Konsultation zur Europäischen Säule sozialer Rechte
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- Brigitte Hanna Färber
- vor 7 Jahren
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1 Konsultation r Europäischen Säule sozialer Rechte Zur sozialen Lage und m sozialen Besitzstand der EU 1. Welches sind Ihrer Ansicht nach die dringendsten Prioritäten in den Bereichen Beschäftigung und Soziales? Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 ist der soziale Zusammenhalt in der EU noch brüchiger geworden. Die unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Niveaus in den Mitgliedsländern führen einem Ungleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft, die Austeritätspolitik hat diese Probleme teils noch verstärkt. Die Europäische Union muss die soziale Kohäsion als wichtigste Priorität in all ihren Politiken berücksichtigen. Eine der dringendsten Prioritäten ist die die deutliche Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit und die Schaffung sicherer Beschäftigungsverhältnisse. Qualitativ hochwertige Berufsqualifikationen und Lebenslanges Lernen sind die Schlüssel für eine dauerhaft hohe Beschäftigungsquote. Neben der Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt muss auch die ständige Weiterqualifikation der Arbeitskräfte im Fokus stehen. Steigende Mobilität der Arbeitnehmer, aber auch m Beispiel die voranschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt und sich verändernde Rahmenbedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden neuen Bedürfnissen führen, die in einem europäischen Konsens berücksichtigt werden müssen. Der soziale Dialog ist in einigen Mitgliedstaaten einseitig aufgekündigt worden und funktioniert so nicht mehr. Arbeitnehmerrechte wurden teils massiv eingeschränkt. Dies hat einer weiteren Machtverschiebung ungunsten der Arbeitnehmer geführt. Hier sind klare Signale hin starken Sozialpartnerschaften notwendig. Der demografische Wandel betrifft alle Länder der EU, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Die Diskussion über eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit trifft allerdings nicht den Kern des Problems. Vielmehr ist es wichtig, alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze schaffen und dadurch auch älteren Menschen eine angemessene Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen. 2. Wie können wir den unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Bereichen Beschäftigung und Soziales in Europa Rechnung tragen? Der Grundsatz der Subsidiarität im europäischen Recht ist ein hohes Gut. Die Hauptständigkeit für Sozialpolitik muss in den Händen der Mitgliedstaaten verbleiben. Die unterschiedlichen Ausgangspositionen und verschiedenen nationalen Traditionen machen eine einheitliche Lenkung durch die europäischen Institutionen unmöglich. Die Aufgabe der Europäischen Institutionen mit Blick auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Bereichen Beschäftigung und Soziales liegt aus Sicht des dbb vor allem darin, die grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitskräften ohne Nachteile für mobile Arbeitnehmende gewährleisten und die Rahmenbedingungen dafür schaffen und verbessern. Darüber hinaus können wichtige Impulse in Form von Empfehlungen und gemeinsamen Mindeststandards gegeben werden. Eine vollständige Anpassung der Rahmenbedingungen sollte dabei allerdings nicht das Leitbild der Europäischen Union sein, sondern es sollte vielmehr ein Augenmerk auf Chancengleichheit bei gleichzeitiger Wahrung unterschiedlicher Systeme gelegt werden. 3. Ist der Besitzstand der EU auf dem neuesten Stand, und sehen Sie Spielraum für weitere auf EU-Ebene? Im Arbeitsschutz gibt es weiteren Regelungsbedarf. Eine Revision der Arbeitsschutzrichtlinie steht nach wie vor aus. Der Arbeitsschutz bleibt insbesondere im Zuge der digitalen Revolution ein wichtiges
