EMPL.A.3 CG/MG 13/12/2010

Transkript

1 EMPL.A.3 CG/MG 13/12/2010 Einblick und Ausblick Zwischenbilanz der Programmevaluation und Vernetzung der Projekte Fachkonferenz des Bundesprogramms XENOS 14./15. Dezember 2010, Schwerin 1

2 Vortrag: "Der ESF als Motor für soziale Innovation" Sehr geehrte Frau Ministerin Schwesig, sehr geehrter Herr Staatssekretär Hoofe, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen sehr herzlich für die Einladung zur XENOS- Fachkonferenz. Ich bin beeindruckt von der großen Anzahl an Konferenzteilnehmerinnen und Konferenzteilnehmer. Dies lässt mich vermuten, dass es eine Menge guter und vor allem innovativer Projekte gibt, die heute bei der Projektmesse besichtigt werden können. Wir hatten heute Vormittag bereits die Gelegenheit, ein innovatives Projekt kennen zu lernen: Die " Insel der Chancen", eine Jugendfirma, die hier im Schweriner See ihren Sitz hat und darauf abzielt, langzeitarbeitlosen schwer vermittelbaren Jugendlichen und jungen Migrantinnen und Migranten eine neue berufliche Perspektive zu geben. In Bereichen wie Gastronomie, Bau und Handwerk, Landschaftspflege und Veranstaltungsdurchführung sollen ihnen die fachlichen und sozialen Fähigkeiten vermittelt werden, die sie im Berufsleben brauchen. Ich finde, dieses Projekt zeigt hervorragend, was die Europäische Kommission unter sozialer Innovation versteht. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat uns sehr deutlich vor Augen geführt, dass wir uns nicht darauf verlassen dürfen, dass Wohlstand 2

3 und Wachstum in Europa selbstverständlich sind. Wenn sich auch in Deutschland die wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Lage schon weitgehend verbessert hat, so hat die Krise Europa sehr hart getroffen: die Arbeitslosigkeit und insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit ist gestiegen, ebenso wie die Anzahl der Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Die Krise hat zur Verzögerung bei notwendigen ökonomischen und sozialen Veränderungen, aber auch zu Ängsten und zu allgemeiner Verunsicherung geführt. Auch wenn sich Europa nach und nach wieder von der Krise erholt, so stellen sich grundlegende Herausforderungen, die nach neuen Antworten und neuen Lösungen verlangen. Ich denke dabei an die fortschreitende Globalisierung und Technologisierung, aber auch an Ressourcenknappheit und den Klimawandel. Dazu kommen die Auswirkungen des demographischen Wandels, die Alterung der Gesellschaft, die Arbeitslosigkeit und die soziale Ausgrenzung. Die zuletzt genannten Themen stehen im besonderen Fokus der Generaldirektion Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Eingliederung, für die ich arbeite. Wir sind überzeugt, dass es sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im 21. Jahrhundert nicht mehr leisten können, die Potentiale so vieler Menschen nicht auszuschöpfen und sozusagen brach liegen zu lassen. Europa braucht die Erwerbsbeteiligung und die Talente aller. In diesem Zusammenhang ist auch die im Sommer dieses Jahres verabschiedete 3

4 Europa 2020-Strategie zu nennen, zu der ich später noch ein paar Worte sagen werde. Krise und Herausforderungen verlangen nach neuen Lösungen. Im Bereich der Beschäftigungs- und der Sozialpolitik sind daher soziale Innovationen gefragt, um nach neuen Antworten zu suchen. Soziale Innovationen Was sind soziale Innovationen? Im Gegensatz zu technischen Innovationen zielen soziale Innovationen auf die Veränderung von Werten und Einstellungen, von Strategien und Politiken, von Strukturen, Prozessen und Arbeitsmethoden, sowie auf die Veränderung von Aufgaben und Verantwortungen der Institutionen und Organisationen gemeint sind auch Sozialpartner und Organisationen der Zivilgesellschaft und der Beziehungen zwischen ihnen. Das Konzept sozialer Innovationen ist für die Europäischen Kommission nicht neu. Die EU hat langjährige Erfahrung bei der Unterstützung sozialer Innovationen, und zwar vor allem durch den Europäischen Sozialfonds. Der ESF hat sich seit seiner Einführung 1957 als leistungsfähiges Instrument bewährt: Er unterstützt die Anpassung an den wirtschaftlichen Wandel und die Verbreitung 4

