Inklusion - die Perspektive der Zivilgesellschaft und der Stellenwert für Zivilgesellschaft, Schule und Bildung 1
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- Julius Schenck
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1 1 Inklusion - die Perspektive der Zivilgesellschaft und der Stellenwert für Zivilgesellschaft, Schule und Bildung 1 Meine sehr verehrten Damen und Herren, beginnen möchte ich mein 10-minütiges Statement mit einem kurzen Ausschnitt aus einem Beitrag des in der Inklusionsdebatte mit seinen Gutachten für mehrere Landesregierungen ja nicht ganz unbekannten Berliner Erziehungswissenschaftlers Professor Ulf Preuss-Lausitz. Er schreibt in der Septemberausgabe der mit über Abonnenten und Käufern weite Verbreitung findenden Monatszeitschrift Pädagogik unter der Überschrift: Inklusion: Modewort oder Hoffnungsträger? Was ist neu an Inklusion und wie kann sie gelingen? Zitat: Schon haben Besitzstandswahrer und Protagonisten des Aussonderns durch Sondergruppen in Kitas, durch Zurückstellungen vom Schulbeginn, durch Diagnose- Förderklassen und Einweisungen in Sonderschulen, durch das beliebte Sitzenlassen, durch die zwei-bis-fünf-gliedrigkeit in der Sekundarstufe, durch die Abschiebung aus der eigenen Schulform in eine niedrigere und vieles mehr behauptet, ja, ein bisschen mehr gemeinsames Lernen dürfe schon sein, ansonsten aber seien wir doch jetzt schon inklusiv. Schließlich könnten alle kostenlos zur Schule gehen, es gebe ein spezielles, hochqualifiziertes Angebot differenzierter Förderschulen, wogegen in Afrika... die UN meine nicht Deutschland! Oder wollen Sie, dass das schwermehrfachbehinderte Kind durch Inklusion leidet, nur damit Ideologen sich durchsetzen? Soll etwa der verhaltensgestörte Junge, der über Tisch und Bänke rennt, die Lehrerin zum Burn-out und die Eltern zum Aufstand treibt, in unserer Schule bleiben? Und kommen durch Inklusion nicht Kolonnen von Rollstuhlfahrern und geistig Behinderte auf unsere Schulen zu? Dafür sind wir nicht ausgerüstet, nicht ausgebildet und auch nicht zuständig. Liebe Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmer, willkommen in der hitzigen Debatte um Inklusion, die dieser Tage quer durch unsere Rebublik geistert! Ich möchte es aber in den nun folgenden Ausführungen bei diesem kurzen Intermezzo in diese zur Zeit landauf, landab polemisch und heftig vorgetragenen Argumentationslinien belassen und diese einfach für die nächsten Minuten liebevoll beiseite schieben, um mich stattdessen der Perspektive der Zivilgesellschaft zur Inklusion und dem Stellenwert der Inklusion für die Zivilgesellschaft und für Schule und Bildung zuzuwenden. Ich möchte dazu in Anlehnung an den berühmten Anthropologen, Biologen, Kybernetiker, Philosophen und Sozialwissenschaftler Gregory Bateson folgende Frage aufwerfen: 1 Texte aus: Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft (Hg): Inklusion vor Ort. Der Kommunale Index für Inklusion ein Praxishandbuch. Berlin Reich, Kersten (Hg.): Inklusion und Bildungsgerechtigkeit. Standards und Regeln zur Umsetzung einer inklusiven Schule. Weinheim 2012.
