Lernen und Fördern im Ganztag: Evaluation zur offenen Ganztagsschule im Primarbereich

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1 Norbert Reichel, MSW, Referatsleiter Ganztagsangebote in der Schule Lernen und Fördern im Ganztag: Evaluation zur offenen Ganztagsschule im Primarbereich Die Gestaltung und Weiterentwicklung des Ganztags ist eine wichtige Aufgabe, die in gemeinsamer Verantwortung von Land, Kommunen und Gesellschaft wahrgenommen wird. Zentrale Grundlage ist die Zusammenarbeit von Schule und außerschulischen Partnern, hier insbesondere mit freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, kurz: das multiprofessionelle Team in der Ganztagsschule. Der Auf- und Ausbau des Ganztags im Primarbereich in Nordrhein-Westfalen wurde in den Jahren 2003 bis 2009 wissenschaftlich begleitet. Die Evaluation umfasste eine Pilot - phase (2003 bis 2005), eine Hauptphase (2005 bis 2007) und eine Vertiefungsphase (2007 bis 2009). Gemeinsamer Auf - trag geber waren Schul- und Jugendministerium. Die Studie wurde von einem wissenschaftlichen Kooperationsverbund durchgeführt: dem Institut für soziale Arbeit e.v. in Münster, dem Sozialpädagogischen Institut der Fachhochschule Köln, der Technischen Universität Dortmund im For schungsver - bund, dem Deutschen Jugendinstitut sowie der Bergischen Uni ver sität Wuppertal. An den Befragungen, die im Rahmen der Be gleit forschung durchgeführt wurden, haben alle wesent lichen Akteurs- und Nutzergruppen des offenen Ganztags teilgenommen: Schul lei tungen, Ganztagskoordina - torinnen und -koordinatoren, Lehr- und Fachkräfte, Eltern, Kinder sowie die Träger der Offenen Ganztagsschule (OGS). Die Unter suchung der wissenschaftlichen Begleitung basiert auf quantitativen und qualitativen Methoden. So richtete sich etwa eine Online-Befragung landesweit an alle Schulen des Primarbereichs. Im Ergebnis wird festgestellt, dass der Kooperation im Ganztag hohe Bedeutung zukommt. Die damit verbundenen Aktivitäten wurden ausgebaut. Lernmotivation und -verhalten der Kinder ändern sich positiv, wenn ein Austausch zwischen Schulen, Trägern, Lehr- und Fachkräften sowie Eltern auf einer Augen höhe und unter wirkungsvollen Rahmen - bedingungen stattfindet. Gleichwohl besteht auch weiterhin Entwicklungsbedarf. Freie Träger sind Motor für Kooperationen auf kommunaler Ebene Insgesamt ist festzustellen, dass die Gestaltung des Ganztags in der Kooperation von Schulen, OGS-Trägern und auch Schul - 6

2 trägern auf kommunaler Ebene unter sehr heterogenen Voraussetzungen stattfindet. So geben drei Viertel der OGS- Träger an, auf Grundlage von schriftlichen Vereinbarungen, oft auch auf Basis von Drei- ecksverträgen, mit Schul - trä gern und Schule zusammenzuarbeiten. Die Er stel - lung verbindlicher Ziel- und Kooperations ver ein barungen erleichtert die strukturelle Ab - siche rung der Kooperation. Vor allem die Jugendhilfeträger legen großen Wert auf gegenseitige Offenheit und Gleich - wertigkeit bei der Entwicklung kooperationsorientierter Ziele und Konzepte. Kooperationsvereinba - rungen legen Ziele oder Personalstandards fest Kleine Träger, wie etwa Fördervereine oder Elterninitiativen, verzichten häufiger auf den Abschluss von schriftlichen Ko ope - rationsvereinbarungen. Hier wirkt der Vorteil der unmittelbaren Anbindung an zumeist eine einzige Ganztagsschule und die Umsetzung der Trägerschaft durch Schulleitungen und Eltern. Dadurch ergeben sich oft kürzere Kommuni kations - wege. Wesentliche Inhalte der Kooperationsverträge sind gemeinsame Zielvereinbarungen und Vereinbarungen zur Organisation und Finanzierung des Ganztags. Bei der inhaltlichen Qualität der Kooperationsvereinbarungen äußert etwa ein Drittel der Träger Entwicklungsbedarf. Sie beklagen, dass Verträge oft nicht ausreichend evaluiert und weiterentwickelt werden. Die Zusammenarbeit mit dem Schulträger erleben rund drei Viertel der freien Träger als positiv. Veränderungsbedarf im Rahmen dieser Kooperation sehen sie zum einen in den Bereichen Finanzierung und Bedarfsplanung und zum anderen bei der Kommunikationskultur. Hier wird beispielsweise der Informationsfluss seitens des Schulträgers oder die Transpa - renz kommunaler Entscheidungen genannt. 7

