SWR2 Tandem Die digitale Familie
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- Ursula Förstner
- vor 7 Jahren
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1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Die digitale Familie Wie smart ist das Smartphone wirklich? Von Gabriele Knetsch Sendung: , Uhr Redaktion: Nadja Odeh Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter oder als Podcast nachhören: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/ Bestellungen per Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de
2 DIE DIGITALE FAMILIE Familie V. lebt in einem kleinen Reihenhaus am Stadtrand von München. Peter V. arbeitet in der IT-Branche, Silke V. kümmert sich um die vier Kinder: Jonas, 15, Sanna, 13, Linus, 8 und Elly, 5. Eine deutsche Mittelklasse-Familie. Aber auch eine digitale Familie: Es gibt bei den V.ens vier Smartphones, vier Tablets eines davon kaputt -, zwei I-Pods, einen Computer, eine Wii und einen Fernseher, der mit dem Internet und damit mit sämtlichen Filmen und Spielen des weltweiten Netzes - verbunden ist. Musik überblenden in Zsp. Gronkh, kurz frei, dann darüber Ganz oben unterm Dach, im zweiten Stock links, liegt Jonas im Bett und schaut sich auf seinem Tablet Gronkh an. Gronkh ist ein Let s player der vier Millionen Follower dadurch in den Bann zieht, dass er sie zusehen lässt, wie er Computergames spielt mit Vorliebe aus dem Horror-Milieu: Zsp. Youtube, Handwerker-Video Kurz frei, dann darüber Gegenüber, im Schlafzimmer, rechts, konsumiert Vater Peter V. Handwerker-Videos auf seinem Tablet. Peter V. guckt gerne anderen Leuten dabei zu, wie sie Stühle oder Schränke bauen. Zsp. Musik, Louane, Tourne Kurz frei, dann darüber Erster Stock, links: Sanna liegt auf dem Bett in ihrem Zimmer und hört sich ihre Lieblingssängerin Louane auf dem Smartphone an. Musik verblenden mit Zsp. Mario Kart, darüber 2
3 Ihre kleinen Geschwister Elly und Linus sitzen unten im Wohnzimmer und spielen Mario Kart auf der Wii ein Autorennen mit Comic-Figuren für die Spielkonsole. Ihre Mutter Silke stellt währenddessen am Computer Kinderklamotten auf E-Bay ein. Die V.s sind eine ganz normale Familie. Aber sie sind auch eine Community von Internet-Usern, die sich im Netz wohl eher selten begegnen würden. Was Jonas liket, kennt seine Mutter Silke nicht mal. Das hat Folgen für das Familienleben. Silke V. bezeichnet sich selbst als Dinosaurier : Zsp. Silke V., V. 3, Anfang Ist nicht ganz so mein zwangläufiges Ding. Mit den Kindern kommt man aber nicht aus, außerdem habe ich den passenden Mann dazu, der sich schon immer für all diese Dinge begeistern konnte. Für ihn ist die aktuelle Entwicklung super bestimmt, nicht mehr nur ein langweiliger Computer, sondern alles mögliche. Was man da alles machen kann! Der Dinosaurier hat sich inzwischen in sein Schicksal gefügt und ist selbst der supervernetzten, immer kommunikationsbereiten Welt der datenausspuckenden User beigetreten: Zsp. Silke V. Ich habe neuerdings auch ein Smartphone, was ich lange nicht hatte. Und lange nicht wollte. Ich will nur telefonieren und Punkt. ( ) Ich habe neuerdings Whatsapp für mich entdeckt, als der letzte auf der Welt. Und ich habe schon festgestellt, das hat auch Vorteile. Meine Tante, die ist jetzt 74, die ist neuerdings auch involviert. Plötzlich höre ich die ganz oft, sie wohnt in Bremen Was schreibt die Tante? - In dem Fall habe ich ihr ein Foto geschickt von der Elly mit Seifenblasen. Und habe sie gefragt, gab es das auch schon, als du klein warst? Na klar, hat immer viel Spaß gemacht. Aber Nagellack hatten wir in dem Alter nicht. Lachen. Familien, so besagt es die Medienwirkungsforschung, sind inzwischen