Die Anbindung der deutschen Großstädte an das Eisenbahnnetz

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1 Die Anbindung der deutschen Großstädte an das Eisenbahnnetz Erste und vorläufige Ergebnisse einer empirischen Untersuchung für die Jahre 1998 bis 2001 unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung der Mitte-Deutschland-Verbindung für die Regionen Südwestsachsen und Ostthüringen Dr. Rainer Voßkamp (Technische Universität Chemnitz) Mitarbeit: Ellen Michl Manuela Butz Andreas Lindemann Kontakt: Dr. Rainer Voßkamp Technische Universität Chemnitz Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Reichenhainer Str. 39 (#115) D Chemnitz 20. Juni 2001 Tel.: /4942 Fax.: WWW: Danksagung: Wir danken der Industrie- und Handelkammer Südwestsachsen für eine finanzielle Unterstützung. Die Aussagen dieses Beitrages müssen nicht notwendigerweise die Positionen der IHK Südwestsachsen widerspiegeln. Hinweise: Nach Abschluss des Projektes werden die Ergebnisse in einem Arbeitspapier der Technischen Universität veröffentlicht. Das Arbeitspapier wird allen Interessierten zugänglich gemacht. Das Diskussionspapier WWDP 28/2000 der Technischen Universität Chemnitz von Andreas Lindemann und Rainer Voßkamp, auf das mehrfach Bezug genommen wird, ist im Internet (Adresse s. oben) verfügbar. Dr. Rainer Voßkamp (20. Juni 2001) Seite 1

2 1. Vorbemerkungen Seit einigen Jahren wird in den Regionen Südwestsachsen und Ostthüringen eine unzureichende Anbindung an das Schienenfernverkehrsnetz der Deutschen Bahn beklagt. Dies war der Ausgangspunkt für zwei Studien, die von Dörffel und Voßkamp (1998) sowie von Lindemann und Voßkamp (2000) vorgelegt wurden. In beiden Studien zeigt sich, dass die Stadt Chemnitz im Vergleich der größten Städte Deutschlands sehr schlecht abschneidet. Mit diesem kurzen Beitrag sollen erste Ergebnisse präsentiert werden, die sich auf die Situation nach dem Fahrplanwechsel vom 10. Juni 2001 beziehen. Dies ist insbesondere von Interesse, da mit der Eröffnung der neuen ICE-Linie auf der Sachsen-Franken-Magistrale eine wesentliche Veränderung im Fahrplansystem stattgefunden hat. Dieser Beitrag widmet sich darüber hinaus der Mitte-Deutschland-Verbindung (MDV). Um detailliertere Ergebnisse erhalten zu können, wurden - im Gegensatz zu der Studie von Lindemann und Vosskamp (2000) auch die Städte Gera und Jena mit in die Analyse einbezogen, obwohl beide Städte mit unter Einwohnern nicht zu den 50 größten Städte Deutschlands zählen. Da die Fahrplandaten erst seit Ende Mai vorliegen, können heute nur erste Ergebnisse präsentiert werden. Nach Abschluss des Forschungsprojektes (voraussichtlich Ende September 2001) werden sämtliche Ergebnisse in einem Diskussionspapier der Technischen Universität Chemnitz veröffentlicht. 