze aus. In den Rechnungslegungsrichtlinien wird nicht direkt auf steuerliche Probleme eingegangen. Jedoch mögen diese Richtlinien in bestimmten Ländern in einer von der steuerlichen Situation der Unternehmen beeinflußten Art und Weise ausgelegt werden, nämlich in den Ländern, in denen zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz, die als Grundlage für die Veranlagung zur Körperschaftsteuer dient, eine feste Verknüpfung besteht. Sind allein aus steuerlichen Gründen Wertberichtigungen vorgenommen worden, so verlangt die 4. Richtlinie spezielle Angaben im Anhang, um die Vergleichbarkeit der Abschlüsse wiederherzustellen. Da die Bewertungsregeln in einigen Ländern direkt mit der Bestimmung des steuerpflichtigen Einkommens verbunden sind, muß dies gebührend berücksichtigt werden, falls eine Änderung der Bewertungsregeln vorgeschlagen werden sollte, die Auswirkungen hätte auf die Höhe des steuerpflichtigen Einkommens. Es gibt Fälle im rechtlichen und wirtschaftlichen Umfeld, die die Anwendung der Rechnungslegungsgrundsätze beeinflussen. Dies kann aber die Vergleichbarkeit der Finanzausweise sehr schwierig gestalten, weshalb die Rechnungslegungsrichtlinien im Falle von Wahlrechten oftmals zusätzliche Angaben im Anhang vorschreiben, mit denen die Vergleichbarkeit wiederhergestellt werden soll. Die Unterschiede im sozialwirtschaftlichen und im rechtlichen Bereich können aufgrund des nationalen Rechts oder der von den nationalen Normungseinrichtungen festgelegten Grundsätze, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variieren, auch zu 9
10 unterschiedlichen Auslegungen bestimmter Richtlinienbestimmungen führen. Zudem wurde herausgestellt, daß teilweise eine verzerrte Anwendung der Rechnungslegungsgrundsätze durch wirtschaftliche Führungskräfte zu beobachten ist, die zu einer willkürlichen Anwendung der Rechnungslegungstechniken führt, die allein bestimmten Finanzierungsstrategien dient. DAS VORSICHTSPRINZIP A) VORSICHT UND RISIKO 8. Auf das Vorsichtsprinzip trifft die obige Aussage, die Anwendung eines Rechnungslegungsgrundsatzes sei in keiner Weise eine mathematische Übung, in besonderer Weise zu. Das Vorsichtsprinzip ist nämlich besonders in Situationen anzuwenden, die durch Unsicherheit und Risiken gekennzeichnet sind, so daß der Einzelfallbeurteilung eine größere Rolle zukommt. So definiert der IASC- Bezugsrahmen das Vorsichtsprinzip als "Anwendung einer gewissen Behutsamkeit bei der Vornahme von Urteilen, die für unter Bedingungen der Unsicherheit erforderliche Schätzungen anzustellen sind, so daß Aktiva oder Erträge nicht überbewertet und Passiva oder Aufwendungen nicht unterbewertet werden". 9. Daß zwischen Vorsicht und Risiko eine Verknüpfung besteht, wird zwar von allen Seiten anerkannt, doch gehen die Ansichten über die Bedeutung dieses Zusammenhangs auseinander. Die eine Schule (IASC-Bezugsrahmen, FASB "Begriff Nr. 2", "Statement of Principles" des Vereinigten Königreichs) ordnet Vorsicht unter mehrere qualitative Merkmale ein, durch die die Angaben in den Abschlüssen für Interessenten verwertbar werden. In IAS1 ist "Vorsicht" definiert als die Vorsicht, von der sich die Unternehmensleitung bei der Entscheidung für bestimmte Rechnungslegungskonzepte und ihre Anwendung leiten lassen sollte. Die ASB des Vereinigten Königreichs entwickeln den IASC-Text insofern weiter, als Vorsicht hier als innere Einstellung gesehen wird, die die sorgfältige Bewertung aller Unsicherheiten und Wachsamkeit gegenüber möglichen Risiken kennzeichnet, und nicht so sehr als mechanisch anzuwendenden Berechnungsfaktor. In keinem dieser Dokumente wird Vorsicht als vorrangiges Bilanzierungsprinzip betrachtet. Eine andere Schule versteht das Vorsichtsprinzip als einen Grundsatz, der Vorrang vor allen anderen Grundsätzen hat, der also für die Aufstellung von Abschlüssen elementar ist. In einigen EU-Mitgliedstaaten liegt dieses Verständnis der Auslegung der 4. Richtlinie zugrunde. 10
