3.2 Das erheiterte Gehirn

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1 Humor ist eine innere Haltung, die folgende Qualitäten umfasst: Herzensgüte Ungereimtes bzw. Absurdes erkennen Mut Offenheit Relativieren eigener Ansichten und Bewertungen (emotionale Distanzierung) Wie oben bereits erwähnt, ist Humor durch und durch gutherzig und kann nicht böswillig sein. Diese Herzensgüte oder liebende Güte wird in der auf Pali überlieferten Lehre des Buddhismus metta genannt bzw. auf Sanskrit maitri. Gemeint ist ein freundliches, interessiertes Zugewandtsein oder eine nicht festhaltende, umfassende Liebe. Neben Mitgefühl (karuna), (Mit)Freude (mudita) und Gleichmut upekkha (bzw. Sanskrit upeksha) wird sie zu den Vier Grenzenlosen Geisteszuständen (brahmavihara) gezählt (vgl. Nyanatiloka 1989; Thich Nhat Hanh 1995, S ). Lachen, das auf Schadenfreude basiert, hat also mit Humor ebenso viel zu tun wie hörbar abgehende Darmwinde mit Mozarts Zauberflöte. Eine humorvolle Haltung verhilft uns ferner dazu, Ungereimtes bzw. Absurdes zu erkennen (vgl. Höfner u. Schachtner 2004, S. 53 f.). Und hierfür ist unser menschliches Dasein eine geradezu unerschöpfliche Quelle (vgl. hierzu Ariely 2008)! Denken Sie nur etwa an Light-Zigaretten: Ob wir wohl an einer gesünderen Form von Lungenkrebs sterben, wenn wir die qualmen? Oder wir fahren mit dem Auto viele Kilometer von A nach B, nehmen dabei auch noch den Stau während der Rushhour in der Innenstadt in Kauf, nur um unser Lieblingsprodukt als Schnäppchen ganze zwei Euro billiger zu ergattern. Diese Widersprüche werden durch Humor nicht unbe- 52

2 dingt aufgelöst, sondern mit einem freundlichen Schmunzeln oder Lachen angenommen. Oder wie der bekannte Komiker Eckart von Hirschhausen (2012, S. 291) es ausdrückt: Im Lachen können Widersprüche bestehen bleiben, ohne dass sie aufgelöst zu werden brauchen. Unser Verstand will die Welt sortieren, die ist aber viel zu komplex, um sich in gut/böse, rechts/links, richtig/falsch einteilen zu lassen. Interessanterweise nennt von Hirschhausen diese Qualität von Humor in einem Atemzug mit Achtsamkeit, die ja auch auf solche Kategorisierungen und Wertungen verzichtet. Um Ungereimtes zu erkennen, benötigen wir ein solides Wissen um das Vernünftige oder durchschnittlich zu Erwartende. Um die Karikatur eines Gesichtes zeichnen zu können, die seine charakteristischen Züge hervorhebt, müssen wir die 08/15-Proportionen des Durchschnittsgesichtes kennen, von denen es abweicht. Mut ist als nächste Eigenschaft einer humorvollen Haltung zu nennen. Im Humor sind wir alles andere als passiv und erleidend, sondern gewinnen den Widrigkeiten des Alltags ebenso wie unseren eigenen Unzulänglichkeiten die ihnen innewohnende Komik ab. Damit gestalten wir unsere Erfahrungswelt um. Wir werden vom hilflosen Opfer unseres teils grausamen Lebensschicksals zum handlungsfähigen Akteur (vgl. Sachsse 2012). Darüber hinaus bietet Ironie als humorvolles Stilmittel die Möglichkeit, Problematisches auf eine risikoarme Weise anzusprechen, die das Gegenüber nicht verletzt. Und im Zweifelsfall kann die Aussage auch wieder als Scherz zurückgenommen werden (vgl. Rapp u. Mutschler 2012). Damit wagen wir uns im sozialen Miteinander möglicherweise auf ein kommunikatives Terrain, das uns ansonsten vielleicht verschlossen geblieben wäre. 53

