ein Spannungsfeld zwischen Verfahrensmaximen und Prozessökonomie
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- Leander Bäcker
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1 Der Deal im Strafprozess ein Spannungsfeld zwischen Verfahrensmaximen und Prozessökonomie Thesenpapier beschlossen in der Niedersachsenratssitzung am 27. Februar 2010 in Osnabrück Junge Union Niedersachsen Wilfried-Hasselmann-Haus Hindenburgstraße Hannover Tel.: 0511/ Fax: 0511/
2 Der Niedersachsenrat der Jungen Union hat folgenden Antrag beschlossen: Der Deal im Strafprozess ein Spannungsfeld zwischen Verfahrensmaximen und Prozessökonomie I. Einleitung Das Phänomen der Urteilsabsprachen im Strafprozess wurde vor ungefähr 30 Jahren sichtbar und hat seitdem Gerichte, Staatsanwälte und Strafverteidiger sowie Strafrechtsdogmatiker gleichermaßen umgetrieben. Der Deal stellt nach Niemöller 1 : eine Einigung auf ein beiderseits zu befolgendes Verhaltensprogramm, nach der das Verhalten des einen Partners von dem des anderen abhängig sein soll, der Vorleistende also seinen Verhaltensbeitrag im Blick auf die zu erwartende Gegenleistung, der Nachleistende den seinigen um der erbrachten Vorleistung willen erbringt. dar. Eine Möglichkeit der konsensualen Erledigung von Strafverfahren kennt die Strafprozessordnung (StPO) abgesehen von einigen Ausnahmen nicht. Trotzdem beugten sich seit einigen Jahrzehnten viele Gerichte dem Druck der zunehmenden Arbeitsbelastung und boten den Angeklagten ein mildes Urteil im Austausch gegen ein Geständnis an zum Zwecke des raschen Abschlusses des Prozesses. Ein ähnliches Vorgehen ist auch in vielen anderen Ländern man denke nur an die zahlreichen amerikanischen Gerichtskrimis alltäglich, jedoch steht es in eklatantem Widerspruch zu den Grundsätzen des deutschen Strafverfahrens (u.a. Ermittlung der Wahrheit durch das Gericht, der Schuldangemessenheit der Strafe und der Fairness des Verfahrens). Der Bundesgerichtshof hatte sich in vielen Entscheidungen mit den Folgen fehlgeschlagener Absprachen zu beschäftigen und entwickelte einige Grundsätze für Verfahrensabsprachen 2, bis der Große Senat für Strafsachen im Jahre 2005 an den Gesetzgeber appellierte diese Problematik gesetzlich zu regeln 3. II. Gesetzliche Regelung Im Jahre 2009 wurde schließlich durch den Deutschen Bundestag die Einführung des 257c in die StPO beschlossen, der das Verfahren der Urteilsabsprache im Strafprozess systemimmanent unter Aufrechterhaltung der verfahrensrechtlichen Grundsätze des 1 Niemöller, Absprachen im Strafprozess, Strafverteidiger 1990, 34 (35). 2 vgl. BGH, Urt. v StR 240/97 -, BGHSt 43, 195; BGH, Beschl. v StR 86/99 -, BGHSt 45, BGH, Beschl. V GSSt 1/04 -, BGHSt 50, 40 = NJW 2005,
3 Strafverfahrens regelt. Hierin ist festgeschrieben, dass Gegenstand der Absprachen neben den Rechtsfolgen und dem Inhalt des Urteils auch das Prozessverhalten des Angeklagten sein kann. Weiter ist das Ergebnis der Absprache öffentlich zu machen und ein Strafrahmen anzugeben. Im Gegenzug soll der Angeklagte ein Geständnis ablegen, welches bei Abrücken von der Absprache durch das Gericht bei der Urteilsfindung, nicht verwertet werden kann. III. Problematik Neben der Verfahrensflut mit der Gerichte und Staatsanwaltschaften konfrontiert werden, sprechen für die Notwendigkeit der Implementierung von Verständigungen in die StPO zweifellos auch die Interessen der Opfer, denen eine zweite traumatisierende Aussage in der Hauptverhandlung hierdurch häufig