1. Definition des Arbeitsgebietes
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- Ulrike Hafner
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1 1. Definition des Arbeitsgebietes Neurologie Die Neurologie beschäftigt sich als Teilgebiet der Medizin mit der Erforschung, der Diagnose und der Therapie von organisch fassbaren Krankheiten des zentralen und peripheren Nervensystems. Beispiele für neurologische Krankheiten sind: zerebrovaskuläre (Insult, Blutungen) entzündliche (Meningitis, Enzephalitis) neoplastische (Meningeom, Glioblastom, Astrozytom) degenerative (Myatrophe Lateralsklerose, Alzheimer Krankheit) traumatische (Schädel-Hirn-Trauma) metabolische (Wernicke-Enzephalopathie) Störungen. Psychiatrie Die Psychiatrie beschäftigt sich als Teilgebiet der Medizin mit der Erforschung, Diagnose und Therapie psychischer Erkrankungen. Zuweilen werden für die einzelnen Störungsbilder keine hirnorganischen Korrelate gefunden. Beispiele für psychiatrische Krankheiten sind: Schizophrenie Affektive Störungen Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Klinische Neuropsychologie Die klinische Neuropsychologie befasst sich mit den Störungen des Erlebens und Verhaltens, die im Zusammenhang mit organischen Veränderungen des Zentralnervensystems auftreten. Einen überwiegenden Raum nehmen dabei Störungen der höheren Hirnleistungen wie Konzentration und Aufmerksamkeit, Exekutivfunktionen, Denken, Planen, Handeln, Sprachleistungen und Wahrnehmung ein. Neben diesen 11
2 noopsychischen sind auch die thymopsychischen Funktionen wie das affektivemotionale Verhalten Gegenstand diagnostischer und therapeutischer Ansätze. Neurorehabilitation Die Neurorehabilitation als Teilgebiet der Neurologie versucht, die durch eine Hirnschädigung eingetretenen motorischen, sensorischen, kognitiven, psychischen und sozialen Behinderungen zu reduzieren: durch Wiederaufbau der verlorenen Fähigkeiten (attacking the weakness) durch Training der erhaltenen Fähigkeiten (enhancing the strength) durch Aufbau von Hilfsstrategien unter Berücksichtigung des soziokulturellen Hintergrundes des Patienten durch die Anpassung der Umwelt und durch die Therapie der psychosozialen Fähigkeiten... damit der Patient Lebensgewohnheiten entwickeln kann, die es ihm ermöglichen, sein Leben je nach Möglichkeit selbständig zu gestalten. 12
3 2. Der neurologische Status Der neurologische Status, oder der neurologische Untersuchungsgang, steht am Anfang des diagnostischen Zuganges zum Patienten. Neben der Erhebung der Anamnese stellt dieser die Grundlage jedes weiteren diagnostischen und therapeutischen Prozederes dar. Bei der neurologischen Untersuchung des Patienten werden unterschiedliche funktionelle Bereiche abgegrenzt: Beurteilung des Schädels Hirnnerven Motorik Sensibilität Gang- und Statik-Prüfung Topografische Syndrome (Hirnstamm, extrapyramidalmotorisches System, Zerebellum, Rückenmark) Hirnrindensyndrome bzw. neuropsychologische Syndrome (höhere Hirnleistungen wie Exekutivfunktionen, Denken, Planen, Gedächtnis, Sprache und Sprechen, etc.) Radikuläre Syndrome, Plexusläsionen und Läsionen peripherer Nerven. In den folgenden Kapiteln wird auf diese einzelnen Aspekte des neurologischen Status eingegangen. 13