3 Ein weiterer bedeutsamer Aspekt von Humor ist die Offenheit. Damit ist zum einen die Offenheit in Bezug auf unsere eigenen Schwächen, Fehler und Schrulligkeiten gemeint, die wir gewöhnlich vor anderen verbergen. In einer von Humor geprägten, entspannten Situation können wir uns öffnen und sie preisgeben (vgl. Buchkremer u. Buchkremer 2012). Und zum anderen sind wir erst in der Lage, uns anderen Betrachtungsweisen zu öffnen, wenn wir aufhören, uns in den eigenen Standpunkt zu verbeißen. Sobald wir loslassen, haben wir freie Hände, um Neues zu empfangen. Diese Fähigkeit ist untrennbar mit der nächsten und letzten Qualität von Humor verbunden dem Relativieren eigener Ansichten und Bewertungen. Das Relativieren der eigenen Ansichten und Bewertungen ist genau jener Aspekt von Humor, der emotionale Distanz schafft. Erst wenn ich meinen festgefahrenen Standpunkt aufgebe, bin ich fähig, die Sache mit Distanz aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Von diesem sieht so manches Problem oftmals weit weniger tragisch, ja vielleicht sogar komisch aus. Auf diesen humorvollen Perspektivenwechsel zielen die liebevoll geäußerten Frechheiten der Provokativen Therapie ab, auf die wir in Abschnitt 3.5 noch zu sprechen kommen (s. S. 70). Dem aufmerksamen Leser wird sicher nicht entgangen sein, dass fast alle der genannten Aspekte von Humor auch über Achtsamkeit gesagt werden könnten. Das legt den Gedanken nahe, dass Achtsamkeit und Humor lediglich zwei Seiten einer Medaille sind, die untrennbar zusammengehören. Dabei stellt Achtsamkeit eher die empfangende, weibliche und Weisheit generierende Seite dar. Und Humor entspricht dem aktiven, männlichen und gestaltenden Pol. Ohne Achtsamkeit kann Humor bissig, bösartig werden und in den Zynismus abgleiten. Und ohne Humor läuft Achtsamkeit Gefahr, zu einem 54

4 leistungsbezogenen Konzentrationssport oder Spirituellen Materialismus (Trungpa 1994) zu verkommen, mit dem man sich schmückt und brüstet (s. Abschnitt 3.6, S. 79). Erst wenn beide Aspekte zusammenkommen, befruchten sie sich gegenseitig zu einer durch und durch heilsamen Haltung. 1 Achtsamkeit wird wahre Achtsamkeit und Humor echter Humor. Amen! 3.2 Das erheiterte Gehirn Ich glaube, dass sich unser Gehirn, wenn wir einen Wi tz hören, ebenso belustigt fühlt wie ein Staubsauger. Aber wir Menschen sind ja ausgewiesene Augentierchen und haben das Gefühl, die Dinge erst dann gründlich zu verstehen, wenn wir sie einsichtig gemacht haben und mit eigenen Augen sehen können. In Bezug auf die Gehirnforschung zum Thema Humor heißt das: Man verabreicht Versuchspersonen radioaktiv markierten Zucker und steckt sie anschließend in die Röhre eines sogenannten Positronenemissionstomographen, kurz PET genannt. Nun erzählt man ihnen einen Witz oder zeigt lustige Cartoons. Einen Moment braten, ich meinte warten... und den Probanden wieder aus dem Rohr nehmen. Sodann schaut man, wo unser Denkorgan angesichts dieser Aufgabe gerade viel Zucker verbrannt hat. Dort war es also aktiv. Ähnlich läuft es mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (fmrt), nur kommt die ohne den radioaktiven Zucker aus. Sie ist sozusagen die Light-Version. Übrigens auch im Hinblick auf die Genauigkeit. Das Ergebnis beider Verfahren 1 Wenn Sie auch gerade an den Dalai Lama denken mussten, dann geht es Ihnen wie mir! 55

5 sind schöne, bunte und dreidimensionale Bildchen unseres arbeitenden Gehirns. So manchen Forscher verleitet die moderne Technik allerdings zu der kühnen Annahme, dass die biologischen Prozesse, die mentalen Vorgängen vermeintlich bloß entsprechen, in der Tat selbst mentale Vorgänge sind und dass wir sie mit hinreichend detailliertem Verständnis auch als solche erkennen werden (Damasio 2000, S. 58). Diese Behauptung müsste ja dann auch ein biologischer Prozess sein. Ein physikalischchemischer Vorgang erklärt einen anderen physikalisch-chemischen Vorgang. Sagt das Salz zum Zucker: Du bist echt süß! Komisch. Eine Erkenntnis, die man mit bildgebenden Verfahren wie PET und fmrt bald gewonnen hatte, lautet: Es gibt kein isoliertes Humorzentrum. Vielmehr ist ein ganzes Netzwerk von Hirnarealen an der Verarbeitung von humorvollem Material wie Witze und Cartoons beteiligt (vgl. dazu Rapp u. Mutschler 2012; Wild 2012b). Dabei setzt das Gehirn vornehmlich diejenigen Werkzeuge ein, die es zum Verständnis der jeweiligen Art von Komik braucht. Diese kann direkt sichtbar sein, wie bei einer lustigen Karikatur. Ein erzählter oder gelesener Witz hingegen setzt ein mehr oder weniger hohes Maß an Sprachverständnis und Hintergrundwissen voraus. Ferner kann die Komik entweder im Inhalt und Verlauf einer Witz- Geschichte stecken oder aber im Wortklang, wie beim Kalauer. Und für das Verständnis von Ironie benötigen wir noch eine andere, ganz spezielle Fähigkeit: Wir müssen einen Perspektivenwechsel vornehmen können und eine Idee davon haben, was der andere denkt, fühlt und will. Das nennt man Theory of Mind (TOM). Erst dann können wir verstehen, was eigentlich gemeint ist nämlich das Gegenteil vom Gesagt en. Das Verständnis für Ironie ist wohl erst zum Ende des Grundschulalters voll entwickelt (Rapp u. Mutschler 2012). 56

