Exzessive Mediennutzung im Kontext der Erziehungs- und Familienberatung

Transkript

1 Exzessive Mediennutzung im Kontext der Erziehungs- und Familienberatung Holger Robbers Diplom-Sozialpädagoge Systemischer Einzel-, Paar- und Familientherapeut Beratungs- und Diagnostikstelle Lichtblick Bad Belzig, Werder/Havel und Teltow

2 Gliederung Vorstellung des Arbeitsbereichs Familienberatung Mein Kind ist computersüchtig! Diagnose, Haltung Erziehungs- und Umgang mit der das Erstgespräch: 4 Herangehensweisen 3 mögliche Lösungen

3 Beratungs- und Diagnostikstelle Lichtblick Träger: GFB ggmbh (Jugendhilfeverbund Potsdam) Erziehungs- und Familienberatung (EFB) nach 28 SGB VIII für den Landkreis Potsdam-Mittelmark Beratung an zwei Standorten: Bad Belzig und Werder/H. Beratung für Kinder, Jugendliche, Eltern, andere Verwandte und Bezugspersonen Erziehungsberatung, Einzel-, Paar- und Familienberatung Fachberatung für päd. Mitarbeiter_innen aus Kita, Hort, Schule, Jugendhilfeeinrichtungen Onlineberatung; Mediation; Kindergruppen Diagnostik nach 35a SGB VIII und bei Autismus-Spektrums-Störungen an drei Standorten: Bad Belzig, Teltow und Werder/Havel

4 freiwillig Zugang zur Beratung (Möglichkeit der angeordneten Beratung durch das Familiengericht oder Jugendstrafgericht) Schweigepflicht gilt auch innerhalb einer Familie. Kontakt mit anderen (Jugendamt, Schule, Kita, ) nur mit Schweigepflichtentbindung, auch die Eltern erfahren nicht was das Kind / der/die Jugendliche in der Einzelberatung gesagt hat auch anonyme Beratung möglich kostenlos diese Bedingungen gelten für alle EFBn bundesweit

5 Multiprofessionelles Team Sozialpädagog_innen Psycholog_innen Erziehungswissenschaftler_innen alle mit therapeutischen Weiterbildungen: Systemische Einzel-, Paar und Familientherapie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (verhaltenstherapeutisch, tiefenpsychologisch) Mediation

6 Mein Kind ist computersüchtig! Was ist Computersucht? Skepsis gegenüber der Diagnose Wer bewertet das Verhalten des Kindes / des/der Jugendlichen als Sucht, exzessiv oder unnormal? Welche Kriterien werden angewandt? Ändert sich durch eine Diagnose oder Zuschreibung etwas für die Beratung? Nein Wer hat einen Leidensdruck? Wer hat das Problem? Wofür steht das problematische Verhalten? (wenn im Folgenden von Computern/PC die Rede ist, ist immer auch Zeit am Smartphone, vorm Fernseher u.a. eingeschlossen)

7 Unsere Haltung Verhalten von Kinder und Jugendlichen egal welches - ist zu deuten und zu übersetzen: welches Bedürfnis steckt hinter dem Verhalten, was soll (evtl. unbewusst) zum Ausdruck gebracht werden? Fragen nach dem System, keine Reparatur von Symptomen Ziel: Eltern in ihrer Erziehungskompetenz stärken Umgang mit neuen Medien ist Erziehungsaufgabe von Elternhaus und Schule (zu vergleichen mit dem Verhalten im Straßenverkehr, Fernsehen, Alkohol, Kiffen usw.)

8 Herangehensweise im Erstgespräch: Fragen nach der Sorge Was befürchten Sie für Ihre Kinder? Was ist die Sorge? Was ist die hinter der Sorge liegende Angst? oft ist es die Sorge um die Schulleistungen und Zukunft dahinter die Angst vor dem sozialen Abstieg des Kindes Wie realistisch ist die Angst? Wodurch würde die Angst kleiner? Es ist Ihre Angst nicht das Kind ist dafür verantwortlich dass Sie weniger Angst haben Wie können Sie das Verhältnis Hausaufgaben/Lernen und Freizeit mit ihrem Kind neu bestimmen? Wie werden überhaupt Regeln in der Familie aufgestellt? Gibt es Familienkonferenzen oder Ähnliches?