2 Thema, auch für die Mitgliedstaaten unterstützende und ergänzende der europäischen Ebene. Darüber hinaus wären weitere Mindeststandards m Schutz der Beschäftigten vor Negativfolgen der Globalisierung sinnvoll, um das Vertrauen in das Gestaltungsvermögen der Politik gegenüber den Marktkräften wiederherstellen. Das betrifft m Beispiel Informations- und Anhörungsrechte. Soziale Mindeststandards stehen auch in Einklang mit dem Ziel der EU, eine soziale Marktwirtschaft auf europäischer Ebene verwirklichen und sozialen Fortschritt anstreben. Mindeststandards für die Vereinbarung von Familie und Beruf wären aus dbb Sicht begrüßenswert. Zur Zukunft der Arbeit und der Wohlfahrtssysteme 4. Welche Trends haben Ihrer Meinung nach die größte umgestaltende Wirkung? [Bitte wählen Sie höchstens drei aus der nachstehenden Liste aus] 1 bis 3 Antworten Demografische Trends (z. B. Alterung der Bevölkerung, Migration) Wandel der Familienstrukturen Veränderter Bedarf an Kenntnissen und Fertigkeiten Technologischer Wandel Zunehmender globaler Wettbewerb Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt Neue Arbeitsformen Ungleichheiten Sonstige, bitte angeben: 5. Was wären die wichtigsten Risiken und Chancen im Zusammenhang mit solchen Trends? Die alternde Gesellschaft ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung auch für die Arbeitswelt. Öffentliche und private Arbeitgeber müssen dafür Sorge tragen, alters- alternsgerechte Arbeitsplätze anbieten. Arbeitnehmern muss es ermöglicht werden, unter gesundheitsschonenden und angemessenen Bedingungen ihrer Arbeit nachgehen. Da gehören neben ständigen Fortbildungen auch auf die demografische Entwicklung hin angepasste umfassende Konzepte für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit. Migration war in den vergangenen Jahren häufig Mittelpunkt aufgeregter Diskussionen. Sowohl die Binnenwanderungen innerhalb der Europäischen Union als auch der Zug vieler Drittstaatler in die Länder der Europäischen Union haben teils eklatante Schwächen des bestehenden Regelwerks offengelegt. Migration muss als umfassendes Thema versachlicht werden. Im Mittelpunkt muss die Frage erfolgreicher Integration in die aufnehmenden Gesellschaften stehen. Sollte dies gelingen, kann Migration ein wichtiger Baustein bei der Bewältigung der demografischen sein. Der technologische Wandel und neue Arbeitsformen sind eng miteinander verknüpft. Sie bieten die Chance auf mehr Fleibilität und Unabhängigkeit. Damit verbunden ist aber auch das Risiko von Ausnutng und Ausgrenng derer, die aus den verschiedensten Gründen nicht mithalten können. Deshalb ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, in deren Mittelpunkt die Sozialpartner stehen, diese Entwicklungen für den Arbeitsmarkt m Vorteil der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen nutzen. 6. Gibt es Strategien, Einrichtungen oder Unternehmenspraktiken bestehende oder sich neu entwickelnde, die Sie als Referenz empfehlen würden? Zur Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels ist der soziale Dialog das entscheidende Instrument. Starke Sozialpartner können sich anbahnende Entwicklungen antizipieren und in enger Abstimmung miteinander gestalten. Tarifverträge sind eines der Ergebnisse dieser Zusammenarbeit, die gerade angesichts sich ständig ändernder Rahmenbedingungen einen wichtigen Referenzrahmen bieten.
3 Da die Entwicklungen nicht an den Grenzen Halt machen, sondern vor allem im europäischen Binnenmarkt immer häufiger eine grenzüberschreitende Dimension haben, muss es einen europäischen Grundkonsens über die für alle geltenden Regeln auf dem Arbeitsmarkt geben, um einen Unterbietungswettkampf Lasten der Arbeitnehmer vermeiden. In Deutschland hat es sich bewährt, dass die Sozialleistungsträger, also die Institutionen, die Sozialleistungen erbringen, einem gewissen Maße in den politischen Prozess miteingebunden werden. Zur europäischen Säule sozialer Rechte 7. Stimmen Sie dem hier Konzept für eine europäische Säule sozialer Rechte? voll und ganz nicht Bitte erläutern: Der dbb fordert die Europäische Kommission auf, alle ihr r Verfügung stehenden Beteiligungsinstrumente bei der Erarbeitung der sozialen Säule nutzen, um der fundamentalen Bedeutung dieses Themas für den europäischen Zusammenhalt gerecht werden. Da gehört auch die uneingeschränkte Beteiligung aller anerkannten europäischen Sozialpartner, auch der unabhängigen Gewerkschaften. Der dbb setzt