erspart wird 4. Grundsätzlich scheint die Möglichkeit eines Verbotes von Urteilsabsprachen kaum umsetzbar und würde lediglich dazu führen, dass derartige Deals künftig wieder hinter verschlossenen Türen ausgehandelt würden, wodurch die Interessen der Angeklagten und der Öffentlichkeit weit stärker gefährdet wären 5, da dies zu einer Gefährdung des Vertrauens der Bevölkerung in die Geltungskraft des Strafrechts führen würde. Die JU Niedersachsen ist allerdings der Ansicht, dass hierbei die Maximen des Strafprozesses umfassend Geltung erfahren müssen um ein rechtsstaatliches und faires Verfahren zu garantieren und einen Handel mit der Gerechtigkeit zu verhindern. 1.) Gemäß 257c II 2 StPO soll Bestandteil jeder Verständigung ein Geständnis sein. Diese Formulierung lässt eine Verständigung grundsätzlich auch ohne ein Geständnis zu, in jedem Fall ist aber ein Formalgeständnis, also ein bloßes Eingestehen des Anklagevorwurfes hiernach nicht ausreichend 6. Dies ist mit den Grundsätzen des Strafverfahrens nicht mehr zu vereinbaren. Das Legalitätsprinzip nach 152 II StPO normiert einen Verfolgungszwang zur Durchsetzung des materiellen Strafanspruches. Durch einen durch Absprache beendeten Strafprozess wird dies umgangen, da als Gegenleistung für das Geständnis auf eine weitere Verfolgung verzichtet wird. Ferner schreibt die Instruktionsmaxime des 244 II StPO die Amtsaufklärungspflicht fest. Diese besagt, dass das Gericht den Sachverhalt abschließend zu ermitteln hat, auf den sich das 4 BeckRS 2003, Meyer-Goßner in ZRP 2004, 187, BGH, Beschl. V GSSt 1/04 -, BGHSt 50, 40 = NJW 2005,
4 Urteil stützt. Zwar gibt 257c I 2 StPO vor, dass die Instruktionsmaxime unberührt bleibe, faktisch lässt sich aber kaum abstreiten, dass es gerade das Ziel einer Verständigung sein muss, dass eine umfangreiche Beweisaufnahme unterbleibt. Der Amtsaufklärungsgrundsatz könnte gewahrt bleiben, wenn das Geständnis des Angeklagten insoweit an herkömmlichen Glaubhaftigkeitskritierien messbar wäre und dem Beweise, der zwar nicht erhoben werden muss, aber jederzeit das Geständnis verifizieren könnte, zugänglich bliebe. Dies ist auch geboten, da das Unmittelbarkeitsprinzip des 261 StPO sowie das Mündlichkeitsprinzip des 250 StPO festsetzen, dass das Urteil auf dem mündlich in der Hauptverhandlung Geäußerten beruhen muss. Diesen Grundsätzen kann nur Rechnung getragen werden, wenn das Geständnis derart umfangreich ist, dass es Grundlage des Urteils sein kann. Grundlage einer Verständigung im Strafprozess darf nur ein qualifiziertes Geständnis, das der Nachprüfung zugänglich ist, sein. 2.) Problematisch könnte ferner die Regelung des 257c II 1 StPO sein, die zum Gegenstand der Verständigung auch das sonstige Prozessverhalten des Angeklagten macht. Die Instruktionsmaxime nach 244 II StPO normiert jedoch die Amtsaufklärungspflicht. Die Ermittlung des Sachverhaltes steht den Prozessparteien nicht zur Disposition, sondern muss von Amts wegen aufgeklärt werden. Das Gericht kann sich hiermit aber versprechen lassen, dass z.b. Beweisanträge nicht gestellt werden, schließt also im Vorwege schon aus, den Sachverhalt abschließend ermitteln zu wollen 7. Dies ist mit der Aufklärungspflicht, die letztlich auch gewährleistet, dass nur ein tatsächlich Schuldiger aufgrund eines bewiesenen Sachverhaltes verurteilt werden soll, unvereinbar. Ferner entsteht hierdurch die Gefahr, dass die bloße Drohung mit einem konfrontativen Prozessverhalten das Gericht dazu bringen kann einem möglicherweise nicht angezeigten Deal zuzustimmen. Das Versprechen eines bestimmten Verfahrensverhaltens darf nicht Grundlage einer Verständigung sein. 7 Stellungnahme Deutscher Richterbund ( ) 3
