Patientenwille bei Multiorganentnahme
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- Ulrike Irmela Lehmann
- vor 8 Jahren
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1 Patientenwille bei Multiorganentnahme
2 Ausgangpunkt Wir stehen im Operationssaal. Ein Patient liegt intubiertauf dem OP-Tisch, sein Herz schlägt, der Brustkorb hebt und senkt sich regelmässig, er hat rosige Haut, Isofluranläuft, Fentanylwird verabreicht, der Chirurg setzt das Skalpell an, der Patient reagiert auf Schnitt, er wird tachykard, sein Blutdruck steigt, er schwitzt, seine Augen tränen. Es scheint wie immer. Nein, es ist anders. Der Patient ist hirntot und seine Organe werden entnommen. Anja Lubitzsch/Heike Schwerin, Anästhesie der Multiorganentnahme, Basel
3 1 Rippe, Patientenwille 3
4 Leitsätze Voluntas aegroti suprema lex Der Wille des Kranken ist höchstes Gesetz Salus aegroti suprema lex Das Wohlbefinden/Wohlergehen des Patienten ist höchstes Gesetz 4
5 Voluntasaegrotisupremalex 5
6 Voluntasaegrotisupremalex Auch bei vitaler Indikation muss das Behandlungsveto des Patienten respektieren werden, und zwar auch dann, wenn es nur einen Teilaspekt der Therapie, die Aufnahme einer Therapie oder die Reanimation betrifft. 6
7 Ein kleines Problem Im geltenden Recht haben sich zwei Begriffe niedergeschlagen, die aus unterschiedlichen Denktraditionen stammen.
8 Wille und Autonomie Wollen setzt voraus, dass man sich für etwas entschieden hat, einen Vorsatz gefasst hat und bereit ist, etwas zu tun oder etwas zu erlangen. Recht das letzte Wort zu haben,sofern man fähig ist, sich zu informieren die Folgen für sich und andere zu verstehen frei und ohne inneren Zwang zu entscheiden 8
9 Wille und Autonomie Die Willensbildung mündet in der bewussten Entscheidung einer Person, was sie will oder nicht. Dieser Wille ist zu respektieren Die Person hat die Entscheidungsbefugnis über sich selbst. Sofern eine urteilsfähige Person das letzte Wort gesprochen hat, ist es zu respektieren. 9
10 Wille Wille und Wünsche Wille ist in der Lage, das Begehren zu zügeln und Wünsche umzusetzen. Aber nicht jeder Wunsch ist ein Willensbeschluss. Die Person bindet sich an einen Willen. Ob sie später etwas anderes möchte, spielt keine Rolle, kann jedoch eine neue Willensbildung veranlassen.
11 Patientenverfügungen sind Erklärungen des eigenen Willens Patientenverfügungen sind nicht "lediglich gewisse Fingerzeige auf den Patientenwillen. Sie sind Ergebnis einer Willensbindung. Betrifft deren Veto einen konkreten ärztlichen Eingriff, liegt keine Ungewißheitbei Abgabe der Erklärung vor. Allerdings fehlt in Notfallsituationen die Zeit, nach ihnen zu suchen. Rippe, Patientenwille 11
12 Autonomie Das Recht auf Autonomie ist auch dann zu achten, wenn eine Person (vermeintlich) irrational entscheidet, sich nicht vollkommen informieren will, seltsame Präferenzen hat seltsame Überzeugungen hat. 12
13 Aber Würde man das Recht auf Autonomie nämlich nur beachten, wenn sie mit den eigenen Vorstellungen darüber, was richtig ist, übereinstimmt, wäre das Recht auf Selbstbestimmung nicht verwirklicht. Der Satz Du darfst tun, was Du willst, solange Du das Richtige willst, ist Ausdruck einer paternalistischen Haltung 13
14 Einverständniserklärungen erfolgen in Ausübung des Rechts auf Autonomie Eingriffe in die physische Integrität bedürfen der Einwilligung des Betroffenen. Hier hat eine Person auch dann das letzte Wort, wenn sie nicht vollkommen informiert und überlegt handelt (und keine Willensbildung erfolgte).