sich dafür ein, dass die europäische Säule nach Maßgabe des Artikels 9 des EU-Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgestaltet wird und sich einer Verbindung von hohem Beschäftigungsniveau und hohem sozialen Schutz widmet. Der dbb setzt sich dafür ein, dass eine moderne Europäische Säule sozialer Rechte nicht auf eine Bestandsaufnahme bestehender Regelungen begrenzt sein darf. Sie muss klare Perspektiven für eine Anpassung der Standards, orientiert am höchsten Schutzniveau, aufzeigen. Der dbb bekräftigt den Grundsatz der Subsidiarität und weist darauf hin, dass die Sozialsysteme grundsätzlich national geregelt werden. Die Europäische Säule sollte an diesem Prinzip nicht rütteln. Vielmehr fordert der dbb die Europäische Kommission auf, durch das Dokument einen europäischen Grundkonsens schaffen, der nationalen Reformprozessen im Sinne eines europäischen Arbeitsmarkts mit einem hohen Schutzniveau ermutigt. Der dbb setzt sich dafür ein, dass die Europäische Säule als fleibles Instrument gestaltet wird, das neuen Entwicklungen nicht verschlossen ist. 8. Stimmen Sie dem Anwendungsbereich der Säule und den hier vorgeschlagenen Politikfeldern und Grundsätzen? (Wenn Sie sich ausführlicher einem oder mehreren der 20 Politikfelder der Säule äußern möchten, können Sie dies unten im Abschnitt Ausführliche Kommentare den Politikfeldern tun.) voll und ganz 1. Fertigkeiten, Bildung und lebenslanges Lernen 2. Fleible und sichere Arbeitsverträge 3. Sichere Berufsübergänge 4. Aktive Unterstütng für Beschäftigung nicht
4 5. Geschlechtergleichstellung und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben 6. Chancengleichheit 7. Beschäftigungsbedingungen 8. Löhne und Gehälter 9. Arbeitsschutz 10. Sozialer Dialog und Einbeziehung der Beschäftigten 11. Integrierte soziale Leistungen und Dienste 12. Gesundheitsversorgung und Krankenleistungen 13. Renten und Pensionen 14. Arbeitslosenleistungen 15. Mindesteinkommen 16. Leistungen für Menschen mit Behinderung 17. Langzeitpflege 18. Kinderbetreuung 19. Wohnraum 20. Zugang essenziellen Dienstleistungen Gibt es Aspekte, die noch nicht ausreichend m Ausdruck gebracht oder abgedeckt worden sind? 9. Welche Politikfelder und Grundsätze wären im Rahmen einer erneuten Konvergenz innerhalb des Euro-Raums am wichtigsten? (Bitte höchstens fünf auswählen.) 1 bis 5 Antworten 1. Fertigkeiten, Bildung und lebenslanges Lernen 2. Fleible und sichere Arbeitsverträge 3. Sichere Berufsübergänge 4. Aktive Unterstütng für Beschäftigung 5. Geschlechtergleichstellung und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben 6. Chancengleichheit 7. Beschäftigungsbedingungen 8. Löhne und Gehälter 9. Arbeitsschutz 10. Sozialer Dialog und Einbeziehung der Beschäftigten 11. Integrierte soziale Leistungen und Dienste 12. Gesundheitsversorgung und Krankenleistungen 13. Renten und Pensionen 14. Arbeitslosenleistungen 15. Mindesteinkommen 16. Leistungen für Menschen mit Behinderung 17. Langzeitpflege 18. Kinderbetreuung 19. Wohnraum 20. Zugang essenziellen Dienstleistungen Anmerkungen:
5 siehe gesonderte Bemerkungen den einzelnen Unterpunkten 10. Wie sollten diese m Ausdruck gebracht und konkretisiert werden? Könnten Ihrer Meinung nach Mindeststandards oder Referenzkriterien für bestimmte Bereiche angewandt werden und einen Mehrwert darstellen, und wenn ja, welche? Ziel der Europäischen Säule sollte weder eine Harmonisierung noch eine Vereinheitlichung der nationalen Sozialsysteme sein. Die Europäische Union hat überall da Einflussmöglichkeit und sollte diese auch nutzen wo die Freizügigkeit, also die grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitnehmern betroffen ist. In diesem Kontet wie auch bei Kernthemen des Arbeitsschutzes und der Prävention sind Mindeststandards und Referenzkriterien möglich und sinnvoll. Eine Überforderung der nationalen Systeme sollte aber vermieden werden. Die Union sollte vielmehr positive Anreize für eine Angleichung der Systeme orientiert an den besten Standards geben. Ausführliche Kommentare den Politikfeldern Eine ausführliche Beschreibung der Politikfelder und Grundsätze finden sie in Anhang A Erster vorläufiger Entwurf einer europäischen Säule sozialer Rechte der Mitteilung der Kommission Einleitung einer Konsultation über eine europäische Säule sozialer Rechte, COM(2016) 127 final. 