3 Die Bedeutung von Vernetzungs- und Gremienarbeit in der Kommune steigt mit der Größe der Kommune deutlich an. Gut ein Drittel der OGS- Träger arbeitet vor allem im Bereich der Qualitätsentwicklung, mit der staat lichen Schul aufsicht zusammen. Diese Kooperation finden OGS-Träger besonders wichtig. Gleichzeitig wünscht sich wiederum ein Drittel der Träger einen stärkeren Austausch mit der Schul - aufsicht, vor allem dann, wenn es um eine Er hö hung und eine verlässlichere Realisierung der Lehrerstunden im Ganztag geht. Mehr Austausch mit der Schul - aufsicht über Lehrerstunden im Ganztag gewünscht Der Ganztag wird als gemeinsame Aufgabe von Schule und Trägern sowie weiteren Partnern umgesetzt. Dadurch hat sich eine Vielfalt an Trägermodellen und -strukturen herausgebildet. Ein erster Blick auf die bislang eher diffuse Trä ger land - schaft zeigt, dass der Anteil der schulischen Förder- und Eltern - vereine als Träger der OGS mit etwa 18 Prozent deutlich geringer ist als noch bei dem Betreuungsprogramm Acht bis eins (über 90 Prozent). Träger der meisten OGS waren 2009 die Kirchen oder die freien Träger der Wohl fahrts - pflege (47 Prozent). Wei - tere 18 Prozent der OGS liegen in kommunaler Trägerschaft. In seltenen Fällen (zwei Freie Träger sorgen für Professionalität im Ganztag Pro zent) sind auch Sportvereine, Volkshochschulen und andere Organisationen als Träger aktiv. Kommt es zu einem Wechsel der Trägerschaft einer OGS, liegen die Gründe dafür häufig in dem für den Träger im Vergleich zu seinen Ressourcen zu hohen Arbeitsaufwand (etwa mit Blick auf die Personalverwaltung). Oft wird die Trägerschaft auch deshalb abgegeben, weil andere Einrichtungen oder Orga ni sationen mehr Erfahrung und Kompetenzen im Bereich Bildung, Er zie hung und Betreuung von Kindern mitbringen. So haben große Träger beispielsweise in der Regel höhere Personal stan - dards. Kooperation zwischen Lehrkräften und Fachkräften des Trägers Richtet sich der Blick auf die konkrete Zusammenarbeit zwischen dem Träger per sonal (Fach- und Ergän zungskräfte) und den Lehrkräften in den OGS, ist festzustellen, dass die Ziel set - zungen von Lehr- und Fach kräften weitgehend übereinstimmen. Fast 40 Prozent der Fach kräfte berichten 2008, dass Kon - sens wille und Konsens orien tierung bei Lehrkräften zum Thema Verzahnung von unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Bereichen stärker ausgeprägt seien als noch Gleichzeitig geben jedoch nur 14 Prozent der Lehrkräfte an, sehr gut darüber informiert zu sein, an welchen Themen die Zeit für individuelle Förderung am Nachmittag 8