11 10. Da Vorsicht im Zusammenhang mit Risiko und Risikowahrnehmung steht, ist der Gedanke vorgebracht worden, ein Weg zu einem besseren Verständnis von Vorsicht sei die Definition und Analyse des Risikokonzepts. Dies ist nicht leicht zu bewerkstelligen: Ein und dasselbe Risiko wird von verschiedenen Personen fast immer unterschiedlich wahrgenommen, und zuweilen geht man bestimmte finanzielle Risiken ein, um sich gegen andersartige Unternehmensrisiken abzusichern. Auch ist die Risikowahrnehmung in hohem Maße von der Tätigkeit und dem Charakter des Unternehmens abhängig, so daß sich sagen läßt, mit jeder unternehmerischen Tätigkeit ist eine besondere, ihr inhärente Art von Risiko verbunden (bei Darlehen beispielsweise werden feste Zinssätze gewöhnlich für den Kreditgeber als riskanter betrachtet als variable Sätze, weniger dagegen für den Kreditnehmer, dem sie bei seinen finanziellen Verpflichtungen die Sicherheit verschaffen, auf die er bei seiner mittel- bis langfristigen Unternehmensstrategie bauen kann). B) DAS VORSICHTSPRINZIP IN DER 4. RICHTLINIE 11. Das Vorsichtsprinzip im Sinne der Richtlinie wird in Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe c) wie folgt definiert: "Der Grundsatz der Vorsicht muß in jedem Fall beachtet werden. Das bedeutet insbesondere: aa) bb) cc) Nur die am Bilanzstichtag realisierten Gewinne werden ausgewiesen. Es müssen alle voraussehbaren Risiken und zu vermutenden Verluste berücksichtigt werden, die in dem Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr entstanden sind, selbst wenn diese Risiken oder Verluste erst zwischen dem Bilanzstichtag und dem Tag der Aufstellung der Bilanz bekannt geworden sind. Wertminderungen sind unabhängig davon zu berücksichtigen, ob das Geschäftsjahr mit einem Gewinn oder einem Verlust abschließt." Der Inhalt dieser Bestimmungen soll in den folgenden Abschnitten untersucht werden. Zunächst jedoch sei angemerkt, daß die Rechnungslegungsrichtlinien keine vollständige Definition des Vorsichtsprinzips enthalten. In Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe c) werden einige wichtige Einzelangaben geliefert, doch geht aus dem Ausdruck "insbesondere" deutlich hervor, daß hier nur einige der praktischen Konsequenzen des Prinzips genannt werden. Um genauer zu sehen, wie Vorsicht in der Rechnungslegung zu verstehen ist, sollte daher über den Wortlaut dieser Bestimmung hinausgegangen und untersucht werden, wie das Konzept in der 4. Richtlinie insgesamt dargestellt wird. 12. Das Vorsichtsprinzip spielt in der 4. Richtlinie in verschiedener Hinsicht eine Rolle. Es lassen sich hierbei drei Hauptaspekte unterscheiden: 11
12 a) Vorsicht im Zusammenhang mit dem Ausweis und der Bewertung von Aktiva und Passiva. Vorsicht spielt eine fundamentale Rolle beim Ausweis von Aktiva und Passiva; die Umstände, unter denen bestimmte Aufwendungen als Aktiva angesetzt werden dürfen, sind eingeschränkt; vorhersehbaren Passiva und möglichen Verlusten muß entsprechende Beachtung entgegengebracht werden. Vorsicht spielt auch bei der Bewertung von Aktiva eine große Rolle. Grundregel ist zwar, daß Aktiva zu Anschaffungskosten zu bewerten sind, doch erfordert das Vorsichtsprinzip, daß sie zu einem niedrigeren Wert ausgewiesen werden, wenn ein solcher ihnen zum Bilanzstichtag beizumessen ist. b) Vorsicht, um eine angemessene Bewertung in besonders riskanten Situationen zu erreichen. Da Wirtschaftstätigkeiten Risiken und Unsicherheit mit sich bringen, sollte bei ihrer Wiedergabe in den Abschlüssen Vorsicht