Rundbrief von Jasmin Alina Vivian Heiden

Transkript

1 Rundbrief von Jasmin Alina Vivian Heiden Projekt CECIM, Ciudad Sandino, Nicaragua Liebe Familie und Freunde, liebe Unterstützer, liebe Leser, ein Blick in den Kalender bestätigt mir, was ich gar nicht glauben kann: Es ist bereits Anfang Juli und ich lebe nun schon seit elf Monaten in Nicaragua. Mein letzter Rundbrief liegt einige Zeit zurück, seitdem ist viel passiert. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen, um euch in einem weiteren Rundbrief auf den neusten Stand zu bringen.

2 Wir ihr bereits in meinem ersten Rundbrief erfahren habt, lebe ich in Ciudad Sandino, einem Vorort der nicaraguanischen Hauptstadt Managua und arbeite im Projekt CECIM. Vormittags bin ich nach wie vor hauptsächlich in der Schule Maura Clarke anzutreffen, wo ich gemeinsam mit Judith, einer weiteren Freiwilligen meiner Entsenderorganisation EIRENE als Lehrerin arbeite. Während wir im letzten noch als Englisch- und Sportlehrerinnen fungierten, konzentrieren wir uns dieses Jahr vollständig auf Englisch. Diese Änderung ergab sich, da der Schule für das Fach Englisch, anders als für den Sportunterricht, nur sehr wenige Lehrer zur Verfügung stehen. Aufgrund der Klassenstärke von bis zu 40 Schülern, ging es während der Sportstunden oft laut und etwas chaotisch zu, sodass auch ich persönlich diesen Wechsel begrüßt habe. Nun unterrichten wir zusätzlich zu der Vorschule und den ersten Klassen auch noch die zweiten und dritten. Um die Schüler langsam an die fremde Sprache heranzuführen, haben die Vorschüler (vier und fünf Jahre) nur kurze Englischstunden von rund zehn Minuten Länge. Die Länge und Häufigkeit der Stunden nimmt dann jedes Schuljahr etwas zu. In der dritten Klasse unterrichten wir beispielsweise dreimal wöchentlich eine komplette Schulstunde. Da die Kinder ja selber gerade erst Schreiben und Lesen in ihrer Muttersprache lernen, findet der Unterricht in erster Linie mündlich statt. Da kann es schon mal schwierig werden die Aufmerksamkeit der Kinder die ganze Zeit über aufrecht zu erhalten. Am Nachmittag bieten wir weiterhin unseren Pulserakurs (Armbänder knüpfen) an. Dieses Jahr dazu gekommen sind Nachhilfestunden in Englisch für Schüler der Secundaria (7. Klasse). Ich war anfangs echt überrascht, als klar wurde, das viele dieser Schüler trotz teilweise mehreren Jahren Englischunterrichts nur wirklich wenige Wörter kennen. Deshalb behandeln wir während der Nachhilfestunden ähnliche Themen wie auch in unseren Primariaklassen am Vormittag. Man kommt aber deutlich schneller voran und kann auch viel besser auf die Stärken und Schwächen der einzelnen Schüler eingehen, was beim normalen Englischunterricht mit 35 Schülern leider nicht möglich ist. Außerdem sind unsere Nachhilfeschüler immer mit sehr viel Elan dabei, was die Stunde um einiges angenehmer macht.

3 Ein weiterer Teil meiner Arbeit ist die sogenannte Educación de Adultos (Erwachsenenbildung). Jeden Abend machen wir uns auf den Weg zum Haus einer älteren Dame, um gemeinsam mit ihr und weiteren Frauen das Schreiben und Lesen zu üben. Grundsätzlich dauert das Bildungsprogramm drei Jahre, an dessen Ende einer dem der Grundschule (dauert in Nicaragua sechs Jahre) gleichrangigen Abschluss steht. Für jedes Lehrjahr erhalten die Schüler mehrere Arbeitshefte, auch Blöcke und Stifte werden kostenlos bereitgestellt. Im ersten Jahr geht es primär darum, das Schreiben, Lesen und die Grundrechenarten zu erlernen. In den darauffolgenden zwei Jahren werden diese Fähigkeiten vertieft, die Texte werden umfangreicher und haben in der Regel einen lehrreichen Inhalt. Mit unseren Schülern befinden wir uns jetzt im zweiten Jahr. Letztes Jahr habe ich alleine den Unterricht gemacht, dieses Jahr arbeitet auch Judith mit, sodass wir uns aufteilen können und ich mich besonders auf eine der Frauen konzentrieren kann. Gemeinsam versuchen wir uns durch die Buchstaben zu kämpfen, was natürlich für eine ältere Person deutlich mühsamer ist, als für ein Kind, das innerhalb weniger Monate lesen und schreiben lernen kann. Auch wenn der Schulunterricht den Hauptteil meiner Arbeit darstellt, so sind es doch die Alphabetisierungsstunden, die mir am meisten Spaß bereiten und mich persönlich am meisten bereichern, was wohl auch daran liegt, dass wir mit unseren Schülerinnen unglaublich warmherzige und aufgeschlossene Personen um uns haben. Im Zuge meiner Arbeit bei der Educación de Adultos, habe ich mich in letzter Zeit viel mit dem Thema Alphabetisierung/ Analphabetismus auseinandergesetzt und möchte euch deshalb gerne noch auf einen kleinen Exkurs in die nicaraguanische Bildungsgeschichte mitnehmen. Auf der folgenden Seite will ich von der sandinistischen Alphabetisierungskampagne berichten, zu deren Ausläufern auch das Programm Educación de Adultos gehört.