9 Herangehensweise im Erstgespräch: Fragen nach dem Kind Wie lang ist die tatsächliche Dauer, die das Kind vorm PC, am Smartphone, vorm Fernseher o.ä. verbringt? Wie lange geht das Verhalten, seit wann hat es sich vermehrt? Welchen zeitlichen Zusammenhang zu einem anderen Ereignis (Schulwechsel, Trennung der Eltern, Tod eines Angehörigen, ) könnte es geben? Welche anderen Hobbies hat das Kind? Wie regelmäßig geht es dem nach? Hat es Ideen? Wie können die Eltern das Kind unterstützen Hobbies nachzugehen? Wie selbstbewusst ist das Kind? Ist das Kind kontaktfreudig oder eher ängstlich? Was sagt die Schule? Wird etwas vermieden? Welches Vermeidungsverhalten ist okay, welches schädigt? Wie häufig ist das Kind alleine?

10 Herangehensweise im Erstgespräch: Fragen nach dem System Was erzählt das Verhalten des Kindes über das System, die Familie - wofür könnte es ein Symptom sein? Geht das Kind aus dem Kontakt, weil der Kontakt in der Familie insgesamt nicht mehr gut ist? Sind beide Eltern für das Kind / den/die Jugendliche/n da? Wie ist es um die Paarbeziehung der Eltern bestellt? oft übernehmen Kinder durch ihr Verhalten unbewusst die Aufgabe, die Eltern oder Familie in eine Beratungsstelle zu bringen Wie können wir uns mehr Zeit für unser Kind nehmen? Wie können wir als Eltern tun, um als Familie mehr miteinander in Kontakt zu kommen? Kann es eine Familiensitzung geben? Sollten wir eine Paarberatung machen?

11 Herangehensweise im Erstgespräch: Fragen nach dem Konflikt Führt das Thema Zeit des Kindes vorm PC / mit Medien zu Konflikten und Machtkämpfen? Worum wird gekämpft? Wollen Sie dass das Kind sich nach Ihnen richtet, Ihren Regeln folgt? Wunsch nach Kontrolle, Lenkbarkeit, dass das Kind meine Werte übernimmt, unsere Erwartungen erfüllt Idee, dass Kind müsse doch vernünftig werden Was sind meine Erziehungsvorstellungen und ziele? es gibt keine Kontrolle über andere ich kann nur mich kontrollieren und mich nicht in Machtkämpfe hineinziehen lassen wie gelingt mir das? Was kann ich ändern? Welche Erwartungen habe ich an mein Kind? Was leben wir als Eltern dem Kind vor? Wie ist unser Medienverhalten? das Kind hat oft einen niedrigeren oder gar keinen Leidensdruck es hat Spaß warum sollte es damit aufhören?

12 mögliche Lösungen (A) Familiensitzung mit Kind/Jugendlichen darin kann mit der Familie z.b. das Aushandeln von Regeln oder Kommunikation geübt werden oft gibt es kein Verstehen zwischen Eltern und Kind/Jugendlichen als ob sie zwei Sprachen sprächen dann übersetzen die Berater_innen Wahrnehmung schärfen für den Prozess des Erwachsenwerdens wofür tragen noch die Eltern die Verantwortung, wie selbstverantwortlich ist der/die Jugendliche schon?

13 mögliche Lösungen (B) Einzelberatungen für das Kind / den/die Jugendliche/n Auf Wunsch des Kindes / des/der Jugendlichen kann sich aus einer Familiensitzung ergeben dieses Beratungssetting dient dem Kind es wird nicht an den Aufträgen der Eltern gearbeitet, sondern an den Themen des Kindes / des/der Jugendlichen evtl. ergibt sich aus der Einzelberatung wieder eine Familiensitzung oder eine Sitzung mit einem oder beiden Elternteilen

14 das Kind / der/die Jugendliche lässt sich nicht in die Beratung einbeziehen (bzw. den Eltern gelingt es nicht sie/ihn mitzubringen) die Eltern werden zunehmend hilflos sie haben es nicht geschafft, das Kind / den/die Jugendliche/n mitzubringen sie haben den Kontakt zu ihrem Kind verloren sie trauen sich nicht Grenzen zu setzen was nun?