1. Fertigkeiten, Bildung und lebenslanges Lernen voll und ganz? bewältigen? nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Das Leitbild für Teilhabe an Bildung, das die EU in ihrer hauptsächlich durch Empfehlungen und Best- Practice-Beispiele geprägten Bildungspolitik transportiert, sollte sich nicht auf die Teilhabe und Anpassung an den Arbeitsmarkt beschränken. Die gleichberechtigte Teilhabe an qualitativ hochwertiger Bildung, wie von der UNESCO als Ziel 4 der Sustainable Development Goals gefordert, ist essenzielle Voraussetng für gesellschaftliche Teilhabe. In diesem Zusammenhang muss auch das Thema Bildungsgerechtigkeit stärker in den Fokus gerückt werden. Um dem Problem der nach wie vor geringen Beteiligungsquote am Lebenslangen Lernen begegnen, muss vor allem ein Schwerpunkt auf bedarfsgerechte Fort- und Weiterbildungsangebote gelegt werden. Arbeitgeber sollten durch die Mitgliedstaaten da verpflichtet werden können, diese anbieten und Arbeitnehmer sollten das eplizite Recht haben, diese in Anspruch nehmen können. 2. Fleible und sichere Arbeitsverträge voll und ganz nicht
6 ? bewältigen? am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Der Fokus auf Fleibilität der Arbeitsverträge als Hauptinstrument für die Integration von Berufseinsteigern in den Arbeitsmarkt und für bessere Arbeitsübergänge lässt sich nicht empirisch belegen. In der Prais haben vor allem die Staaten die vergangene Wirtschaftskrise besser überstanden, in denen Arbeitnehmer ein gewisses Maß an Stabilität hatten. So standen viele Fachkräfte auch im Abklingen der Krise sofort wieder r Verfügung und mussten nicht neu eingearbeitet werden. Die bisherigen Instrumente der Fleibilität, wie m Beispiel angemessene Probezeiten, sind ausreichend. Die Fleibilisierung der Arbeitsformen darf nicht mit einem weiteren Abbau von Arbeitnehmerrechten einhergehen, insbesondere nicht mit einer Aufweichung des Kündigungsschutzes. Dies wären die falschen Lehren aus der vergangenen Krise. Der beste Weg für fleible Lösungen ist ein etablierter, kontinuierlicher sozialer Dialog, in dem beide Seiten gegenseitig Vertrauen aufbauen können und so für die berechtigten Anliegen der jeweils anderen Seite sensibilisiert werden (sozialer Dialog s.u.) 3. Sichere Berufsübergänge voll und ganz? bewältigen? nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Es kommt weniger darauf an, Veränderungen von Arbeitsplatz oder Beruf beschleunigen, als dafür bessere Voraussetngen schaffen und die soziale Absicherung dabei stabilisieren.
7 4. Aktive Unterstütng für Beschäftigung voll und ganz? bewältigen? nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Die von der Europäischen Kommission in ihrem Vorschlag formulierte Absicht, jungen Menschen nach vier Monaten einen Einstieg in den Arbeitsmarkt gewährleisten, angelehnt an die Europäische Jugendgarantie, ist im Grundsatz begrüßen. Problematisch ist allerdings, dass die Jugendgarantie alleine diese Garantie nicht bieten kann. Vielmehr erzeugt sie durch das hochgesteckte Ziel eine große Erwartungshaltung. Der eingeschlagene Weg der Förderung auf die Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit ausgerichteter sollte aus Sicht des dbb dennoch weitergegangen und verstärkt werden. Gleichzeitig muss aber auch eher langfristig auf hochwertige berufsqualifizierende Ausbildungswege gesetzt werden, die, wie etwa die berufsbildenden Schulen in Deutschland, auch einen entscheidenden Praisbeg haben. In Deutschland gibt es dem bereits ein breites Spektrum an Einstiegsqualifizierungsmaßnahmen, Wiedereingliederungsförderungen und allgemeinen Angeboten r Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt. Hierbei wird ein Fokus auf junge Menschen gelegt. Weitere zielen besonders auf Langzeitarbeitslose ab. Dieses und vergleichbare Systeme könnten als Best Practice Beispiele herangezogen werden. 5. Geschlechtergleichstellung und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben voll und ganz nicht? bewältigen?