angewandt werden, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild zu liefern. c) Vorsicht im Zusammenhang mit Gewinnen. Bei der Entscheidung darüber, ob Gewinne in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen werden können und was mit ihnen geschehen darf, spielt die Vorsicht eine große Rolle. B.1) VORSICHT BEIM AUSWEIS UND DER BEWERTUNG VON AKTIVA UND PASSIVA 13. Die 4. Richtlinie enthält zwar keine Definitionen für Aktiva, sie enthält jedoch einige spezielle Regeln über den Ausweis und die Bewertung, in denen die Vorsicht eine besondere Rolle spielt. Bestimmte Aufwendungen (Ausbildungsaufwendungen, Kosten für Forschung und Entwicklung, für selbsterstellte Patente, Lizenzen und Handelsmarken) können aktiviert werden, soweit dies nach nationalem Recht zulässig ist (Artikel 9 und 10 (Aktiva) (B) (G) (I) (1) (2b)). Die Aktivierung des Geschäftswertes und anderer immaterieller Vermögensgegenstände wie Konzessionen, Patente, Lizenzen und Handelsmarken ist auf jeden Fall erlaubt, wenn sie gegen Entgelt erworben wurden (Artikel 9 und 10 (Aktiva) (C) (I) (2a) (3)). Ein selbst geschaffener Geschäftswert kann niemals aktiviert werden. Die Bewertung von Vermögensgegenständen basiert auf dem Prinzip der Anschaffungskosten (Artikel 32). Die Anwendung des Vorsichtsprinzips erfordert jedoch, daß die wirtschaftliche Realität im Abschluß korrekt dargestellt wird und daß jede Wertminderung durch entsprechende Abschreibungen dokumentiert wird, und zwar unabhängig davon, ob das Geschäftsjahr mit einem Gewinn oder einem Verlust abschließt (Artikel 31 (1) (c) (cc)). Deshalb können Aktiva am Bilanzstichtag zu einem niedrigeren Wert als den Anschaffungskosten angesetzt werden. a) Was Gegenstände des Anlagevermögens betrifft, so kann diese Bestimmung auf Finanzanlagen angewandt werden (Artikel 35 Absatz 1) Buchstabe c) Doppelbuchstabe aa)); sie muß angewandt werden auf alle Gegenstände des 12
13 Anlagevermögens, für die eine dauernde Wertminderung zu erwarten ist (Artikel 35 Absatz 1 Buchstabe c) Doppelbuchstabe bb)). b) Auf Gegenstände des Umlaufvermögens ist diese Bestimmung stets anzuwenden (Artikel 39 Absatz 1 Buchstabe b)). Außerdem haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, bei Gegenständen des Umlaufvermögens außergewöhnliche Wertberichtigungen zu gestatten, sofern diese notwendig sind, damit nicht in nächster Zukunft der Wertansatz infolge von Wertschwankungen geändert werden muß (Artikel 39 Absatz 1 Buchstabe c)). Damit können für solche Geschäftsbereiche (Beispiel: Rohstoffe mit schwankenden Preisen), in denen ein Sinken des Wertes dieser Güter zu erwarten ist, Verluste im vorhinein berücksichtigt werden. 14. Die 4. Richtlinie geht weder speziell auf die Bewertung von Passiva ein noch enthält sie dafür eine Definition. Der Einfluß der Vorsicht geht indessen klar aus einigen Bestimmungen über den Ausweis von Verbindlichkeiten hervor. Die allgemeine Bestimmung von Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe c) Doppelbuchstabe bb) - nämlich daß alle voraussehbaren Risiken (foreseeable liabilities) und zu vermutenden Verluste (potential losses) zu berücksichtigen sind, die in dem Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr entstanden sind, selbst wenn diese Risiken oder Verluste erst zwischen dem Bilanzstichtag und dem Tag der Aufstellung der Bilanz bekannt geworden sind - wird in Artikel 20 Absatz 1 näher ausgeführt. Dieser Absatz bezieht sich auf wahrscheinliche Verluste oder Verbindlichkeiten in den Fällen, in denen eine Verpflichtung gegenüber einem Dritten besteht. Er fordert die Bildung von Rückstellungen für ihrer Eigenart nach genau umschriebene Verluste oder Verbindlichkeiten, die am Bilanzstichtag wahrscheinlich oder sicher, aber hinsichtlich ihrer Höhe und dem Zeitpunkt ihres Eintritts unbestimmt sind. B.2) VORSICHT, UM EINE ANGEMESSENE BEWERTUNG IN BESONDERS RISKANTEN SITUATIONEN ZU ERREICHEN 15. Des weiteren spielt das Vorsichtsprinzip in der 4. Richtlinie eine wichtige Rolle in bezug auf die Bewertung von Situationen, die ein besonderes Risiko mit sich bringen und als solche nicht in der Bilanz erscheinen. Damit diese bilanzunwirksamen Situationen berücksichtigt werden, verlangt die Richtlinie bestimmte Angaben im Anhang. 13