15 Ein aktuelles Beispiel No CPR Rippe,, Patientenwille 15
16 Der Wille zählt Ungewissheit, ob es sich hier -im Gegensatz zur Patientenverfügung -um eine Willenserklärung handelt? Nein, der Stempel klarer Ausdruck einer Willensbildung Rechtlich ist es ist eine Sache der Form: Kann ein Stempel die Schriftform ersetzen? 16
17 Recht auf Autonomie ist zu beachten Die Person hat aktuell ihr Veto eingelegt. Die Rea hat zu unterbleiben, sofern die Person urteilsfähig war. Gibt es Anlaß zum Zweifel?
18 2 Rippe, Patientenwille 18
19 MutmasslicheWille Was fragen wir? Hätte ihr Sohn/ihre Tochter dies gewollt? Wäre ihre Tochter/ihr Sohn damit einverstanden gewesen?
20 Postmortal wird s nicht rechtlich, aber ethisch knifflig Eine Willensbindungliegt nur solange vor, wie dieser Wille besteht. Existiert die Person nicht mehr, gibt es auch keinen Willen.
21 Testament Nicht postmortale, der mortale Wille Zum Zeitpunkt des Todes tritt die Übertragung des Eigentums u.a. statt. Organspendeausweis ist Ausdruck eines Willens. Die Verfügungsrechte über die Organe werden übertragen.
22 Kleine Unstimmigkeit im Gesetz Heute bedarf es stets auch der Zustimmung der nächsten Angehörigen. Aber woher kommt dieses Vetorecht? Pietät kann nicht den Vorrang haben.
23 Was ist knifflig? Die Analogie von Testament und Organspende passt nicht. Wir sind nicht Eigentümer unseres Körpers. (Wir sind Körper, nämlich Organismen.)
24 Sind wir keine Eigentümer können wir überhaupt nichts übertragen. Der Leichnam gehört niemand, aber er ist pietätsvoll zu behandeln. Es zählte also eigentlich nur der Pietätsgedanke.
25 Vielleicht ist der Organspendeausweis eine Einverständniserklärung und bewegt sich im Autonomieparadigma. So auch der Text von Swisstransplant Ich gestatte... Aber auch Einverständniserklärungen erlöschen mit dem eigenen Tod.
26 Letztlich Ist doch alles eine Frage der Pietät, des Respekts vor dem Verstorbenen und seinen Hinterbliebenen. Dann auch die Vorschrift (Einwilligung des Verstorbenen undder Hinterbliebenen zu befragen) nachvollziehbar. Rippe, Patientenwille 26
27 3 Rippe, Patientenwille 27
28 Weiteres Problem Egal ob es um den Willen oder die Autonomie geht, müssen Personen fähig sein, 1. sich zu informieren 2. die Folgen für sich und andere zu verstehen 3. frei von Zwang zu entscheiden Rippe, Patientenwille 28
29 Dieses Wissen muss allen zugängig sein Wir stehen im Operationssaal. Ein Patient liegt intubiertauf dem OP-Tisch, sein Herz schlägt, der Brustkorb hebt und senkt sich regelmässig, er hat rosige Haut, Isofluranläuft, Fentanylwird verabreicht, der Chirurg setzt das Skalpell an, der Patient reagiert auf Schnitt, er wird tachykard, sein Blutdruck steigt, er schwitzt, seine Augen tränen. Es scheint wie immer. Nein, es ist anders. Der Patient ist hirntot und seine Organe werden entnommen. Anja Lubitzsch/Heike Schwerin, Anästhesie der Multiorganentnahme, Basel
30 Danke Rippe, Patientenwille 30
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