4 Fachkräfte am Nachmittag mit den Kindern arbeiten. Immerhin sind 27 Prozent sehr gut über konkrete Fördermaßnahmen informiert. Gleichwohl bemängeln die Träger immer noch eine zu geringe Bereitschaft von Lehrkräften, im Ganztag mitzuarbeiten, sich beispielsweise auch nach der Mittagszeit oder jenseits der Hausaufgabenbetreuung in den Ganztag einzubringen. Dabei ist der Blick auf das einzelne Kind von hoher Bedeutung. Geht es um die unmittelbare Zusammenarbeit, berichten etwa 60 Prozent der Lehr- und Fach kräfte von häufigen Ab - sprachen in Bezug auf einzelne Kinder. Dies reicht jedoch weder den Lehr kräften noch den Fachkräften aus, beide wünschen sich eine noch intensivere Zusammenarbeit. Entwicklung einer neuen Lernkultur mit Blick auf das einzelne Kind Zusammenarbeit von Schule und Träger spiegelt sich in Gremien Der Institutionalisierungsgrad der Kooperation lässt sich exemplarisch an der Beteiligung der Fachkräfte an den Lehrer kon fe - renzen beschreiben. Der Ganztag ist in etwas mehr als der Hälfte der Schulen ein eigener Tagesordnungspunkt in Lehrer - kon ferenzen. Bei rund zwei Dritteln der Schulen nehmen Vertreterin nen und Vertreter der Ganztagskoordination an den Lehrer kon ferenzen teil. Neun von zehn Schulleitungen beteiligen sich ihrerseits intensiv an der Koordination des Ganztags. Insgesamt sehen drei Viertel der Träger deutlichen Ent wick - lungsbedarf bei der Einbindung der Lehrkräfte. Zugleich kritisieren sie aber auch, dass mangelnde Zeitressourcen eine inten sive Kooperation zwischen Lehr- und Fachkräften häufig verhindern würden. Dies sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass viele Lehrerstunden im Ganztag nicht umgesetzt werden (etwa durch krankheitsbedingte Ausfälle). Mehr als zwei Drittel der Träger erleben einen nicht unbeachtlichen Aus - fall von Lehrerstunden im offenen Ganztag. Bewegungsangebote, Kultur und Sprachbildung Bewegung, Spiel und Sport sind wesentliche Elemente des offenen Ganztags: Sie finden sich an fast allen OGS. Angebote der kulturellen Bildung, der Musik und der Sprachförderung machen ebenfalls rund 90 bis 95 Prozent der Ganztagsschulen aus. Wie gut sie mit anderen Angeboten verknüpft werden können, hängt auch von der Stundenzahl der beteiligten Fach - kräfte ab. Dabei sind Sportvereine beziehungsweise der Stadtoder Kreis sportbund Kooperationspartner in fast drei Viertel, Musikschulen in etwa 40 Prozent der Schulen. Die Zu frie den - heit mit beiden Partnern ist in der Regel hoch. Je mehr Angebo - te es an einer Schule allerdings in einem Bereich gibt, umso häufiger werden sie nicht von diesen fachspezifischen Part - nern, sondern vom Trägerpersonal durchgeführt. Viele Erkenntnisse aus der OGS werden auch im Unterricht genutzt. Hierzu gehören speziell die Erkenntnisse aus Ange bo - ten zur Sprachbildung. Gleichwohl sollte auch dieses Förder - angebot noch besser mit dem Unterricht verknüpft werden. Dies gilt auch für die Nutzung von Mehrsprachigkeit. Beteiligung der Eltern In OGS sind vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten für Eltern entstanden. Jenseits der obligatorischen Mitwirkung in Schul - gremien können Eltern Sprechstunden nutzen, an der Gestal - tung des Schullebens mitwirken sowie Be - ratungs- und Un ter - stüt zungsangebote di - rekt in der Schule wahr - nehmen. Am wei tes ten verbreitet sind Sprech stunden, während eher niedrigschwellige Angebote zur Beratung und Unterstützung der Eltern, zum Beispiel Informationsveran stal - tungen zur Entwicklung und Erziehung von Kindern oder Elternkurse, eher selten sind. Interessant ist, dass gerade Schulen, die einen ho hen Anteil von Fami lien in sozial belasteten Lebenslagen oder mit Migrations hintergrund verzeichnen, bei solchen innovativen Formen der Elternarbeit schon weiter sind als andere. Innovative Formen der Eltern - beteiligung bei Familien in belasteten Lebenslagen Erforderlich wäre also, damit sich OGS-Eltern noch regelmäßiger am Schulleben beteiligen, eine Kooperation, die das Zeit - budget von Eltern und gegebenenfalls deren Sprach kennt nisse noch besser berücksichtigt. Wissenschaftliche Evaluation zieht positives Fazit Schulen erleben die Kooperation mit Schulträger und -aufsicht als konstruktiv, und auch die Lehr- und Fachkräfte des Ganztags arbeiten inzwischen besser zusammen. Gemeinsames Ziel ist es, den Blick auf das einzelne Kind zu richten und eine individuelle Förderung zu ermöglichen. Für eine gelingende Zusam - men arbeit in diesem Sinne ist gegenseitige Wertschätzung, Offenheit und Gegenseitigkeit wichtig. Dies gilt auch für die Zusammenarbeit mit Eltern, den Leitungen auf Träger- und Schul ebene sowie die Zusammenarbeit zwischen OGS-Trägern, Schulträgern und -aufsicht. 9

5 Bildungsberichterstattung Ganztag Die wissenschaftliche Begleitung zur OGS wird seit Anfang des Jahres 2010 als Bildungsberichterstattung Ganztagsschule NRW bis zum Jahr 2014 weitergeführt. Sie bezieht nun auch die Sekundarstufe I mit ein. Zukünftig werden neben standardisierten Befragungen drei zentrale Themen intensiv behandelt: Weitere Informationen zum Ganztag und zur Serviceagentur Ganztägig lernen : 1. Lernzeiten und Integration von Hausaufgaben, 2. Förderung von Kindern und Jugendlichen in belastenden Lebenslagen sowie 3. Förderung von begabten und leistungsstarken Schü lerinnen und Schülern. Die Ergebnisse der Bildungsberichterstattung Ganztag werden in Zukunft jährlich präsentiert, erstmals im Sommer Sie sollen noch mehr als bisher in die Arbeit der Serviceagentur Ganztägig lernen in Nordrhein-Westfalen zur Unterstützung der Qualitätsentwicklung bei Kommunen, Trägern und Schulen einfließen. Zum Weiterlesen: Wissenschaftlicher Kooperationsverbund Hrsg. Ko ope ra - tion im Ganztag Erste Ergebnisse aus der Vertie fungs - studie der wissenschaftlichen Begleitung zur OGS. In: Der GanzTag in NRW. Beiträge zur Qualitätsentwicklung. Broschürenreihe der Serviceagentur Ganztägig lernen in Nordrhein-Westfalen, Heft 14, Ders. Hrsg. Lernen und Fördern in der offenen Ganz tags - schule Vertiefungsstudie zum Primarbereich in Nordrhein- Westfalen. Weinheim und München: Juventa, Stephan Scholz 10