5 innovativer Praktiken vor dem Hintergrund sich ändernder Produktions- und Beschäftigungssysteme im Binnenmarkt. Von Beginn an war der ESF ein Katalysator für Veränderungen: für die dynamische Modernisierung der Arbeitsmärkte und später die Realisierung der Freiheiten des Binnenmarktes einerseits, aber auch und ganz besonders für die Reduzierung der Risiken und Ungerechtigkeiten, die aus dem Wandel entstehen, andererseits. Nicht nur die nationalen, regionalen und lokalen Behörden, sondern auch die Sozialpartner und Nicht-Regierungsorganisationen wie z.b. die Freien Wohlfahrtsverbände waren und sind von Anfang an der Umsetzung des ESF beteiligt. Zyklus für die Entwicklung von Innovationen Seither wurden mit jeder neuen ESF-Generation die Instrumente zur Förderung sozialer Innovationen verfeinert, so dass wir heute gewissermaßen einen Zyklus für die Entwicklung von Innovationen haben. Anhand dieses Innovationszyklus' kann man veranschaulichen, mit welchen Maßnahmen und auf welchen Ebenen Veränderungen möglich sind: 1. Auf der ersten Stufe entstehen von unten, also bottom-up, neue Ideen, um die Bürgerinnen und Bürger für Beschäftigung und soziale Eingliederung zu mobilisieren. 5

6 2. Auf der zweiten Stufe werden dann im Rahmen von Projekten innovative Ansätze und Praktiken entwickelt, getestet und validiert. 3. Auf der dritten Stufe werden gute Praktiken und sogenannten Erfolgsgeschichten gesammelt und verbreitet. 4. Die vierte Stufe ermöglicht soziale Innovationen und Veränderungen dadurch, dass Brücken und Synergien zwischen bislang unverbundenen Systemen, Institutionen und Verantwortungen geschaffen werden. Auf diese Weise werden Änderungen, die an anderer Stelle bereits erprobt wurden, im Umfeld neuer Umgebungen implementiert. 5. Auf der fünften und letzten Stufe stehen dann der Kapazitätsaufbau und die Mobilisierung der Verwaltungen und Entscheidungsträger für den Wandel, um letztlich für Veränderungen der Strukturen, Organisationen und des institutionellen Rahmens zu sorgen. Auf allen Stufen dieses Innovationszyklus' werden neue Formen der Partnerschaft und der Zusammenarbeit zwischen lokalen, regionalen und nationalen Akteuren und Verwaltungen, Sozialpartnern und NGOs, dem Privatsektor sowie Bildungseinrichtungen von der EU unterstützt nicht nur mit Zuschüssen und Fördermitteln, sondern auch mit fachlicher Unterstützung und Betreuung. 6

7 ESF-Schwerpunkte für soziale Innovationen der ESF als Saatbeet Beispiele für soziale Innovationen, die vom ESF gefördert werden und auf diese Weise entstehen, sind in allen Schwerpunktbereichen des ESF zu finden, die auch in der ESF-Verordnung genannt sind: im Rahmen der Anpassungsfähigkeit von Arbeitnehmern, Unternehmen und Unternehmern, der Verbesserung des Zugangs zum Arbeitsmarkt, der Verbesserung der sozialen Eingliederung von Benachteiligten sowie der Stärkung des Humankapitals. Der ESF ist gewissermaßen ein Saatbeet für soziale Innovationen in Europa. Manche von Ihnen erinnern sich sicherlich noch an die sog. Innovativen Maßnahmen oder an die Gemeinschaftsinitiative EQUAL, die während der letzten Förderperiode umgesetzt wurden. Im Rahmen der Innovativen Maßnahmen ging es um den Aufbau von Lernnetzwerken: Über 200 solcher transeuropäischen Netzwerke wurden bis 2006 gegründet. Vor allem aber kann die Gemeinschaftsinitiative EQUAL als Erfolgsmodell angesehen werden, die insbesondere auf die Schaffung von Chancengleichheit und die Bekämpfung von Diskriminierung abzielte. Mit 3 Milliarden EURO aus dem ESF und über beteiligten Stakeholdern als Partner war EQUAL bislang das größte Programm, mit dem soziale Innovationen in den Bereichen soziale Eingliederung und Beschäftigung gefördert wurden. 7