5 ) Ferner ergibt sich aus 243 IV 1, 273 Ia 3 StPO eine Protokollierungspflicht für Negativtatsachen in der Hinsicht, dass Verhandlungen über eine mögliche Absprache auch dann zu protokollieren sind, wenn diese nicht zustande gekommen ist. Eine derartige Protokollierung war der StPO zuvor unbekannt. Grundsätzlich ergibt sich aus 274 StPO die negative Beweiskraft des Protokolls. Dies bedeutet, dass Verfahrenshandlungen, die nicht Bestandteil des Protokolls geworden sind, nicht stattgefunden haben. Vorwiegend wird diese Regelung daher als überflüssig angesehen, sie bietet darüber hinaus aber auch die Möglichkeit sich dies als Revisionsgrundlage zu Nutze zu machen 8. Die Junge Union Niedersachsen fordert daher: Eine den Strafverfahren fremde Form des Negativatestats darf nicht implementiert werden. 4.) Eine Einbeziehung der Nebenklage in die Verständigung ist nicht ausdrücklich geregelt. Zwar kann die Nebenklage zu den Gesprächen zugeladen werden, jedoch haben sie hierbei keine eigenen Rechte. Grundsätzlich hat die Nebenklage im Strafprozess keine Mitsprache bei der Strafzumessung und hierbei geht es im Wesentlichen bei der Verständigung jedoch dürfen aus Opferschutzgesichtspunkten die Wertungen der Nebenklage, im Speziellen auch im Hinblick auf Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung, nicht völlig außer acht gelassen werden. Das Urteil dient auch der Herstellung des Rechtsfriedens und muss das Vertrauen in das Rechtssystem, das seinen Strafanspruch unabhängig wahrnimmt, garantieren und dies kann nur gewährleistet werden, wenn die Opferbelange in ausreichendem Maße eingebracht werden. Auch wenn die Nebenklage kein Mitspracherecht zur Strafzumessung haben kann, so sollten Bedenken und Vorbehalte doch durch eine Stellungnahme, die durch das Gericht zu beantworten ist, eingebracht werden können. Opferinteressen müssen ernst genommen werden und deshalb sind die Belange der Nebenklage auch im Falle der Verständigung zu beachten. 5.) 257c IV 3 StPO schreibt fest, dass im Falle, dass die Bindung des Gerichts an die Verständigung entfällt, also wenn neue Umstände bekannt werden oder bedeutsame 8 Brand und Petermann in NJW 2010, 268 ff 4
6 Umstände übersehen wurden aufgrund dessen das Gericht eine andere Strafe für schuldund tatangemessen hält, auch das Geständnis des Angeklagten für die Urteilsfindung unverwertbar wird. Bei einem nach dem Gesetz zulässigen Abweichen von der vorher getätigten Zusage besteht hierzu jedoch kein Anlass. Sofern der Angeklagte ordnungsgemäß über die Voraussetzungen und Konsequenzen eines Geständnisses im Rahmen einer Absprache belehrt wurde, kann er in Kenntnis aller Umstände abwägen, ob er bereit ist, dieses abzulegen. Eine Gefahr des Missbrauches der sich dadurch ergebenden Möglichkeiten ist bisher nicht zutage getreten und dies würde auch einen Verstoß gegen 136a StPO darstellen, soweit der Angeklagte über das Zustandekommen einer Verständigung getäuscht würde, um ein Geständnis zu erlangen 9. Daher fordert die JU Niedersachsen: Bei einem zulässigen Widerruf der Verständigung vonseiten des Gerichts muss das Geständnis weiterhin verwertbar sein. 6.) Grundsätzlich gilt im Strafprozess nach 331 I, 358 II StPO das Verbot der reformatio in peius. Dies besagt, dass der Angeklagte, wenn er Rechtsmittel einlegt, während die Staatsanwaltschaft hierauf verzichtet, durch das nächstinstanzliche Urteil nicht zu einer höheren Strafe verurteilt werden darf als dies zuvor der Fall war. In dem Falle aber, in dem das erstinstanzliche Urteil auf einem absprachegemäßen Geständnis beruht, das in der nächsten Instanz widerrufen wird, kann es nicht angehen, dass die vormals hiermit verbundene Strafmilderung fortwirkt. Das Verbot der reformatio in peius darf nicht bei Urteilen aufgrund von Verständigungen gelten. 