quasi zu hundert Prozent mit digitalen Medien versorgt. Unabhängig von Schicht, Bildungsstand oder Einkommen. Nicht nur Kinder aus wohlhabenden Familien haben ein Smartphone oder Tablet sondern nahezu alle. Das Handy ist für viele Kinder und Jugendliche so alltäglich wie der Radiergummi oder das Federmäppchen in der Schultasche. Die Studie Kinder in der digitalen Welt des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet kommt zu dem Ergebnis: Zitator: Mehr als die Hälfte der 8-Jährigen, 55 Prozent, ist bereits online. Von den 6- Jährigen geht fast ein Drittel ins Internet, und bei den 3-Jährigen ist es schon jedes 3
4 zehnte Kind. Auch Kinder ohne Lese- und Schreibfähigkeit können zum Teil über das Erkennen von Symbolen eigenständig eine Internetseite aufrufen. Die digitale Ausstattung von Kindern und ihre technischen Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Medien und dem Internet sind trotz enormer Einkommensunterschiede der Eltern keine Frage des Geldbeutels. Einjährige im Kinderwagen, die empört aufheulen, weil Mama ihnen das Smartphone wegnimmt, mit dem sie sich gerade durch das Internet touchen vielleicht ist es das, was Forscher heute als Digital Natives bezeichnen. Im Gegensatz zu Silke V., die eine digitale Migrantin ist. Fakt ist: Das Smartphone ist bei vielen Kindern und Jugendlichen wie ein geheiligter Fetisch immer dabei in der Schule, auf dem Nachtkästchen, ja selbst auf dem Klo. Zsp. Axel Dammler, 0.49 Man hat es immer in Griffweite. ( ) Es ist ja nicht so, dass es nur eine Aufgabe gäbe: da wird kommuniziert, da werden Informationen gesucht, da wird gespielt. Viele hören damit Musik, dann werden Photos gemacht und an Freunde verschickt. Das ist ein multifunktionales Gerät und aus dem Alltag gar nicht mehr wegzudenken. Der Kommunikationswissenschaftler Axel Dammler hat für das Marktforschungsinstitut IconKids & Youth das Onlineverhalten von Kindern und Jugendlichen untersucht: Zsp. Axel Dammler Wenn man als 13- bis 14-jähriger Jugendlicher kein Smartphone hätte, ist das tatsächlich ein Problem. Muss man so deutlich sagen, weil so viel heute über diese Geräte stattfindet. Das ist genau so, wie wenn man vor 30 Jahren kein Telefon gehabt hätte. Man sollte nicht erwarten, dass die Nachrichten, die da hin und hergeschickt werden, literarische Hochgenüsse sind. ( ) Es geht tatsächlich ganz viel darum, sich gegenseitig der Nähe zu vergewissern. Zu zeigen, hallo, ich bin da, wir sind vernetzt, wir sind im Kontakt. Ganz viel so ein Beziehungsgrundrauschen, was da stattfindet und was über das Posten von albernen Bildern oder Quatschnachrichten gepflegt wird. Zsp. Silke V. Viele, mit denen ich mich unterhalte, Freunde oder so, die haben alle das ähnliche Problem. Jeder ist unzufrieden damit, dass die Kinder am liebsten nichts anders mehr tun würden. Jeder sucht nach einer Lösung und findet die nur bedingt. Atmo 1, Treppensteigen, geht über in 4
5 Atmo 2, Musik, Tourne, Louane Zsp. Sanna V. Wo ist die Sanna? Hallo. ( ) Was machst du Sanna? Youtube-Videos. Gucken.- Was für welche? Ein Video. Let s play. Spiel spielen. Telefonieren. SMS schreiben, Whatsapp schreiben. Videos machen. Klein, der Bildschirm. Ja, das geht aber. Seit wann hast du das Smartphone?- Als ich in die 5. Klasse gekommen bin. Hast du es dir selber gekauft? Das habe ich vom Papa bekommen. Aber das habe ich mir selber gekauft, mein Neues. Wie hast du es finanziert? Vom Geburtstagsgeld auch. Atmo 2, Musik, Tourne, weiter, darüber Sanna nutzt gerade ihre Internet-Zeit. Die dauert jeden Tag von 17 bis Uhr vier Stunden grenzenlose Freiheit im weltweiten Netz. Dann schaltet sich ihr Zugang zum Internet ab. Ihr Vater Peter V. hat für seine Kinder eine technische Bremse eingebaut: Zsp. Peter V. Das kann man bei unserem DSL-Router einstellen..