8 Diese Aufgabenstellungen haben bis heute nichts an ihrer Aktualität verloren, und so verwundert es nicht, dass EQUAL mit seinem innovativen Zugang in die sogenannte Mainstreamförderung des ESF aufgenommen wurde. Die EQUAL-Prinzipien partnerschaftlicher Ansatz, bevorzugte Unterstützung für Innovationen, Priorität für Chancengleichheit und Nicht-Diskriminierung und Betonung transnationaler Zusammenarbeit finden sich heute in allen, ESFgeförderten Operationellen Programme wieder. Innovationen sind daher ein Charakteristikum des ESF auch in der aktuell laufenden Förderperiode. Doch nicht nur die finanzielle Unterstützung aus dem ESF ermöglicht soziale Innovationen. Entsprechend dem angesprochenen Innovationszyklus können Innovationen z.b. in neue Kooperationen zwischen den Sozialpartnern, in neue institutionelle Regelungen oder aber in gesetzliche Änderungen münden. Ein zentrales Element ist hierbei das gegenseitige Lernen und der Austausch von guten Praktiken. Auch damit können sozialen Innovationen und notwendigen Strukturreformen zum Durchbruch verholfen werden. Allerdings ist die bloße Änderung der Beschäftigungs- und Sozialpolitik bzw. der institutionellen Rahmenbedingungen noch keine soziale Innovation per se. Dazu bedarf es einer Veränderung des Verhaltens und der Prozesse, und zwar aller involvierten Akteure nicht nur der Innovatoren. 8

9 Unterstützung von Innovationen durch Europa 2020 Die Dynamik sozialer Innovationen entsteht nicht von selbst. Unsere Erfahrungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass es ein günstiges Umfeld braucht, und zwar sowohl an der Basis als auch im Bereich der nationalen politischen Entscheidungen. Innovationen entstehen nicht von selbst, sie entwickeln sich nicht gleichförmig in alle Richtungen und in alle Dimensionen. Innovationen antizipieren oder begleiten aber die zentralen Trends sozialer Veränderungen. Daher stellt die Unterstützung von Innovationen einen besonders wichtigen Teil der Europa 2020-Strategie dar. Mit dieser Strategie haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf drei Prioritäten für dieses Jahrzehnt verpflichtet: Intelligentes Wachstum durch die Entwicklung einer auf Wissen und Innovation gestützten Wirtschaft Nachhaltiges Wachstum durch die Förderung einer Ressourcen schonenden und ökologischeren Wirtschaft, und Integratives Wachstum durch die Förderung einer Wirtschaft mit hoher Beschäftigung und ausgeprägtem sozialem und territorialen Zusammenhalt. 9

10 Diese politisch formulierten Ziele wurden im Rahmen der Europa 2020-Strategie in 5 qualitative Kernziele überführt, von denen drei einen direkten Bezugspunkt für Maßnahmen des ESF und daher auch für soziale Innovationen bieten. Diese drei Kernziele, die es bis 2020 zu erreichen gilt, sind: Die Erhöhung der Beschäftigungsquote auf mindestens 75% aller 20 bis 64jährigen; Die Verbesserung des Bildungsniveaus durch Senkung der Schulabbrecherquote auf 10% und die Steigerung des Anteils der Hochschulabsolventen in der Altersgruppe der Jährigen auf 40%; Die Förderung der sozialen Eingliederung durch die Reduzierung der Armut, indem 20 Millionen Menschen von Armut befreit werden sollen. Beschäftigungschancen von Jugendlichen Herr Staatssekretär Hoofe hat bereits darauf hingewiesen, dass insbesondere durch die hohe Schulabbrecherquote von Migrantinnen und Migranten in Deutschland ein großes Potenzial an künftigen Arbeitskräften verlorengeht. Wie Sie sehen setzt die neue Europa Strategie genau hier an. Neben der Ausrichtung auf ehrgeizige Ziele setzt die Strategie einen besonderen Schwerpunkt auf die 10

