Inhalt. Anmerkungen 95
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2 Inhalt 1. Erstinformation zum Werk 5 2. Inhalt Personen Die Struktur des Werks Wort- und Sacherläuterungen Interpretation Autor und Zeit Rezeption Checkliste Lektüretipps 92 Anmerkungen 95
3 1. Erstinformation zum Werk Über den Kernphysiker Oppenheimer, die Titel- und Hauptfigur von Heinar Kipphardts 1964 uraufgeführtem Schauspiel, ist in dem Personenlexikon der»enzyklopädie des 20. Jahrhunderts«zu lesen: Oppenheimer, (Julius) Robert amerikanischer Physiker * N.Y Princeton, N. J. Oppenheimer leitete ab 1943 in Los Alamos, New Mexico, das»manhattan Project«, das den Bau der ersten amerikanischen Atombombe zum Die reale, historische Person Ziel hatte. Der Konstruktion der Wasserstoffbombe widersetzte sich der»vater der Atombombe«aus technischen und moralischen Gründen und wurde 1953/54 auf dem Höhepunkt der McCarthy- De nunziationen einem Untersuchungsverfahren wegen angeblicher kommunistischer Gesinnung unterworfen. Aufgrund der in die Geschichte eingegangenen Hearings ( ) verlor der politisch einflussreiche O. unter dem Präsidenten D. Eisenhower den Zugang zu allen Staatsgeheimnissen und seine Position in der amerikanischen Atomenergiebehörde. Im Jahr 1962 wurde O. von Präsident J. F. Kennedy rehabilitiert und nach dessen Tod noch im gleichen Jahr vom neuen Präsidenten L. B. Johnson mit dem Enrico-Fermi-Preis ausgezeichnet, der höchsten Würdigung der US-Atombehörde. 1
4 6 1. ERSTINFORMATION ZUM WERK Es ist durchaus ungewöhnlich, dass eine Person der Zeitgeschichte in eine literarische Darstellung eingeht und auf die Bühne gebracht wird; noch ungewöhnlicher ist, dass die Protokolle des»in die Geschichte eingegangenen Hearings«die fast ausschließliche textliche Grundlage eines Schauspiels bilden. Man hat Kipphardts Stück folgerichtig dem Dramentyp des Dokumentar- Dokumentarisches Theater theaters zugeordnet, dessen Verfahren so erklärt wird:»das dokumentarische Theater enthält sich jeder Erfindung, es übernimmt authentisches Material und gibt dies, im Inhalt unverändert, in der Form bearbeitet, von der Bühne wieder.«2 Kipphardt und andere Dramen-Autoren haben sich eindringlich gegen das mögliche Missverständnis gewandt, beim dokumentarischen Theater handle es sich um eine Art Reportage, und darauf aufmerksam gemacht, dass»die Autoren des sogenannten dokumentarischen Dramas große politische Stoffe«behandeln,»die mit anderen Techniken auf dem Theater bisher nicht erzählt werden konnten«3, dass man also»das dokumentarische Theater tatsächlich für einen Typ des historischen Dramas«4 ansehen Dokumentarisches Drama als ma«wie jedes andere Drama als»ein in aller müsse und dass»ein dokumentarisches Dra- Kunstgebilde Stoffülle einheitliches Kunstgebilde«5 anzusehen und zu beurteilen sei. Auch der Text In der Sache J. Robert Oppenheimer ist ein literarischer Text und bildet die Vorlage für eine von Schauspielern auf einer Bühne dargebotene Handlung. Das Drama ist seit seinen Ursprüngen in der griechischen Antike die literarische Darstellungsform, durch die»die Gesellschaft ihren Mitgliedern Verhaltensregeln vorführt«und in welcher gleichzeitig Gelegenheit gegeben wird,»über die
5 1. ERSTINFORMATION ZUM WERK 7 Lage des Menschen in der Welt«nachzudenken:»Denn Drama ist auch eine Denkmethode, ein Mittel zur Erkenntnis.«6 Das vom Autor verfasste und auf der Bühne konkretisierte Stück ist zunächst immer auf ein zeitgenössisches Publikum ausgerichtet. Dazu sagt Kipphardt:»Der Zuschauer soll die schwierigen Fragen der eigenen Zeit, die wir alle gerne verdrängen, im schwierigen Für und Wider in einer sinnlich genießbaren Geschichte zur Kenntnis nehmen. Er soll sich mit ihr beschäftigen, sie prüfen, darüber nachdenken. In der Beschäftigung mit ihr, im Denktraining, im Empfindungstraining eines Theaterabends wird er bestimmte Erfahrungen machen, die ihn vielleicht urteilsfähiger, vielleicht handlungsfähiger machen.«7 Die»Sache J. Robert Oppenheimer«, das konkrete, dem Schauspiel zugrunde liegende Verfahren, wurde in der Zeit vom 12. April bis zum 6. Mai 1954 in Washington vor dem Personal-Sicherheitsausschuss der Atom-Energie-Kommission der US-Regierung verhandelt. Kipphardt nahm den Fall auf, um»die Widersprüche und Konflikte des Wissenschaftlers in unserer Zeit«darzustellen; zugleich aber sollte der Fall»übertragungsfähig für andere Tätigkeitsbereiche sein«8. In einem Brief an seine Eltern vom 23. Januar 1958, in dem er erstmals von seinem neuen Projekt berichtete, zeigte er sich überzeugt, dass in»dem Fall Oppenheimer, dem großen amerikanischen Atomphysiker, [ ] so etwas wie eine heutige Dr. Faustus-Geschichte steckt«9. Damit stellt er Oppenheimer als aktuelle Dramenfigur in eine Reihe mit Faustus, dem Alchemisten des Volksbuchs, und Drama als Denkmethode Das Verfahren und die Übertragbarkeit Eine Faust- Geschichte?