- Warum die Begrenzung? Weil das den Kindern sonst schwerfällt, ihre anderen Aufgaben zu erfüllen. Weil sie sonst aus der Schule kommen, habe ich auch Verständnis dafür, sich gleich entspannen wollen, ihre Medien konsumieren wollen. Das findet dann kein Ende. Hin und wieder telefoniert Sanna noch mit ihrer besten Freundin. Aber viel lieber kommuniziert sie mit ihr per Nachrichtendienst Whats App. Zsp. Sanna V., 5.00 Wenn uns langweilig ist, schicken wir uns Bilder, irgendwelche. Oder sie schickt mir Bilder von ihren Mäusen, die sie zu Hause hat. Können wir die anschauen, die Bilder von den Mäusen? - Die zwei Mäuse, Meila und Coco in ihrem Sandbad. Wo der Sand daneben liegt. Hat sie was geschrieben? Ne. Einfach nur das Bild von den Mäusen. Hast du geantwortet? Ja. Niedlich, oder so. Natürlich könnte Sanna sich mit ihren Klassenkameradinnen auch persönlich treffen, um gemeinsam Hausaufgaben zu machen. Aber wozu? Im Chat geht es doch viel bequemer: 5
6 Zsp. Sanna V. Wie geht das? Da macht man was. Und wenn man was nicht kann, dann fragt man halt. Und hast du dann ein Foto geschickt? Ja, wenn man das nicht weiß. Lachen. Du machst dann Mathe, soweit du gekommen bist, oder wie? Ja, so weit man gekommen ist, dann fragt man das halt, ob die anderen das haben. ( ) Und dann habe ich von ihr das zurück bekommen, was sie hat..- Über Whatsapp? Auch über Foto? Ja. Ihr habt zusammen Hausaufgaben gemacht. Eigentlich schon. Jeder auf seinem Bett? Am Schreibtisch. Atmo 3, Treppe, darüber In Sannas Klassenchat, in dem fast alle Schüler ihrer 8. Klasse Mitglied sind, können pro Abend schon mal 200 bis 300 Nachrichten hin und her geschickt werden: Schüler im kommunikativen Dauerstress: Zitator: Kinder und Jugendliche sind zunehmend mit ihren Geräten online, um die Verbindung mit ihren Freunden aufrecht zu erhalten. Über 40 Prozent der jungen Leute sagen, sie hätten genau so viel Angst, Freunde Online wie Offline zu verlieren. Elf Prozent machen sich sogar mehr Sorgen, ihre Online-Freunde zu verlieren. Eine Studie des Instituts iconkids&youth von Juni Die Online-Welt gewinnt für Kinder und Jugendliche zunehmend an Bedeutung gegenüber der realen: sie treffen ihre Freunde im Netz. Sie unterhalten sich per Chat. Sie machen im Internet gemeinsam Spiele. Doch diese smarte Welt ist eine, zu der die Eltern kaum Zutritt haben, meint Silke V.: Zsp. Silke V., Wer da was anguckt, wissen wir auch nicht. Und mit 14, 15 sind sie ja auch zu alt. Weil die ja auch nicht wollen, dass man da eine halbe Stunde daneben steht und guckt, was machst du denn da? Das geht auch nicht so. Irgendwo hat man halt eine Privatsphäre. Zitator: 55 Prozent der Mütter und Väter wissen nicht, wie viel Zeit ihre Kinder eigentlich im Internet verbringen. Und fast 70 Prozent haben keine Ahnung, ob ihre Kinder sich illegal etwas herunterladen oder etwas mit Cyber-Mobbing zu tun haben. Atmo 4, Kling Zsp. Peter V. 6
7 Bei uns ist das noch nicht aufgetreten, dass die Kinder gesagt haben, im Klassenoder Freundeskreis sind zweifelhafte Dinge abgelaufen. Was ich auf jeden Fall sehe, dass die Eltern sich damit beschäftigen müssen und eingreifen müssen. Sind die Eltern da kompetent? - Ich denke nicht, dass das unbedingt technisch relevant ist. Ich weiß nur das, was mir meine Kinder freiwillig erzählen. Das war früher nicht anders. Klar. Da haben mich meine Eltern auch nicht gefragt. Also handhabe ich das jetzt genau so. ( ) In dem Moment, wo die Kinder damit kein Problem haben, habe ich auch kein Problem damit. Atmo 5, Videospiel Mario Kart, V. Darüber Jonas spielt