14 Nach dem erwähnten Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe c) Doppelbuchstabe bb) müssen alle voraussehbaren Risiken und zu vermutenden Verluste im Abschluß Niederschlag finden. Insbesondere hierzu verlangt Artikel 43 Absatz 1 Ziffer 7 ausdrücklich, daß der Gesamtbetrag der finanziellen Verpflichtungen, die nicht in der Bilanz erscheinen, im Anhang angegeben werden muß, sofern dies für die Beurteilung der Finanzlage von Bedeutung ist. Beide Bestimmungen zeigen die klare Absicht der 4. Richtlinie sicherzustellen, daß alle materiellen Risikosituationen adäquat geprüft und durch sowohl quantitative als auch qualitative Angaben hinreichend ausgewiesen sind. Im Zusammenhang mit Situationen, die ein besonderes Risiko darstellen und nicht in der Bilanz erscheinen, ist die Beachtung des Vorsichtsprinzips für eine angemessene Bewertung der Bilanzposten äußerst wichtig, da derlei Situationen größte Auswirkungen auf die Gesamtposition des Unternehmens haben können. Auch die jüngsten Debatten über umweltbezogene Rechnungslegung und Probleme im Zusammenhang mit neuen Finanzinstrumenten zeigen dies deutlich. B.3) VORSICHT BEIM AUSWEIS VON GEWINNEN (REALISATIONSPRINZIP) B.3.1) Ursprung der Gewinne 16. In bezug auf Gewinne enthält die 4. Richtlinie die Grundvorschrift, daß nur am Bilanzstichtag realisierte Gewinne ausgewiesen werden dürfen. Das Problem besteht darin, daß sich diese Bestimmung des Artikels 31 Absatz 1 Buchstabe c) Doppelbuchstabe aa) unterschiedlich interpretieren läßt, je nachdem, was unter "realisierten" Gewinnen (im englischen Text "profits made") verstanden wird. Auf das Problem der Realisierung kann u.a. auf die Weise eingegangen werden, daß untersucht wird, wie Gewinne entstehen. Hierbei lassen sich drei Kategorien unterscheiden: a) Gewinne aus Transaktionen; b) Mehrwert, der sich aus einer höheren Bewertung ergibt; c) Erträge aus sonstigen Geschäftsvorfällen. B.3.1.a) Gewinne aus Transaktionen 17. Was die Behandlung von Gewinnen aus Transaktionen betrifft, gilt eine Transaktion normalerweise als realisiert und der entsprechende Gewinn ist in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind (Realisationstest) 3 : 3 FEE: op. cit. Seite 6. 14
15 - Bestehen einer vertraglichen Vereinbarung; - Beachtung der einschlägigen Bedingungen der vertraglichen Übereinkunft; - Übergang des Risikos hat stattgefunden. Die Allgemeingültigkeit eines solchen Realisationstestes wird allerdings zunehmend in Frage gestellt. Bei langfristigen Verträgen zum Beispiel ist es möglich, den Gewinnanteil, der dem bereits erfüllten Vertrag entspricht, in der Gewinn- und Verlustrechnung auszuweisen, obwohl die oben bezeichneten Kriterien nicht vollständig erfüllt sind. Der Kontaktausschuß für Richtlinien der Rechnungslegung hat jedoch dazu festgestellt, daß dies nur unter Beachtung des Grundsatzes der Vorsicht möglich ist und insbesondere - der Gesamtbetrag der Einnahmen aus dem Vertrag bekannt sein muß - der Anteil der Vertragserfüllung exakt berechnet werden kann und - sich die Vertragserfüllung in einem genügend fortgeschrittenen Stadium befindet. 