8 am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Die Vergangenheit hat gezeigt, dass in der Frage der faktischen Gleichstellung und der Schaffung von gleichen Chancen lediglich harte, also Gesetzgebung, tatsächlich messbaren Fortschritten in kurzer Zeit führen. Der notwendige Paradigmenwechsel in der Gesellschaft muss zwingend durch verpflichtende Regelungen gestützt werden. Die Europäischen Institutionen hatten lange die Rolle der Avantgarde in gleichstellungspolitischen Fragen und waren Motor für positive Entwicklungen in den Mitgliedstaaten. Diese Rolle droht verloren gehen und muss dringend durch eine echte Gleichstellungsstrategie, die auch von allen Akteuren ernst genommen wird, aufgewertet werden. Konkrete umfassen in diesem Zusammenhang eine Geschlechterquote für Aufsichtsgremien, eine Weiterentwicklung von Elternzeiten und die Verbesserung des Mutterschutzes. Auch müssen Frauen, die sich besonders häufig in prekären Arbeitsverhältnissen befinden, gegen Ausbeutung und sozialen Abstieg geschützt werden. Aus dbb-sicht ist es nicht ausreichend, wie unter Punkt 5 c) des Vorschlags gefordert, fleible Arbeitsregelungen in der Absprache zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern erreichen. Wesentliche Aspekte des Arbeitszeit- oder Urlaubsrechts gehören legislativ geregelt. Hier müssen hingegen die nationalen Gesetzgeber ermutigt werden, verbindliche Regelungen schaffen. 6. Chancengleichheit? bewältigen? voll und ganz nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Eine konkrete Maßnahme in der Arbeitswelt, die schon in einigen Modellversuchen gute Ergebnisse gezeigt hat, ist das anonyme Bewerbungsverfahren. Die EU-Kommission könnte die Mitgliedstaaten durch konkrete Handlungsempfehlungen da ermutigen, diesen Weg vor allem in ihrem eigenen Einflussbereich, dem öffentlichen Dienst, verstärkt r Anwendung bringen. Denkbar wäre dem ein stärkerer Fokus der europäischen Sozialfonds auf diesen Bereich. 7. Beschäftigungsbedingungen voll und ganz nicht
9 ? bewältigen? am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Der dbb begrüßt die Überlegungen, Transparenz über Beschäftigungsbedingungen bereits ab dem ersten Tag der Beschäftigung schaffen und die Probezeit hier mit einbeziehen. Die in b) und c) verwendeten Begriffe vernünftig und angemessen sind allerdings unkonkret. Vielmehr müssen sich mögliche Regelungen an einem hohen Schutzniveau für Arbeitnehmer orientieren. 8. Löhne und Gehälter? bewältigen? voll und ganz nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Der von der Europäischen Kommission beschriebene Erkenntnis Für die Wettbewerbsfähigkeit, vor allem im Euro-Raum, hat es sich als wichtig erwiesen, die Entwicklung der Löhne und Gehälter an die Produktivität koppeln spiegelt nur teilweise die tatsächliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten wieder. In Deutschland etwa war lange Jahre die Reallohnentwicklung von der der meisten anderen EU- Staaten abgekoppelt. Die Reallöhne stagnierten oder waren teils sogar rückläufig bei gleichzeitig steigender Produktivität. Wichtiger als eine automatische Kopplung ist die Etablierung eines starken sozialen Dialogs, der wirtschaftliche Entwicklungen in die Lohnentwicklung mit einbezieht, aber nicht als einziges maßgebliches Kriterium nimmt. Die Aussage: Die Höhe der Mindestlöhne und -gehälter muss so gewählt werden, dass geringqualifizierte Personen weiterhin eine Chance auf Beschäftigung haben und sich eine Erwerbstätigkeit für arbeits- und erwerbslose Personen lohnt ist grundsätzlich unterstützen. Je nach Ausgestaltung könnte ein solcher Grundsatz aber mit dem geäußerten Grundsatz der fairen Lohnzahlung kollidieren. Was ist fair? Was der Markt zahlen bereit ist? Wer bestimmt, was fair ist?