mit seinen kleinen Geschwistern Elly und Linus. Das bedeutet: Er hockt im Wohnzimmer auf dem Sofa und steuert mit der Spielkonsole sein Auto. Elly und Linus sitzen daneben und schauen gebannt zu: Zsp. Szene, Linus, Jonas und Elly Niemand darf vor Jonas sein. Sieht grad nicht so aus. Er ist sechster Platz. Ist doch gut. Da gewinnst du nie, Jonas. Doch das kann man schon schaffen. Du gewinnst nie, Jonas. Doch, ich habe zwei Strecken geschafft. Sei leise. Atmo 6, dudel, dudel weiter Vor allem der achtjährige Linus liebt die digitale Welt manchmal mehr als die reale. Zu Weihnachten hat er sich acht Computerspiele gewünscht und sonst nichts. Zsp. Szene weiter Jonas. Kann ich mal spielen. Jonas, der Linus will dich etwas fragen. Kann ich mal mitspielen? Ja. Zsp. Szene weiter, Elly und Linus Man kann nicht erklären, warum es Spaß macht. Was macht mehr Spaß, spielen oder zuschauen? Spielen. Ich find zuschauen. ( ) Weil das ist einfach so spannend, finde ich. Atmo 7, Spiel weiter Wenn ihre Brüder Wii spielen, darf Elly zwar zuschauen, aber bitte nicht stören! Miteinander spielen heißt heute immer öfter: nebeneinander vor dem Bildschirm 7
8 sitzen - der mal Smartphone- und mal Fernseh-Größe haben kann - und fiktive Welten bauen oder digitale Autorennen mit Comic-Bärchen fahren. Zsp. Elly Ha, dieser Bär. Mit dem will ich kuscheln, mit diesem Bär. Er ist einfach so flauschig. Wird es dir auch mal zu langweilig, Elly, die spielen und du sitzt hier? Ne, eigentlich nicht. Wird mir nicht langweilig. ( ) Und ich darf manchmal auf Jonas Tablet spielen, wo man Menschen suchen muss. ( ) Ein Wimmelbild, wie früher ein Buch? Ja. Da sind winzigkleine Fotos. Was magst du lieber, Wimmelbilder im Buch oder im Tablet? Im Tablet. Weil da kann man das machen, nicht das lesen. Atmo 8, Mario Kart noch mal hoch Zsp. Peter V. Speziell beim Linus hat sich ein knallhartes Belohnungssystem etabliert. Der spielt gerne mit der Wii, das geht nur in den Ferien mit Ausnahme für gute Noten. Für eine gute Note in der Prüfung darf man eine Stunde Wii spielen. Der hat leider nur gute Noten, ausnahmslos. Und der hat ( ) alles zusammen gekratzt, was er an Erfolgen vorzuweisen hatte, um Zeit rauszuschinden. ( ) - Also er hat sich s verdient. Ist da was dagegen einzuwenden? - Teilweise ist da der Wechselkurs zu ungünstig. Dadurch, dass er ausschließlich gute Noten anschleppt, ist die Zeit, die er da verbringt, bisschen zu viel in meinen Augen. Was ist zu viel? Das ist genau die Frage. Was ist zu viel? Eine Frage, die derzeit auch die Forschung nicht eindeutig beantworten kann. Susanne Gerleigner vom Deutschen Jugendinstitut in München arbeitet an einer Studie zum Thema Digitale Familie. In vielen Familien streiten sich Eltern mit ihren Kindern darüber, wie viel Zeit sie vor ihren Geräten verbringen dürfen. Welche Auswirkungen der Medienkonsum aber wirklich hat, ist unklar: Zsp. Susanne Gerleigner Wir haben relativ wenig Ergebnisse dazu, was mit den Kindern passiert, wenn sie immer online sein müssen, wenn sie immer gerade in den Whatsapp-Gruppen schnell antworten müssen, teilweise gibt es bei älteren Jugendlichen Tendenzen, sich bewußt von sozialen Netzwerken wieder abzumelden, weil gesagt wird: ( ) Ich will wieder qualitativ hochwertige Zeit mit meinen Freunden verbringen und nicht immer auf einen Gefällt-Mir-Button klicken. Diese ganzen Tendenzen müssen genauer erforscht werden: wer macht was wie? Was bedeutet das für Kinder, für Jugendliche, wenn sie Dinge ins Netz stellen und nicht die Resonanz bekommen, die sie erwartet hätten. 8