6 Trotz der Vielzahl unterschiedlicher Befunde, die hauptsächlich aus fmrt-studien stammen, scheint es eine gemeinsame Schnittmenge zu geben: Es gibt ein paar Gehirnregionen, in denen bei mehreren Untersuchungen eine erhöhte Aktivität nachgewiesen werden konnte (vgl. Wild 2012b). Überraschenderweise befinden sich zwei davon auf der linken Seite der Großhirnrinde. Überraschend ist dies deshalb, weil normalerweise eher die rechte Gehirnhälfte mit Gefühlsangelegenheiten in Verbindung gebracht wird. Ein Areal befindet sich im Grenzgebiet von Schläfen-, Scheitel- und Hinterhauptslappen der Großhirnrinde (temporo-parieto-okzipital, wie der Medizinmann sagt). Das ist in etwa diejenige Stelle, welche man erwischt, wenn man sich hinten über dem linken Ohr kratzt (und von dort aus ins Schädelinnere bohren würde). Diese Region ermöglicht es uns, eine Ungereimtheit oder Absurdität aufzuspüren. Auch scheint sie neben räumlicher Aufmerksamkeit, Sprachverarbeitung und Gedächtnisfunktionen für die Bildung einer Theory of Mind in irgendeiner Form von Bedeutung zu sein. Sie wird zuerst aktiviert. Als Nächstes findet sich eine Gehirnregion im Bereich des linken Stirnhirns (frontal) wenige Zentimeter nach oben, von der Mitte eines gedachten Brillenbügels aus gesehen. Auch dieses Gebiet ist an der Verarbeitung von Symbolen, insbesondere von Sprache, beteiligt und für das Verständnis von Metaphern und Ironie notwendig. Möglicherweise wird hier in einem zweiten Schritt die Absurdität wieder aufgelöst und Widersprüchliches in einen neuen und stimmigen Zusammenhang gebracht. An dritter Stelle folgt eine Aktivierung an der Vorder-/Mittelseite des Stirnhirns (medial-präfrontal). Dort käme man raus, wenn man sehr weit mit dem Finger in der Nase bohren würde. Dieses Gebiet ist unter anderem für Aufmerksamkeits- 57

7 prozesse zuständig, für das Ironieverständnis wichtig und an der Regulation von Gefühlen beteiligt. Es fasst die Information der beiden vorangegangenen Gebiete zusammen, beurteilt also quasi die Komik der Gesamtsituation und reagiert darauf. Dann geht es heiter weiter mit der Aktivierung der nächsten und zunächst letzten Gehirnregion in dieser Abfolge. Das vierte und zuletzt angesprochene Gebiet liegt aber nicht auf der Großhirnrinde, sondern weit im Inneren des Schädels: das limbische System. Es ist für die emotionale Verarbeitung und damit für die Entstehung von Gefühlen verantwortlich. Anatomisch besteht es aus mehreren Teilen: den Mandelkernen (Amygdalae), dem Seepferdchen (Hippocampus), einem Kern namens Nucleus accumbens, dem Schlafgemach bzw. der Kammer (Thalamus) und noch einer Kammer darunter, dem Hypothalamus. Erstaunlich, was wir alles im Kopf haben, oder? Wenn wir einen guten Witz hören, ist also ordentlich was los im limbischen System, und wir fühlen uns erheitert. Erzählt uns jemand einen sehr guten Witz besser als erwartet, springt das sogenannte mesolimbische dopaminerge Belohnungssystem an, zu dem auch der Nucleus accumbens gehört. Seine Aktivierung wird als lustvoll und belohnend erlebt und spielt bei der Entstehung von Süchten eine große Rolle. Vielleicht können auch Witze süchtig machen wer weiß? Fragen Sie unbedingt Ihren Arzt oder Apotheker! Wie Abbildung 3-1 illustriert, scheint der zeitliche Verlauf der Aktivierung also in einer ganz bestimmten Reihenfolge statt zu finden: (1) Zuerst hinten links Erkennen von Ungereimtheit, dann (2) vorne links Auflösung, (3) Zack!, zwischen die Augen Beurteilung der Lustigkeit und... (4) mitten rein ins Hirn Erheiterung! Die erwähnte Stelle an der Vorder-/Mittelseite des Stirnhirns, der mittlere (mediale) Präfrontalkortex, hat übrigens noch mehr zu bieten. Er hat die Fähigkeit, Angst zu dämpfen, 58