4 Die Kritik an dem oben bezeichneten Realisationstest konzentriert sich insbesondere auf das erste Kriterium (Bestehen einer vertraglichen Vereinbarung) sowie auf das dritte Kriterium (Übergang des Risikos hat stattgefunden). a) Zum ersten Kriterium wird auch die Meinung vertreten, daß im Falle hochgradig liquider Märkte das Bestehen einer besonderen vertraglichen Vereinbarung für die Realisierung der Gewinne nicht als erforderlich anzusehen ist. Ein Markt gilt gewöhnlich dann als "hochliquide" in Bezug auf eine potentielle Transaktion, wenn seine Liquidität so hoch ist, daß diese Transaktion unmittelbar absorbiert wird, ohne daß dies spürbar auf die Preise durchschlägt. In derart organisierten Märkten (zum Beispiel Fremdwährungen) bewirkt das Auftreten von Marktteilnehmern, die bestimmte Aktiva (z.b. Fremdwährungsposten) zu bekannten Preisen erwerben wollen, daß bestimmte Gewinne zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegen, die dann in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen würden, und zwar unabhängig von der Tatsache, ob die entsprechenden Werte tatsächlich verkauft wurden. Selbst wenn Marktteilnehmer in dem oben genannten Sinn nicht vorhanden sind, kann das Handelsvolumen in einem Markt ausreichend sein, um jederzeit einen objektiven Preis, zu dem der Aktivposten verkauft werden soll, festzulegen. 4 Die Angleichung des Bilanzrechts in der Europäischen Gemeinschaft: Probleme bei der Anwendung der Vierten Richtlinie über den Jahresabschluß von Kapitalgesellschaften, Luxemburg, 1990, Seite
16 Diesbezüglich wird die Auffassung vertreten, daß kein wesentlicher Unterschied besteht zwischen einem "noch nicht realisierten, aber hochgradig realisierbaren" Gewinn und einem Gewinn, der "komplett realisiert" wurde, und zwar durch Verkauf des Wertpapiers, dessen Erlös unmittelbar danach in ein gleichartiges Wertpapier reinvestiert wurde. Andere sind dagegen der Auffassung, daß, falls die Veräußerung eines Gegenstandes für die Gewinnrealisierung nicht mehr notwendig sei, ein Hersteller jeden potentiellen Gewinn als realisierten Gewinn beanspruchen könnte, selbst wenn ein tatsächlicher Verkauf noch gar nicht stattgefunden hätte. In diesem Zusammenhang ist es interessant festzustellen, daß die Bankbilanzrichtlinie bereits den Ansatz von realisierten Gewinnen bei börsenfähigen Wertpapieren erlaubt, die nicht die Eigenschaft von Finanzanlagen haben und daß die Versicherungsbilanzrichtlinie erlaubt und in bestimmten Fällen verlangt, daß Kapitalanlagen im Abschluß zum Zeitwert ausgewiesen werden. Weder die Bankbilanzrichtlinie noch die Versicherungsbilanzrichtlinie enthalten eine spezielle Begründung für diese Abweichung von der Vierten Richtlinie. b) Beim Risikoübergang besteht das Problem hauptsächlich darin, daß in einigen Ländern darunter der Übergang aller Risiken verstanden wird, in anderen Ländern dagegen der Übergang aller wesentlichen Risiken. Der geeignetste Ansatz scheint der zu sein, dem zufolge der Risikoübergang dann als erfolgt gilt, wenn alle Risiken übertragen wurden, mit Ausnahme natürlich derjenigen Risiken, die eine direkte Folge der Realisierung des Geschäfts sind. Bei der Entscheidung darüber, ob ein Geschäft realisiert wurde oder nicht, sollte z.b. das Kreditrisiko nicht berücksichtigt werden, denn seine Existenz ist eine Folge der Realisierung des Geschäfts (ansonsten gäbe es keinen Kredit und folglich kein Kreditrisiko). Das gleiche gilt für das Risiko von "Kundenservicegarantien" und das Risiko für außergewöhnliche Vorfälle, die nur entstehen konnten, weil das zugrundeliegende Geschäft abgeschlossen war. Zusätzlich zu der Frage, wieviele Risiken zu berücksichtigen sind (alle oder alle wesentlichen), lassen sich weitere interpretative Unterschiede in bezug auf den Zeitpunkt feststellen, zu dem die Risiken als übertragen gelten (wie beispielsweise bei Vertragsunterzeichnung oder Lieferung der Waren). Diese Unterschiede sind insbesondere von Bedeutung, wenn der Übergang der Risiken nicht strikt mit dem Übergang des Eigentums verbunden ist. Leasingverträge sind ein typisches Beispiel dafür, wie stark die buchmäßige Behandlung davon abhängig ist, inwieweit einerseits die Risiken und andererseits das Eigentum übertragen werden. 5 5 Die Behandlung von Leasingverträgen - Beratendes Forum für Rechnungslegung, Luxemburg, Absätze