10 Um diese Fragen im Sinne der Arbeitgeber und Arbeitnehmer beantworten, ist eine starke Beteiligung der Sozialpartner an der Mindestlohngestaltung zwingend geboten. 9. Arbeitsschutz? bewältigen? voll und ganz nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Einheitliche europäische Mindeststandards beim Arbeitsschutz sind wichtig, um verhindern, dass sich der Wettbewerb Lasten der Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auswirkt. Zudem sind viele Verbesserungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz in Deutschland der Umsetng von EU-Initiativen verdanken. Die Aussage in a) ein angemessenes Maß an Schutz vor allen potenziellen Risiken ist vage. Artikel 31 in der Charta der Grundrechte, auf den sich der Grundsatz bezieht, ist weitergehend: Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen. Der ausführende Grundsatz sollte nicht hinter der Charta rückbleiben. Bei den potenziellen Risiken muss aus dbb Sicht zwingend sowohl für die physische als auch für die psychische Gesundheit ergänzt werden. Um den angestrebten Schutz gewährleisten, ist die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Unterstütng von Klein- und Kleinstunternehmen bei der Umsetng von Arbeitsschutzmaßnahmen unabdingbar, denn hier gibt es in der Prais nach wie vor die größten Defizite, m Beispiel keine oder nur eine unreichende Umsetng der Gefährdungsbeurteilung. Damit Defizite beim Arbeits- und Gesundheitsschutz auch aufgedeckt werden, bedarf es einer funktionierenden Kontrolle. Daher wäre es wünschenswert, an dieser Stelle festhalten, dass die Arbeitsschutzaufsicht personell und finanziell entsprechend in der Lage sein muss, dieser Kontrollaufgabe nachkommen. In Deutschland ist hier in den letzten zehn Jahren bei den Arbeitsschutzbehörden ein erheblicher Personalabbau vorgenommen worden; in einzelnen Bundesländern gab es Stelleneinsparungen um bis 50 Prozent. Dadurch ist die Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Arbeitsschutzaufsicht in Deutschland stark eingeschränkt. Dies schlägt sich in einer deutlichen Reduktion der durchgeführten Kontrollen nieder, von rund in 2005 auf rund in Sozialer Dialog und Einbeziehung der Beschäftigten voll und ganz? nicht
11 bewältigen? am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um 11. Integrierte soziale Leistungen und Dienste voll und ganz? bewältigen? nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Die Europäische Kommission bleibt bei Ihren Ausführungen an dieser Stelle sehr im Ungefähren, so dass nicht eingeschätzt werden kann, welche Richtung eingeschlagen werden soll. Grundsätzlich betont der dbb in diesem Zusammenhang, dass die Frage des Sozialschutzes in der Hauptverantwortung der Mitgliedstaaten liegt. Der Beitrag der EU, der hier vor allem in Mitteln r sozialen Kohäsion liegt, sollte in enger Abstimmung mit den Mitgliedstaaten weiterentwickelt werden. 12. Gesundheitsversorgung und Krankenleistungen voll und ganz? bewältigen? nicht
12 am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Die Aufgabe der Europäischen Union in diesem Zusammenhang besteht vor allem in der Vereinfachung grenzüberschreitender Sachverhalte. Die bisherigen Schritte, etwa die Einführung einer europäischen Krankenkassenkarte etc., sollten konsequent weiterverfolgt werden. Kein Arbeitnehmer sollte Nachteile in der Gesundheitsversorgung haben, weil er im Rahmen der Arbeitskräftemobilität in einem anderen EU-Land tätig ist. Die nationalen Systeme, die sich in vielen Fällen als tragfähig erwiesen haben, sollten allerdings nicht harmonisiert und angeglichen werden. Problematisch erscheinen dem die Garantien von rechtzeitigem Zugang hochwertiger Behandlung ebenso wie die von angemessener Geldleistung im Krankheitsfall. 13. Renten und Pensionen voll und ganz? bewältigen? nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Der dbb teilt die Feststellung der Kommission, dass die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, insbesondere der Alterssicherungssysteme, gesichert und Generationengerechtigkeit gewahrt werden muss. Die von der Kommission vorgeschlagene Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung ist dafür allerdings nicht das geeignete Mittel. Über die Regelaltersgrenze müssen die nationalen Parlamente autonom befinden können. Vor allem ist, wie im deutschen Fall geschehen, eine Obergrenze einziehen, die von der Kommission durch die automatische Kopplung abgeschafft werden soll. Über das 67. Lebensjahr hinaus berufstätig sein müssen, erachtet der dbb als kaum mehr darstellbar. Eine längere Lebenserwartung bedeutet nicht gleichzeitig ein mehr an gesunden Jahren. Die körperliche Leistungsfähigkeit nimmt unabhängig von der generellen Lebenserwartung ab einem bestimmten Alter ab. Vielmehr ist darauf achten, Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausbauen. Es müssen alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze geschaffen werden, dem sind ergonomische Anpassungen, Ruhepausen, spezielle Qualifikationen und lebenslanges Lernen ermöglichen.