11 Beschäftigungschancen von Jugendlichen: Im Rahmen der Leitinitiative "Jugend in Bewegung" sollen die Bildungschancen der Jugendlichen verbessert und die Mobilität von Studierenden und Auszubildenden gefördert werden. Und im Rahmen der Leitinitiative "Neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten" soll der lebenslange Erwerb von Qualifikationen und die Erhöhung der Mobilität von Erwerbstätigen unterstützt werden. Die in sich stimmige Strategie Europa 2020 bietet viele Ansatzpunkte, die mit den Zielsetzungen Deutschlands übereinstimmen. Und auch hinsichtlich der grundsätzlichen Ausrichtung des ESF an der neuen Strategie deckt sich die deutsche Position mit der Überzeugung aller anderen Mitgliedstaaten und der EU: Der ESF soll als Förderinstrument die Umsetzung der Strategie unterstützen. Die Verknüpfung der Kohäsionspolitik mit der Strategie Europa 2020 bietet eine echte Chance, die Anstrengungen der Mitgliedstaaten bei Förderung von Wachstum und Beschäftigung und bei der Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung zu unterstützen. Dies ist auch der Tenor des 5. Kohäsionsberichts, der Mitte November verabschiedet wurde und allen Stakeholdern die Gelegenheit gibt, sich zur Zukunft der Kohäsionspolitik und daher auch zur Zukunft des ESF zu äußern. Ich möchte Sie alle einladen, sich darüber Gedanken darüber zu machen und uns Ihre Stellungnahmen zu übersenden, die bis Ende Januar entgegen genommen werden. 11

12 Meine sehr geehrten Damen und Herren, um die großen Herausforderungen zu bewältigen, vor denen Europa heute steht, sind innovative Lösungen gefragt. Damit können wir nicht bis zum Beginn der nächsten Förderperiode warten. Im Gegenteil: Wie ich ausgeführt habe, unterstützt der ESF seit seiner Schaffung innovative Ideen und Praktiken sowie ihre Verbreitung, um die Anpassung an den wirtschaftlichen Wandel zu fördern. Dabei geht es auch und vor allem um die Beschäftigungsfähigkeit von benachteiligten Personen, von solchen Personen, die Ausgrenzung und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt erfahren, von solchen Personen, die nicht über die fachlichen und sozialen Fähigkeiten verfügen, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen. Es geht dabei um Basisarbeit und das Erlernen von Basisqualifikationen. Es geht auch darum zu lernen, wie man in einem Arbeitsumfeld, in dem immer mehr Menschen verschiedener Nationalitäten und Religionen zusammenkommen, tolerant und konfliktfrei miteinander leben und arbeiten kann. Es geht letztlich also darum, neben den fachlichen Qualifikationen soziale und interkulturelle Fähigkeiten zu erlernen, um auf dem Arbeitsmarkt eine Chance zu haben. Aus Sicht der Europäischen Kommission ist das XENOS-Programm des Bundes hervorragend geeignet, um genau diese Problemstellungen aufzugreifen. Das XENOS-Programm fördert soziale Innovationen, da es kreative bottom-up-lösungen ermöglicht. Als 12

13 Finanzierungsinstrument schafft der ESF damit gemeinsam mit der nationalen Kofinanzierung den entsprechenden Rahmen, arbeitsmarktferne Jugendliche zu erreichen, und Diskriminierung am Arbeitsmarkt zu bekämpfen. Das XENOS-Programms ist daher nicht nur zu begrüßen, sondern geradezu eine Notwendigkeit, um nationale und europäische Ziele zu erreichen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine interessante und spannende Veranstaltung und viel Erfolg bei der Umsetzung vieler weiterer innovativer XENOS-Projekte. ICH DANKE IHNEN FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT! 13