17 18. Eine grundsätzlichere Frage bezüglich der Realisierung besteht darin, ob es angemessen ist, die gleichen Kriterien auf alle Erträge anzuwenden, und zwar unabhängig von den Besonderheiten der Aktiva, aus denen sich die Erträge ableiten. Im speziellen Fall von fertigen Erzeugnissen, börsenfähigen Wertpapieren und Fremdwährungsposten zum Beispiel sollten diesbezüglich die zuvor in Punkt 17 a) und b) vorgebrachten Bemerkungen berücksichtigt werden. Bei den fertigen Erzeugnissen geht man normalerweise davon aus, daß kein Markt als so ausreichend liquide angesehen werden kann, daß der Ausweis von "realisierbaren" Gewinnen möglich wäre. So gibt es beispielsweise beim Handel mit PKW keinen derart liquiden Markt; der Risikoübergang erfolgt erst bei tatsächlicher Lieferung des PKW. Im Gegensatz dazu scheinen bei Fremdwährungsposten die besonderen Eigenheiten dieses speziellen Marktes den Ausweis "nicht realisierter" Gewinne zu gestatten, ohne daß dies notwendigerweise mit der korrekten Auslegung des Vorsichtsprinzips kollidiert. Es wird davon ausgegangen, daß die Devisenmärkte normalerweise fähig sind, eine bedeutende Anzahl von Transaktionen ohne signifikante Beeinflussung der Preise zu absorbieren. Der Fall marktgängiger Wertpapiere ist eine Besonderheit und wirft eine Reihe von Fragen auf. Hier besteht ein organisierter Markt, auf dem Wertpapiere jederzeit durch einen einfachen Telefonanruf verkauft werden können. Es besteht kein allgemeines Risiko, außer die zuständigen Stellen untersagen den Handel mit diesen Werten. Dies reicht jedoch nicht aus, um die Liquidität des Wertpapiermarktes als so hoch anzusehen, daß der Ausweis "realisierbarer" Gewinne möglich wäre. Die Liquidität eines einzelnen speziellen Wertpapiers kann nämlich beträchtlich von der Durchschnittsliquidität des Gesamtmarktes abweichen. Offensichtlich sind einige Anteile "handelbarer" als andere, und Bundesanleihen sind in der Regel wesentlich liquider als Aktien. Auch wenn der Aktienmarkt überdies sehr liquide ist, besteht doch das - relativ hohe - Risiko der unerwarteten Illiquidität in bezug auf einige spezielle Aktien. Tatsächlich ist das Marktrisiko zusätzlich zur Liquidität ein unbedingt in Betracht zu ziehendes, wichtiges Element. Aus diesen Gründen erscheint es als notwendig, eine Unterscheidung innerhalb eines jeden Wertpapiermarktes zu bewirken. Während Fälle existieren (z.b. Staatsanleihen), bei denen solche Märkte eine vergleichbare Liquidität zu der der Märkte für Fremdwährungsposten aufweisen, existieren andere Fälle (z.b. Aktien), bei denen es als schwer erscheint, es bei Nicht-Vorhandensein einer wirklichen Transaktion zuzulassen, daß Gewinne mit handelbaren Wertpapieren als realisiert betrachtet werden. Es bleibt natürlich die Frage bestehen, wo innerhalb eines gegebenen Wertpapiermarktes die Grenzlinie zwischen dem hoch liquiden und nicht-liquidem Teil zu ziehen ist. 17