2 2 Welches Muster der Verbindung gibt es zwischen Menschen, die hier bei uns als Asylbewerber, als Menschen mit Zuwanderungshintergrund, als Menschen mit einer nicht zur Mehrheit gehörenden sexuellen Orientierung oder als behindert klassifiziert werden oder in einer abgehängten Schicht von Armut betroffen sind und welche Verbindungsmuster gibt es zwischen all diesen Menschen und mir? Was verbindet uns alle mit dem etwas sonderbar wirkenden Hochbegabten in einer Richtung und mit dem eingeschüchterten Schizophrenen oder dem verwirrten, dementen alten Menschen in einer anderen? Was ist es, das wir gemeinsam haben, was verbindet uns wirklich? Meine Damen und Herren, genau diese Art von Fragen berühren, so meine ich, das zentrale Thema der Inklusion. Inklusion ist in diesem Sinne für mich das gemeinsame Weben an einem Gewebe zwischen den Menschen, das zu einem Muster führt, das uns verbindet. Dieses Muster des Verbundenseins wir könnten auch sagen des Solidarischseins entsteht, wenn ich Menschen willkommen heiße, wenn ich niemanden ausschließe, wenn ich mich mit dafür einsetze, dass alle dazu gehören: zu unserer Gesellschaft, unserer Kommune, zu unserer Bildungseinrichtung, zu jeder kleinen oder großen Gruppe und Gemeinschaft. Alle werden anerkannt und alle können etwas beitragen. Fragt mich jemand nach dem Stellenwert der Inklusion für die Zivilgesellschaft und für Schule und Bildung im Besonderen verweise ich auf die Folgen, die aus dem gemeinsamen Weben eines solchen Gewebes für uns alle resultieren: Unsere Gesellschaft wird reicher durch diese sich aufeinander beziehende Vielfalt aller Menschen, Sicherheit und Lebensqualität werden erhöht, weil inklusive Kulturen Bedrohung und Ausgrenzung abbauen und die Verbundenheit miteinander stärken. Inklusion ist auf der ganzen Welt ein wichtiges Thema. Die Organisation der Vereinten Nationen hält Inklusion inzwischen im Rahmen der allgemeinen Menschenrechte für unverzichtbar. Sie hat dazu 2006 eine Konvention verabschiedet: die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Sie verlangt, dass alle Menschen gleich gut behandelt werden und die gleichen Rechte haben. Das gilt nicht nur für Menschen mit Behinderungen. Auch andere Menschen, die oft weniger Chancen haben als andere, sind damit gemeint: Menschen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer sozialen Stellung benachteiligt werden. Inklusion ist daher zunächst und zuallererst eine Haltung, eine persönliche Einstellung, mit der jeder von uns im privaten oder beruflichen Umfeld etwas bewirken kann. Das heißt: Inklusion als Haltung zeigt sich zuallererst in meinem Denken und Handeln, und auch in meiner Sprache kommt diese Haltung zum Ausdruck: Die Grundideen einer inklusiven Haltung sind: Inklusion will allen Menschen ermöglichen, am Leben teilzuhaben und wertgeschätzt zu sein. Inklusion erkennt jede Person in ihrer Einmaligkeit an: Jeder lebt in unterschiedlichen Situationen und hat andere Kompetenzen, Bedürfnisse und Stärken.
3 3 Inklusion schätzt diese Verschiedenheit von Menschen und versucht, sie aktiv zu nutzen. Inklusion wendet sich dagegen, Menschen an den Rand zu drängen und hilft, Ursachen, Formen und schon kleine Anzeichen von Diskriminierung zu erkennen und abzubauen. Was sind nun die Handlungsebenen der Inklusion aus zivilgesellschaftlicher Perspektive insbesondere auf der kommunalen Maßstabsebene? Es gibt hier mehrere Ebenen, auf denen jede und jeder Einzelne selbst wirken kann oder von der Wirksamkeit anderer profitieren kann. Ob im Kleinen, von Mensch zu Mensch, oder innerhalb einer größeren Gemeinschaft. Folgende Ebenen lassen sich beschreiben: Erstens: Die Ebene der einzelnen Person, das Nachdenken über meine Haltung, meine Einstellungen und Sichtweisen, meine Urteile und Vorurteile und meine Bereitschaft, eine inklusive Haltung zu entwickeln. Zweitens: Die Ebene Mensch-zu-Mensch im nachbarschaftlichen Raum zwischen dem rein Privaten und dem Öffentlichen. Ich frage oder biete etwas an, gebe und bekomme Unterstützung. Drittens: Die Ebene der Organisationen, d. h. die Ebene der Abstimmung von Verantwortlichkeiten und Strategien, um gemeinsame inklusive Ziele erreichen zu können. Viertens: Die Ebene der Vernetzung von Organisationen und Intitiativen in einer Kommune, die über ihren jeweiligen Verantwortungsbereich hinaus inklusive Lebenswelten anstreben. Diese vier Ebenen zeigen, wie vielseitig die