13 Der dbb unterstützt den Ansatz der Europäischen Kommission, sich bei den Mitgliedstaaten für eine angemessene Anrechnung von Betreuungszeiten einsetzen. Im Rahmen einer europäischen Konsensbildung muss darauf hingewirkt werden, den Begriff angemessen in diesem Zusammenhang mit Blick auf die möglichst große Anerkennung der Betreuungsleistung definieren. Der Begriff Gewährleistung einer umfassenden Beitragsbasis ist unbestimmt und sollte näher definiert werden. Hier haben die EU-Mitgliedsländer unterschiedliche nationale Traditionen entwickelt, die auch nicht im Rahmen einer europäischen Standardisierung angeglichen werden sollten. 14. Arbeitslosenleistungen voll und ganz? bewältigen? nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Der dbb begrüßt die grundsätzliche Ausrichtung in diesem Unterpunkt. Allerdings gilt es auch hier, das Prinzip der Subsidiarität wahren. Unklar bleibt, welche negativen Anreize mit einer schnellen Rückkehr in Beschäftigung verbunden sein könnten. 15. Mindesteinkommen voll und ganz? bewältigen? nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um
14 Ein Mindesteinkommen für Bedürftige r Bestreitung des Lebensunterhalts gibt es in Deutschland bereits mit ALG I + II. Auch der Grundsatz Fördern und Fordern wird mindest m Teil umgesetzt. In Beg auf eine mögliche europäische Vereinheitlichung wird jedoch auf das Subsidiaritätsprinzip verwiesen. 16. Leistungen für Menschen mit Behinderung voll und ganz? bewältigen? nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Die sind aus Sicht des dbb überwiegend treffend beschrieben. Der dbb unterstützt die Forderung, das die Bedingungen für den Leistungsbeg so gestaltet werden müssen, dass sich daraus keine Beschäftigungshindernisse ergeben. Eine Differenzierung zwischen Grundeinkommen für Behinderte und Mindesteinkommen ist fragwürdig. Mit Blick auf steuerliche Nachteile könnte der Behindertenfreibetrag als vorbildliches Best Practice Modell herangezogen werden, allerdings ist auch hier anmerken, dass die derzeitige Höhe nicht mehr den aktuellen Anforderungen entspricht. Um ein unübersichtliches Geflecht von Zuständigkeiten vermeiden, sollten die Mitgliedstaaten die notwendigen nach Maßgabe ihrer nationalen Systeme eigenständig umsetzen. Die EU sollte den Prozess mit unterstützenden und Empfehlungen begleiten. 17. Langzeitpflege? bewältigen? voll und ganz nicht
15 am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Der dbb stimmt der Herausforderung, dass die Erbringung und Finanzierung der Langzeitpflege verbessert werden muss Sowohl wegen eines mangelnden Angebots, hoher Kosten, aber auch aus dem Wunsch heraus, im familiären Kreis gepflegt werden, werden viele Menschen von nahen Angehörigen, meist Frauen, gepflegt. Die daraus resultierenden Konsequenzen müssen stärker in den Fokus genommen werden. Herrscht eine mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, können sich auch betriebliche Folgekosten ergeben. Dies betrifft in erster Linie Fehlzeiten aufgrund von Krankheit und Absentismus. Durch betriebliche und gesetzliche r besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege könnten die daraus insgesamt erwachsenden Probleme und Kosten reduziert werden. Die durchschnittliche Pflegedauer in Deutschland beträgt acht Jahre. Der dbb fordert hier die Schaffung von bezahlbaren Pflegeplätzen, die es pflegenden Frauen und Männern