18 Zusammenfassend ist festzustellen: Wenn Artikel 31 (1) (c) der Vierten Richtlinie so geändert werden würde, daß die Berücksichtigung von Einkommen infolge von positiven Differenzen bei handelbaren Wertpapieren erlaubt wird, müßte eine Unterscheidung getroffen werden zwischen solchen Situationen, bei denen der Markt hoch liquide ist und solchen Situationen, bei denen dies nicht der Fall ist. Eine andere zu beantwortende Frage wäre dann auch, ob diese positiven Differenzen zur Ausschüttung zur Verfügung stehen sollten. In jedem Fall geht die bestehende Vierte Richtlinie vom Grundsatz der Anschaffungskosten aus und erlaubt den Ansatz von Vermögensgegenständen zu ihrem höheren Wert nur unter den in ihrem Artikel 33 niedergelegten Voraussetzungen. Da marktfähige Wertpapiere, anders als Differenzen aus der Umrechnung ausländischer Währungen, Vermögensgegenstände sind, ist jede Betrachtung über deren Liquidität der Möglichkeit untergeordnet, daß höhere Marktwerte nach der Vierten Richtlinie im Abschluß ausgewiesen werden dürfen. Dies jedoch würde eine Änderung von Artikel 32 der Vierten Richtlinie erforderlich machen. B.3.1.b) Mehrwert, der sich aus einer höheren Bewertung ergibt 19. Dieser Mehrwert entsteht bei Neubewertung, und zwar wenn Bilanzposten höher bewertet werden, als die Anschaffungskosten betrugen, beispielsweise zur Berücksichtigung von Preisänderungen. Die Behandlung derartiger Überschüsse stellt offensichtlich kein Problem im Zusammenhang mit dem Vorsichtsprinzip dar. Die 4. Richtlinie enthält bereits besondere Bestimmungen für die Behandlung von Neubewertungsgewinnen; diese dürfen nur unter besonderen Umständen gemäß dem in Artikel 33 festgelegten Verfahren in der Gewinn- und Verlustrechnung verbucht werden. Bisher hat die Anwendung von Artikel 33 in den Mitgliedstaaten, in denen er angewendet wird, noch nicht zu irgendwelchen Problemen mit dem Vorsichtsprinzip geführt. Die Überschüsse dürfen nämlich nicht ausgeschüttet werden und verbleiben im Unternehmen als Teil des Eigenkapitals, sofern sie nicht durch Nutzung oder Verkauf realisiert werden. Für den Fall, daß die Argumente bezüglich der "nicht realisierten, jedoch hochgradig realisierbaren Gewinne", von denen unter den Punkten 17 a) und 18 die Rede ist, Gültigkeit haben, müßten solche Gewinne eigentlich auch in die oben bezeichnete Neubewertungsrücklage aufgenommen werden. Während der in Artikel 33 behandelte Mehrwert jedoch als ein Gewinnanteil" anzusehen ist, der seiner Herkunft nach eng mit dem Eigenkapital verbunden und deshalb ihm zuzuordnen ist, würden die leicht realisierbaren Gewinne aus den in Vorrat gehaltenen hoch liquiden Werten als Teil der operativen Erträge des Unternehmens angesehen und deshalb dem normalen Gewinn statt der Neubewertungsrücklage zugewiesen werden. 18
19 B.3.1.c) Erträge aus sonstigen Vorfällen 20. Darunter versteht man Erträge, die weder einem Geschäftsvorfall noch einem Wertzuwachs zugeordnet werden können. Hier kommen deshalb verschiedene Ursprünge in Frage, wie z.b. Steuer- und Versicherungsprämienerstattungen oder Auflösung von Rückstellungen. B.3.2) Verwendungszweck der Gewinne 21. Ein anderer möglicher Weg der Beurteilung, inwieweit die Vorsicht für die Gewinne eine Rolle spielt, ist nicht die Betrachtung der Herkunft der Gewinne, sondern die ihrer Verwendung. Man könnte nämlich argumentieren, daß Vorsicht nicht nur dann eine Rolle spielt, wenn der Gewinn ausgewiesen wird, sondern auch dann, wenn über seine Verwendung entschieden wird. Dies ist bei verschiedenen Gesellschaftsrechtbestimmungen der Fall, wo wegen des Konzeptes der Kapitalerhaltung aus Gründen der Vorsicht Einschränkungen bei der Ausschüttung von Gewinnen bestehen. 