2. Methodik und Datenbasis In diesem Beitrag soll nur kurz auf die Methodik und die Datenbasis eingegangen werden. Übernommen wurde die Methodik der Studie aus dem Jahre 2000 (vgl. hierzu Lindemann/Vosskamp 2000, Kapitel 2). Für jede Stadt in Deutschland mit einer Einwohnerzahl von über Einwohnern sowie für Jena, Gera und Zwickau wurden die Verbindungen auf den Relationen hin zu den deutschen Metropolen (alle 15 Städte mit über Einwohner) untersucht. Bestimmt wurde zunächst für jede der 795 Relationen die drittschnellste Verbindung, die als Referenzverbindung gewählt wird. Auf einer Relation wurden dann alle Verbindungen, die eine Reisezeit aufweisen, die nur um ein bestimmtes Maß langsamer sind als die Referenzverbindung. Auf der Basis dieser Verbindungen wurden für jede der 53 Städte unter Einbeziehung von Gewichten jeweils sieben Einzelindikatoren bestimmt, die in Lindemann/Vosskamp (2000) detailliert erläutert werden. Bei den Einzelindikatoren wurden vor allem solche Indikatoren ausgewählt, die bei der Verkehrsmittelwahl von hoher Bedeutung sind (vgl. z. B. Knapp (1998) und TNS Emnid-Institut/econex verkehrsconsult GmbH (2001)). Im Einzelnen wurden folgende Einzelindikatoren untersucht: 1. durchschnittliche Reisezeit: 2. durchschnittliche Luftliniengeschwindigkeit 3. durchschnittliche Dichte der Verbindungen (Minimalwert: 0; Maximalwert: 24) 4. durchschnittliche Zahl der Umsteigevorgänge 5. durchschnittliche Abfahrtszeit für die erste Verbindung am Morgen 6. durchschnittliche Abfahrtszeit für die letzte Verbindung am Abend 7. durchschnittliche Anzahl der Verbindungen Dr. Rainer Voßkamp (20. Juni 2001) Seite 2

3 Damit werden insbesondere qualitative Aspekte der Anbindung untersucht und nicht nur im Wesentlichen auf infrastrukturelle Bedingungen abzielende Aspekte (vgl. z. B. Eckey/Horn (1992)). Die sieben Einzelindikatoren wurden zu sechs verschiedenen Gesamtindikatoren zusammengefasst. In diesem Beitrag wird nur auf den Gesamtindikator N0 eingegangen, der im besten Fall für den Spitzenreiter den Wert 0 und im schlechtesten Fall für das Schlusslicht den Wert 1 ausweisen kann. Grundlage der Untersuchung sind die Fahrpläne der Deutschen Bahn AG (Deutsche Bahn (1997, 1999, 2001). Als Stichtage wurden gewählt: 11. März 1998, 8. März 2000, 19. September Ein kurzer Rückblick auf die Studie aus dem Jahr 2000 Die Studie aus dem Jahr 2000 hat gezeigt, dass die Stadt Chemnitz im Feld der 50 größten Städte beim Gesamtindikator N0 den letzten Rang aufweist (Folie 3). Dresden (Rang 47) und Erfurt (Rang 44) weisen zwar nur wenig bessere Ränge auf, doch ergeben sich für diese Städte deutlich bessere Gesamtindikatorenwerte. Leipzig rangiert auf Rang 35, Kassel auf Rang 25. Spitzenreiter auf Rang 1 ist Berlin. Folie 4 zeigt die Gründe für das schlechte Abschneiden von Chemnitz. Bei zwei der vier wesentlichen Einzelindikatoren (Luftliniengeschwindigkeit und Dichte der Verbindung) nimmt Chemnitz den letzten Rang ein. Bei der Reisezeit kann Chemnitz (vor Freiburg und Saarbrücken) nur den 48. Rang einnehmen. Nur bei der Zahl der Umsteigevorgänge erreicht Chemnitz einen Rang am Ende des Mittelfeldes. Insgesamt ergibt sich wie gleichfalls die Folie 4 zeigt ein recht schlechtes Abschneiden der ostdeutschen Städte. Doch unter diesen Städten muss Chemnitz nochmals eine besonders schlechte Position hinnehmen. 