hr1 Sonntagsgedanken 3. April 2015 (Karfreitag) Wenn das Leben Risse bekommt I.Teil Pfarrerin Claudia Rudolff, Kassel
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- Matthias Schneider
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1 Dieses Manuskript stimmt nicht unbedingt mit dem Wortlaut der Sendung überein. Es darf nur zur Presse- und Hörerinformation verwendet und nicht vervielfältigt werden, auch nicht in Auszügen. Eine Verwendung des Manuskripts für Lehrzwecke sowie seine Vervielfältigung und Weitergabe als Lehrmaterial sind nur mit Zustimmung der Autorin/des Autors zulässig. hr1 Sonntagsgedanken 3. April 2015 (Karfreitag) Wenn das Leben Risse bekommt Pfarrerin Claudia Rudolff, Kassel I.Teil Wenn das Leben Risse bekommt, bleibt nichts mehr wie es war. Als Jesus am Kreuz stirbt, zerreißen Gefühle und Hoffnungen. Für die Jünger und Freunde Jesu bricht ihre Welt zusammen. Jesus war der Mittelpunkt ihres Lebens. Manche der Jünger hatten sogar ihre Familien verlassen und ihre Berufe aufgegeben, um an seiner Seite zu leben. Sie fühlten sich von ihm anerkannt und wert geschätzt. Nun ist alles aus- der gemeinsame Weg zu Ende. Es tut weh, einen lieben Menschen zu verlieren. Sein Tod ist ein Riss in ihrem Leben. Schon als Jesus gefangen genommen wird im Garten Gethsemane fliehen die Jünger aus Jerusalem. Nur weg von diesem Ort. Dieser Verlust macht viele von ihnen kopflos. Sicher haben sie auch Angst, dass ihnen ein ähnliches Schicksal droht. Aber ich kann mir vorstellen: Sie fliehen, weil sie sein Leiden nicht ertragen können. Einen geliebten Menschen leiden zu sehen, und nicht helfen zu können, ist schrecklich. Manche halten das nicht aus. Sie müssen aus seinem Bannkreis fliehen, auch wenn sie wissen: es wäre besser zu bleiben. Die Jünger verlieren nicht nur den Freund, sie verlieren auch viele Hoffnungen. Sie haben erlebt, wie Jesus von der Liebe Gottes erzählte-wie er auf Menschen zuging, mit denen sonst keiner was zu tun haben wollte. Sie waren einfach überzeugt: Mit ihm bricht das Reich Gottes an. In Jesus- so glauben sie- sei Gott selbst zum Greifen nahe. Und nun hängt Jesus am Kreuz. Nichts Göttliches ist da an ihm. So vielen hat er geholfen! Warum kann er sich selbst nicht helfen? Und warum greift Gott nicht ein? Ihnen klingt vielleicht auch der Spott der Hohenpriester im Ohr, die sagen: Wäre der wirklich Gottes Sohn, würde er vom Kreuz hinabsteigen. Und so kommt zu Enttäuschung der Zweifel: Haben wir auf den falschen Mann gesetzt?
2 Die Frauen reagieren anders als die Jünger. Sie trauern ebenso um ihren Freund. Auch ihr Herz ist zerrissen. Aber sie fliehen nicht, sie bleiben. Die Frauen stehen unter dem Kreuz und versuchen durch ihre Nähe, Jesus bis zum Schluss beizustehen. Manchen Menschen hilft es, einen anderen bis zu seinem Tod zu begleiten. Auch wenn die Frauen nichts mehr für Jesus tun können, so haben sie doch noch das Gefühl, beieinander zu sein. Nach der Kreuzigung suchen sie sein Grab auf. Sie brauchen diesen Ort, an den sie gehen können. Einen Ort, an dem sie das Gefühl haben, der andere ist doch noch da! Musik II. Teil Wenn das Leben Risse bekommt, bleibt nichts mehr wie es war. Das gilt auch für Jesus. Schon als Jesus gefangen genommen wird, weiß er, was ihn erwartet: Tod durch Kreuzigung. Die Römer haben diese Hinrichtungsart von den Persern übernommen und sie war in der damaligen Zeit gefürchtet. Hin und her gerissen ist er innerlich. Soll er für seine Worte und Taten einstehen und den Tod in Kauf nehmen? Oder wäre es nicht besser zu fliehen? Vielleicht findet er jemanden, der ihm hilft, durch die Wüste außer Landes zu fliehen? So verlockend wie der Gedanke ist: Was wäre die Konsequenz? Seine Flucht wäre einer Bankrotterklärung gleichgekommen. Die Leute wären sich sicher gewesen: Der hat nicht im Namen Gottes geredet. Wer für sein Reden und Handeln nicht einsteht, wird oft nicht ernstgenommen! Und es haben sich jetzt schon viele abgewendet, die ihm noch vor Tagen zugejubelt haben. Also: Mutig sein, standhaft und gleichzeitig den Tod vor Augen? Jesus weicht nicht aus, er legt sein Schicksal in Gottes Hände. Ein Riss geht auch durch seine Freundschaften. Es ist ja kein Fremder gewesen, der ihn verraten hat. Es ist Judas, einer seiner engsten Vertrauten. Er verrät Jesus mit einem Kuss, einem Zeichen der Liebe. Vor den Soldaten küsst er Jesus und zeigt ihnen damit: Das ist er! Manche meinten, Judas wollte gar nicht, dass Jesus stirbt. Er habe eine Entscheidung herbeiführen wollen. Wenn Jesus jetzt zum Kreuz geführt würde, müsste Gott doch eingreifen und das neue Reich wäre da. Hier greift der Satz: das Gegenteil von gut, ist gut gemeint. Verraten zu werden ist bitter, verraten zu werden von einem Freund ist unerträglich. Da quälen einen Fragen und Selbstvorwürfe: Warum hat der andere mir das angetan? Bin ich ihm so wenig wert? Wieso habe ich ihm vertraut? Fragen, die oft keine Antwort finden. Doch nicht nur Freundschaften zerreißen am Karfreitag. Auch Jesu Beziehung zu Gott erleidet einen tiefen Riss. Jesus hat immer die enge Beziehung zwischen ihm und Gott betont. Zwischen ihn und Gott Vater passte kein Blatt Papier. Warum mutet Gott ihm diesen Weg zu? Vielleicht hat er noch selbst am Kreutz gedacht: Gott wird sich schon was zu meiner Rettung einfallen lassen. Aber dann erlebt er, wie die Hilfe ausbleibt.