9 Der permanente Zwang, online zu sein, ist inzwischen auch ein Problem für die Schulen. In vielen Bundesländern müssen Schüler das Handy im Unterricht ausschalten. Doch die Gesetze hinken der Realität hinterher, meint Anette Kreim, Direktorin am Münchner Klenze-Gymnasium: Zsp. Anette Kreim Das geht morgens los und hört mittags nicht auf. So lange die Schüler hier bei uns an der Schule sind, haben wir mit dem Thema Smartphone heutzutage natürlich zu tun. ( ) Fast jeder Schüler besitzt ein Smartphone, nicht immer natürlich das neueste. Aber wenn ich die mal abgeben lasse zu irgendwelchen Prüfungen und schaue in den Korb, dann ist eigentlich meins immer das älteste, was ich sehe. Die Schulen lavieren zwischen dem offiziellen Verbot von Smartphones im Unterricht und der Macht des Faktischen. Zsp. Anette Kreim Dass wir es nicht komplett durchsetzen können, ist uns klar. Aber wir können es auch nicht einfach zulassen. ( ) Denn die Schule soll für die Kinder und für die Lehrkräfte ein geschützter Raum sein, wo man sich entwickeln kann. Mittags in der Kantine drückt die Direktorin inzwischen aber ein Auge zu schon weil sich Eltern beschwert haben. Sie wollen ihre Kinder möglichst immer erreichen: Wie soll ich sonst meinen Sohn an den Zahnarzttermin erinnern? Zsp. Anette Kreim Wie will ich kontrollieren? Wie will ich in der Mittagspause kontrollieren, dass kein Schüler in der Mittagspause das Handy unter dem Tisch hat. Da mache ich mich lächerlich, das ist nicht durchsetzbar. Auch Sanna hat ihr Handy im Unterricht dabei auf lautlos gestellt. Grundsätzlich findet sie das Handy-Verbot an der Schule aber gut: Zsp. Sanna Es würde ja nur stören, wenn jeder eine Nachricht kriegen würde. Es macht lauter Geräusche im Unterricht. Atmo 9, Handygeräusch 9
10 Ihr Bruder Jonas hat sich inzwischen vom Klassenchat wieder abgemeldet: Zsp. Jonas Zu den unpassenden Zeitpunkten kriegst du jede 20 Sekunden so eine Nachricht, das hat mich genervt. ( ) He Jungs, was war die Hausaufgabe? Dann antworten zwei. ( ) Dann streiten sie sich darum, was die richtige Hausaufgabe ist. Dann endet das immer in einem großen Whatsapp-Streit. Und wie streitet man sich auf Whatsapp? Da kommen die Standardbeleidigungen. Dann wird es immer schlimmer. Dann sagen sie: Ich komme bei dir vorbei und hau dich, dann treffen sie sich in der Schule und sind die besten Freunde. Atmo 10, Gong Zsp. Jonas Das war jetzt die Tagesschau- App. ( ) Das finde ich praktisch, dann muss ich nicht immer die Tagesschau andauernd gucken. Dann weiß ich schon, was passiert. - Kling, Kling, kling. - Was war das für ein Bimmeln? Das ist einer, den ich abonniert habe, der ein neues Video geladen hat. Wer? Dominator Lets Play. Atmo 11, Lets Play, Gronkh, Menschenfresser Inzwischen hat sich Jonas mit seinem Handy in sein Zimmer unter dem Dach zurück gezogen. Er legt sich aufs Bett und öffnet ein Let s play. Es heißt Menschenfresser. Zsp. Jonas Es hat einen Langzeitsuchtsfaktor. ( ) Wie lange spielst du da so? Heute habe ich am Tablet schon so drei Stunden Mindcraft am Nachmittag gespielt. Aber weil ich nichts besseres zu tun hatte. Du guckst auf die Uhr, ist zwei, spiele ich ein bißchen. Dann guckst du wieder auf die Uhr, es ist fünf. Atmo 11, Lets Play, weiter Jonas ist grundsätzlich damit einverstanden, dass sein Vater seine Internetzeit durch die technische Bremse begrenzt: Zsp. Jonas,