ermöglicht, weiterhin berufstätig sein. Staatliche Instrumente wie das Pflegezeitgesetz sollten auch auf EU-Ebene etabliert werden. Kindererziehungs- und Pflegezeiten müssen sich stärker als bisher in der Alterssicherung auswirken. Eine Teilzeitbeschäftigung aufgrund von Übernahme von Betreuungs- oder Pflegetätigkeiten muss mit staatlichen Zuschlägen begleitet werden. Denn die Übernahme dieser Aufgaben wird nur erforderlich, weil die Betreuungsmöglichkeiten oder die Übernahme der häuslichen Pflege nicht ausreichen oder nicht bezahlbar sind. Hier können Lohnersatzleistungen die Differenz den Einkünften einer Vollzeitbeschäftigung ausgleichen, damit diese sich bei der späteren Altersversorgung nicht nachteilig auswirkt. Auch in diesem Fall sieht der dbb die Mitgliedstaaten in der Hauptverantwortung. Zudem kann die Kommission in ihrem Vorschlag nicht darlegen, wie sie den Zugang und die Finanzierung von Langzeitpflegeleistungen gewährleisten will. Eine weitere Überforderung bereits überlasteter nationaler Systeme ist ablehnen. 18. Kinderbetreuung? bewältigen? voll und ganz nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Der dbb setzt sich für einen europaweiten Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ein. Das Angebot an Kinderbetreuung ist dahingehend ausbauen, dass Betreuungsplätze geschaffen werden, die sich auch Familien mit geringem Einkommen oder Alleinerziehende leisten können. Kinderbetreuung muss
16 kontinuierlich vorhanden sein, das bedeutet neben der Tagesbetreuung für die Unter-Sechsjährigen einen Ausbau von Ganztagsschulen. Vor diesem Hintergrund ist r Qualitätssicherung und -entwicklung in der Kinderbetreuung auch eine weitergehende Professionalisierung der Beschäftigten notwendig. Das jeweilige Ausbildungsprofil der Professionen in diesem Bereich muss sich in eindeutigen Berufsbezeichnungen widerspiegeln. Dabei ist gewährleisten, dass alle Personen in der Kinderbetreuung eine abgeschlossene pädagogische Ausbildung haben. Dies umfasst alle Frauen und Männer, die den gesetzlichen Auftrag Erziehung, Betreuung, Bildung beispielsweise in den Angebotsformen Kindertagespflege, Großtagespflegestelle, Kindertageseinrichtungen wahrnehmen. Im Übrigen muss nicht nur die Qualifikation angemessen sein, sondern auch ihre Bezahlung. 19. Wohnraum? bewältigen? voll und ganz nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um Die Begriffe hilfsbedürftig und sozial schwach sind wenig präzise und überlappen vielfach. 20. Zugang essenziellen Dienstleistungen voll und ganz? bewältigen? nicht am besten bewältigen? Wie sollte die EU handeln, um
17 Die von der Europäischen Kommission beschriebene Absicht, allen Menschen den Zugang essenziellen Dienstleistungen gewährleisten, begrüßt der dbb ausdrücklich. Die Privatisierungen vieler ehemals staatlicher Dienstleistungen haben die oben beschriebene Aufgabe erschwert, private Dienstleister sind auf Gewinnmaimierung aus, ihr vordringlichstes Ziel ist nicht das Gemeinwohl. Die Europäischen Institutionen sollten deshalb etwa im Rahmen des Europäischen Semesters und immer dort, wo sie Einfluss auf entsprechende Prozesse in den Mitgliedstaaten nehmen können, den Fokus auf gute Dienstleistungen legen und Privatisierungen nicht r besseren oder gar einzigen Lösung erklären, sondern den Wert staatlich erbrachter Leistungen stärker würdigen.
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