15 Wer hat die Verantwortung für eine Veränderung? das Verhalten des Kindes/Jugendlichen macht für ihn/sie Sinn es stellt eine Lösung dar für die Situation, in der er/sie steckt oder er/sie hat einfach Spaß wenn die Eltern sich Sorgen machen, müssen sie etwas tun auch gegen den Widerstand des Kindes zu warten, bis das Kind irgendwann einmal endlich vernünftig wird, ist keine Option im Sinne der Eltern wird es voraussichtlich nicht vernünftig werden Eltern haben nicht nur ein Sorgerecht sondern auch die Sorgepflicht

16 mögliche Lösungen (C) Elterliche Präsenz Vorbildfunktion von Eltern / Reflexion des eigenen Verhaltens, der Erwartungen und Erziehungshaltung Konzept der Neuen Autorität nach Haim Omer (israelischer Familientherapeut) Nach systemischen Verständnis reicht es, wenn die Eltern etwas verändern (Metapher des Mobiles: wenn sich ein Teil bewegt, justieren sich auch die anderen neu)

17 Fazit in der EFB landen wenig Eltern, deren Kinder tatsächlich als medienabhängig im Sinne einer Abhängigkeitserkrankung zu bezeichnen sind Diagnosen haben auch immer etwas mit der Zeit zu tun, in der wir leben: es gibt Mode-Diagnosen (ADHS, Borderline, Autismus/Asperger ) Hinter dem Versuch, Verhalten von Kindern in eine Diagnose zu kategorisieren, steckt der Wunsch, das Kind zu problematisieren und nicht auf die eigenen Anteile, die Beziehungsstörung zu schauen

18 Fazit Medien sind Teil unserer Realität und haben viele Vorteile der Umgang damit ist Kindern beizubringen Vor neuen Medien wurde immer gewarnt Erinnerung an Das Verschwinden der Kindheit Neil Postman Sucht wird nicht von den Medien verursacht (und also muss man die Medien verteufeln), sondern es gibt immer einen Anteil Kinder und Jugendlicher, die über Sucht Dinge kompensieren

19 Fazit Familienstrukturen verändern sich, Lebensentwürfe werden vielfältiger, die Welt und das Leben komplexer als früher das birgt viele Chancen und auch Herausforderungen unser Ansatz: bei den Eltern Verständnis für das Verhalten des Kindes zu wecken und sie zu befähigen, ihren Kinder Grenzen zu setzen und sie gut zu begleiten Eltern sind gehalten, den Kontakt zu ihren Kindern wider allen pubertierenden Verhaltens zu halten, sich nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen vom Abwehrverhalten und das Kind nicht aufzugeben oder fallenzulassen

20 Fazit hinter tatsächlich exzessiven Medienverhalten wie hinter jedem Suchtverhalten - steht immer der Versuch einer Lösung (auf ein drängendes oder für unaushaltbar gehaltenes Problem oder Gefühl) Das gilt es zu ergründen: was wird kompensiert, wovor wird in eine virtuelle Welt geflohen, was soll an unaushaltbaren Gefühlen weggemacht werden bei tatsächlichem chronifiziertem exzessiven Medienverhalten arbeiten wir mit spezialisierten Einrichtungen zusammen bzw. verweisen an diese weiter (Kliniken, Psychotherapie, Suchtberatung usw.)

21 Lichtblick und neue Medien eigene Homepage Onlineberatung seit 2002 Ab 2017: 2jähriges Projekt App-unterstütze Beratung Zusammenarbeit mit Suchtberatungsstellen (aktuell in Bad Belzig mit der Suchtberatungsstelle der AWO)

22 ENDE Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: