Parteien: Sachpolitik und der Kampf um Wähleranteile Referat vom 13. März 2013 an der Seniorenakademie Berlingen
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1 Parteien: Sachpolitik und der Kampf um Wähleranteile Referat vom 13. März 2013 an der Seniorenakademie Berlingen Referent: Claude Longchamp, Politikwissenschafter/Historiker, Institutsleiter gfs.bern, Wahl- und Abstimmungsanalytiker der SRG Medien, Lehrbeauftragter an den Universitäten St. Gallen, Zürich und Bern gfs.bern, 13.März 2013
2 Meine Thesen Sachpolitik wird durch die aktuellen Entwicklungen im Parteien- und Mediensystem nicht verunmöglicht, aber verändert und teilweise erschwert. Lösungen werden nicht mehr nur im bürgerlichen Lager vorgespurt, sondern im Wettbewerb von den Polen her entwickelt. Je nach Politikgebiet führt dies zu wechselnden Koalitionen im Parlament, die sich in Volksabstimmungen durchsetzen müssen. Die Volksinitiativen beleben die die Bürgergesellschaft neu, wodurch unabhängig von den Behörden neue und vernachlässigte Themen auf die politische Agenda gesetzt werden. Diese Anliegen aus der Zivilgesellschaft erfreuen sich wachsender Zustimmung und sind immer häufiger erfolgreich an der Urne. Das Modell Schweiz basiert auf einem föderalistisch, direktdemokratisch geprägten System, in dem keine Partei die Mehrheit hat. Es funktioniert nur, solange der Wille zur Zusammenarbeit stärker ist als der Wille zur Eigenprofilierung. 2
3 Glückliche Zeiten Der Bundesrat vor einer Herausforderung Herausforderung Der Bundesrat meistert die Herausforderung 3
4 Die neuen Unsicherheiten und die Herausforderungen der Politik umändern 4
5 Bundesratswahlen (1) Zauberformel Krönung des Konkordanzsystems, zwischen 1959 und 2003/8 für die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats massgeblich. Ursprüngliche Begründung: Parteien mit einer genügenden inhaltlichen Übereinstimmung bilden den Bundesrat, zusammengesetzt nach der Wählendenstärke bei den Nationalratswahlen; die BundesrätInnen bestimmen in der Regel ihren Rücktritt selber und werden von einem/r VertreterIn der gleichen Partei ersetzt. Aufgrund der Zusammensetzung hat die CVP die beste Stellung inne, denn sie kann mit der FDP und der SP mehrheitsfähige Allianzen schmieden. 5
6 Bundesratswahlen (2) Neue Formeln Parteistärken Nationalrat, in Prozent Neue Begründung (2003): Parteien werden bei der Wahl des Bundesrats aufgrund ihrer Stärke berücksichtigt. Aufgrund der Zusammensetzung 2003/7 hat die FDP die beste Stellung inne, denn sie kann mit der SVP und mit der SP mehrheitsfähige Allianzen schmieden. Nochmals neue Begründung (2007): Bisherige BundesrätInnen werden ohne Not nicht abgewählt. 6
7 7 Die Richterskala der politischen Erdbeben
8 Zentrale Gründe aus politikwissenschaftlicher Sicht 1. Referendum 2. Keine Mehrheitspartei 3. Vermittelnde Positionen aus der Erfahrung der kulturellen Spaltungen heraus 4. (Kleinheit des Landes) 8
9 9 Eigenheiten des Konkordanzsystems der Schweiz
10 Die Neustrukturierung des Nationalrats Positionen der Fraktionsmitglieder NR 1996 Positionen der Fraktionsmitglieder NR
11 11 Keine eindeutigen Verhältnisse bei der Allianzbildung im Nationalrat
12 Bilanz Dissertation Manuel Fischer (2012) zur Integrationsfähigkeit der Entscheidungsstrukturen Bisheriges Bild Konfliktlinie: Sozio-ökonomische Verteilungsfragen mit der hauptsächlichen Polarisierung zwischen bürgerlicher Mehrheit und linker Minderheit Neues Bild Aufgrund von Europäisierung gibt es heute mehrere relevante Konfliktlinien. Dabei entstehen wechselnd zusammengesetzte, dominante Koalitionen: Bürgerliche Mitte (8/8) Rotgrüne Linke (5/8): Europa, Verkehr/Infrastruktur, Bildung Nationalkonservative Rechte (3/8): Finanzen, Migration SVP: polarisiert mit Volksrechten vor allem die Europa- Fragen aus der parlamentarischen Minderheitsposition heraus SP: kann bei verteilter Macht mit dem Referendum blockieren, nicht aber, wenn sie von einer bürgerlichen Koalition in die Minderheit versetzt worden ist. 12
13 13 Konfliktlinien bei eidg. Volksabstimmungen
14 Mentale Landschaften der Schweiz Links/Rechts vs. Liberal/Konservativ Links/Rechts vs. ökologisch/technokratisch 14
15 15 Positionierung der Parteien im politischen Raum
16 16 Erfolgschancen für Volksinitiativen steigen
17 17 Initiativenflut
18 18 Beispiel für folgenreiche Introversion der Medien
19 Inszenierung der Politik durch Medien Personalisierung Emotionalisierung Hohe Bedeutung von Personen für die politische Kommunikation; insbesondere der BundesrätInnen, der ParteipräsidentInnen und der exemplarischen HerausfordererInnen Ambivalentes Potenzial in der Sachpolitik: Vereinfachung positiv für Breitenwirkung, Glaubwürdigkeit durch individuelles Verhalten negativ für Sachorientierung Verlagerung der Meinungsbildung von der Informationsverarbeitung zur emotionalen Sofortreaktion Dramatisierungen bauen einseitig auf Negativismus auf, brauchen Helden und Sündenböcke, aktivieren Vorteile und Stereotypen, was polarisierte gegenüber vermittelnden Positionen begünstigt 19
20 Volkswahl des Bundesrats Argumente InitiantInnen Stärkung DiDe durch Ausbau der Volksrechte Stärkung der Gewaltenteilung durch unabhängige Legitimierung der Exekutive resp. Legislative, gemäss dem Prinzip der Volkssouveränität; sowie verstärkte Machtkontrolle durch direkte Verpflichtung der Regierung gegenüber den Stimmbürgern Transparenz und Fairness sowie Kontinuität und Stabilität: Ende des unberechenbaren und intransparenten parlamentarischen Wahlverfahrens; keine geheimen Machenschaften und politische Abrechnungen, wie bei der Abwahl Blochers Profilierte und bestandene Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft haben grössere Wahlchancen Argumente Bundesrat Bisheriges Wahlverfahren brachte friedliches Zusammenleben, Stabilität und Prosperität Mächtegleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative geschwächt (zu Lasten der Legislative); Stabilität der Institutionen durch gegenseitige Blockierung zwischen Regierung und Parlament in Gefahr Schwächung einer konsensualen Entscheidfindung gemäss dem Kollegialprinzip Partei-, statt Sachpolitik; Permanente Wahllokomotiven der Parteien angetrieben von parteipolitischen Akteuren; Dauerwahlkampf (Kosten) Schwächung der föderalistischen Balance; Fehlende Ausgewogenheit; mangelnde Minderheitenvertretung 20
21 21 Denkbare Zusammensetzungen
22 Vom Modell Schweiz Die Lehren aus der Geschichte 1848: 1. Bundesverfassung: lockerer Bundesstaat mit ausgeprägtem Föderalismus 1874: 2. Bundesverfassung: selektive Zentralisierung mit integriertem starkem Verbandssystem und ausgebauter Bürgerbeteiligung 1943/59: Konkordanzsystem mit breit abgestützter Regierung und politischen Kompromissen zum Vorteil der wirtschaftlichen Entwicklung 2000: 3. Bundesverfassung: Verfassungsrechtliche Aufdatierung, aber ohne Staatsleitungsreform Zukunft des Politsystems Das politische System ist unverändert auf Integration ausgerichtet, wenn auch mit wechselnden Mehrheiten je nach Politikgebiet Das Parteiensystem ist stark durch Polarisierung geprägt, was die Durchsetzbarkeit der Behördenpolitik erschwert und eine neue Agenda für Volksinitiativen hat entstehen lassen Das Mediensystem ist aufgrund sinkender Nutzungszahlen in Bewegung geraten und auf Personalisierung/Emotionalisierung aus, was Sachpolitik der Parteien nicht befördert Modell Schweiz: föderalistisches, direktdemokratische, konkordantes politisches System, das ausgehend vom Zentrum lernt, mit wechselnden Mehrheiten unter den Parteien zu regieren 22
23 Auf Wiedersehen und Danke für Ihre Aufmerksamkeit Claude Longchamp gfs.bern Verwaltungsratspräsident und Institutsleiter gfs.bern Lehrbeauftragter der Universitäten SG, ZH und BE 23
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