3 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? mit diesem Ruf auf den Lippen stirbt Jesus. Und dieser Schrei zeigt die ganze Zerrissenheit: Obwohl Gott ihm fern scheint, ja ihn verlassen hat- ruft er nach ihm. Schreit ihm seine ganze Verzweiflung und Wut und Ohnmacht entgegen. Da ist Jesus ganz Mensch - er stirbt nicht unversehrt, sondern mit Rissen an Leib und Seele. Musik III. Teil Wenn das Leben Risse bekommt, bleibt nichts mehr wie es war. Risse, im eigenen Leben durch den Tod eines geliebten Menschen kennt jeder: Abschied von Vater oder Mutter, Oma oder Opa, Ehepartnern oder gar dem eigenen Kind. Die Erzählung vom Karfreitag in Jerusalem macht mir Mut, meinen Schmerz rauszulassen und nicht zu verdecken. Wenn das Leben Risse bekommt, dann dürfen - wie bei den Jüngern - Hoffnungen zerbrechen. Enttäuscht und wütend kann ich mich abwenden und weglaufen- dann darf ich - wie die Frauen - ganz bei meinen Verletzungen bleiben. Ich darf weinen. Tränen brauche ich nicht zu unterdrücken. Ich darf fliehen und kopflos sein. Ich kann bleiben und einfach verharren. All das, was meinen Leib und meine Seele beschwert, darf sich äußern. Die Trauer über den Tod eines lieben Menschen kann Jahre dauern oder nie enden. Ich kenne auch Risse, die durch Verletzungen der Seele entstehen. Es muss nicht gleich ein Verrat sein, der mich mein Leben kostet. Es reicht, wenn mein Vertrauen missbraucht wird und ich auf schmerzhafte Weise erlebe: Ich habe auf die falschen Leute gesetzt. Andere tragen einen lebenslangen Riss, weil ihnen die Anerkennung fehlt. Alles Mögliche haben sie versucht, nur damit einmal ein Elternteil zu ihnen sagt: Du, ich bin stolz auf Dich, mein Kind. Mancher leidet unter dem Riss, der durch die Aufkündigung des Arbeitsvertrages entstanden ist. Jahreslanges Engagement- einfach umsonst! All diese Risse müssen wir nicht verdecken. Das ist die eine gute Nachricht: Karfreitag gibt Raum, unsere Risse in den Blick zu nehmen und sie beim Namen zu nennen. Sie gehören zu unserem Leben. Es sind Erfahrungen, die uns auch geprägt haben. Und die Geschichte von Karfreitag ermutigt mich: Ich darf sogar zweifeln und alles in Frage stellen. Selbst Gott! Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Diesen Verzweiflungsschrei darf jeder von uns loslassen. Wer meint, es müsse immer alles gut sein - der irrt. Unser Glaube ist keine Garantie für ein Leben ohne Risse. Unser Gottvertrauen, schützt uns nicht vor leidvollen Erfahrungen. Doch wir sind mit unseren Sorgen und Schmerzen nicht allein auch wenn es uns so vorkommt. Diese Zuversicht finde ich auch unter dem Kreuz in der Person eines Hauptmannes. Er steht mit den Frauen unter dem Kreuz. Auch ihn trifft der Tod Jesu. Er erlebt die Kreuzigung von Anfang an mit und erkennet am Ende: wahrlich dieser ist
4 Gottes Sohn. Jesus leidet hier für ihn zu Unrecht und der Hauptmann ist sicher: Gott ist bei dieser Kreuzigung dabei, auch wenn das keiner für möglich hält. Er leidet mit. Gott ist nicht fern, wo das Leben Risse bekommt. An dieser Erkenntnis des Hauptmanns möchte ich auch festhalten, auch wenn ich weiß, manche Menschen fühlen sich ewig von Gott im Stich gelassen. Ich möchte vertrauen: Wenn das Leben Risse bekommt, bin ich nicht allein. Gott begleitet mich. So möchte ich an dieser Hoffnung festhalten: Wo etwas unwiderruflich zerstört scheint, kann es im Vertrauen auf Gott einen neuen Weg geben. Nicht von Anfang an sichtbar, aber die Hoffnung scheint durch und bahnt sich einen Weg. Wir werden nicht bewahrt, aber wir werden begleitet. Und: Wo wir die Augen nicht verschließen- kann ein Riss eine Mahnung sein. Oder er kann mich an mein Versagen erinnern und mich im besten Fall nicht zerreißen, sondern ein Zeichen sein. Zum Beispiel für einen Neubeginn.
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Der Osterspaziergang: Wer sich heute auf den Weg macht, geht nicht allein. Viele sind unterwegs.
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