4. Veränderungen durch den neuen Fahrplan vom 10. Juni 2001 Mit dem Fahrplanwechsel vom 10. Juni 2001 haben sich wesentliche Veränderungen für die Anbindung der Stadt Chemnitz und damit auch der Region Südwestsachsen ergeben: 1. Inbetriebnahme der ICE-Linie auf der Sachsen-Franken-Magistrale 2. Reduktion der IR-Verbindungen nach Berlin von fünf auf drei 3. Streichung der IR-Verbindungen auf dem östlichen Teil der MDV Für Ostthüringen und damit vor allem für Gera hat die Streichung der Verbindungen auf der MDV erhebliche Konsequenzen. Gera ist nun völlig vom Fernverkehr abgekoppelt worden. Für die Anbindung von Chemnitz an das Eisenbahnnetz ergeben sich durch die drei genannten Veränderungen Wirkungen, die in den Folien 5 bis 8 dargestellt sind. Die durchschnittliche Reisezeit und die Luftliniengeschwindigkeit verbessern sich nur geringfügig. Die Reisezeit sinkt im Durchschnitt um acht Minuten, die Luftliniengeschwindigkeit steigt um ca. zwei Stundenkilometer. Dies bedeutet eine Verbesserung um ca. 2,5 % bzw. 3,7 %. Im Vergleich zu den Werten anderer Städte bleiben diese Werte allerdings weiterhin extrem ungünstig. Eine deutliche Verbesserung ergibt sich Dr. Rainer Voßkamp (20. Juni 2001) Seite 3

4 für die Dichte der Verbindungen. Dies ist in erster Linie auf die gute Bedienung der Sachsen- Franken-Magistrale zurückzuführen. Ein Verschlechterung zeigt sich bei der Zahl der Umsteigevorgänge. Eine abschließende Einordnung der Ergebnisse kann allerdings erst stattfinden, wenn Rangziffern für alle Städte für das Jahr 2001 vergeben werden können. Dies ist allerdings erst nach Abschluss des Projekts möglich. 5. Zur Lage der Städte an der MDV Die Folien 8 bis 14 präsentieren wesentliche Ergebnisse für den aktuellen Fahrplan für die größten Städte entlang der MDV. Als Endpunkte und gleichzeitig als Referenzstädte können jeweils Kassel und Dresden aufgefasst werden. Zudem wurden die Ergebnisse für Erfurt, Jena, Gera und Chemnitz dargestellt. Bei der Reisezeit zeigt sich ein deutliches West-Ost-Gefälle, wobei allerdings Chemnitz noch schlechter abschneidet als Dresden, obwohl Dresden deutlich dezentraler liegt als Chemnitz. Noch drastischer sieht die Situation bei der Luftliniengeschwindigkeit aus. Kassel weist einen sehr hohen Wert aufgrund der Lage an der ICE-Neubaustrecke Hannover-Würzburg auf. Dresden weist mit einem Wert von ca. 76 km/h weiterhin im Vergleich der 50 größten Städte voraussichtlich einen Platz unter letzten zehn auf. Folglich sind die Werte von unter 60 km/h für Gera und Chemnitz als dramatisch zu bezeichnen. Bei der Dichte der Verbindungen ist ebenfalls ein West-Ost-Gefälle festzuhalten. Hier fällt allerdings wie oben bereits erwähnt Chemnitz durch die nun gute Bedienung der Sachsen- Franken-Magistrale positiv auf. Gera weist den schlechtesten Wert auf. Auch bei den Zahlen für die Umsteigevorgänge zeigt sich kein unerwartetes Bild. Verbindungen von der Stadt Gera, die von allen Fernverkehrsverbindungen abgehängt wurde, sind im Durchschnitt mit mehr als einem Umsteigevorgang verbunden. Für Chemnitz ergibt sich der zweitschlechteste Wert. Schließlich soll in diesem Abschnitt noch kurz auf die Abfahrtszeiten für die erste Verbindung am Morgen und der letzten Verbindung am Abend eingegangen werden. Bei der ersten Verbindung zeigt sich im Vergleich zu der letzten Verbindung ein recht einheitliches Bild für die sechs Städte an der MDV, wobei Chemnitz mit einem Wert von 4:46 Uhr auf den ersten Blick positiv auffällt. Allerdings sollte eine Tatsache nicht aus den Augen gelassen werden. Aufgrund der hohen