Predigt über Markus 9,14-29 Gehalten am 19. Januar 2014 in der Schlosskirche Bonn
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- Lennart Braun
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1 Predigt über Markus 9,14-29 Gehalten am 19. Januar 2014 in der Schlosskirche Bonn Von Pfr. Michael Pues, ESG Bonn Liebe Gemeinde, wir reden nur ungern über Gefühle. Viele Männer tun das erst recht nicht gerne. Wir reden auch eher selten darüber, was wir über so Dinge wie Glauben oder Kirche denken. Zumal nicht in der Öffentlichkeit. Aus heutiger Sicht ist das sehr beeindruckend, was uns da von dem Vater des kranken Jungen erzählt wird. Welche Überwindung wird es ihn gekostet haben, als er vor Jesus ausspricht: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! Nun ja, aussprechen ist ja ganz und gar untertrieben. Diese Heilungs-Erzählung zeichnet uns eine dramatische Szene vor Augen. Und dieser Satz ist sozusagen der Kumulationspunkt. Der Vater schreit. Einem Vulkanausbruch gleich tritt etwas an die Oberfläche, was schon lange in dem Mann gebrodelt hat. Ich glaube, hilf meinem Unglauben. Es ist ein Aufschrei, auch ein Hilferuf. Hinter dem Vater liegt eine lange, lange Leidensgeschichte mit seinem Sohn. Mit einer Krankheit, die wir heute als Epilepsie diagnostizieren würden. Damals war sein Sohn von fremden, Angst einflößenden Geistern besessen. Und nicht nur der Junge ist mit diesem Schicksal konfrontiert. Auch der Vater wird die ganze Wucht der sozialen Isolation und der Ausgrenzung zu spüren bekommen haben. Er wird sich gequält haben mit der Frage, warum ausgerechnet seine Familie mit dieser Krankheit geschlagen ist.
2 Und so bricht vor Jesus aus dem Mann heraus, was er selber vielleicht schon lange geahnt hat. Nämlich, dass da scheinbar sehr gegensätzliche Gefühlszustände und Gedanken in ihm sind: - Glaube und Unglaube zugleich - in sich ruhend und rastlos - voller Selbstvertrauen und verängstigt - mit großer Hoffnung und ganz resigniert - vertrauend in die Möglichkeiten Gottes und zweifelnd, ob er überhaupt da ist. Ich glaube, hilf meinem Unglauben. Ist das auch ein Satz von uns? Vielleicht sträuben Sie sich gerade innerlich? Müsste der Glaube nicht aus all dieser Zwiespältigkeit befreien? Wo Glaube ist, kann und darf da gleichzeitig Unglaube sein? Bei dem Vater damals war es offensichtlich so. Im griechischen Text wird pisteuo in einem Atemzug mit apistia genannt. Der Vater glaubt, er vertraut in Jesus, in seine Möglichkeiten. Er wird alles versucht haben im Blick auf seinen Sohn. Er wird alle nur möglichen Ärzte und Wunderheiler kontaktiert haben. Rational betrachtet gibt es keine Möglichkeit der Heilung. Und doch ist da bei dem Vater ein Vertrauen in eine Macht, die größer ist als er selber. Ich glaube, ich vertraue. Und gleichzeitig apistia : der Unglaube, das fehlende Vertrauen, der Zweifel. Ich glaube, und gleichzeitig sind meine Zweifel so groß! Dass du, Jesus, wirklich etwas bewirken kannst.