Möglichkeiten sind, zivilgesellschaftlich am inklusiven Zusammenleben einer Gemeinschaft mitzuwirken. Von Ebene zu Ebene werden die Beziehungen komplexer und doch gibt es einen ganz einfachen Ausgangspunkt: Am Anfang steht immer der einzelne Mensch. Jeder von uns schafft die Basis für das, was auf den nächsten Ebenen erreicht werden kann. Je mehr Menschen sich auf der ersten Ebene darüber Gedanken machen, ob und wo sie selbst inklusiv handeln können, umso wahrscheinlicher wird es, dass die Initiativen auf den folgenden Ebenen gelingen. In diesem Sinne ist die Perspektive der Zivilgesellschaft und der Stellenwert der Inklusion für die Zivilgesellschaft die gemeinsame Entwicklung eines Bürgersinns für Inklusion, der ganz eng mit jedem einzelnen von uns zu tun hat: Er fängt bei uns selbst an. Es ist also eine Politik, die wir selbst mit Leben füllen können und von der wir selbst profitieren. Aber eine zweite Perspektive über die zunächst von jedem Einzelnen ausgehende Haltung zur Inklusion muss hinzukommen, damit im Blick auf Erziehung und Bildung eine Umstellung auf Inklusion Schritt für Schritt und Ebene für Ebene praktisch gegangen werden kann. Denn hierzu bedarf es auch zivilgesellschaftlich ausgehandelter Standards und Regeln zur Inklusion, die dann auf allen
4 4 Handlungsebenen von den Bildungseinrichtungen und den mit der Umsetzung befassten Administrationen (in Städten und Kommunen, den Ländern bis zur nationalen Ebene) praktiziert werden. Das heißt: es muss Verpflichtungen, Standards und Regeln geben, die als klarer Forderungskatalog davon ausgehen, dass etwas konkret umgesetzt werden muss oder soll, um eine hinreichende und kontrollierbare Wirkung zu erzielen. Die gesellschaftliche Regelung und Regulation von Inklusion ist die notwendige andere Seite, die für die professionell Tätigen in den Feldern der Inklusion verbindliche Vorkehrungen treffen muss, weil und insofern Rechtsansprüche eben nicht beliebig sein können. Deshalb ist die UN-Behindertenrechtskonvention eine wesentliche Wende, denn sie gibt regulativ vor, dass Inklusion geschehen muss. Verpflichtungen, Standards und Regeln zeigen Vorgaben auf, die als notwendige Vorkehrungen für Inklusion gelten und an denen wir uns orientieren können, wenn wir Inklusion wollen. Es geht darum, nicht bloß verbal und als denkbare Möglichkeit Inklusion zu vertreten und zu überlegen, was in die richtige Perspektive führt, welcher Weg intensiver und konkreter verfolgt werden sollte, und weshalb ein anderer aufgegeben werden muss, weil er nur ein Mehr an Exklusion bedeuten würde. Deshalb ist die neue menschenrechtliche Perspektive der UN- Behindertenrechtskonvention entscheidend, weil sie auch von jenen Solidarität erzwingt, die zunächst eher auf die eigenen Vorteile blicken wollen. Deshalb sind Inklusionspläne der Länder und eben auch in Kommunen entscheidend, um neue Impulse für alle zu setzen und Rahmen vorzugeben, in denen sich die Impulse entfalten können. Deshalb sind Verpflichtungen vor Ort, in allen Bildungseinrichtungen, aber auch in den mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention befassten Administrationen in unseren Städten und Gemeinden notwendig, um Inklusion tatsächlich praktisch zu ermöglichen. Zum Schluss: Der Stellenwert der Inklusion für die Zivilgesellschaft und unsere Schulen und Bildungseinrichtungen besteht darin, die gegebene Vielfalt von Verschiedenheit und Gleichheit unter den Menschen auf dem Weg der Umsetzung in ihrem besonderen Wert für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft zu verstehen. Dies erfordert Verständigung, Austausch, Dialog, Zuhören und die Bereitschaft, sich selbst und andere Menschen mit ihren jeweiligen Sichtweisen von Welt verstehen zu lernen und zu akzeptieren, Differenzen als unerschöpfliche Ressource zu begreifen und diese zu nutzen. Aus zivilgesellschaftlicher Perspektive gilt: Wer sich anderen öffnet, erschließt sich selbst neue Möglichkeiten. Es ist für jeden Einzelnen wie für unser Gemeinwesen gleichermaßen bereichernd, auf andere zuzugehen und sich zu fragen: Was verbindet mein Gegenüber mit mir mit uns? Und mich und uns mit ihm? Was haben wir gemeinsam? Wo eröffnet mir wo eröffnet uns seine Gedankenwelt neue Perspektiven?
5 Der Prozess der Inklusion lebt von solchen Fragen, die dazu anregen, die bestehenden Bedingungen des Zusammenlebens zu überdenken. 5
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