6 Eine ähnliche Sicht der Dinge ergibt sich auch aus der 4. Richtlinie (Artikel 33, 34 und 37), wo eine spezifische Zuweisung bestimmter Gewinne aus Gründen der Vorsicht gefordert wird. Nach Artikel 33 werden Überschüsse aus Neubewertungen bei bestimmten Rücklagen ausgewiesen und können erst dann ausgeschüttet werden, wenn sie Gewinne darstellen. Die Artikel 34 und 37 bestimmen, daß die Gewinne nicht ausgeschüttet werden, solange die zur Ausschüttung verfügbaren Rücklagen nicht wenigstens so hoch sind wie der nichtabgeschriebene Teil bestimmter kapitalisierter Aufwendungen (für die Errichtung und Erweiterung des Unternehmens ("formation") und für Forschung und Entwicklung). C. GRENZEN FÜR DIE AUSLEGUNG DES VORSICHTSPRINZIPS 22. Aus dem Dokument geht hervor, wie schwer es ist, unterschiedliche Auslegungen des Vorsichtsprinzips zu vermeiden. Der Grund dafür ist die unterschiedliche Auffassung von Risiko oder Ungewißheit; der Grundsatz der Vorsicht wird in den Mitgliedstaaten folglich aus historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gründen unterschiedlich ausgelegt. Die Tatsache, daß es keine klar definierten Kriterien und Regeln zur Bestimmung des Grades der in verschiedenen Situationen anzuwendenden Vorsicht gibt, kann als unglückliche Konsequenz haben, daß die Vorsicht tendenziell zu vorsätzlichen Unterbewertungen führt. Diese Auffassung spielt auch in der internationalen Diskussion über die Rechnungslegung eine bedeutende Rolle. 6 Zweite Richtlinie des Rates vom 13. Dezember 1976 (77/91/EWG) über die Gründung von Aktiengesellschaften sowie die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals - ABl. L 26 vom Artikel 15 und
20 Diese Gefahr wird im IAS 1 erkannt, in dem es heißt: "Ungewißheiten sind bei vielen Geschäftsvorfällen unvermeidlich. Dem muß durch Vorsicht bei der Aufstellung von Abschlüssen Rechnung getragen werden. Diese Vorsicht rechtfertigt indessen nicht die Bildung stiller Reserven." Die gleiche Idee wird in FASB Grundsatz Nr. 2 ausgedrückt; dort heißt es: "Ungerechtfertigte Ausschläge in die eine oder andere Richtung (Überbewertungen oder Unterbewertungen) können Investoren zu Entscheidungen veranlassen, die anderen zum Vorteil oder Nachteil gereichen." 23. Die 4. Richtlinie erkennt dieses Risiko und enthält neben vielen auf einen vernünftigen Grad der Vorsicht ausgerichteten Bestimmungen auch einige Bestimmungen, mit denen die Konsequenzen einer verzerrten Auslegung des Vorsichtsprinzips begrenzt werden sollen. Ein übervorsichtiges Vorgehen würde nämlich zu Abschlüssen führen, die kein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild abgeben. Übertrieben hohe Rückstellungen beispielsweise wirken sich nicht allein auf die Perioden aus, in denen sie überbewertet werden, sondern auch auf die Periode, in der sie aufgelöst werden. Die Bestimmungen in der 4. Richtlinie, mit denen für eine ausgewogene Anwendung des Vorsichtsprinzips gesorgt werden soll, beziehen sich sowohl auf die Aktiv- als auch auf die Passivseite. a) So darf bei Gegenständen des Anlage- wie auch des Umlaufvermögens der niedrigere Wertansatz nicht beibehalten werden, wenn die Gründe der Wertberichtigung nicht mehr bestehen (Artikel 35 Absatz 1 Buchstabe c) Doppelbuchstabe dd), Artikel 39 Absatz 1 Buchstabe d)). b) Was die Passivposten betrifft, so ist die Bildung von Rückstellungen auf solche Fälle begrenzt, in denen Verlust, Verbindlichkeiten oder Aufwendungen ihrer Eigenart nach genau umschrieben sind und der Zeitpunkt ihres Eintritts wahrscheinlich oder sicher ist (Artikel 20 Absatz 1 und 2). Solche Rückstellungen dürfen keine Wertberichtigungen zu Aktivposten darstellen (Artikel 20 Absatz 3) und sind nur in Höhe des notwendigen Betrages anzusetzen (Artikel 42 Absatz 1). 24. Trotz der besonderen Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, die unangemessene Anwendung des Vorsichtsprinzips zu vermeiden, sind einige Bestimmungen der 4. Richtlinie in einigen Fällen dennoch zu einer bedeutenden Beeinflussung des Unternehmensergebnisses benutzt worden. 20
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