6 8 1. ERSTINFORMATION ZUM WERK mehr noch mit dem goethischen Faust, dessen höchstes Ziel ist, zu erkennen,»was die Welt im Innersten zusammenhält«10. In Goethes Drama geht es nicht nur um die Frage, ob der menschlichen Erkenntnis Grenzen gesetzt sind, sondern mehr noch darum, ob der forschende Mensch in der Wahl seiner Methoden, seiner Untersuchungen und Experimente völlig frei ist, ob er folglich alles darf, was er kann, oder ob es Schranken gibt, die nicht überschritten werden dürfen. Für den strengen, im abgeschlossenen Labor forschenden Naturwissenschaftler mag die reine Erkenntnis über die Hauptbereiche der Natur nämlich»materie, Leben, Mensch, Erde, Weltall«11 höchstes und einziges Ziel seiner Bemühungen sein. Er wird dieses Wissen jedoch nicht für sich behalten wollen und können. Ob er dann für die Folgen verantwortlich ist, wenn seine Erkenntnisse verbreitet und traditionelle Weltbilder zerstört werden, wenn seine Ergebnisse ausgewertet und angewandt, auf ihrer Grundlage technische Entwicklungen vorangetrieben werden, die der Menschheit zum Nutzen, möglicherweise aber auch zum Schaden gereichen, ist eine offene Frage. Insofern erinnert die Sache Oppenheimer nicht nur an jenen Faust, sondern auch an den Fall Galilei, Ein zweiter der von Bertolt Brecht zum Gegenstand eines»fall Galilei«? Dramas gemacht wurde, oder auch an Friedrich Dürrenmatts Drama Die Physiker, das von den vergeblichen Bemühungen der Wissenschaftler handelt, das Wissen über die Atomkraft nicht in die falschen Hände geraten zu lassen. Ist es bei Galilei die Kirche, mit der der Forscher in Widerspruch und Konflikt gerät, so sind es im 20. Jahrhundert die staatlichen Institutionen, die Nutzungs-, Kontroll- und Verbotsrechte ge-
7 1. ERSTINFORMATION ZUM WERK 9 genüber bestimmten Bereichen der Wissenschaft und Technik anmelden. Sie leiten ihren Anspruch von der Vorstellung ab, dass sie als gewählte Vertreter des Volkes für Frieden, Sicherheit und Wohlstand der Bevölkerung zu sorgen haben. Doch immer wieder wehren sich Wissenschaftler unter Berufung auf das Prinzip der Freiheit der Forschung gegen diese Vereinnahmung. Ob der Mensch darf, was er kann, ist eine Frage, die sich immer wieder sowohl an die mit Regierungsverantwortung beauftragten Politiker als auch an die etwa im Bereich der Kernenergie, aber auch der Genforschung und der Informationstechnologie forschenden Wissenschaftler stellt. Die Uraufführung von Kipphardts Stück In der Sache J. Robert Oppenheimer fand zur gleichen Zeit, am 11. Oktober 1964, an der Freien Die Uraufführung Volksbühne in Berlin in der Inszenierung von Erwin Piscator und in den Münchner Kammerspielen in der Inszenierung von Paul Verhoeven statt also ziemlich genau zehn Jahre nach dem Verfahren in Washington. Die USA und die UdSSR standen sich damals als zwei feindliche Machtblöcke gegenüber und engagierten sich in Vietnam auf entgegengesetzten Seiten. Ein Ende des Wettrüstens war nicht abzusehen. Die in Kipphardts Stück aufgeworfene Fragestellung erledigte sich jedoch auch dann nicht, als sich einer der Machtblöcke am Ende des 20. Jahrhunderts auflöste. Neue Spannungsherde entstanden im nahen und fernen Osten. Spätestens seit der Reaktorkatastrophe am 26. April 1986 in Tschernobyl wurde zusätzlich klar, dass nicht nur die kriegerische Nutzung der Kernenergie, sondern auch die friedliche verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen kann. Die Frage, ob der Mensch alles darf, was er kann, stellt sich weiterhin.
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