4 3. Das motorische System 3.1. Neuroanatomische Grundlagen Motorisches System (Pyramidenbahn) Abb. 1: Motorische und prämotorische Rindenfelder Die Neuronen des motorischen Systems sind als Pyramidenzellen (= erstes motorisches Neuron oder zentrales Neuron) im primär motorischen Kortex, d.h. im Gyrus praecentralis (Brodmann-Area 4) und im prämotorischen Kortex (sog. motorischer Assoziationskortex, Brodmann-Area 6 und 8) lokalisiert. Sie konstituieren etwa zwei Drittel des motorischen Systems. Ein weiteres Drittel stammt von Zellen des sensiblen Kortex (Brodmann Areae-1, 2 und 3). Die Neuronen des Gyrus praecentralis sind somatotopisch angeordnet. So etwa liegen die Pyramidenzellen für die motorische Versorgung des Gesichts in einem Bereich oberhalb der Sylvischen Furche, die der unteren Extremität in einem Areal, das über die Mantelkante nach medial in die Fissura longitudinalis cerebri zieht. 14
5 Der primär motorische Kortex generiert Bewegungen, die nicht angeboren oder automatisiert sind. Er dient der Ausfolge des Inputs aus dem prämotorischen Kortex über bestehende wechselseitige Verbindungen und exekutiert komplexe automatisierte Bewegungsmuster. Weitere Verbindungen des primär motorischen Kortex bestehen zu den Thalamuskernen und zum parietalen Assoziationskortex. Über den parietalen Assoziationskortex bezieht er Informationen über die Körperposition, die Bewegungen im Raum und die Repräsentation des Raumes zur Feinabstimmung exakter Zielbewegungen. Der prämotorische Kortex dient dem Entwurf und der Programmierung komplexer, automatisierter Bewegungsmuster und ist beteiligt am Erlernen motorischer Fertigkeiten. Durch die Inputs aus dem Parietallappen wird der prämotorische Kortex auch zur integrativen Zentrale der visuomotorischen Umsetzung, da somatosensorische und multisensorische räumliche Inputs in die Planung komplexer Bewegungen einbezogen werden. Abb. 2: Motorischer Homunkulus 15
6 Die Axone des ersten motorischen Neurons verlaufen in der Pyramidenbahn als Tractus corticonuclearis (= Tractus corticobulbaris) zu den motorischen Hirnnervenkernen und als Tractus corticospinalis zu den motorischen Vorderhornzellen des Rückenmarks. Dabei zieht die Pyramidenbahn durch das Marklager, durch die Capsula interna, das Mittelhirn und den Pons hinunter bis in die Medulla oblongata, wo sie als Pyramide eine leichte Vorwölbung bildet. Dort kreuzt die Bahn am unteren Ende der Medulla oblongata in der Decussatio pyramidum auf die Gegenseite. Die Fasern ziehen im Seitenstrang des Rückenmarks als Tractus corticospinalis lateralis weiter und enden im Vorderhorn überwiegend an Schaltzellen, die auf die motorischen Vorderhornzellen (= Alpha-Motoneurone, zweites motorisches Neuron, peripheres motorisches Neuron) projizieren, teilweise enden sie an Gamma-Motoneuronen, die ebenfalls im Vorderhorn des Rückenmarks liegen. Ein kleiner Teil der Pyramidenbahn kreuzt nicht und läuft als Tractus corticospinalis ventralis im Vorderstrang zu den jeweiligen Segmenten. Die Axone der motorischen Vorderhornzellen verlassen das Rückenmark über die Vorderwurzel und rekrutieren, teilweise über Bildung von Nervenplexus, die peripheren Nerven, die an das Erfolgsorgan Muskel ziehen. Die Pyramidenbahn projiziert vorwiegend auf die im Vorderhorn lateral liegenden Motoneurone. Dieses laterale motorische System ist über kurze, ipsilateral projizierende, oligosegmental organisierte intraspinale Bahnen, die lateral des Vorderhorns verlaufen, verschaltet. Ihre Zellkörper liegen in der Intermediärzone des Rückenmarks. Es versorgt vornehmlich die distalen Extremitätenmuskeln und dient der Koordination, der Feinsteuerung und Präzisierung von Bewegungen. Eine weitere Komponente des