Reisezeiten ist es notwendig, in Chemnitz früh abzureisen, damit man sein Ziel zu üblichen Zeiten erreichen kann. Aussagekräftiger ist deshalb die Analyse der letzten Verbindung. Hier zeigt sich dann auch ein weiteres großes Problem der Anbindung der Städte Gera und Chemnitz: Während man in anderen Städten im Durchschnitt noch nach 21:00 Uhr die Stadt mit der Bahn verlassen kann, ist in den beiden genannten Städten nur bis 18:43 Uhr (Gera) oder sogar nur bis 18:17 Uhr (Chemnitz) möglich. 6. Ausblick Der vorliegende Beitrag stellt erste Ergebnisse dar. Eine umfassende und endgültige Beschreibung der Situation der Anbindung der deutschen Großstädte und insbesondere der Dr. Rainer Voßkamp (20. Juni 2001) Seite 4

5 Städte entlang der MDV ist erst nach Abschluss des Projekts möglich. Dennoch bilden sich drei Ergebnisse deutlich heraus: 1. Auch nach dem Fahrplanwechsel wird Chemnitz unter den deutschen Großstädten bei Anbindung an das Eisenbahnnetz einen sehr schlechten Rang einnehmen. 2. Die Inbetriebnahme der ICE-Linie auf der Sachsen-Franken-Magistrale hat für Chemnitz Vorteile gebracht, die aber überwiegend nur bescheiden ausfallen und durch andere Veränderungen kompensiert werden (z. B. durch die Reduktion der Zahl der IR-Verbindungen von Chemnitz nach Berlin). 3. Städte an der MDV weisen durchweg ungünstige Werte auf. Von daher erscheinen eine Reaktivierung der Bedienung der MDV durch den Fernverkehr und Beschleunigungsmaßnahmen dringend wünschenswert. Grundsätzlich erlaubt die gewählte Methodik auch die Simulation von potentiellen Veränderungen im Netz und Fahrplan der Deutschen Bahn. So könnten zum Beispiel die Wirkungen einer Beschleunigung der MDV und eine Bedienung der MDV mit Fernverkehrszügen simuliert werden. Diese Simulationen könnten dann Bestandteil von Least-Cost-Planning-Untersuchungen und Nutzen-Kosten-Analysen sein. Diese Fragestellungen konnten in diesem Projekt allerdings aufgrund begrenzter Mittel bislang nicht untersucht werden. 7. Literatur Deutsche Bahn (1997): Elektronisches Kursbuch Winterfahrplan 1997/1998, Deutsche Bahn (1999): Elektronisches Kursbuch Winterfahrplan 1999/2000, Deutsche Bahn (2001): Elektronisches Kursbuch Sommerfahrplan 2001, Dörffel, J./Voßkamp, R. (1998): Eckey, H. F./Horn, K. (1992): Knapp, F. D. (1998): Die Anbindung der deutschen Großstädte an das Eisenbahnnetz: Eine empirische Untersuchung für den Personenfernverkehr unter besonderer Berücksichtigung der Stadt Chemnitz, Wirtschaftswissenschaftliche Diskussionsbeiträge der Technischen Universität Chemnitz, WWDP 18/1998. Lagegunst und Verkehrsanalysen für die Kreise des vereinigten Deutschlands im Straßen- und Schienenverkehr. In: Materialien zur Raumforschung, Heft 42, S Determinanten der Verkehrsmittelwahl, Berlin. Lindemann, A./Voßkamp (1999): Quantitative und qualitative Aspekte der Anbindung der deutschen Großstädte an das Eisenbahnnetz: Eine empirische Untersuchung des Personenfernverkehrs für die Jahre 1998 und Wirtschaftswissenschaftliche Diskussionsbeiträge der Technischen Universität Chemnitz, WWDP 28/2000. TNS Emnid-Institut/econex verkehrsconsult GmbH (2001): Gutachten zum VCD- Bahnkunden-Barometer 2000, VCD Materialien, Bonn. Dr. Rainer Voßkamp (20. Juni 2001) Seite 5