4 Die Alphabetisierungskampagne startete Anfang der 1980er Jahre. Ein Jahr zuvor hatte die sandinistische Regierung die Somoza- Diktatur gestürzt. Nun wurde die Alphabetisierung der Bevölkerung zu einer ihrer Hauptmissionen erklärt. Rund Freiwillige zogen bis in kleinsten Dörfer des Landes, um zu unterrichten, zum Teil in drei Schichten am Tag. Zudem wurden von der Regierung Texte für die Grundausbildung nach der Alphabetisierung entwickelt. Sie sollten die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, die man zum Organisieren von Genossenschaften braucht oder um seine Mitspracherechte am Arbeitsplatz und im Gemeinwesen besser wahrnehmen zu können. In nur zwei Jahren gelang es, die Analphabetenquote von 65 auf 12 Prozent zu senken. Im Jahr 1990 kam es nach Wahlen zu einem Politwechsel in Nicaragua. Die FSLN ( Frente Sandinista Nacional de Liberación, zu Deutsch Sandinistische Nationalen Befreiungsfront ) wurde abgelöst von der UNO ( Unión Nacional Opositor ) unter Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro. Nach der Abwahl der sandinistischen Regierung wurden die Bemühungen im Bildungswesen zurückgeschraubt und viele der sozialistisch geprägten Politikprogramme wurden abgeschafft. Seitdem ist die Analphabetenquote wieder gestiegen, von 19 Prozent (1990) auf über 23 Prozent im Jahr Im Moment besuchen fast 20 Prozent der Kinder keine Schule, nur 30 Prozent der Schulabgänger erreichen einen Abschluss. Seit der Wiederwahl des sandinistisch geprägten Daniel Ortega zum Präsidenten im Jahr 2006 wurde das Thema Alphabetisierung wieder in Angriff genommen. Im ganzen Land wurden neue Kampagnen gestartet. Die Analphabetenrate sank auf 16 Prozent. Langfristiges Ziel soll es sein die Analphabetenrate auf 5 Prozent zu senken, womit Nicaragua von der UNESCO als vollständig alphabetisiert anerkannt werden würde.

5 Am Ende möchte ich euch gerne noch von zwei tollen Wochen im Juni berichten, die ich gemeinsam mit Judith in Mexiko verbracht habe. Am frühen Morgen des sechsten Juni ging es los, von Managua mit Zwischenstopp in San Salvador (der Hauptstadt von El Salvador) nach Mexiko- Stadt. Bereits mehrere Minuten von dem Landen erstreckte sich unter uns ein endlos wirkendes Häusermeer, erst mit nur flacher Bebauung, dann schossen die Wolkenkratzer aus dem Boden, eingekesselt von über 5000 Meter hohen Bergen. Mit der Metro ging es ins Centro Histórico zu unserem Hostel. Die mexikanische Hauptstadt besitzt ein gut ausgebautes Metronetz, das große Teile der Stadt miteinander verbindet und mit drei Pesos (18 cent) pro Fahrt zu den billigsten der Welt gehört. An einem gewöhnlichen Wochentag nutzen über vier Millionen Menschen die Metro. Insgesamt haben wir vier Tage in der Hauptstadt verbracht. Zu unseren Zielen gehörten die Catedral Metropolitana, die größte Kirche auf dem amerikanischen Kontinent, das Museo Nacional de Antropología, in dem Fundstücke früherer Hochkulturen ausgestellt sind und Xochimilco, ein Stadtteil bestehend aus einem enormen Kanalsystem, welches wir in einem bunt angemalten Holzboot erkundet haben. An einem Tag sind wir nach Teotihuacán gefahren, eine Stunde außerhalb von Mexiko- Stadt. Bereits im ersten Jahrhundert fingen die Bewohner mit dem Bau ihrer Stadt an, die bis ins achte Jahrhundert bestand. Erhalten geblieben sind neben zahlreichen kleineren Bauten vor allem zwei große Pyramiden, die Mond - und die Sonnenpyramide, die mit 70 Metern Höhe die drittgrößte Pyramide der Welt ist. Von Mexiko- Stadt ging es weiter Richtung Süden über Oaxaca, einer wunderschönen Kolonialstadt im Hochland, und Palenque, einer Mayastätte mitten im Dschungel, bis auf die Halbinsel Yucatan. Erster Stopp war die Stadt Mérida, die besonders künstlerisch einiges zu bieten hat. So kann man beispielweise im Palacio de Gobierno riesige Wandmalereien bestaunen, die die Geschichte der Mayas widerspiegeln. In den nächsten Tagen haben wir noch einige Mayaruinen besichtigt, darunter auch das berühmte Chichén Itzá, dessen perfekt symmetrische und sehr gut

6 erhaltene Pyramide erst kürzlich zu einem der Neuen Sieben Weltwunder gekürt wurde und sich deshalb vor Touristen kaum retten kann. Am Ende haben wir noch ein paar Tage an den Stränden von Cancún verbracht, bevor es wieder zurück nach Nicaragua ging. Oben: Die Ruinen von Palenque Unten: Bootsfahrt durch Xochimilco Oben: Blick auf die Sonnenpyramide (Teotihuacán) Unten: Mexiko- Stadt bei Nacht So, jetzt seid ihr erst mal wieder auf dem neusten Stand! Ich schicke euch liebe Grüße nach Deutschland! Eure Jasmin Alina Vivian Heiden