lateralen motorischen Systems stellt der Tractus rubrospinalis dar, der seinen Urprung aus dem Nucleus ruber nimmt, welcher seinerseits mit dem extrapyramidalmotorischen System verschaltet ist. Der Tractus rubrospinalis vermittelt automatisch ablaufende Bewegungen. Eine Schädigung desselben resultiert in kontralateralen hyperkinetischen Bewegungsstörungen. Während ihres Verlaufs gibt die Pyramidenbahn Kollateralen an den Thalamus, die Basalganglien, das Zerebellum, den Hirnstamm (Formatio reticularis, vestibuläre Kerne, Tectum mesencephali), die Hinterstrangskerne und die Hinterhörner ab. Die Projektionen der Pyramidenbahn zum Hirnstamm enthalten vorwiegend Fasern aus dem prämotorischen Kortex und laufen nach Umschaltung als Tractus retikulospinalis, vestibulospinalis und tectospinalis weiter. Diese Bahnen projizieren überwie- 16
7 gend auf die medialen Motoneurone des Vorderhorns. Dieses mediale motorische System ist über lange, bilateral projizierende, medial des Vorderhorns verlaufende polysegmental organisierte intraspinale Bahnen verschaltet. Ihre Zellkörper liegen wie die des lateralen motorischen Systems in der Intermediärzone des Rückenmarks. Das System versorgt primär die Rumpf- und proximale Extremitätenmuskulatur und nimmt Stand-, Gang-, Körperhaltungs- und Gleichgewichtsfunktionen wahr. Darüber hinaus werden Kopf- und Augenbewegungen mit den Bewegungen des Körpers abgestimmt. Das retikulospinale System verläuft von der Formatio reticularis abwärts, besitzt Projektionen aus dem prämotorischen Kortex und den Stammganglien und dient der Kontrolle der Halte- und Stellreflexe sowie der Kontrolle der Willkürmotorik. Die Stellreflexe dienen der Regulation der Tonusverteilung in den Flexoren und Extensoren, das Reflexzentrum liegt auf Mittelhirnniveau. Die Haltereflexe haben die Aufgabe, den stehenden Körper entgegen der Schwerkraft zu halten. Das Reflexzentrum liegt auf Höhe von Pons und Medulla oblongata. Werden die Projektionen zum retikulospinalen und vestibulospinalen System bilateral unterbrochen, werden Symptome seitens der Stütz- und Haltemotorik mit einer Tonuserhöhung und Reflexsteigerung oder eines erhöhten Extensorentonus im Sinne einer Enthirnungsstarre beobachtet. Je nach Läsionsort im motorischen System sind aufgrund der auf verschiedenen Niveaus unterschiedlichen Faserzusammensetzung unterschiedliche Störungsmuster zu erwarten. Läsionen des motorischen Kortex machen eher schlaffe Lähmungen, Läsionen des prämotorischen Kortex weisen ebenso wie subkortikale und spinale Läsionen eher spastische Paresen auf. Läsionen des motorischen Kortex oder seiner Projektionsfasern in der hinteren Capsula interna machen eher distal betonte Paresen, die weniger gut reversibel sind. Läsionen des prämotorischen Kortex oder seiner Projektionsfasern in der vorderen Capsula interna führen zu eher proximal betonten Paresen mit in der Regel guter Remissionsneigung. Läsionen der Pyramidenbahn im Bereich der Capsula interna führen wegen der gleichzeitigen Läsion des Tractus corticonuclearis auch zu einer kontralateralen zentralen Fazialis- und eventuell auch kontralateralen zentralen Hypoglossusparese, da jene motorischen Hirnnervenkerne im Gegensatz zu den anderen nicht bilateral innerviert werden. Mesenzephale Läsionen der Pyramidenbahn im Bereich der Hirnschenkel ziehen eine kontralaterale spastische Hemiparese nach sich. Ist gleichzeitig der Kern des dritten 17
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