7.) Darüber hinaus ist gemäß 302 I 2 StPO ein Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen, wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist. Bei Erörterung eines Rechtsmittelverzichts im Zusammenhang mit der Verständigung kann zweifellos befürchtet werden, dass im Hinblick auf die fehlende Nachprüfbarkeit des Urteils die Gefahr entsteht, dass es an der notwendigen Sorgfalt der Urteilsfindung fehlen könne. Fraglos ist dies aber nicht der Fall, wenn der Rechtsmittelverzicht nach dem Urteil und einer qualifizierten Belehrung erfolgt. Auch diese Möglichkeit ist aber durch die Regelung 9 Kölbel in NStZ 2003, 232 ff 5
7 des 302 I 2 StPO ausgeschlossen und lässt besorgen, dass gerade diese Regelung einen Anlass zur Umgehung bietet. Gerade im Hinblick auf den geringeren Zeitaufwand, den eine Verständigung ja gerade herbeiführen soll, wird deutlich, dass dieser bei einem vollständigen Urteil nicht mehr gegeben wäre. Die JU Niedersachsen fordert: Bei Vorliegen der qualifizierten Belehrung muss es dem Angeklagten nach Verlesung des Urteils möglich sein, auf Rechtsmittel zu verzichten. 8.) Über die prozessrechtlichen Fragen hinaus steht auch zu befürchten, dass verfassungsrechtliche Maßstäbe (u.a. Unterlaufung des in dubio pro reo Grundsatzes) verletzt werden durch die Nutzung der Möglichkeit der Urteilsabsprache. Die Gefahr, dass ein Angeklagter mit einem erfahrenen Strafverteidiger bei vergleichbarer Sachlage ein deutlich milderes Urteil erzielt als ein Angeklagter ohne Anwalt ist zweifelsohne gegeben. Dies widerspricht dem fair trial -Grundsatz nach Art. 20 III in Verbindung mit Art. 2 I GG, der rechtliche Mindeststandards für alle Verfahren garantiert, genauso wie dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I GG, da die Strafe möglicherweise milder ausfällt als bei vergleichbarem Sachverhalt und weniger konfliktreicher Verteidigung, die Verständigung als einzige Möglichkeit der zeitnahen Prozessbeendigung erscheinen lässt. Die Möglichkeit der Beantragung der Verständigungserörterungen ist auch dem Angeklagten gesetzlich zu eröffnen. Der Umfang der durch eine Verständigung erzielbaren Milderung ist gesetzlich zu normieren. III. Schlussfolgerung Der Normativität des Faktischen entkommen zu können stellt sich in diesem Zusammenhang als illusorisch dar. Die Verständigung ist strafprozessrechtliche Realität. Notwendig und richtig war es sie aus dem Hinterzimmer zu befreien um ihr den Anschein des unfairen Handels mit der Gerechtigkeit zu nehmen. Trotzdem darf das Gerüst der Strafprozessmaximen nicht ausgehebelt werden. Diese haben den deutschen Strafprozess in ihrer über hundertjährigen Geschichte zu einem der gerechtesten und effektivsten in der Welt gemacht. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang auch, dass mehr Personal eingestellt wird, um durch diese Maßnahme den Druck zunehmen einen Prozess vorschnell beendigen zu müssen. 6
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