3 Ich stelle es mir als eine große Befreiung vor, als er das vor Jesus endlich aussprechen kann. Und ich denke, dieser Zwiespalt spiegelt bis heute unsere Wirklichkeit als Glaubende in dieser Welt wieder. Als Menschen erleben wir keine ungebrochenen Biographien, ohne Zweifel, ohne Täler, die wir durchschreiten, auch in unserem Vertrauen auf Gott. Vermutlich hat es das nie gegeben. Es gehört auch zu einem Leben als Christ dazu, dass die Glaubensgewissheit nicht zwangsläufig wie eine aufstrebende Linie bis zum Tod hin zunimmt. Ich erlebe es eher so, dass da wellenförmig, mal mehr, mal weniger, immer wieder Zeiten aufkommen, wo sich die Zweifel melden. Wir sehen und erleben vieles, was uns das Glauben, das Lieben und das Hoffen schwer macht. Vielleicht nehmen die Zweifel ja manchmal sogar zu, je älter man wird, je mehr man gesehen, erlebt und reflektiert hat? Wenn das so ist. Dass Glaube auch eine Kehrseite besitzt, die Unglaube oder Zweifel heißt. Dann stellt sich die Frage: Wie gehe ich mit dieser anderen Seite um? Ich möchte diese Linie verfolgen, die uns der Vater in der Geschichte aufzeigt. Nicht verdrängen, sondern aussprechen, bewusst auch mit der zweifelnden, nicht glaubenden Seite in mir umgehen und sie an die Oberfläche kommen lassen. Der Vater kommt mit seinem Glauben und seinem Unglauben zu Jesus. Und erlebt schließlich das Wunder der Heilung. Er ist damit in den Evangelien nicht alleine. Wir können zwei Jünger, Petrus und Thomas, als Kronzeugen zitieren. Dafür, dass selbst zu Zeiten Jesu bei großen Gestalten des Glaubens auch eine andere Seite dazu gehört hat. Thomas, der seine Finger in die Wundmale Jesu legen muss, damit er glauben kann. Und Petrus, den das fehlende Vertrauen beinahe im See versinken lässt.
4 Und am Ende ist es sogar Jesus selber. Sein berühmtes Wort am Kreuz: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Er ist es, der selber daran gelitten hat, dass sich Gott verborgen hat. Warum hast Du mich verlassen? Wo ist das wundersame Aufleuchten deiner Macht? Jesus ist jedoch auch derjenige, der seinen Weg bis zum Ende gegangen ist. Einen Weg durch den Tod in das Leben. Bei ihm sehen wir den Glauben, dem alles möglich ist, wie es bei uns in der Geschichte heißt. Glauben und Nichtglauben in einer Person neben- und ineinander. Bei dem Theologen Paul Tillich finden sich dazu - wie ich finde - erhellende Gedanken. Tillich denkt in der Tat Glauben und Zweifel zusammen. Er weist darauf hin, dass der Zweifel ein Element des Glaubens ist. In dieser Welt zu glauben ist eben noch nicht der Zustand der unauflöslichen Einheit mit Gott. Glaube, Vertrauen auf Gott ist immer wieder gefährdet. Um das zu erkennen, muss man nicht erst einen traumatisierenden Weltkrieg erlebt haben. Der Zweifel ist eine menschliche Grundkonstante. Im Unterschied zu Gott ist der Mensch endlich und begrenzt und damit auch seine Erkenntnis und sein Glaube. Und so sagt Tillich, wir würden uns etwas vormachen, wenn wir endgültige Sicherheit für uns in Anspruch nehmen würden. Glauben und Nichtglauben. Sie scheinen sich auf den ersten Blick auszuschließen. Aus der Perspektive eines Glaubenden scheint der Zweifel als etwas, was es zu bekämpfen und zu überwinden gilt. Aber sind sie nicht vielmehr ein Geschwisterpaar, Glaube und Zweifel so ist es häufig beschrieben worden. Der Zweifel als Bruder des Glaubens. Wenn ich mir ehrlich Rechenschaft über meinen Glauben ablege, dann komme ich um den Zweifel nicht herum.
5 Zweifeln auch im Sinne von Hinterfragen, zur Diskussion stellen, das sind wichtige Merkmale meines Glaubens. Nicht nur an der Oberfläche bleiben, sondern nachfragen, in die Tiefe gehen. Ich möchte verstehen, was ich glaube. Aufrichtiger Glaube trägt wenn auch in sehr unterschiedlicher Dringlichkeit und Intensität - den Zweifel in sich. Glauben heißt auch lernen, mit den Widersprüchen und allem, was dagegenspricht, umzugehen und zu leben. Kehren wir zurück zu unserer Geschichte. Ich glaube - hilf meinem Unglauben. Dieser Aufschrei ist für mich selber Ausdruck von Glauben und Vertrauen. Der Vater mutet sich Jesus ganz zu. Mit seinem Glauben und allem, was dagegen spricht. Das zuzugeben, vor Jesus auszusprechen, das ist schon wieder Glaube. Der Vater verlangt nicht von Jesus: Lösche meinen Unglauben aus. Sondern: Hilf mir mit meinem Unglauben. Lass mich damit leben können. Damit der Zweifel nicht zur Verzweiflung wird. Damit der Glaube, das Vertrauen sich immer wieder Bahn brechen. Amen.
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