11 Davor hat es mein Vater mal vergessen, weil Ferien waren davor. Da habe ich gemerkt, dass ich in einer Ex schlechter war, weil ich mich lieber hingesetzt habe und Youtube-Videos geguckt habe als für Bio zu lernen. Elly streckt den Kopf zur Tür herein. Zsp. Jonas, 6.08 Jetzt muss ich hier mal eine Pause machen, denn hier ist ein kleines Mädchen, für das das Lets Play nicht geeignet ist. Aber weil es ein Spiel ist, wo ein Psychopathenmonster rumläuft und versucht, drei kleine Opfer zu fangen, und an einen Haken zu hängen, damit sie aufgespießt werden, damit sie sterben, deswegen gucken wir das jetzt nicht. Manno. Kommst du mit Essen Jonas? Atmo 12, Essen Das gemeinsame Essen ist bei Familie V. eigentlich eine technikfreie Zone. Hier soll es Zeit für Gespräche geben. Aber das klappt nicht immer. Peter V. muss noch schnell seine Twitter-Nachrichten checken. Zsp. Peter V. Diese Programme ( ) sind alle so, dass sie immer dann, wenn ich Zeit habe, mir auf jeden Fall was Neues präsentieren wollen. Das merkt man ganz stark auf Twitter. Wenn die Leute, denen ich folge, nichts Neues fabriziert haben, gibt sich Twitter Mühe, mir trotzdem irgendwas zu präsentieren, von dem es glaubt, dass mich das interessieren könnte. Umgekehrt ist der Fluss an Nachrichten so umfangreich, dass ich bestraft werde, werde ich nicht regelmäßig reingucke. Dann ( ) sind 80 Twitter- Nachrichten eingelaufen. Außerdem liest der Software-Experte bei Tisch gern die Zeitung. Zsp. Peter V. Es ist natürlich auch problematisch, wenn ich ( ) in das Tablet gucke und argumentiere, ich lese aber Zeitung. Das hat eine Weile gedauert, bis die kleinen Kinder gesehen haben, der Papa spielt da gar nicht. ( ) Wenn ich das mache, ist es schwer, den anderen auch das zu verbieten. 11
12 Silke V. hingegen, die selbst ab und an einen Blick auf die WhatsApp-Nachrichten ihres Smartphones wirft, würde am liebsten alle Geräte vom Essenstisch verbannen. Zsp. Silke V. Haben wir öfters als Thema. Was zur Folge hatte, dass unser großer Sohn beschlossen hat, er hat dann keinen Hunger, wenn wir alle essen, sondern er kommt dann später. Und er sitzt dann da alleine, da kann sich keiner beschweren, dass er wieder die Stöpsel im Ohr hat. ( ) Es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl, ( ) man sitzt mit mehreren Leuten am Tisch. Und sie sind aber eigentlich gar nicht da. Sie haben alle Stöpsel im Ohr, mampfen vor sich hin und starren in so ein Teil. Lachen Atmo 13, Trampolin im Garten Zeiten ohne Smartphone und Tablet gibt es das bei Familie V. noch? Linus springt nach dem Essen mit seinem Freund Marius auf dem Trampolin im Garten herum. Sie quietschen vor Spaß. An Computerspiele denkt gerade niemand. Niemand vermisst sie. Und manchmal ganz selten versammelt sich Familie V. im Wohnzimmer vor einem Gerät, das in früheren Zeiten einmal der Treffpunkt der Familie war: Atmo 13, Trampolin, verblenden mit Atmo 14 Fußballspiel Zsp. Peter V. Bei uns beiden geht der Filmgeschmack komplett auseinander. Da gucken wir praktisch gar nichts gemeinsam. Meine Frau guckt sehr gerne Krimis. ( ) Ich schau im Fernsehen sehr wenig. Wenn meine Frau einen Krimi guckt, gucke ich irgendwas auf Youtube, das gucke ich auf dem Tablet. Atmo 14, Fußballspiel, weiter unter Text Zum Fußballgucken kommen noch einmal alle V.ens vor dem medialen Lagerfeuer zusammen. Die Chipschälchen werden herumgereicht. Es gibt Limonade und Bier. Sanna kuschelt sich auf dem Sofa an ihre Mama. Alle sind bester Laune. Selbst Jonas steigt aus dem zweiten Stock herunter. Aber gemeinsame Fernsehabende im Kreise der Familie sind vom Aussterben bedroht. Das weiß niemand besser als Silke V.. Sie sitzt abends meist ganz alleine vor dem Fernseher. Der Dinosaurier der Familie eben: Zsp. Silke V. 12
13 Es hat jeder sein eigenes Dingens und guckt, was er lustig ist. Man muss sich jetzt nicht ums Fernsehprogramm streiten. Das ist wahr. Aber man kann sich natürlich phasenweise auch bißchen einsam fühlen. Eigentlich sind wir sechs Leute. Und jetzt sitze ich da alleine. Keiner mehr da. 13
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